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Klinische Neurologie
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Publiziert am: 22.06.2018

Epilepsien: Grundlagen und Klassifikation

Verfasst von: Anne-Elisabeth Bredel-Geissler und Barbara Tettenborn
Ein epileptischer Anfall ist durch eine episodische Funktionsstörung von Nervenzellen charakterisiert, die durch pathologische exzessive neuronale Entladungen infolge gesteigerter Erregbarkeit oder gestörter inhibitorischer Faktoren zustande kommt. Die klinischen Ausfälle hängen davon ab, welche Funktion die beteiligten Nervenzellen normalerweise besitzen. Prinzipiell unterscheidet man zwischen unprovozierten und provozierten Anfällen. Provozierte Anfälle werden durch exogene oder endogene Noxen ausgelöst und treten nicht unabhängig von diesem Auslöser auf. Das isolierte Auftreten eines epileptischen Anfalls ohne weitere richtungsweisende Befunde rechtfertigt nicht die Diagnose eines Anfallsleidens. Die Diagnose einer Epilepsie kann dann gestellt werden, wenn mindestens ein epileptischer Anfall aufgetreten ist und Befunde vorliegen, die auf die Prädisposition für weitere epileptische Anfälle hinweisen, z. B. epilepsietypische Potenziale im Elektroenzephalogramm und/oder zum Anfallsereignis passende strukturelle Läsionen in der Bildgebung. Die zuständige Task Force der Internationalen Liga gegen Epilepsie (ILAE) hat in ihrem offiziellen Bericht 2014 vorgeschlagen, Epilepsie zu definieren als jeden der folgenden Umstände: wenigstens 2 unprovozierte (oder Reflex-)Anfälle, die im Abstand von >24 h aufgetreten sind; ein unprovozierter (oder Reflex-)Anfall bei einer 10-Jahres-Wahrscheinlichkeit, die in etwa derjenigen entspricht, die nach 2 unprovozierten Anfällen besteht (≥60 %); Diagnose eines Epilepsiesyndroms. Die Rückbildung einer Epilepsie wird bei Personen angenommen, die entweder ein altersbezogenes Epilepsiesyndrom hatten und der relevanten Altersgruppe entwachsen sind oder die mehr als 10 Jahre anfallsfrei sind und seit mindestens 5 Jahren keine Antikonvulsiva mehr eingenommen haben. Es wurde somit neben einer gegenüber 2005 leicht überarbeiteten Epilepsiedefinition, in deren Zentrum die Rezidivwahrscheinlichkeit von >60 % steht, erstmals auch eine Definition für die Rückbildung der Epilepsie vorgeschlagen. Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) hat kürzlich neue Klassifikationen für epileptische Anfälle sowie für Epilepsien und epileptische Syndrome vorgelegt. In den folgenden Abschnitten zu Epilepsien und epileptischen Anfällen wird die neue Klassifikation insofern berücksichtigt, als jetzt neue Begriffe für die Beschreibung der epileptischen Anfälle verwendet und den bisher gebräuchlichen gegenübergestellt werden. Neuerungen können auf diese Weise unkompliziert nachvollzogen werden. Die bisherigen Bezeichnungen für spezifische Epilepsiesyndrome werden in den folgenden Abschnitten beibehalten, da sie seit langer Zeit etabliert sind. Auf spezielle Empfehlungen der neuen Klassifikation wird jeweils verwiesen.
Ein epileptischer Anfall ist durch eine episodische Funktionsstörung von Nervenzellen charakterisiert, die durch pathologische, exzessive neuronale Entladungen infolge gesteigerter Erregbarkeit oder gestörter inhibitorischer Faktoren zustande kommt. Die klinischen Ausfälle hängen davon ab, welche Funktion die beteiligten Nervenzellen normalerweise besitzen. Prinzipiell unterscheidet man zwischen unprovozierten und provozierten Anfällen. Provozierte Anfälle werden durch exogene oder endogene Noxen ausgelöst und treten nicht unabhängig von diesem Auslöser auf.
Das isolierte Auftreten eines epileptischen Anfalls ohne weitere richtungsweisende Befunde rechtfertigt nicht die Diagnose eines Anfallsleidens. Die Diagnose einer Epilepsie kann dann gestellt werden, wenn mindestens ein epileptischer Anfall aufgetreten ist und Befunde vorliegen, die auf die Prädisposition für weitere epileptische Anfälle hinweisen, z. B. epilepsietypische Potenziale im Elektroenzephalogramm und/oder zum Anfallsereignis passende strukturelle Läsionen in der Bildgebung. Vor Kurzem hat die zuständige Task Force der Internationalen Liga gegen Epilepsie (ILAE) in ihrem offiziellen Bericht 2014 vorgeschlagen, Epilepsie zu definieren als jeden der folgenden Umstände:
  • wenigstens 2 unprovozierte (oder Reflex-) Anfälle, die im Abstand von >24 h aufgetreten sind
  • ein unprovozierter (oder Reflex-) Anfall bei einer Zehnjahreswahrscheinlichkeit, die in etwa derjenigen entspricht, die nach 2 unprovozierten Anfällen besteht (≥60 %)
  • Diagnose eines Epilepsiesyndroms
Die Rückbildung einer Epilepsie wird bei Personen angenommen, die entweder ein altersbezogenes Epilepsiesyndrom hatten und der relevanten Altersgruppe entwachsen sind oder die mehr als 10 Jahre anfallsfrei sind und seit mindestens 5 Jahren keine Antikonvulsiva mehr eingenommen haben. Es wurde somit neben einer gegenüber 2005 leicht überarbeiteten Epilepsiedefinition, in deren Zentrum die Rezidivwahrscheinlichkeit von >60 % steht, erstmals auch eine Definition für die Rückbildung der Epilepsie vorgeschlagen (Fisher et al. 2014).
Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) hat kürzlich neue Klassifikationen für epileptische Anfälle sowie für Epilepsien und epileptische Syndrome vorgelegt (Fisher et al. 2017a, b; Scheffer et al. 2017). In den folgenden Abschnitten zu Epilepsien und epileptischen Anfällen wird die neue Klassifikation insofern berücksichtigt, als jetzt neue Begriffe für die Beschreibung der epileptischen Anfälle verwendet und den bisher gebräuchlichen gegenübergestellt werden. Neuerungen können auf diese Weise unkompliziert nachvollzogen werden. Die bisherigen Bezeichnungen für spezifische Epilepsiesyndrome werden in den folgenden Abschnitten beibehalten, da sie seit langer Zeit etabliert sind. Zudem sind in den vorliegenden Publikationen (Fisher et al. 2017a, b; Scheffer et al. 2017) hierzu keine speziellen Namensänderungen vorgeschlagen worden. Auf spezielle Empfehlungen der neuen Klassifikation wird jeweils verwiesen.

Grundlagen

A.-E. Bredel-Geißler und B. Tettenborn
Häufigkeit und Vorkommen
Epilepsien gehören zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. Die Häufigkeit wird weltweit mit etwa 70.000.000 angegeben (Ngugi et al. 2010). Anders als bei anderen neurologischen Erkrankungen gibt es auch nach aktuellem Verständnis der ätiologischen und pathophysiologischen Faktoren bei Epilepsien keine grundsätzlichen Unterschiede hinsichtlich ethnischer oder geografischer Faktoren. Das tatsächliche Risiko, an einer Epilepsie zu erkranken, ist dennoch, wenn auch mittelbar, mit den genannten Faktoren verknüpft. Dies liegt an deutlichen Unterschieden hinsichtlich der Häufigkeit epilepsieauslösender Faktoren. Während die Prävalenz der Epilepsien in den westlichen Industrieländern bei 4–10/1000 (0,4–1 %) liegt (Sander 2003), wird sie mit 14–57/1000 (1,4–5,7 %) in Entwicklungsländern angegeben (Carpio und Hauser 2009). Bestimmte Erkrankungen mit hohem Risiko für die Entwicklung einer Epilepsie sind in diesen Regionen der Welt sehr häufig. Auch sozioökonomische Faktoren spielen eine Rolle: In Entwicklungsländern sind Infektionen mit Befall des ZNS (parasitäre Erkrankungen, virale oder bakterielle Meningitiden u. a.), Schädel-Hirn-Traumata oder schlechtere Bedingungen bei der perinatalen Betreuung Schwangerer und Neugeborener zu nennen (Singh und Trevick 2016). Eine differenzierte Vergleichsanalyse zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern zeigt die Arbeit von Ngugi et al. (2010).
Bei etwa 10 % der Gesunden findet man Zeichen einer sog. gesteigerten zerebralen Erregbarkeit im EEG. Nur bei etwa 35 % der Patienten kommt es nach einem ersten unprovozierten Anfall zu Anfallsrezidiven innerhalb von 5 Jahren, aber etwa 75 % aller Patienten mit 2 oder 3 unprovozierten Anfällen haben Rezidive innerhalb der darauffolgenden 4 Jahre (Hauser et al. 1998).
Die Inzidenz für alle Epilepsien in Industrieländern beträgt etwa 40–70/100.000/Jahr (Kotsopoulos et al. 2002). Sie ist signifikant abhängig vom Lebensalter, in der frühen Kindheit hoch, fällt dann kontinuierlich bis zum mittleren Erwachsenenalter ab und steigt im höheren Lebensalter wieder deutlich an. In den letzten Jahrzehnten hat die Inzidenz im frühen Kindesalter aufgrund verbesserter medizinischer prä- und perinataler Versorgung und verbesserter hygienischer Bedingungen deutlich abgenommen. Im höheren Lebensalter ist die Inzidenz dagegen gestiegen. Dafür können ebenfalls Verbesserungen im medizinischen Management gerade bei zerebrovaskulären Erkrankungen verantwortlich gemacht werden. Diese werden jetzt eher überlebt, symptomatische Epilepsien nach zerebrovaskulären Ereignissen sind demnach häufiger (Sander 2003). Auch die steigende Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten spielt eine Rolle.
Im Erwachsenenalter überwiegen die Epilepsien mit fokalem Beginn (etwa 2/3), wobei davon die fokalen Anfälle in etwa 2/3 der Fälle mit Bewusstseinsstörung einhergehen (bisher: komplex-fokal). Epilepsien, die sich im Kindes- oder Jugendalter manifestieren, zeigen im Vergleich zum Erwachsenenalter häufiger einen generalisierten Beginn.
Ätiologie und Pathogenese
Die dem epileptischen Anfall zugrunde liegende synchrone Entladung zerebraler Neurone ist per se eine unspezifische Reaktionsform des Gehirns. Unter bestimmten Umständen (Provokation) kann bei jedem gesunden Gehirn ein epileptischer Anfall ausgelöst werden. Die in der Epileptogenese wesentlichen Abläufe sind noch nicht vollständig geklärt, bekanntermaßen sind aber verschiedene intra- und transzelluläre Mechanismen beteiligt. So beeinflussen pathologische Veränderungen an spannungsabhängigen Ionenkanälen (Kalium, Natrium, Kalzium) die neuronale Erregbarkeit. Veränderungen des synaptischen Netzwerks werden für die abnorme Synchronisation verantwortlich gemacht. Schließlich sind auch Prozesse, die zu einem Ungleichgewicht hemmender und erregender synaptischer Prozesse führen, an der Epileptogenese beteiligt. Für diese pathophysiologisch bedeutsamen Mechanismen wurden inzwischen einige genetische Ursachen nachgewiesen, z. B. der Defekt am SCN1A-Gen beim Dravet-Syndrom (kodiert für die α-Untereinheit des Natriumkanals) oder ein Gendefekt auf Chromosom 5 bei der juvenilen myoklonischen Epilepsie, der eine Störung am GABA(a)-Rezeptor verursacht (Cossette et al. 2002).
Übereinstimmend geht man bis heute davon aus, dass die sog. paroxysmale Depolarisationsshift (PDS) als gemeinsamer Nenner der fokalen Epileptogenese anzusehen ist. Elektrophysiologisch handelt es sich dabei um eine Serie hochfrequenter Aktionspotenziale, die durch anschließende Hyperpolarisation beendet wird. Die PDS stellt das Korrelat auf zellulärer Ebene zum Zeitpunkt interiktaler Spikes im EEG dar. Zur iktalen epileptischen Aktivität kann es durch Verminderung der Hyperpolarisation kommen, die der PDS folgt. Man geht davon aus, dass während eines epileptischen Anfalls die PDS in eine anhaltende Depolarisation der Zellen überführt wird (Engel et al. 1997).
Für die Triggerung generalisierter Anfälle spielen rhythmogene Eigenschaften in thalamokortikalen Projektionssystemen sowie GABAerge Thalamusneurone und spannungsabhängige Kalziumkanäle eine wichtige Rolle (Weiergräber et al. 2010).
Bei idiopathischen generalisierten Epilepsien wurden keine läsionellen Realisationsfaktoren nachgewiesen. Die genetische Ursache ist heute unbestritten. Man geht von einem überwiegend komplexen Vererbungsmodus aus, monogenetische Faktoren sind wahrscheinlich selten (Lal et al. 2015; Weber und Lerche 2008). Symptomatische Epilepsien mit fokalem Anfallsbeginn sind meist Folge angeborener oder erworbener fokaler Läsionen. Zur letzten Gruppe gehören v. a. zerebrovaskuläre Veränderungen, Tumoren, posttraumatische oder postinfektiöse Veränderungen. Auch metabolische oder toxische Störungen einschießlich Alkohol- und Medikamenteneinfluss spielen für die Epileptogenese eine Rolle. Insgesamt kann aber nur bei etwa einem Drittel der Patienten die Ätiologie der Epilepsie festgestellt werden (symptomatische Epilepsien). Daneben gibt es aber eine größere Anzahl von Patienten, bei denen eine symptomatische Genese zwar vermutet, aber mit den derzeit zur Verfügung stehenden diagnostischen Methoden noch nicht belegt werden kann. Sie werden als Epilepsien unbekannter Ätiologie bezeichnet (bisher: kryptogene Epilepsien). Mit der Verbesserung der bildgebenden Verfahren, insbesondere der hochauflösenden Magnetresonanztomografie, wird der Anteil ungeklärter Ätiologien künftig weiter sinken.

Klassifikation der Anfälle

A. E. Bredel-Geissler und B. Tettenborn
Nach der von der ILAE anerkannten Definition ist ein epileptischer Anfall „ein vorübergehendes Auftreten von Symptomen aufgrund abnormer exzessiver oder synchroner neuronaler Aktivität im Gehirn“ (Fisher et al. 2005). Im Gegensatz zur Epilepsiedefinition fehlt in der Anfallsdefinition die Voraussetzung einer dauerhaften Pathologie des Gehirns, die unprovozierte Anfälle generieren kann. Ein epileptischer Anfall kann, muss aber nicht, Symptom einer Epilepsie sein.
Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) hat 1981 die bisher gültige Klassifikation epileptischer Anfälle vorgelegt (Commission on classification and terminology of the International League against Epilepsy 1981). Seit Langem wurde wegen der zwischenzeitlichen Fortschritte in der Forschung zu Ätiologie und Pathomechanismen über eine notwendige Revision diskutiert. 2010 hat die „Commission on Classification and Terminology of the ILEA“ ihren Bericht der „Revised Terminology and Concepts for Organization of Seizures end Epilepsies“ vorgelegt (Berg et al. 2010a, b). Die Revisionsempfehlung von 2010 nimmt eine präzise und kritische Analyse bisheriger Zuordnungen und Begriffe vor und kommentiert ihre Empfehlungen ausführlich (Berg et al. 2010a, b). Sie ist als wegweisende Diskussionsgrundlage zu sehen, aus der die neue Klassifikation epileptischer Anfälle und Epilepsien 2017 resultiert. Dazu wurden kürzlich drei Positionspapiere publiziert. Sie enthalten detaillierte Begründungen der Neuerungen, erläutern das Design und geben Instruktionen für die Verwendung der neuen Klassifikation (Scheffer et al. 2017; Fisher et al. 2017a, b).
Die aktuelle Klassifikation der epileptischen Anfälle der ILAE 2017 bedient sich zwar der grundlegenden Struktur der Version von 1981 insofern, als weiterhin zwischen fokalen, generalisierten und in ihrem Beginn unklaren Anfallstypen unterschieden wird. Im Unterschied zur bisherigen Klassifikation von 1981 ermöglicht die neue Klassifikation aber eine flexiblere Beschreibung der Anfälle. Grundsätzlich neu ist, dass sie nicht hierarchisch aufgebaut ist, sondern anhand der jeweils aktuellen klinischen Informationen flexibel verwendet werden kann. Beispielsweise wird das zweifelsfrei wesentliche Anfallsmerkmal des Bewusstseinszustandes weiterhin zwar explizit als signifikantes Symptom angesehen, aber bei Fehlen genauer Kenntnis über eine – vielleicht flüchtige Bewusstseinsbeeinträchtigung – ist dennoch eine Klassifizierung des Anfalls nach den verwertbaren klinischen Zeichen möglich. Der Bedeutung hinsichtlich diagnostischer, therapeutischer und sozialmedizinischer Konsequenzen der Bewusstseinseinschränkung trägt die aktuellen Klassifikation epileptischer Anfälle Rechnung. Sie ist gemäß der neuen Klassifikation stets vorrangig zu berücksichtigen, unabhängig davon, wann sie auftritt (Fisher et al. 2017b).
In der neuen Klassifikation der ILAE von 2017 werden ansonsten epileptische Anfälle entsprechend des/der ersten signifikanten klinischen Symptome bezeichnet, unabhängig davon, ob diese Symptome im Verlauf des Anfalls die signifikantesten bleiben. Die Klassifikation versteht sich bewusst als grundlegende Einteilungsmatrix, die nicht alle – wenn auch bedeutsamen – beschreibenden Kriterien für epileptische Anfälle explizit aufführt. Als Beispiele seien die den Anfall betreffende Körperseite oder detailliertere Beschreibungen autonomer Symptome genannt. Es wird empfohlen, wesentliche Anfallsmerkmale ggf als Freitext zu beschreiben (Fisher et al. 2017a). Bei Fisher et al. (2017a) finden sich auch allgemeine Hinweise zur Benutzung der neuen Klassifikation sowie ein ausführliches Glossar.
Einige wesentliche Änderungen hinsichtlich der verwendeten Begriffe sollen hier exemplarisch aufgeführt werden:
  • Der Begriff „partial“ wird zugunsten des Begriffs „fokal“ aufgegeben.
  • Der Begriff „komplex(-fokal)“ wird nicht mehr empfohlen, da er wenig zum Verständnis gerade für Laien beiträgt.
  • Der Begriff „einfach(-fokal)“ wird nicht mehr empfohlen, da er die tatsächliche Bedeutung im Einzelfall bagatellisiert.
  • Der Begriff „hypermotorisch“ wird zugunsten des Begriffs „hyperkinetisch“ aufgegeben.
  • Der Begriff „kognitiv“ ersetzt „psychisch“. Ein Zusatz wie z. B. „Beeinträchtigung“ (also: kognitive Beeinträchtigung) wird nicht mehr empfohlen, da das selbsterklärend ist.
  • Der Begriff „primär fokaler sekundär bilateral tonisch-klonischer Anfall“ wird statt der früheren Bezeichnung des „primär fokalen sekundär generalisierten tonisch-klonischen Anfalls“ verwendet. Die Bezeichnung des „generalisierten tonisch-klonischen Anfalls“ soll künftig Anfällen mit primärer Generalisierung vorbehalten bleiben.
  • Die Bezeichnung der „Absence mit Lidmyoklonien“ wird eingeführt.
  • Der Begriff „myoklonisch-atonisch“ ersetzt den früheren Begriff „myoklonisch-astatisch“.
  • Der Begriff „myoklonisch-tonisch-klonisch“ wird neu eingeführt.
  • „Epileptische Spasmen“ werden bei primär generalisierten Anfällen und bei Anfällen mit unklarem Beginn aufgeführt.
  • Im Unterschied zur Empfehlung der ILAE 2010 wird der Begriff „dyskognitiv“ nicht eingeführt mit der Begründung der nicht ausreichenden Eindeutigkeit.

Epileptische Anfälle mit fokalem Beginn

Epileptische Anfälle mit fokalem Beginn nehmen ihren Ausgang in einem begrenzten Neuronensystem innerhalb einer Hemisphäre. Die neue Klassifikation der ILAE von 2017 sieht wie bisher vor, zunächst eine Einordnung hinsichtlich des Bewusstseinszustandes des Patienten während des Anfalls als bedeutsames klinisches Merkmal vorzunehmen. Im Gegensatz zur Klassifikation von 1981 ist eine Zuordnung anhand der klinischen Anfallsmerkmale auch ohne genaue Kenntnis des Bewusstseinszustands möglich. Dies sieht die neue Klassifikation in ihrer flexibel nutzbaren Gliederung vor (Tab. 1). Epileptische Anfälle werden neben der Benennung des Bewusstseinszustands entsprechend der initialen Symptomatik klassifiziert.
Tab. 1
Erweiterte Klassifikation epileptischer Anfälle ILAE 2017. (mod. nach Fisher et al. 2017b)
Fokaler Beginn
Generalisierter Beginn
Unklarer Beginn
Ohne Bewusstseinsstörung
Mit Bewusstseinsstörung
  
Beginn mit motorischen Symptomen
• Automatismen
• atonisch
• klonisch
• epileptische Spasmen
• hyperkinetisch
• myoklonisch
• tonisch
Motorisch
• tonisch-klonisch
• klonisch
• tonisch
• myoklonisch
• myoklonisch-tonisch-klonisch
• myoklonisch-atonisch
• atonisch
• epileptische Spasmen
Motorisch
• tonisch-klonisch
• epileptische Spasmen
Beginn ohne motorische Symptome
• autonom
• Arrest
• kognitiv
• emotional
• sensorisch
Ohne motorische Symptome (Absence)
• typisch
• atypisch
• myoklonisch
• Absencen mit Lidmyoklonien
Ohne motorische Symptome
• Arrest
Fokal beginnend sekundär bilateral tonisch-klonisch
 
Nicht klassifizierbar

Fokal beginnende Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung

Diese Anfälle entsprechen den bisher als „einfach-fokal“ bezeichneten Anfällen. Während des Anfalls ist das Bewusstsein erhalten. Fokal beginnende Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung sind häufig Hinweis auf eine intrazerebrale Läsion. Sie können im Verlauf eine Bewusstseinsstörung entwickeln oder in generalisierte Anfälle münden. Bisher hat man fokal beginnende Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung, die mehr oder weniger regelhaft in generalisierte Anfälle übergehen, als „Auren“ bezeichnet. Definitionsgemäß sind Auren selbst epileptische Ereignisse und belegen den fokalen Beginn epileptischer Anfälle. Die neue Klassifikation verwendet den Begriff der Aura nicht mehr und beschreibt sie stattdessen als Anfall anhand der vorgegebenen Klassifikationsmerkmale gemäß der spezifischen Symptomatik. Im Folgenden werden im klinischen Alltag wesentliche Formen fokal beginnender Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung dargestellt. Auf den Zusatz „ohne Bewusstseinseinschränkung“ wird an dieser Stelle verzichtet.
Fokal beginnende Anfälle mit motorischen Symptomen und Ausbreitungstendenz (Jackson-Anfälle)
Bei sog. Jackson-Anfällen kommt es zunächst zu rhythmischen klonischen Muskelkontraktionen in einem Körperabschnitt, am häufigsten in Hand und Fingern, seltener in Gesicht, Bein und Rumpf. Bei Beteiligung des Mundwinkels findet man Speichelfluss und Sprechstörungen als Begleitsymptomatik. Selten sind initial auch tonische Komponenten zu beobachten. Die Muskelzuckungen breiten sich von distal nach proximal fortschreitend aus („march“) und bleiben dabei auf eine Körperhälfte begrenzt. Die Symptomatik hat lokalisatorische Bedeutung (kontralateraler Gyrus praecentralis), jedoch folgen die Symptome häufig nicht exakt der topischen Gliederung. Weiterhin beobachtet man oft eine tonische Deviation der Augen zur Anfallsseite. Bei ca. 60 % der Patienten handelt es sich tatsächlich um rein motorische Anfälle, in den restlichen Fällen werden auch sensible Symptome beschrieben. Diese können vor oder während der Kloni auftreten (Janz 1998).
Die Anfälle dauern meist einige Sekunden bis Minuten. Im Intervall ist der klinisch-neurologische Befund normal. Im EEG sind oft Herdbefunde in der kontralateralen Präzentralregion nachweisbar, EEG-Veränderungen können aber auch fehlen. Die Ursachen sind häufig lokalisierte Hirnschädigungen, im Erwachsenenalter v. a. Tumoren. Es werden keine bestimmten Altersgruppen bevorzugt.
Nicht selten folgt auf fokale motorische Anfälle eine vorübergehende schlaffe Parese oder Plegie der vom Anfall betroffenen Körperpartie (Todd-Lähmung).
Fokal beginnende Anfälle mit motorischen Symptomen ohne Ausbreitungstendenz
Hierbei finden sich lokalisierte motorische Entäußerungen, die sich klonisch äußern, häufig auch mit tonischer Komponente zu Beginn des Anfalls ohne Ausbreitung der klinischen Symptome. Die Dauer ist meist kurz (Sekunden bis wenige Minuten). Im Verlauf kann eine Bewusstseinsstörung auftreten, auch der Übergang in einen bilateralen tonisch-klonischen Anfall ist möglich (bisher: sekundär generalisierter tonisch-klonischer Anfall s. unten). Rückschlüsse auf die Lokalisation des Fokus lassen relativ verlässlich nur die tonische Armbeugung und Beinstreckung zu, die auf die kontralaterale Seite hinweisen.
Wie jeder epileptische Anfall kann auch ein fokal beginnender Anfall mit motorischen Symptomen in einen Status übergehen und stunden-, tage- oder wochenlang andauern (Epilepsia partialis continua, Koževnikov-Status).
Fokal beginnende Anfälle mit Versivsymptomen (Versivanfälle)
Bei Versivanfällen kommt es zur Drehung des Kopfes oder der Augen, seltener auch des Oberkörpers mit tonischem oder klonischem Charakter ohne andere Begleitsymptome. Die Empfehlungen zur Beschreibung epileptischer Anfälle gemäß der neuen Klassifikation epileptischer Anfälle 2017 führt den Begriff „versiv“ als spezifisches motorisches Phänomen weiterhin auf (Fisher et al. 2017a). Versivanfälle können mit optischen, akustischen oder vestibulären Symptomen beginnen. Sie können ipsi- oder kontraversiv sein. Die Dauer beträgt 1–5 Minuten, es kann auch zu Serien kommen, die über Tage anhalten können. Möglich ist eine sekundäre Generalisierung.
Versivbewegungen sind hirnlokalisatorisch unzuverlässig, da sie bei vielen fokalen und gelegentlich auch bei generalisierten Anfällen zu beobachten sind und von verschiedenen kortikalen und subkortikalen Regionen ausgelöst werden können.
Im EEG sieht man vor Anfallsbeginn häufig Kurvendepressionen, fokale Verlangsamungen oder fokale Sharp-Waves, danach rhythmische Spikes mit zunehmender Amplitude und abnehmender Frequenz.
Fokal beginnende Anfälle mit posturaler Symptomatik (posturale Anfälle)
Bei posturalen Anfällen kommt es neben einer Veränderung des Muskeltonus der Extremitäten zu einer typischen Veränderung der Kopf- und Extremitätenhaltung („Fencer’s posture“). Typisch ist zunächst eine Drehung des Kopfes, Anheben der kontralateralen Hand und dystone Haltung der anderen Hand. Die Beine werden in einer unnatürlichen Stellung entweder beide tonisch flektiert oder extendiert gehalten, oder ein Bein wird extendiert, das andere flektiert. Die neue Klassifikation führt die typische Symptomatik (Fencer’s posture) als klassifizierbares motorisches Phänomen auf (Fisher et al. 2017a). Bei diesen Anfällen besteht oft eine Sprechhemmung („Speech Arrest“) während des Anfalls. Ursprung posturaler Anfälle ist meist die supplementär motorische Region im Bereich des medialen frontalen Kortex.
Fokal beginnende Anfälle mit Arrest-Symptomatik
Bei fokal beginnenden Anfällen mit Arrest-Symptomatik (neue Klassifikation: „Behavior Arrest“) kommt es zu einer Unterbrechung willkürlicher Bewegungen, Verhaltensweisen, Kommunikation u. a. Speech Arrest ist beispielsweise Folge fokaler epileptischer Entladungen des motorischen Kortex an dem Ort, der für die Artikulation verantwortlich ist (unterer Gyrus praecentralis). Bei gleichzeitiger Zuckung im Unterkieferbereich oder im Gesicht und Speichelproduktion hat sich der Begriff „Mastikatoriusanfälle“ im Sprachgebrauch etabliert. In der neuen Klassifikation taucht er nicht auf. Speech Arrest wird auch bei Anfällen in der supplementär motorischen Region der medialen Anteile des Frontallappens oder in deren Nähe beobachtet, dann in Kombination mit einem posturalen Anfall. Differenzialdiagnostisch abzugrenzen ist ein gestörtes Sprachverständnis bei epileptischer Aktivität in der sprachdominanten Hemisphäre.
Fokal beginnende Anfälle mit somatosensorischen und sensorischen Symptomen
Bei diesen Anfällen kommt es in einzelnen Körperregionen Z. B. zu Störungen der Sensibilität mit Parästhesien wie Kribbelgefühl, Taubheitsgefühl oder seltener zum Gefühl des Anschwellens einer Körperregion. Nicht selten kombinieren sich sensorische und motorische Erscheinungen.
Diese Anfälle betreffen auch alle anderen Bereiche der somato-/sensorischen Empfindungen: visuell, auditiv, olfaktorisch, gustatorisch, vertiginös. Visuelle Anfälle können mit einfachen Symptomen wie Lichtblitzen oder auch mit komplexen optischen Halluzinationen, die ganze Szenen umfassen, einhergehen. Weiterhin können Gegenstände zu groß oder zu klein, zu nah oder zu fern erscheinen.
Bei auditiven Anfällen können einzelne Töne oder Geräusche, aber auch Lieder, Stimmen oder Musik vernommen werden.
Gustatorische Anfälle beinhalten Geschmackssensationen, bei olfaktorischen Anfällen kommt es zu meist unangenehmen Geruchsempfindungen und bei vertiginösen Anfällen zu Schwindel, der als Schwank- oder Drehschwindel imponieren kann.
Alle diese Anfallsformen können isoliert bleiben, meist gehen sie aber in eine Bewusstseinsstörung über.
Fokal beginnende Anfälle mit autonomen Symptomen
Bei fokal beginnenden Anfällen mit autonomen Zeichen kommt es beispielsweise zu Gesichtsrötung oder -blässe, Pupillenverengung, Schweißausbruch, Erbrechen, aufsteigendem Hitze- oder Kältegefühl, vermehrtem Speichelfluss, Herzrhythmusstörungen, Übelkeit, Harn- und Stuhlverhalt oder aber Einnässen bzw. Einkoten. In reiner Form ohne eine begleitende Störung des Bewusstseins sind diese Anfälle selten. Häufiger kommen einzelne autonome Symptome im Rahmen fokal beginnender Anfälle mit späterer Bewusstseinsstörung vor.
Fokal beginnende Anfälle mit kognitiven oder emotionalen Symptomen
Fokal beginnende Anfälle mit kognitiven oder emotionalen Symptomen ohne eine gleichzeitige Beeinträchtigung des Bewusstseins kommen extrem selten vor. Klinisch bieten sie dysphasische, dysmnestische (Déjà vu), weitere kognitive (z. B. Zwangsdenken) Symptome oder emotionale bzw. affektive (z. B. Angst, Ärger) Störungen. In den meisten Fällen münden diese Anfälle in fokale Anfälle mit Bewusstseinsstörung.
Epileptische Spasmen
Epileptische Spasmen äußern sich in Form von plötzlich auftretenden Flexions- und/oder Extensionsbewegungen der proximalen Muskulatur der (oberen) Extremitäten und des Rumpfes. Sie dauern gewöhnlich länger als Myoklonien und sind kürzer als tonische Anfälle. Bisweilen zeigen sie sich in subtiler Ausprägung durch Grimassieren, Flexion des Kopfes oder tonische bzw. klonische Augenbewegung. Epileptische Spasmen können sowohl hinsichtlich des Bewusstseinszustandes als auch hinsichtlich des Beginns oft nicht sicher klassifiziert werden. Die neue Klassifikation berücksichtigt dies dahingehend, dass sie diese Anfallsform sowohl bei den fokal beginnenden als auch bei den Anfällen mit generalisiertem Beginn und bei Anfällen mit unbekanntem Beginn aufführt (s. Tabelle 1). Sie sollen an dieser Stelle exemplarisch aufgeführt werden. Im frühen Kindesalter sind epileptische Spasmen besonders häufig, sie können aber in jedem Alter auftreten.

Fokal beginnende Anfälle mit Einschränkung des Bewusstseins

Fokal beginnende Anfälle mit Einschränkung des Bewusstseins (bisher komplex-fokale Anfälle) stellen die häufigste Anfallsform im Erwachsenenalter dar. Sie gehen mit einer teilweisen oder vollständigen Beeinträchtigung des Bewusstseins einher. Zu unterscheiden ist zwischen Anfällen, die nach fokalem Beginn zunächst ohne Bewusstseinstrübung, im weiteren Verlauf zu einer Bewusstseinsstörung führen und Anfällen, bei denen von Beginn an das Bewusstsein eingeschränkt ist. Eine sekundäre Generalisierung ist möglich. Die neue Klassifikation beschreibt fokale Anfälle, die zu irgendeinem Zeitpunkt eine signifikante Bewusstseinsstörung aufweisen, als fokale Anfälle mit Bewusstseinsstörung und stellt somit die besondere Bedeutung des Bewusstseinszustands heraus.
Fokal beginnende Anfälle mit Einschränkung des Bewusstseins können frontal, temporal, parietal oder okzipital beginnen. Anhand des klinischen Erscheinungsbildes lassen sich nur manchmal Rückschlüsse auf die betroffene Hirnseite ziehen: Einseitige Handautomatismen weisen auf ipsilateralen Fokus hin, postiktale Parese, Dystonie der Hand, rhythmische Kloni weisen auf die kontralaterale Seite des Fokus hin, postiktale Sprachstörung auf die sprachdominante Hemisphäre.
Neben der Bewusstseinsstörung sind häufig weitere Symptome vorhanden. Hierzu zählen Z. B. Automatismen mit oralen Bewegungen, komplexere Stereotypien wie Nesteln, Wischen, einseitige Kloni oder dystone Haltungen der Extremitäten, Vokalisationen oder ganze szenische Handlungen, die sinnvoll aussehen können. Weiterhin kann sich der Körper versteifen oder atonisch wirken, es kann zu Bulbusdeviation, Drehung, des Kopfes oder des Rumpfes zur Seite kommen. Vegetative Symptome wie Blässe oder Speichelfluss können hinzukommen.
Bei etwa der Hälfte der Patienten beginnen diese Anfälle mit erhaltenem Bewusstsein. Besonders bei temporalen Anfällen wird initial ein nicht näher zu definierendes „seltsames Gefühl in der Magengegend“ beschrieben, das zum Kopf aufsteigen kann. Hierfür hat sich bisher der Begriff der „epigastrischen Aura“ etabliert. In der neuen Klassifikation wird dieser Begriff nicht mehr speziell aufgeführt. Generell wird künftig auf den Begriff „Aura“ verzichtet (s. Kap. 2.1.1). Seltener sind gustatorische, olfaktorische, auditive oder optische Erscheinungen. Weiterhin kann es zum Auftreten sog. „Dreamy states“ kommen, womit eine Veränderung der Bekanntheit bzw. Vertrautheit der Wahrnehmung und des Befindens gemeint ist (z. B. Déjà vu, Jamais vu). Die durchschnittliche Anfallsdauer fokal beginnender Anfälle mit Beeinträchtigung des Bewusstseins beträgt ½–2 min, kann aber bei frontalem Beginn auch kürzer oder länger sein. Auch der Übergang dieser Anfälle in einen Status oder eine sekundäre Generalisierung ist möglich.

Epileptische Anfälle mit generalisiertem Beginn

Bei epileptischen Anfällen mit generalisiertem Beginn sind bereits initial beide Hemisphären in das epileptische Geschehen involviert. Das iktale EEG zeigt eine ausgedehnte Beteiligung großer Neuronenverbände beider Hemisphären. Eine Störung des Bewusstseins ist häufig, aber nicht obligat. Generalisierte Anfälle sind hinsichtlich der Klinik heterogen.

Absencen

Absencen sind als nichtkonvulsive Bewusstseinspausen definiert. Man unterscheidet je nach klinischem Bild und Begleitsymptomatik typische von atypischen Absencen. Absencen sind Symptom unterschiedlicher Epilepsien und unterscheiden sich dementsprechend in Therapierbarkeit und Prognose erheblich.
Differenzialdiagnostisch kann es schwierig sein, fokal beginnende Anfälle mit Bewusstseinsstörung von atypischen Absencen zu unterscheiden. Entscheidend ist das EEG. Atypische Absencen können Versivanfällen (fokal) ähnlich sein. Typische Absencen sind in der Regel problemlos von fokalen Anfällen mit Bewusstseinsstörung abzugrenzen. Wesentliche Kriterien sind Anfallsdauer, eine höchstens diskrete Begleitsymptomatik sowie abrupter Beginn und Ende bei Absencen.
Typische Absencen
Unter einer typischen Absence versteht man eine Bewusstseinspause von etwa 5–10 s, selten länger, die plötzlich beginnt und endet. Sehr kurze Absencen können der Beobachtung entgehen. Die Augen des Patienten sind (weit) geöffnet, der Blick ist starr, bisweilen beobachtet man eine leichte Hypotonie der Gesichtsmuskulatur. Eine diskrete Bulbusdeviation zur Seite oder nach oben oder milde Myoklonien der Extremitäten sind möglich. Begonnene Tätigkeiten werden unterbrochen und nach Anfallsende wieder aufgenommen. Bei der typischen Absence fehlen weitere Symptome. Oft werden sie als Unaufmerksamkeit oder Verträumtheit fehlgedeutet. Das iktale EEG zeigt oft ein typisches, symmetrisches, regelmäßiges 3/s-Spike-Wave-Muster, allerdings können auch irreguläre Spike-Wave-Paroxysmen mit einer Frequenz von 2–4/s auftreten. Auch im interiktalen EEG finden sich oft intermittierend diese Spike-Wave-Paroxysmen, die häufig durch Hyperventilation provoziert werden können. Der bisher bisweilen verwendete Begriff der „komplexen typischen Absence“ ist in der neuen Klassifikation nicht mehr aufgeführt. Er beschreibt typische Absencen mit leichten zusätzlichen Symptomen, die aber nicht so ausgeprägt sind, als dass sie der Definition einer atypischen Absence genügen.
Atypische Absencen
Als atypische Absencen bezeichnet man solche, die vom Bild der typischen Absencen abweichen. Sie dauern länger, beginnen und enden nicht so abrupt, und die Bewusstseinsstörung ist nicht immer vollständig. Zusätzlich treten häufig Automatismen, autonome Veränderungen oder atonische, tonische oder klonische Phänomene hinzu. Die Abgrenzung zu fokalen Anfällen ist schwieriger als bei typischen Absencen. Analog zur Klinik findet man im iktalen und oft auch im interiktalen EEG atypische Veränderungen, z. B. asymmetrische, irreguläre 2- bis 2,5-Hz-Spike-Wave-Paroxysmen oder irreguläre Poly-Spike-Wave-Komplexe. Bei atypischen Absencen wird auch über einen multifokalen Ursprung diskutiert.
Myoklonische Absencen
Myoklonische Absencen sind als Sonderform der Absencen mit deutlichen myoklonischen Symptomen zu verstehen (Koutroumanidis et al. 2009; Rubboli et al. 2009). Sie werden auch in der neuen Klassifikation berücksichtigt.
Absencen mit Augenlid-Myoklonien („eyelid myoclonia“)
Absencen mit Myoklonien der Augenlider sind in der neuen Klassifikation erstmals als eigenständige Form der Absencen eingeführt worden. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Myoklonien der Augenlider viel häufiger signifikantes Kennzeichen von Absencen sind, bei fokalen Anfällen sind sie als signifikantes Merkmal eher selten.

Myoklonische Anfälle mit generalisiertem Beginn

Bei myoklonischen Anfällen handelt es sich meist um kurze Anfälle, bei denen die motorische Komponente im Vordergrund steht und die durch mehr oder weniger symmetrische Zuckungen gekennzeichnet sind. Die Intensität ist sehr variabel, ein Übergang in tonisch-klonische Anfälle ist möglich.
Myoklonische Anfälle kommen bei idiopathischen generalisierten Epilepsien (z. B. juvenile myoklonische Epilepsie), bei verschiedenen Epilepsieformen mit mentaler Retardierung (z. B. Lennox-Gastaut-Syndrom) oder bei den progressiven Myoklonusepilepsien vor. Der Verlauf und die Therapieprognose sind abhängig von der Ätiologie und somit sehr unterschiedlich. Differenzialdiagnostisch sind nichtepileptische Myoklonien abzugrenzen.
Für das EEG im Anfall sind irreguläre generalisierte Spikes, Spike-Wave-Komplexe oder Poly-Spike-Wave-Potenziale typisch. Während der Myoklonien können elektromyografisch bi- oder polyphasische Potenziale von 20–120 ms Dauer abgeleitet werden.

Klonische Anfälle mit generalisiertem Beginn

Generalisierte klonische Anfälle können ohne eine vorausgegangene tonische Phase auftreten. Sie bestehen meist in asymmetrischen, irregulären Muskelzuckungen und treten am häufigsten bei Neugeborenen oder Kleinkindern auf. Bei bilateralen klonischen Entäußerungen mit oder ohne Bewusstseinsstörung Frontallappenanfälle sind abzugrenzen. Im Neugeborenenalter ist an die Hyperexzitabilität des Neugeborenen zu denken, die nicht epileptischer Natur ist (Kap. „Epilepsien im Kindesalter“).

Tonische Anfälle mit generalisiertem Beginn

Ein generalisierter tonischer Anfall fixiert die betreffenden Körperabschnitte in einer „gezwungenen“ Haltung. Klinisch imponieren tonische Anfälle z. B. durch verzerrte Gesichtszüge bei geöffneten Augen. Je nach Muskelbeteiligung werden axiale, axorhizomelische und globale tonische Anfälle unterschieden. Axiale tonische Anfälle betreffen die axialen Muskelabschnitte, bei zusätzlicher Beteiligung der angrenzenden proximalen Muskelabschnitte spricht man von axorhizomelischen Anfällen und bei Beteiligung der gesamten Muskulatur von globalen tonischen Anfällen. Die neue Klassifikation führt die Begriffe „axial“, „axorhizomelisch“ und „global“ bei tonischen Anfällen mit generalisiertem Beginn nicht explizit auf. Die Dauer generalisierter tonischer Anfälle beträgt im Mittel etwa 10 s, gelegentlich aber auch bis zu 1 min. Das Bewusstsein ist dabei teilweise oder ganz gestört. Zusätzlich kommt es oft zu einer tonischen Deviation der Augen, Mydriasis oder zu autonomen Symptomen (z. B. Tachykardie, Speichelfluss usw.). Oft zeigt sich eine Aktivierung im Schlaf. Häufig sind tonische Anfälle beim Lennox-Gastaut-Syndrom.

Atonische Anfälle mit generalisiertem Beginn

Atonische Anfälle mit generalisiertem Beginn sind durch plötzliche Abnahme des Muskeltonus charakterisiert, die entweder generalisiert oder nur in Betonung bestimmten Körperregionen (Kopf, Oberarme) auftreten können. Sind die Beine betroffen, stürzt der Patient zu Boden. Hinweis: Atonische Anfälle sind häufig auch Symptom fokal beginnender Anfälle. Sie sind dann meist Symptom schwerer symptomatischer Epilepsien (z. B. Lennox-Gastaut-Syndrom). Bei epileptischen Syndromen mit unterschiedlichen Anfallsformen sind atonische Anfälle mit fokalem, aber auch mit generalisiertem Beginn möglich. Durch den unvermittelten Sturz sind sie sehr verletzungsträchtig. Bei gleichzeitiger EMG-Ableitung sieht man den Verlust der elektromyografischen Aktivität in den betroffenen Muskeln.

Generalisierte tonisch-klonische Anfälle

Der generalisierte tonisch-klonische Anfall (GTKA) stellt die Maximalvariante epileptischer Erregung des ausgereiften menschlichen Gehirns dar, die nach primär fokalem Beginn oder primär generalisiert beide Hemisphären einbezieht. Die neue Klassifikation differenziert zwischen generalisierten tonisch-klonischen Anfällen, die sich aus fokalen Anfällen entwickeln und solchen, die von Beginn an generalisiert sind. Im Falle des fokalen Beginns wird der Begriff „primär fokaler sekundär bilateral-tonisch-klonischer“ Anfall eingeführt. Der Begriff des generalisierten tonisch-klonischen Anfalls soll den primär generalisierten Formen vorbehalten werden (Fisher et al. 2017b).
Neben fakultativ unspezifischen, manchmal Stunden bis Tage vor dem Anfall auftretenden Prodromi (Kopfschmerzen, Unruhe, Übelkeit, Erbrechen) können auch fokale Anfälle diese Anfallsform einleiten (bisher „Aura“). Aber auch wenn Hinweise auf einen fokalen Beginn fehlen, kann ein fokaler Beginn nicht ausgeschlossen werden.
Tonische Phase
Der generalisierte tonisch-klonische Anfall beginnt mit der tonischen Phase. Kennzeichen sind plötzliche Bewusstlosigkeit und tonische Beugung der Muskulatur, Sturz, weit geöffnete Augen, Verdrehung der Bulbi nach oben. Der Mund ist starr und halb offen, Arme und Beine sind meist gebeugt, abduziert und außenrotiert. Danach folgt die Phase tonischer Streckhaltung (opisthotone Haltung). Der Mund wird ruckartig geschlossen, dabei kann es zu einem lateralen Zungen- oder Wangenbiss kommen. Tonische Verkrampfung der Atemmuskulatur und der Glottis mit Exspiration der Atemluft kann den sog. Initialschrei ausgelösen. Die Pupillen sind weit und reaktionslos, Pulsschlag und Blutdruck sind bis auf das Doppelte erhöht, es kommt zum Schweißausbruch. Die Haut verfärbt sich besonders im Gesicht rot, dann durch Behinderung des venösen Rückstroms und den Atemstillstand bläulich. Ob der Atemstillstand nur durch muskuläre Veränderungen oder auch durch eine zentrale Komponente bedingt ist, ist noch nicht endgültig geklärt.
Klonische Phase
Durch periodischen Tonusverlust geht die tonische in die (tonisch)- klonische Phase über. Zu erkennen ist dies durch von distal nach proximal zunehmende klonische Aktivität. Die atonischen Phasen nehmen an Dauer zu, sodass im weiteren Verlauf die Beugekontraktionen an Häufigkeit ab- und an Heftigkeit (Amplitude) zunehmen, da längere atonische Phasen heftigere Kloni zulassen. Bei jeder Beugekontraktion werden zunehmend heftige Ausatemstöße beobachtet. Durch Zungenkloni kann schaumiger Speichel vor den Mund treten, der nach Zungen- oder Wangenbiss blutig tingiert sein kann. Die Pupillen verengen sich rhythmisch mit jeder Zuckung. In diesem Stadium kann es zum Urin-, selten auch zum Stuhlabgang kommen. Ein generalisierter tonisch-klonischer Anfall dauert in der Regel bis. 3 min, wird von Betroffenen und Außenstehenden aber meistens als wesentlich länger empfunden.
Postkonvulsive Phase
Nach Ende des klonischen Stadiums (postkonvulsive Phase) setzt die Atmung zunächst schnell und röchelnd ein und normalisiert sich zunehmend, ebenso die Hautfarbe. Charakteristischerweise kommt es jetzt zu einer länger dauernden Reorientierungsphase. Es besteht in dieser Zeit ein Durchgangssyndrom mit Verwirrtheit, Desorientiertheit und automatisierten Bewegungsschablonen, z. T. auch Aggressivität. Nach vollständiger Reorientierung klagen viele Patienten über Müdigkeit, Erschöpfung oder (v. a. am Folgetag) Muskelkater. Oft setzt noch vor Wiedererlangen des Bewusstseins der sog. Terminalschlaf ein, seltener die sog. postiktale Unruhe. Während dieser Zeit sind die Betroffenen besonders gefährdet, da durch ihre körperlich motorische Aktivität mit pseudo-sinnvollen Handlungen der eingeschränkte Bewusstseinszustand unerkannt bleiben kann. Bei Einsetzen des Terminalschlafs ist es notwendig, sich von der prinzipiellen Erweckbarkeit des Patienten zu überzeugen, um eine anhaltende Bewusstlosigkeit nicht zu übersehen. Vorübergehende postiktale Lähmungen (sog. Todd-Parese) oder Aphasien haben lokalisationsdiagnostische Bedeutung bezüglich des Anfallsursprungs.
EEG
Zu Beginn können bei fokalem Beginn ggf. fokale Paroxysmen abgeleitet werden. Im Anfall ist das EEG wegen der ausgeprägten Überlagerung mit Muskelartefakten kaum verwertbar, evtl. ist anfangs noch die Kurvenabflachung mit hochfrequenten Spitzenpotenzialen zu erkennen. Am Ende der klinischen Anfallssymptomatik kommt es zu einer generalisierten Amplitudenabflachung. Gelegentlich sind postiktal über Stunden fokale oder generalisierte Paroxysmen nachweisbar. Interiktal ist das EEG aber bei vielen Patienten unauffällig. Ein normales EEG im Intervall schließt somit eine Epilepsie nicht aus.
Laborveränderungen
Durch die enorme Muskelaktivität während eines GTKA kommt es fast regelhaft zu einem Anstieg der Kreatinkinase. Dabei werden Werte bis 1000 U/l erreicht, in seltenen Fällen kann eine Rhabdomyolyse ausgelöst werden. Während des Anfalls kommt es zur Ausschüttung verschiedener hypothalamischer Hormone. Die Veränderungen sind beim Prolaktinspiegel mit einem postiktalen Anstieg auf den 3- bis 30-fachen Wert am ausgeprägtesten. Sie können aber auch fehlen. Daher ist die Prolaktinmessung zwar eine hilfreiche differenzialdiagnostische Methode zur Abgrenzung gegen psychogene Anfälle, sie kann aber nur bei eindeutig positiven Werten verwertet werden.
Komplikationen
Wirbelfrakturen kommen bei GTKA etwa in 5 % vor und sind bei älteren Patienten mit Osteoporose häufiger. Am häufigsten ist der mittlere BWS-Bereich betroffen. Neben atonischen Anfällen sind GTKA die häufigste Ursache sturzbedingter Verletzungen durch epileptische Anfälle. Wenn während eines Anfalls Speichel oder Erbrochenes aspiriert wird, kann sich eine Pneumonie entwickeln. Selten kann es aufgrund iktal erhöhten Pulmonalarteriendrucks und zentraler Mechanismen – insbesondere bei wiederholten Anfällen – zur Ausbildung eines Lungenödems kommen. Kardiorespiratorische Komplikationen nach einem GTKA werden auch als ätiologische Faktoren für den SUDEP („sudden unexpected death in epilepsy“) gesehen. Risiken und präventive Faktoren werden derzeit systematisch untersucht. (Lhatoo et al. 2015).

Klassifikation der Epilepsien und epileptischen Syndrome

A.-E. Bredel-Geissler und B. Tettenborn
Eine Epilepsie kann als Erkrankung des Gehirns beschrieben werden, die gekennzeichnet ist durch eine andauernde Prädisposition, epileptische Anfälle zu generieren. Die Ursachen sind vielfältig. Die Diagnose einer Epilepsie ist gerechtfertigt, wenn mindestens ein epileptischer Anfall aufgetreten ist und Befunde vorliegen, die auf die Prädisposition für weitere epileptische Anfälle hinweisen (s. oben) (Fisher et al. 2005, 2014).
Die internationale Klassifikation der Epilepsien und epileptischen Syndrome von 1989 (Commission on Classification and Terminology of the International League Against Epilepsy 1989) stützt sich zur Einteilung auf die (vermutete) Ätiologie, die beteiligten Hirnareale und das Erkrankungsalter. Sogenannte „spezielle Syndrome“ sowie „nicht eindeutig klassifizierbare“ Epilepsien werden ebenfalls aufgeführt. Wachsende Kenntnis über Pathomechanismen und ätiologische Aspekte ließen sich immer weniger mit diesem vergleichsweise starren Einteilungsprinzip vereinbaren. 2010 wurde durch die ILAE ein Vorschlag für eine revidierte Klassifikation publiziert (Berg et al. 2010a, b). Darin wird vorgeschlagen, auf die bisherige Einteilungsstruktur zugunsten einer flexiblen und multidimensionalen Klassifikationsmöglichkeit zu verzichten. Auf der Grundlage dieses Konzepts wurde von der ILAE 2017 eine neue Klassifikation der Epilepsien entwickelt. Dazu wurden kürzlich Positionspapiere publiziert. Sie enthalten detaillierte Begründungen der Neuerungen und erläutern Design und Definitionen (Scheffer et al. 2017; Fisher et al. 2017a, b).
Die neue Klassifikation stellt ein mehrstufiges Einteilungskonzept der Epilepsien dar. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass das Konzept es erlaubt, die Klassifizierung einer Epilepsie entsprechend des jeweiligen Standes verfügbarer klinischer und diagnostischer Informationen vorzunehmen. In der ersten Stufe wird der Anfallstyp bzw. die Anfallstypen festgelegt (Fisher et al. 2017a, b; Scheffer et al. 2017). Die Anfallstypen sind Grundlage zur Festlegung des Epilepsietyps. Unterschieden werden fokale bzw. generalisierte Epilepsien, kombinierte Epilepsien mit fokalen und generalisierten Anfällen und hinsichtlich des Anfallstyps unbekannte Epilepsien. Die Zuordnung zu einem spezifischen Epilepsiesyndrom stellt die dritte Stufe der Klassifikationsmöglichkeit dar. Eine Zuordnung zu einem speziellen Syndrom ist aus unterschiedlichen Gründen aber nicht immer möglich und muss dann unterbleiben. Die neue Klassifikation berücksichtigt strukturelle, genetische, infektiöse, metabolische, immunologische und unbekannte ätiologische Faktoren und lässt eine Zuordnung auf jeder Einteilungsstufe zu. Neu ist auch die Berücksichtigung von Komorbiditäten als spezifische Risikofaktoren für die Prognose.
Die neue Klassifikation hebt die Bedeutung des Begriffs der „epileptischen Enzephalopathie“ hervor. Als epileptische Enzephalopathien werden Epilepsien bezeichnet, bei denen sich eine deutlichere Verschlechterung neurologischer Funktionen (insbesondere kognitive- und Verhaltensstörungen) entwickelt, als durch die Anfälle und durch etwaige strukturelle oder genetische Pathologien zu erwarten wäre.
Weiterhin wird empfohlen, den Begriff „benigne“ nicht mehr zu verwenden, da die tatsächlichen Konsequenzen der so benannten Epilepsien bagatellisiert werden. Stattdessen wird empfohlen, Begriffe zu verwenden, die die Prognose der jeweiligen Epilepsien präziser beschreiben, wie z. B. „selbstlimitierend“ oder „pharmakoresponsiv“ (Scheffer et al. 2017).
Einen Überblick über die Struktur der aktuellen Klassifikation der Epilepsien und epileptischen Syndrome gibt Abb. 1 (mod. nach Scheffer et al. 2017).
Fokale Epilepsien beginnen in einem einseitig begrenzten Neuronenkomplex, während generalisierte Epilepsien schon zu Beginn der ersten klinischen Anfallszeichen beide Hirnhälften in volvieren. Wenn die Zuordnung zu fokalem bzw. generalisiertem Beginn der Anfälle nicht möglich ist, wird die Epilepsie künftig als unbekannt bezeichnet. Bei sowohl fokal beginnenden als auch generalisierten Anfällen ist die Bezeichnung der kombinierten generalisierten und fokalen Epilepsien zu wählen.

Diagnostik

B. Tettenborn
Anamnese
Bei der Erhebung der Eigen- und Fremdanamnese sind neben der detaillierten Beschreibung des Anfallsgeschehens Informationen über eventuelle Komplikationen während Schwangerschaft oder Geburt des Patienten, Ablauf der frühkindlichen Entwicklung, Infektionskrankheiten, Impfkomplikationen, Fieberkrämpfe in der Kindheit oder Unfälle mit Schädel-Hirn-Trauma zu erfragen. Des Weiteren sind die Familienanamnese bezüglich epileptischer Anfälle sowie eine genaue Medikamentenanamnese einschließlich der Frage nach Alkohol- oder Drogenkonsum und anderer Lebensgewohnheiten zu erheben.
Klinische Untersuchung und Labor
Zur Erstuntersuchung eines Patienten mit einem oder mehreren epileptischen Anfällen gehört eine allgemeine körperliche und neurologische Untersuchung. Erforderliche Laboruntersuchungen sind die Bestimmung des Blutbildes, Blutchemie inkl. Blutzucker, Elektrolyte, Leber- und Nierenparameter sowie Kreatinkinase (CK, wichtig für Differenzialdiagnostik). Dabei ist zu berücksichtigen, dass enzyminduzierende Antiepileptika das Leberenzym γ-Glutamyl-Transferase (γ-GT) um das Doppelte bis Dreifache erhöhen können als Ausdruck einer harmlosen Enzyminduktion in der Leber. Bei unklar erhöhter Blutsenkungsgeschwindigkeit ist neben der Suche nach einem Tumor oder einer Infektion ggf. auch eine immunologische Erkrankung auszuschließen (z. B. zerebrale Vaskulitis, Lupus erythematodes). Eine Liquordiagnostik ist nur bei Verdacht auf eine entzündliche Krankheit im Sinne einer Meningitis/Enzephalitis sinnvoll. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es nach einem generalisiert tonisch-klonischen Anfall zu einer vorübergehenden Pleozytose im Liquor von bis zu 40 Zellen/μl kommen kann, die bei Erstanfällen differenzialdiagnostische Schwierigkeiten in der Abgrenzung von akut entzündlichen ZNS-Prozessen machen kann.
Unmittelbar nach generalisierten tonisch-klonischen Anfällen und nach fokal beginnenden Anfällen mit Bewusstseinsstörung, seltener auch nach fokalen Anfällen ohne Bewusstseinsstörung mit motorischen Symptomen wurden im Serum erhöhte Prolaktinspiegel gemessen. Ein Anstieg über 700–1000 μU/ml spricht für das Vorliegen eines epileptischen Anfalls, ein fehlender Anstieg schließt einen epileptischen Anfall jedoch keineswegs aus. Die klinische Wertigkeit dieser Methode für die Differenzierung epileptischer von nichtepileptischen bzw. dissoziativen Anfällen ist begrenzt. Nach einem generalisierten tonisch-klonischen Anfall können die CK-Werte auf das 8- bis 19-Fache des Ausgangswertes ansteigen, der CK-Anstieg kann aber auch fehlen. Allerdings steigt die CK auch nach Stürzen aus anderer Ursache an, oder nach sportlicher Betätigung oder nach i. m.-Injektionen, sodass ihr Anstieg von nur geringem differenzialdiagnostisch Wert ist. Bei Verdacht auf eine derseltenen progressiven Myoklonusepilepsie bei mitochondrialer Enzephalomyopathie können die Laktatbestimmung und eine Muskelbiopsie diagnostisch weiterhelfen.
EEG
Das konventionelle EEG dient einerseits zur Sicherung der klinischen Verdachtsdiagnose, sofern sog. epilepsietypische Potenziale nachweisbar sind. Andererseits widerspricht ein unauffälliges EEG nicht der Diagnose einer Epilepsie. Das EEG kann zur Differenzierung zwischen primär fokalen oder primär generalisierten Anfällen beitragen und bei der Klassifizierung verschiedener Epilepsiesyndrome helfen, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen.
Es muss betont werden, dass eine Epilepsie vorrangig klinisch durch wiederholtes Auftreten unprovozierter epileptischer Anfälle, deren Semiologie, das Erkrankungsalter und den neurologischen Befund diagnostiziert wird. Sie kann durch einen EEG-Befund weder bewiesen noch widerlegt werden.
Bei klinischen Schwierigkeiten in der Einordnung kann durch Schlafableitungen bzw. Langzeitableitungen über 4–24 h oder sogar bis zu mehreren Tagen versucht werden, die Aussagefähigkeit des EEG zu erhöhen. Es kann auch eine Schlafableitung nach Schlafentzug als Provokationsfaktor für epilepsietypische Potenziale durchgeführt werden, wobei der entscheidende Faktor die Ableitung während des Einschlafens und in Schlaf ist. Gibt es aber anamnestisch bereits eindeutige Hinweise dafür, dass es nach Schlafentzug zu generalisierten tonisch-klonischen Anfällen kommt, ist ein Schlafentzugs-EEG nicht nur nicht erforderlich, sondern auch kontraindiziert.
Hilfreicher als das interiktale EEG kann die Ableitung eines iktalen EEG sein, insbesondere wenn bei der simultanen Doppelbildaufzeichnung die Videoaufnahme des Anfalls mit dem parallel aufgezeichneten EEG korreliert werden kann. Diese Methode leistet einen wesentlichen Beitrag zur Differenzierung epileptischer und nichtepileptischer Anfälle, zur besseren Klassifikation der Anfälle und ggf. zur Fokuslokalisation.
Beim EEG-Intensiv-Monitoring wird über mehrere Tage versucht, unter simultaner Doppelbildaufzeichnung mehrere Anfälle abzuleiten. Diese Methodik wird insbesondere bei der präoperativen Epilepsiediagnostik zur Fokuslokalisation bei Patienten mit therapieresistenter fokaler Epilepsie genutzt. Von invasiver EEG-Diagnostik spricht man dann, wenn Elektroden im Schädelinnern platziert werden. Hierzu gehören die Sphenoidalelektroden, Foramen-ovale-Elektroden sowie operativ implantierte streifen- oder plattenförmige Elektroden („subdural strips“ oder „subdural grids“).
Bildgebung
Strukturelle Bildgebung
Die Magnetresonanztomografie (MRT) ist zurzeit die bildgebende Methode der Wahl zur Abklärung von Epilepsien. Sie hat eine höhere Sensitivität und Spezifität bei der Identifikation kleiner Läsionen und kortikaler Veränderungen als die Computertomografie (CT). In der akuten Notfallsituation mit Anfällen im Rahmen eines Schädel-Hirn-Traumas, einer intrakraniellen Blutung oder Enzephalitis ist die CT die geeignete Initialuntersuchung, wenn eine MRT akut nicht durchgeführt werden kann oder aus technischen Gründen (z. B. Herzschrittmacher) nicht in Frage kommt. Wenn es sich nicht um einen akuten Notfall handelt, ist die MRT auch als Erstuntersuchung der CT vorzuziehen, wobei im Dünnschichtverfahren T1- und T2-gewichtete Aufnahmen sowie protonengewichtete und Flair-Sequenzen angefertigt werden sollten. Bei Patienten mit fokalen Anfällen mit Bewusstseinsstörung ist eine spezielle temporale Kippung als Spezialeinstellung sinnvoll. Für die Detektion kortikaler Dysplasien sowie für die Darstellung hippokampaler Subfelder ist die Hochfeldbildgebung ≥3 T besonders geeignet. Generell sollte die MRT-Untersuchung nach einem standardisierten MRT-Protokoll bei Epilepsiepatienten erfolgen, da bei vielen Patienten mit unauffälligem Befund bei der routinemäßigen MRT-Untersuchung erst durch gezielte Untersuchung strukturelle Veränderungen nachgewiesen werden können. Bei therapieresistenter Epilepsie und unauffälligem MRT sollte die MRT in mehrjährigen Abständen wiederholt werden, da durch die laufende Verbesserung der Technologie dann unter Umständen doch eine strukturelle Veränderung entdeckt werden kann, was die Perspektive in Hinsicht auf einen epilepsiechirurgischen Eingriff entscheidend verbessern kann (Baumgartner und Pirker 2012).
Funktionelle Bildgebung
Die Einführung neuer MRT-Verfahren mit Integration von Daten der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) der Elektroenzephalografie (EEG) oder der Magnetenzephalografie (MEG) hat die Detektion epileptogener Läsionen, v. a. der fokalen kortikalen Dysplasien, weiter verbessert (Rosenow et al. 2014).
Die funktionellen Verfahren der Single-Photon-Computer-Emissionstomografie (SPECT) und der Positronenemissionstomografie (PET) ermöglichen Einblicke in die dynamischen Vorgänge von Durchblutungsveränderungen (SPECT) oder Stoffwechselfunktionen (PET). Der Wissensstand in Bezug auf die Untersuchungsergebnisse bei Epilepsien und deren vielfältige Interpretationsmöglichkeiten ist aber bislang nicht so etabliert, dass diese Methoden Einzug in die Routinediagnostik bei Epilepsien gehalten hätten, ihre Anwendung ist derzeit speziellen Fragestellungen vorbehalten.

Differenzialdiagnose

B. Tettenborn
Von den epileptischen Anfällen sind in erster Linie nichtepileptische, dissoziative (früher: psychogene) Anfälle abzugrenzen. Die Differenzierung kann schwierig sein, insbesondere wenn ein Patient sowohl epileptische als auch dissoziative Anfälle hat. Etwa 5–35 % aller Anfallspatienten haben zusätzliche oder ausschließlich dissoziative Anfälle. Sie treten am häufigsten bei jungen Erwachsenen auf, wobei Frauen etwa 3-mal so häufig betroffen sind wie Männer. Die sicherste Methode der Diagnosestellung ist die simultane Doppelbildaufzeichnung eines Anfalls mit Video und EEG.
Des Weiteren sind differenzialdiagnostisch andere anfallsweise auftretende Störungen abzugrenzen, die jeweils bereits bei den verschiedenen Anfallsformen oder Epilepsiesyndromen erwähnt wurden. Im Wesentlichen sind konvulsive Synkopen, flüchtige zerebrale Ischämien (insbesondere bei älteren Patienten), transitorische amnestische Episoden, die komplizierte Migräne, kardiale Rhythmusstörungen mit resultierenden Bewusstseinsverlusten und Parasomnien zu nennen.

Facharztfragen

1.
Welche wesentlichen Änderungen werden in der neuen Klassifikation epileptischer Anfälle von 2017 für die bisher gültige Klassifikation epileptischer Anfälle von 1981 empfohlen?
 
2.
Welche Anfallssymptome bei fokalen Anfällen lassen Rückschlüsse auf die Lokalisation des Fokus zu?
 
3.
Welche elektroklinischen Merkmale sind für die differenzialdiagnostische Abgrenzung zwischen Absencen und fokalen Anfällen mit Bewusstseinsstörung hilfreich?
 
4.
Was versteht man unter dem Begriff „Terminalschlaf“ und welche Maßnahmen sind notwendig?
 
5.
Warum wurde eine Revision der bisher gültigen Klassifikation der Epilepsien und epileptischen Syndrome der ILAE von 1989 für notwendig gehalten?
 
6.
Wie beschreibt man ein „elektroklinisches Syndrom“?
 
7.
Warum empfiehlt die neue Klassifikation der Epilepsien und epileptischen Syndrome (2017) den bisher gebräuchlichen Begriff „benigne“ nicht mehr?
 
8.
Welche Faktoren auf pathophysiologischer Ebene sind für die Epileptogenese bedeutsam?
 
9.
Was versteht man unter dem Begriff „paroxysmale Depolarisationsshift“ (PDS)?
 
10.
Wie erklärt man die signifikanten Unterschiede der altersbezogenen Inzidenzen bei Epilepsien?
 
11.
Welche bildgebenden Verfahren kommen bei der Abklärung von Patienten mit epileptischen Anfällen sinnvoller Weise zum Einsatz?
 
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