Essenzieller Tremor ist die häufigste Bewegungsstörung. Sie wird in erster Linie durch einen distalen Haltetremor an den oberen Extremitäten gekennzeichnet. Nur ein Teil der Betroffenen sucht ärztlichen Rat auf. Der essenzielle Tremor wird häufig als Parkinson-Syndrom fehldiagnostiziert. Die Behandlung basiert auf Aufklärung, Verhaltenstherapie, Betablockern, Primidon und in ausgewählten Fällen der Stereotaxie.
Essenzieller Tremor ist die häufigste Bewegungsstörung. Sie wird in erster Linie durch einen distalen Haltetremor an den oberen Extremitäten gekennzeichnet. Nur ein Teil der Betroffenen sucht ärztlichen Rat auf. Der essenzielle Tremor wird häufig als Parkinson-Syndrom fehldiagnostiziert. Die Behandlung basiert auf Aufklärung, Verhaltenstherapie, Betablockern, Primidon und in ausgewählten Fällen der Stereotaxie.
Häufigkeit und Vorkommen
Essenzieller Tremor ist die häufigste Bewegungsstörung überhaupt.
Ärztlicher Rat wird allerdings von vielen Betroffenen nicht aufgesucht, weil Zittern in der betagten Bevölkerung häufig als Teil des „normalen“ Alterungsprozesses betrachtet wird. 0,31–1,7 % der Allgemeinbevölkerung weisen einen essenziellen Tremor auf. Diese Prävalenz nimmt mit dem Alter bei über 40-Jährigen mit 5,5 % und bei über 70-Jährigen mit 12,5 % erheblich zu. Beide Geschlechter sind gleichermaßen betroffen. Essenzieller Tremor in der älteren Bevölkerung wird oftmals als seniler Tremor bezeichnet. Es finden sich zwei Häufigkeitsgipfel für den Beginn des Syndroms: in der 2. und in der 6. Lebensdekade. Beide Geschlechter sind gleichermaßen betroffen.
Terminologie und Klassifikation
Definitionsgemäß stellt Tremor eine Bewegungsstörung dar, die rhythmisch (sinusoidal) oszillierend und amplitudengleich ist. Die annähernd sinusoidalen Bewegungen sind entweder auf reziprok alternierende oder synchrone Kontraktionen von antagonistischen Muskeln zurückzuführen. Tremor lässt sich nach seiner Ätiologie, seinen Aktivierungsbedingungen, seiner Frequenz und seiner topologischen Verteilung klassifizieren. So tritt Tremor zum einen physiologisch auf (z. B. Kältezittern), zum anderen ist es ein häufiges Symptom neurologischer und internistischer Erkrankungen (z. B. Schilddrüsenaffektionen). Außerdem kann er medikamentös verursacht sein (z. B. Lithium).
Eine 2018 veröffentlichte Tremorklassifikation, die berücksichtigt, dass einem Syndrom unterschiedliche Ätiologien zugrunde liegen können, basiert auf ein 2-Achsen-Prinzip . Die klinische Phänomenologie des Tremors wird auf Achse 1 abgebildet und die Ätiologie auf Achse 2. Zur Achse 1 gehört u. a. Alter bei Beginn, Ansprechen auf Alkohol und andere Medikamente, die topografische Verteilung und die Aktivierungsbedingungen (Ruhe und Aktion: kinetisch, postural, isometrisch). Zur Achse 2 gehört die Unterteilung nach spezifischen Ätiologien (Bhatia et al. 2018).
Ursachen für einen verstärkten physiologischen Tremor
Nach den Aktivierungsbedingungen werden im klinischen Alltag Ruhe-, Halte- und (kinetischer) Bewegungstremor unterschieden. Halte- und kinetischer Tremor werden als Aktionstremor zusammengefasst. Zum Aktionstremor lassen sich ferner der Intentionstremor, der tätigkeitsspezifische Tremor und der isometrische Tremor zählen.
Ein Ruhetremor liegt vor, wenn die Extremität vollkommen von Schwerkraft befreit ist und die relevante Muskulatur nicht innerviert, d. h. „entspannt“ ist. Unter emotionaler und mentaler Belastung wie Rückwärtszählen kommt es in der Regel zu einer Verstärkung des Ruhetremors.
Der Haltetremor tritt während willkürlichem Annehmen einer Haltung, der durch die Schwerkraft entgegengewirkt wird, auf. Tests sind beispielsweise Armvorhalteversuche. Bei gestrecktem Handgelenk und gespreizten Finger werden sie erschwert. Die Aufforderung, ein gefülltes Glas Wasser zu halten, ist ein ergiebiger Test.
Der Bewegungs- oder kinetische Tremor macht sich bei jeder Art von Bewegung bemerkbar, z. B. bei einer Schriftprobe (Abb. 1).
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Beim Intentionstremor erreicht der Tremor seine größte Intensität in der Zielzone der Bewegung.
Der isometrische Tremor ist eine Sonderform des Haltetremors. Er tritt auf, wenn eine willkürliche Muskelkontraktion gegen ein festes unbewegliches Objekt zu isometrischer Muskelaktivität führt.
Der tätigkeitsspezifische Tremor kommt nur bei sehr spezifischen und erlernten Bewegungen wie Schreiben, Klavierspielen etc. vor. Die Differenzierung zur aktionsinduzierten Dystonie ist schwierig.
Als essenzieller Tremor wird i. Allg. ein monosymptomatischer Haltetremor mit und ohne Bewegungstremor bezeichnet, der langsam progredient ist und häufig eine familiäre Komponente aufweist. Traditionell wurden andere Tremores, wie solche der Stimme und des Kopfes sowie tätigkeitsspezifische Tremores, der dystone und orthostatische Tremor dem essenziellen Tremor hinzugerechnet. Allen diesen Formen des sog. essenziellen Tremors gemeinsam ist der bisherige Mangel eines fassbaren strukturellen Befundes. Damit hebt sich der essenzielle Tremor vom Parkinson-Tremor mit seiner Degeneration an nigrostriatären Projektionen sowie von anderen Tremorformen mit bekannter Pathologie ab.
Von der Internationalen Tremor Foundation wurden schon seit Jahren folgende Kriterien für die Diagnose eines essenziellen Tremors vorgeschlagen.
Einschlusskriterien:
Vorhandensein von sichtbarem und anhaltendem Haltetremor, der die Hände oder Unterarme betrifft, mit oder ohne Bewegungstremor. Der Haltetremor kann asymmetrisch ausgeprägt sein, und andere Körperregionen können mitbetroffen sein.
Tremor besteht schon seit längerer Zeit (mehr als 5 Jahre).
Ausschlusskriterien:
Vorhandensein von anderen neurologischen Zeichen mit der Ausnahme des Zahnradphänomens (tastbarer Tremor bei passiver Beugung einer Extremität)
Vorhandensein von Ursachen eines verstärkten physiologischen Tremors wie Hyperthyreose
Exposition mit tremorverursachenden Medikamenten oder ein Entzugssyndrom
Trauma-Anamnese 3 Monate vor Beginn des Tremorsyndroms
Klinische Hinweise für einen psychogenen Tremor
Plötzlicher Beginn des Tremorsyndroms
Die Definition des essenziellen Tremors erfährt allerdings nach der neuen Tremorklassifikation aus 2018 eine zunehmende Fokussierung (Bhatia et al. 2018; Deuschl und Berg 2018; Hopfner et al. 2016). Ausschlusskriterien sind seitdem das Vorhandensein anderer neurologischer Symptome, isolierte Stimm- und Kopftremores, der orthostatische Tremor, aufgabenspezifische- und positionsspezifische Tremores.
Klinik
Meistens handelt es sich beim essenziellen Tremor um ein monosymptomatisches Krankheitsbild ohne weitere neurologische Befunde. Vergesellschaftungen mit Dystonien werden jedoch beobachtet. Psychosozialer Stress und Öffentlichkeit verschlimmern die Symptomatik. Der essenzielle Tremor kann in verschiedenen Körperregionen auftreten. Am häufigsten sind die Hände, aber auch die Stimme und der Kopf betroffen. In der Regel beginnt der essenzielle Tremor an der dominanten Hand und wird im Verlauf der Krankheit zunehmend symmetrisch. Die Schrift wird unleserlich und Tätigkeiten wie Trinken aus einer Kaffeetasse werden zunehmend beeinträchtigt. Der Betroffene kann dadurch gezwungen werden, die Tasse mit beiden Händen zu halten oder sogar einen Strohhalm als Hilfsmittel zu benutzen. Suppe mit dem Löffel zu essen, einen Scheck zu unterschreiben, wird bei ungünstigen Verläufen unmöglich. Hinzu kommt eine Stigmatisierung, die Patienten veranlasst, zunächst nicht mehr in der Öffentlichkeit zu essen und schließlich sozialen Kontakt weitgehend zu meiden. Beim Nein- und Ja-Tremor des Kopfes kommt es zu besonderen Schwierigkeiten in der Kommunikation. Der Tremor kann sich auf Kopf, Stimme, selten auf Gesicht und Zunge ausdehnen, wobei eine Beteiligung der Lippen und der Kiefermuskulatur eher für einen Tremor bei Parkinsonismus spricht (Rabbit-Syndrom, medikamentöse Dyskinesien).
Der essenzielle Tremor ist in der Regel langsam progredient. Bestimmte Berufsgruppen (z. B. Zahnärzte, Chirurgen, Feinmechaniker) müssen sich jedoch frühzeitig umschulen oder berenten lassen.
In etwa der Hälfte der Fälle tritt der Tremor familiär auf. Der Vererbungsmodus ist autosomal-dominant mit einer unterschiedlichen Penetranz. Patienten mit familiärem essenziellem Tremor reagieren besonders empfindlich auf Dopaminrezeptorblocker (Neuroleptika).
Sozial akzeptable Mengen an Alkohol können vorübergehend bei etwa 50 % der Patienten mit essenziellem Tremor das Zittern auffallend bessern. Es kommt aber nach Metabolisierung des Alkohols nach 3–4 Stunden regelhaft zu einer Verschlechterung des Tremors (Rebound). Der chronische Alkoholgenuss stellt naturgemäß keine therapeutische Option dar. Eine Alkoholsensitivität ist aber als differenzialdiagnostischer Hinweis für einen essenziellen Tremor zu werten. Eine Häufung von Alkoholikern unter essenziellen Tremorpatienten ist bisher nicht gefunden worden.
Fallbeispiel
Eine 75-jährige Diabetikerin wird zur Überprüfung der Medikation vorgestellt. Die Patientin klagt über ein seit 5 Jahren langsam zunehmendes Zittern der Hände, welches sie insbesondere beim Essen behindere. Darüber hinaus sei ihr Gang unsicher geworden. Sie komme manchmal nicht von der Stelle. Über einen fassbaren Effekt der bisherigen Medikation auf das Zittern und die Gangstörung weiß die Patientin nicht zu berichten. Sie klagt jedoch über ein Auftreten von Schwindel und Übelkeit im Zusammenhang mit der Anti-Parkinson-Medikation. Bei der Untersuchung ist ein ausgeprägter Haltetremor mit Verschütten eines gefüllten Wasserglases und ein Aktionstremor beim Schreiben zu beobachten. Keine bradykinetische Symptomatik im Gesicht oder an den Armen. Selbst unter mentaler Belastung wie Rückwärtszählen kommt es zu keiner Bahnung eines Ruhetremors. Allerdings zeigt die Patientin einen kleinschrittigen unsicheren Gang mit gelegentlichen Startschwierigkeiten („Magnetgang“), ferner Zeichen einer leichten Polyneuropathie und im MRT eine ausgeprägte frontale Leukoaraiose. Es wird ein essenzielles Tremorsyndrom diagnostiziert. Ein langsamer Absetzversuch der Anti-Parkinson-Medikation führt zu keiner Verschlechterung der Gangstörung, aber zu einem Nachlassen der Nebenwirkungen dieser Medikation – der Nausea und des Schwindels. Die Gangstörung wird vor dem Hintergrund des MRT-Befundes als frontale Gangstörung bei subkortikaler vaskulärer Enzephalopathie (SVE) interpretiert. Aufgrund des Diabetes mellitus und orthostatischen Schwindels der Patientin werden zur Tremortherapie Primidon und nicht Betablocker gewählt.
Sonderformen
Bis zur neuen Klassifikation (Bhatia et al. 2018) wurden seltene Tremorformen ohne klare Ätiopathogenese dem essenziellen Tremor zugeordnet. Dazu gehören fokale Tremorformen wie der tätigkeitsspezifische Tremor, der essenzielle Stimmtremor, der Zungentremor, der Kinntremor, der Lachtremor, der essenzielle Gaumensegeltremor (Gaumensegelmyoklonus) und der orthostatische Tremor. Wegen der ausgeprägten Behinderung, die eintreten kann, sollen folgende Tremorformen hervorgehoben werden:
Tätigkeitsspezifischer Tremor
Es handelt sich hierbei um eine Sonderform des Bewegungstremors: Ein Tremor, der nur bei bestimmten Tätigkeiten auftritt, wie z. B. der primäre Schreibtremor. Schwierig ist die Differenzierung vom einfachen Schreibkrampf.
Orthostatischer Tremor
Die Patienten suchen ärztlichen Rat in erster Linie wegen einer Standunsicherheit. Die Bewegungsstörung besteht nur im Stehen, nicht aber im Gehen, Sitzen und Liegen. Die Patienten können die Standunsicherheit teilweise kompensieren, indem sie häufig das Standbein wechseln und sich anlehnen. Bei schweren Fällen kann das freie Stehen unmöglich sein – die Patienten stürzen. Ein höherfrequenter Tremor (12–18 Hz) setzt nach wenigen Sekunden im Stehen ein, er ist häufig visuell nicht besonders auffällig. Die polygrafische EMG-Ableitung ist hier richtungsweisend.
Pathophysiologie und Ätiopathogenese
Die exakte Pathophysiologie des essenziellen Tremors ist unbekannt. Neuropathologisch gibt es bisher keine auffälligen Befunde. Man nimmt eine Dysfunktion in dem neuronalen Regelkreis (Abb. 2) zwischen Olive, Nucleus ruber und Cerebellum an. Bestimmte Oszillatoren (evtl. untere Olive, Kleinhirn) in diesem Regelkreis werden nicht mehr effektiv gehemmt. Eingriffe oder Läsionen, die die Verbindungen des Regelkreises durchtrennen, führen zu einem Sistieren des Tremors. Neueste Befunde mit der Positronenemissionstomografie (PET) weisen auf eine erhöhte neuronale Aktivität ipsilateraler Kleinhirnhemisphären in Ruhe und während einer tremorauslösenden Haltung hin. Diese wird durch Alkohol unterdrückt. Die häufige intentionelle Komponente des essenziellen Tremors mit zunehmender Amplitude bei Zielnäherung weist auf das Kleinhirn als wichtige Struktur hin.
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Diagnose und Differenzialdiagnose
Die Diagnose ist in erster Linie klinisch zu stellen (Tab. 1). Neben den Aktivierungsbedingungen wie Ruhe, Halten und Bewegung stellen die Frequenz und die topologische Verteilung des Tremors weitere differenzialdiagnostische Kriterien dar, um einen essenziellen Tremor von anderen Tremorformen zu unterscheiden. Ein Kopf- oder Stimmtremor beim idiopathischen Parkinson-Syndrom oder ein Beginn des essenziellen Tremors an den Beinen ist extrem selten. Ein hochfrequenter Tremor (>7 Hz) weist auf ein physiologisch verstärktes oder auf ein essenzielles Tremorsyndrom hin. Eine Frequenz von 12–18 Hz an den Beinen im Stehen ist praktisch pathognomonisch für den orthostatischen Tremor. Der mittelfrequente (4–7 Hz) Ruhetremor ist typisch für das idiopathische Parkinson-Syndrom. Ein niederfrequenter Tremor (<4 Hz) spricht für einen rubralen, zerebellären oder hochamplitudigen essenziellen Tremor.
Tab. 1
Pragmatische klinische Klassifikation von häufigen Tremores nach Ätiologie und Aktivierungsbedingungen
Ruhe
Halten
Bewegung
Frequenz (in Hz)
Physiologisch
–
+
+/–
8–12
Physiologisch verstärkt
–
++
+
7–8
Essenzieller Tremor
gutartig
–
+++
+
8–12
schwer
+/–
++++
++
4–9
Parkinson-Tremor
Ruhe
++++
++
+
4–5
Halten
+
+++
+
4–5
Holmes-Tremor
++
+++
++++
3–4
Zerebellärer Tremor (Intention)
–
+
+++
3–4
Neuropathischer Tremor (Deafferentierung)
–
+++
+++
3–4
Orthostatischer Tremor (Bein)
–
+++ (Stehen)
+ (Gehen)
12–18
Eine Asterixis (negativer Myoklonus) bei Stoffwechselstörungen und Intoxikationen kann bei höherer Frequenz mit einem physiologisch verstärkten oder essenziellen Tremor verwechselt werden und gelegentlich als hochamplitudiger niederfrequenter Haltetremor (Flügelschlagen) imponieren. Letztere Asterixisform ist meist unregelmäßig und deshalb leicht von einem Tremorsyndrom zu differenzieren.
Weitere Differenzialdiagnosen des Tremors, die üblicherweise keine Schwierigkeiten bereiten, sind die Epilepsia partialis continua, rhythmische Myoklonien und der Klonus bei gesteigerten Muskeldehnungsreflexen. Differenzialdiagnostische Probleme bereiten jedoch Patienten mit beginnendem Parkinson-Syndrom, bei denen neben dem Ruhetremor zusätzlich eine Halte- und Aktionskomponente auftritt, Patienten mit monosymptomatischem Bewegungstremor, dystonem und psychogenem Tremor.
Physiologischer und verstärkter physiologischer Tremor
Ein diskreter feiner Halte- und Bewegungstremor ist bei Gesunden in den Extremitäten zu finden. Unter Ermüdung, Angst und Aufregung nimmt er zu. Koffein, Asthmamittel wie Theophyllin und β-Mimetika wie Salbutamol sind klassische Beispiele für die pharmakogene Verstärkung des physiologischen Tremors. Der Tremor unter Lithium, Amphetaminen, Koffein und Steroiden ist nach derzeitiger Kenntnis wahrscheinlich auch auf eine Verstärkung des physiologischen Tremors zurückzuführen.
Zerebellärer Tremor
Der sog. Intentionstremor bei Kleinhirnaffektionen (MS, Infarkte, Raumforderungen im Kleinhirn oder seinen Austrittsbahnen) tritt in der Regel kombiniert mit dysmetrischen Störungen, Ataxie und okulomotorischen Störungen wie Nystagmus auf. Ferner lässt sich der klassische zerebelläre Intentionstremor, der stets in der Zielzone der Bewegung seine größte Intensität erreicht und vorwiegend als proximal betonter Haltetremor (in den Schultern) auftritt, klinisch vom essenziellen Tremor (der Hände) unterscheiden (Kap. „Bewegungsstörungen: Differenzialdiagnostische Übersicht“).
Parkinson-Tremor
Typischerweise handelt es sich um den charakteristischen Pillendrehertremor in Ruhe, der bei Bewegung und Haltefunktion weitestgehend sistiert. Der Tremor wird im weiteren Verlauf regelhaft von einer bradykinetischen Symptomatik begleitet (Tab. 2). Nur 5 % der Parkinson-Patienten leiden an einem beeinträchtigenden vorwiegend monosymptomatischen Tremor oder tremordominanten Parkinson-Syndrom. Falls kein Ruhetremor (in etwa 10 %), sondern ein Haltetremor und keine bradyhypokinetische Symptomatik (sehr selten) vorhanden ist, kann die Diagnose nur im Verlauf gestellt werden. Bei ausgeprägter höherfrequenter (>7 Hz) Haltekomponente ist die Behandlung wie beim essenziellen Tremorsyndrom.
Tab. 2
Differenzialdiagnose tremoröse Dystonie vs. essenzielle Tremorsyndrome
Dystonie
Essenzielle Tremorsyndrome
Lageabhängigkeit
+++
+
Frequenz
langsam unregelmäßig
6–12 Hz regelmäßig
Tätigkeitsspezifität
+++
+
Amplitude
größer, wechselhaft
kleiner, regelmäßiger
Geste antagonistique und andere sensorische Tricks
+++
+
Stimmtremor vs. laryngeale Dystonie
+++
–
Besserung durch emotionale Vokalisationen (z. B. Singen oder Lachen)
Verstärkung von Kopftremor bei Kopfwendung in eine Richtung und Abschwächung in die andere Richtung
Der Tremor bei Dystonie ist i. Allg. irregulärer als beim essenziellen Tremorsyndrom (Tab. 2). Den scheinbar rhythmischen Muskelkontraktionen folgen auch länger anhaltende Kontraktionen. Typisches Beispiel ist der tremoröse Schiefhals. Bei essenziellem Kopftremor sind i. Allg. keine sensorischen Manöver zur Unterdrückung der Bewegungsstörung wie die „geste antagonistique“ bei der zervikalen Dystonie zu beobachten. Schwierig wird die Differenzierung beim primären Schreibtremor und dystonen Schreibkrampf. Es ist offen, ob der primäre Schreibtremor ein eigenständiges Krankheitsbild, unabhängig von der Dystonie, darstellt. Für die Therapie hat das keine Konsequenzen. Beide Formen sprechen gut auf Botulinumtoxin an.
Neuropathischer Tremor
Tremor tritt gelegentlich bei peripheren Neuropathien auf. Er wird bei Patienten mit akuter und chronischer demyelinisierender Polyneuropathie, hereditären motorischen und sensorischen sowie IgM-paraproteinämischen Neuropathien und äußerst selten bei Polyneuropathie im Rahmen von Diabetes, Urämie und Porphyrie beobachtet. Phänomenologisch ähnelt dieser Tremor dem Bild des essenziellen Tremors.
Ein niederfrequenter (>4 Hz) Tremor liegt in Ruhe vor, der durch Aktion und durch Bewegung zusätzlich verstärkt wird. Typischerweise kommt er bei MS, nach vaskulären Läsionen im Hirnstamm und bei Morbus Wilson vor.
Der Name „rubraler“ Tremor rührt daher, dass Holmes 1904 Läsionen im Tegmentum des Mittelhirns auf der Höhe des Nucleus ruber und seiner Verbindungen beschrieb. Häufig ist aber bei derartigen Patienten morphologisch kein sicheres Substrat zu finden. Deswegen ist der Name Holmes-Tremor vorzuziehen, weil er nicht eine anatomische Zuordnung von vorneherein festlegt.
Medikamentös induzierter Tremor
Tremor ist eine potenzielle Nebenwirkung aller Psychopharmaka und anderer ZNS-wirksamen Substanzen (insbesondere Lithium, Valproat). Meist kommt es zu einem Bild wie bei einem essenziellen Tremor. Hinzugezählt werden müssen alle Medikamente, die zu einer Verstärkung eines physiologischen Tremors führen, wie beispielsweise Schilddrüsenpräparate oder β-Mimetika als Asthmamittel.
Zusatzuntersuchungen
Wichtig ist es, besondere Erkrankungen, die phänomenologisch einem essenziellen Tremorsyndrom ähneln, durch geeignete Untersuchungen auszuschließen (Tab. 3).
Tab. 3
Laboruntersuchungen zum Ausschluss symptomatischer Tremorursachen (Untersuchungen mit * nur bei klinisch begründetem Verdacht)
Test
Mögliche symptomatische Tremorursache oder verstärkender Faktor
Eine spezielle Rolle in der Tremordifferenzierung nehmen polygrafische EMG-Ableitungen ein. Dabei werden meist mit Oberflächenelektroden zwei Antagonistenpaare abgeleitet. Pathognomonische Befunde lassen sich beim orthostatischen Tremor und dem Asterixis (Synonym: negativer Myoklonus) erhalten. Beim orthostatischen Tremor ist eine Tremorfrequenz von 12–18 Hz in den großen Beinmuskeln nachweisbar; beim Asterixis werden Innervationspausen der vier untersuchten Muskeln zur Diagnosestellung gefordert. Bei Innervationspausen von >150 ms wird der Asterixis sehr unregelmäßig. Der Parkinson-Ruhetremor zeigt in der Regel ein reziprok alternierendes Muster von Agonisten- und Antagonistenaktivität. Synchrone Tremoraktivität tritt bei zusätzlichem Haltetremor auf. Beim essenziellen Tremor lassen sich mit dem EMG synchrone und reziprok alternierende Aktivierungsmuster nachweisen.
Positionsaufnehmer oder Akzelerometer geben Aufschluss über die Frequenz und Amplitude eines Tremors. Sie werden zur quantitativen Tremormessung herangezogen und eignen sich zur Langzeiterfassung des Tremors.
Therapie
Zunächst ist es wichtig, den Patienten mit essenziellem Tremor über die Gutartigkeit seiner Symptomatik aufzuklären. Patienten machen sich oftmals Sorgen, an einer chronischen neurologischen Erkrankung wie einem Parkinson-Syndrom zu leiden, die zu einer schweren Behinderung führt. Häufig besteht die Laienmeinung, dass von medizinischer Seite nichts gegen den Tremor getan werden könnte. Ein großer Teil der Patienten, die ärztlichen Rat suchen, benötigt keine langfristige medikamentöse Behandlung. Verhaltenstherapie, um tremorverstärkende Situationen zu meistern, kann hier ausgesprochen hilfreich sein. Das Anbringen schwerer Gewichte in Manschettenform an das Handgelenk etwa beim Schreiben stellt wahrscheinlich die einzige eingeschränkt wirksame physikalische Therapie dar, die allerdings wenig Verbreitung gefunden hat.
Wann eine medikamentöse Therapie eingesetzt wird, ist individuell zu entscheiden und hängt von dem subjektiven Leidensdruck ab. Für einen Feinmechaniker kann ein leichtgradiger Haltetremor äußerst beeinträchtigend sein, während ein Maurer mit derselben Symptomatik keinen ärztlichen Rat aufsuchen würde.
Der Hälfte der Patienten mit essenziellem Tremor kann mit einer medikamentösen Therapie geholfen werden; Kopf-, Stimm- und Schreibtremor sprechen nur wenig an.
Betablocker
Vorzugsweise lipophile, nicht selektive β1-/β2-Rezeptorblocker wie z. B. Propranolol sind untersucht worden. Betablocker wirken wahrscheinlich zum einen zentral auf den essenziellen Tremor und zum anderen peripher auf die adrenergen Rezeptoren in der Muskulatur über eine Reduktion des physiologischen Tremors.
Therapieempfehlungen
Propranolol (z. B. Dociton) langsam eingeschlichen bis zu 3- bis 4-mal 40–80 mg/Tag führt zu einer Reduktion der Tremoramplitude von bis zu 50–60 % an den Extremitäten.
Alternativ können Metoprolol (z. B. Beloc, 2-mal 50 mg/Tag) mit Vorsicht bei Patienten mit Asthma sowie Nadolol (Soldol 1-mal 40–80 mg/Tag) bei Wunsch des Patienten nach einmaliger Tagesgabe versucht werden.
Eine andere Strategie besteht bei leichterer Symptomatik darin, dem Patienten zu raten, Propranolol (40–80 mg) als einmalige Dosis eine Stunde vor exponierten Situationen einzunehmen, bei denen der Tremor objektiv zum Problem wird. Die kardiovaskulären Effekte derartiger Bedarfsdosen sollten jedoch einmal vor einem kritischen Einsatz ausprobiert werden.
Cave
Betablocker sind bei Patienten mit obstruktiven Atemwegserkrankungen, Asthma, insulinpflichtigem Diabetes mellitus oder Herzinsuffizienz kontraindiziert. Typische Nebenwirkungen bei längerem Gebrauch sind Depressionen, Schlaflosigkeit, Müdigkeit und Potenzstörungen.
Primidon
Der Wirkmechanismus von Primidon ist nicht geklärt. Primidon scheint besonders bei hochamplitudigem Tremor günstig zu sein. Bei Patienten mit Bronchitis, mit Herzinsuffizienz, orthostatischer Dysregulation und bei älteren Patienten kann sogar Primidon vorgezogen werden. Primidon ist allerdings als Antiepileptikum und nicht zur Therapie des Tremors zugelassen. Primidon wird üblicherweise in einer einmaligen Dosis von 62,5–750 mg (Mylepsinum; Liskantin Tabletten zu 250 mg) zur Nacht empfohlen, die langsam mit 62,5 mg eingeschlichen werden sollte. Bei Primidon kann gelegentlich im Gegensatz zu Betablockern ein Effekt schon nach der ersten Dosis beobachtet werden. Akute Unverträglichkeiten wie Übelkeit, Erbrechen, Nausea, Ataxie können aber auch schon bei der ersten geringen Dosis bei etwa 20 % der Patienten auftreten. Primidon wird zu 50 % in Phenylethylmalonamid und zu 5 % in Phenobarbital metabolisiert. Es wird angenommen, dass die Unverträglichkeit auf eine noch nicht bestehende Enzyminduktion in der Leber zurückzuführen ist. Alternativ zum Primidon kann auf das verträglichere Phenobarbital (Luminal 25–200 mg/Tag) ausgewichen und nach der Enzyminduktion wieder auf das Primidon zurückgegriffen werden. Abgesehen von diesen akuten Unverträglichkeiten bei Primidon haben 25 % der Patienten initial Schwierigkeiten, sich an die Medikamente zu gewöhnen. Die Nebenwirkungen klingen jedoch nach wenigen Wochen der Therapie meistens ab. Für Betablocker und Primidon gilt, dass bei längerer Einnahme die Medikamente nicht abrupt abgesetzt werden dürfen.
Weitere Medikamente
Neben lipophilen Betablockern und Primidon finden sich gut kontrollierte Studien zu Gabapentin, Topiramat. Benzodiazepine wie Clonazepam (Rivotril) und Alprazolam sind systematisch untersucht worden. Ihr Einsatz ist durch das Abhängigkeitspotenzial limitiert. Daher stellen Benzodiazepine Medikamente der zweiten Wahl dar. Für den orthostatischen Tremor soll Clonazepam besonders effektiv sein. Clozapin (Leponex) ist ebenfalls in kleiner Dosierung wie beim Parkinson-Tremor mit Erfolg auch beim essenziellen Tremor eingesetzt worden, wenngleich weniger systematische Beobachtungen vorliegen. Der Einsatz ist wegen der Auflagen für dieses Präparat und dem Risiko von 1 % einer Agranulozytose nur in Ausnahmefällen zu rechtfertigen. Anticholinergika haben lediglich eine eingeschränkte Rolle bei der Behandlung des Ruhe- und dystonen Tremors (Kap. „Idiopathisches Parkinson-Syndrom (IPS)“ und Kap. „Idiopathische Dystonien“) (Zesiewicz et al. 2011).
Stereotaxie
Eine stereotaktische Therapie sollte erwogen werden, wenn alle anderen Therapieformen zu keiner Besserung einer beeinträchtigenden Symptomatik führen. Die tiefe Hirnstimuation (THS) ist gerade bei der häufig im Langzeitverlauf doch unbefriedigenden medikamentösen Therapie eine etablierte Alternative. In einer der ersten größeren kontrollierten Studien, in der 68 Tremor-Patienten entweder einer läsionellen Thalamotomie oder der VIM-THS randomisiert wurden, war die THS effektiver und mit weniger unerwünschten Ereignissen behaftet als die läsionelle Thalamotomie (Schuurman et al. 2000). Die Mitte der 2010er-Jahre eingeführte MRT-gestützte fokussierte Ultraschall-Thalamatomie ermöglicht ein ähnliches Ergebnis, ohne den Schädel über Bohrlöcher zu öffnen und entspricht vom Prinzip der klassischen läsionellen Stereotaxie, bei der das Zielgewebe durch Hitze koaguliert wird (Elias et al. 2016).
Facharztfragen
1.
Welche unterschiedlichen Tremorformen kennen Sie?
2.
Welche medikamentösen Therapien werden zur Behandlung des essenziellen Tremors angewendet?
Literatur
Bhatia KP, Bain P, Bajaj N et al (2018) Consensus Statement on the classification of tremors. From the task force on tremor of the International Parkinson and Movement Disorder Society. Mov Disord 33(1):75–87CrossRef
Deuschl G, Berg D (2018) Essenzieller tremor: state of the art. Nervenarzt 89:376–385CrossRef
Elias WJ, Lipsman N, Ondo WG, Ghanouni P, Kim YG, Lee W et al (2016) A randomized trial of focused ultrasound thalamotomy for essential tremor. N Engl J Med 375(8):730–739CrossRef
Hopfner F, Haubenberger D, Galpern WR, Gwinn K, Van’t Veer A, White S et al (2016) Knowledge gaps and research recommendations for essential tremor. Parkinsonism Relat Disord 33:27–35CrossRef
Schuurman PR, Bosch DA, Bossuyt PM et al (2000) A comparison of continuous thalamic stimulation and thalamotomy for suppression of severe tremor [comments]. N Engl J Med 342(7):461–418CrossRef
Zesiewicz TA, Elble RJ, Louis ED et al (2011) Evidence-based guideline update: treatment of essential tremor: report of the Quality Standards Subcommittee of the American Academy of Neurology. Neurology 77:1752–1755CrossRef