Metastatische
Gehirntumoren
entstehen durch hämatogene Streuung. Sie werden mit der zunehmenden Effizienz systemischer Tumortherapien häufiger und durch bessere Diagnostik auch öfters erkannt. Für bestimmte Histologien besteht ein ausgeprägter Tropismus; so metastasieren Bronchialkarzinome,
Mammakarzinome und maligne
Melanome häufig in das Gehirn,
Prostatakarzinome so gut wie nie. Diese Histologien sind, zusammen mit lymphoproliferativen Erkrankungen, die häufigsten Primärtumoren bei einer leptomeningealen Metastasierung.
Therapie und Prognose
Der Spontanverlauf der Hirnmetastasierung ist nach alleiniger histologischer Sicherung durch Resektion oder Biopsie in der Regel infaust mit Überlebenszeiten von wenigen Wochen. Mit einer intensiven multimodalen Behandlung kann der Krankheitsverlauf jedoch durchaus positiv beeinflusst werden, gerade dann, wenn die Hirnmetastasierung wenig ausgeprägt ist oder wenn die Molekulargenetik bei der histologischen Sicherung eine gezielte Therapie erlaubt. Insbesondere beim malignen
Melanom zeigt sich durch den Einsatz zielgerichteter Therapien wie den BRAF-Inhibitoren oder durch moderne Immuntherapeutika (
Checkpoint-Inhibitoren) eine sehr vielversprechende Entwicklung in den letzten 15 Jahren (Sloot et al.
2018). In einer Studie, die die Kombination aus einer konventionellen Chemotherapie (Fotemustin) mit einer modernen immunonkologischen Therapie (Ipilimumab) kombiniert untersucht hatte, konnte fast jeder dritte Patient 3 Jahre und länger überleben (Di Giacomo et al.
2015). Bei alleiniger Hirnmanifestation eines systemisch kontrollierten Tumors und nur einer
singulären oder
solitären Hirnmetastase kann durch Operation oder Strahlenchirurgie eine mehrjährige Überlebenszeit erreicht werden. Dabei bedeutet „singulär“, dass nur eine einzelne Hirnmetastase vorliegt und „solitär“, dass die einzelne Hirnmetastase die einzige Metastase im gesamten Organismus darstellt. In der Summe zeigt diese Entwicklung, dass ein therapeutischer Nihilismus bei Hirnmetastasen obsolet ist.
Das therapeutische Vorgehen richtet sich nach der Histologie des Ursprungstumors, dem Krankheitsstadium, dem Ausmaß des Hirnbefalls und nach weiteren prognostischen Faktoren wie Alter und klinischem Zustand, ausgedrückt als Karnofsky Performance Score (KPS). Die Radiation Therapy Oncology Group (RTOG) der USA hat, basierend auf Patienten, die eine Ganzhirnbestrahlung erhielten, mittels einer rekursiven Partitionsanalyse 3 Prognoseklassen definiert (Gaspar et al.
1997). So werden z. B. Patienten unter 65 Jahren, mit einem KPS ≥ 70 (also solche Patienten, die selbstständig sind) und einer kontrollierten systemischen Tumorerkrankung, in die Recursive-Partitioning-Analysis(RPA)-Klasse I eingruppiert. Bei diesen Patienten wurde eine mediane Überlebenszeit von mehr als 7 Monaten nachgewiesen, während Patienten, die in die Klasse III fielen (KPS < 70), weniger als 3 Monate überlebten. Bei der RPA-Klassifikation ist allerdings die Festlegung, ob die systemische Erkrankung kontrolliert ist, nicht ganz einfach. Ferner finden bei dieser Klassifikation die Histologie des Primärtumors sowie primärtumorspezifische Eigenschaften keine ausreichende Berücksichtigung. Bei einem neuen Score, dem sog. Graded Prognostic Assessment (
GPA), wird versucht dies besser zu berücksichtigen. Es werden primärtumorspezifische Indizes getrennt für z. B.
Melanom,
Mammakarzinom, Bronchialkarzinom etc. erstellt, die die Parameter Alter, KPS, Zahl der Hirnmetastasen und Präsenz von extrakraniellen Metastasen berücksichtigen. Beim Mammakarzinom wird darüber hinaus auch der Tumorsubtyp berücksichtigt (Sperduto et al.
2008,
2010,
2012). Patienten mit einem Mammakarzinom können z. B. je nach GPA-Score ein medianes Überleben von 3–25 Monaten haben. Das zeigt, dass die Prognose- und Therapieeinschätzung individuell und nicht pauschal getroffen werden muss.
Trotz der schwerwiegenden Bedeutung des Auftretens von Hirnmetastasen für den Verlauf einer Tumorerkrankung gibt es eine Vielzahl von Therapiemöglichkeiten, die jeweils individuell für den einzelnen Patienten angepasst werden müssen.
Die Mehrheit der Patienten hat multiple Hirnmetastasen, was von erheblichem Einfluss auf das therapeutische Vorgehen ist. Findet sich ein ausgedehntes Tumorleiden, muss das onkologische Konzept interdisziplinär koordiniert werden, wobei Patienten eine solch ungünstige Prognose haben können (s. oben), dass im Einzelfall auch nur noch eine symptomatische (palliative) Therapie diskutiert werden kann.
Grundsätzlich stehen folgende Therapieoptionen zur Verfügung, die in den meisten Fällen kombiniert zum Einsatz kommen: neurochirurgische Resektion, Radiochirurgie, fraktionierte
Strahlentherapie (z. B. lokal stereotaktisch oder Ganzhirn), medikamentöse Tumortherapie (z. B. Chemotherapie, Immuntherapie).
Lediglich im Hirnstamm oder in den Stammganglien wird man sehr zurückhaltend sein, wobei dort die Läsionen in der Regel schon symptomatisch werden, wenn sie sehr klein und somit ideal geeignet für eine Radiochirurgie (s. unten) sind. Bei zystischen oder sehr großen Metastasen soll nach Expertenkonsens nicht radiochirurgisch behandelt, sondern mikroneurochirurgisch reseziert werden. Auch bei den Tumoren, die eine ausgeprägte Ödemwirkung haben, ist eine Resektion wahrscheinlich den anderen Verfahren überlegen. Die Resektion sollte in toto erfolgen, da damit eine langfristige lokale Kontrolle erreicht werden kann. Allerdings ist die lokale Rezidivrate ohne Kombination mit einer
Strahlentherapie recht hoch. Auch Hirnmetastasen haben eine Invasionszone und sind mikroskopisch analog zu den
Gliomen wohl nicht komplett zu entfernen. Auch bei multipler Metastasierung kann es sinnvoll sein, eine große Läsion zu entfernen, um eine akute Bedrohung durch einen Masseneffekt zu beseitigen und dann Zeit für weitere Maßnahmen zu haben. Metastasen in der hinteren Schädelgrube stellen aufgrund des konsekutiven
Hydrozephalus eine oftmals notfallmäßige Indikation zur Resektion dar. Zur Beurteilung der Dringlichkeit müssen klinische Symptome und Bildgebung berücksichtigt werden. Nicht bei jeder Hirnmetastase der hinteren Schädelgrube besteht ein Notfall-OP-Indikation.
Nach Resektion einer singulären Hirnmetastase wurde früher grundsätzlich über eine anschließende Ganzhirnbestrahlung diskutiert, die theoretisch bei der zu befürchtenden „Mikrometastasierung“ in das Gehirn sinnvoll erschien. Mit dieser Rationale etablierte sich die Ganzhirnbestrahlung früher als Standardtherapie bei Patienten mit zerebralen Metastasen
. In einer randomisierten Studie war eine postoperative Ganzhirnbestrahlung in Bezug auf die Zielparameter „lokale Kontrolle“, „Prävention neuer zerebraler Metastasen“ und Verhinderung einer „neurologischen Todesursache“ auch signifikant einer alleinigen Resektion überlegen, das Gesamtüberleben der kombiniert behandelten Patienten wurde jedoch im Vergleich zu den nur operierten Patienten nicht verlängert (Patchell et al.
1998). Die Indikation zur
Strahlentherapie nach Komplettresektion singulärer und solitärer Metastasen ist aber heute eher obsolet und wird von vielen Zentren so nicht mehr durchgeführt: Bei langen Überlebenszeiten besteht das Risiko für neurotoxische Schäden, und es ist denkbar, dass der Aufschub der Ganzhirnbestrahlung bis zum Rezidiv Vorteile sowohl bezüglich Überlebenszeit als auch therapieassoziierter Morbidität hat.
Medikamentöse Tumortherapie
Die medikamentöse Tumortherapie gewinnt bei der Behandlung von Hirnmetastasen gerade im Zeitalter von zielgerichteten oder immunonkologischen Ansätzen eine zunehmend wichtigere Rolle. Grundsätzlich orientiert sich die medikamentöse Tumortherapie an der Histologie und dem molekularen Profil des Primärtumors. Allerdings gibt es zunehmend Hinweise, dass die Eigenschaften des Primärtumors nicht komplett denen der korrespondierenden Hirnmetastase entsprechen müssen und dass für die Therapie auch Interaktionen des Tumors mit der lokalspezifischen Umgebung relevant sein können (Valiente et al.
2018).
Die medikamentöse Tumortherapie kann in der Primärtherapie als alleinige Therapiemodalität oder in Kombination mit der Strahlen- und oder einer Chemotherapie eingesetzt werden. Von besonderem Interesse ist der Einsatz von molekularen zielgerichteten Therapien bei Nachweis der entsprechenden (genetischen) Veränderung im Tumor (z. B. Epidermal-growth-factor-receptor[EGFR]-Mutation und EML4-ALK-Translokation beim nichtkleinzelligen
Lungenkarzinom [NSCLC], Überexpression des HER2/neu-Rezeptors beim
Mammakarzinom, BRAF-Mutation beim
Melanom). Beim Mammakarzinom kann z. B. der EGFR/HER2-Inhibitor Lapatinib in Kombination mit einer Chemotherapie mit Capecitabin zu Ansprechraten von nicht vorbestrahlten Patienten von über 60 % führen (Bachelot et al.
2013). Beim nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) führte der EGFR-Hemmer Erlotinib in Kombination mit einer Ganzhirnbestrahlung zu Ansprechraten von über 80 % und zu einer medianen Überlebenszeit der Patienten mit Nachweis einer EGFR-Mutation von 19,1 Monaten im Vergleich zu 9,3 Monaten bei den Patienten ohne Mutationsnachweis. Erfolge sind mittlerweile auch bei der Behandlung von Melanomhirnmetastasen vorzuzeigen. Bei ca. 60 % kann eine sog. BRAF-Mutation nachgewiesen werden. Der Einsatz eines BRAF-Inhibitors, wie z. B. Dabrafenib zeigt sich hier sehr wirksam. Die Wirksamkeit wird durch die Kombination mit einem MEK-Inhibitor (z. B. Trametinib) noch gesteigert. Neuere Studiendaten zeigen hier Ansprechraten von 40–60 %, allerdings mit nur einer überschaubar langen Ansprechdauer von ca. 6–8 Monaten (Davies et al.
2017).
Leider kommen nur ca. 20 % der Tumoren für eine zielgerichtete Therapie in Frage, da der Großteil dieser nicht die entsprechenden Veränderungen vorweist.
Ein weiterer vielversprechender Ansatz ist die sog. Immuntherapie mittels
Checkpoint-Inhibitoren. Immun-Checkpoints regulieren die Stärke und Intensität einer Immunantwort und sollen z. B. auch vor Autoimmunreaktionen schützen. Tumorzellen machen sich dies z. T. zunutze, um einer Immunreaktion zu entgehen. Als Immuncheckpoint-Inhibitoren werden aktuell z. B.
Antikörper gegen CTLA-4 (Cytotoxic T-lymphocyte-associated protein 4; Antikörper Ipilimumab) oder PD-(L)1 (Programmed cell death protein 1/
ligand 1, Antikörper z. B. Nivolumab) eingesetzt. CTLA-4 ist u. a. auf der Zelloberfläche von T-Zellen und vermittelt ein hemmendes Signal. PD-1 wird z. B. von zytotoxischen T-Zellen exprimiert. Tumorzellen können den korrespondierenden Liganden PD-L1 exprimieren, der dann durch Bindung an PD-1 zu einer Hemmung der Immunantwort führen kann. Diese Interaktion kann durch die o. g. Antikörper beeinflusst werden und zu einer Intensivierung einer antitumoralen Immunantwort führen. In der Onkologie sind insbesondere beim
Melanom oder Bronchialkarzinom hervorragende Erfolge mit einer deutlichen Steigerung der Überlebenszeit erreicht worden. Es gibt nun auch bei Melanomhirnmetastasen hierzu bereits erste interessante Daten. So lebten noch ca. ein Viertel der Patienten nach Behandlung mit Ipilimumab 2 Jahre und länger. Die Kombination von Ipilimumab und Nivolumab zeigt bei Melanomhirnmetastasen erste interessante Ergebnisse mit Ansprechraten von ca. 40 % bei asymptomatischen und unbehandelten Patienten mit möglicherweise der Chance auf eine recht lange Ansprechdauer (Long et al.
2017).
Der Einsatz einer konventionellen Chemotherapie (z. B. in Kombination mit
Strahlentherapie) spielt bei vielen Hirnmetastasen im Rahmen des Gesamttherapiekonzepts immer noch eine Rolle. Gerade beim NSCLC gibt es erste Hinweise, dass eine Kombination mit einer Immuntherapie interessant sein könnte. Die Ansprechrate entspricht in einigen Studien der Ansprechrate bei anderen Organmetastasen. Für das kleinzellige Bronchialkarzinom, eigentlich ein strahlen- und chemosensibler Tumor, wurde allerdings aktuell ein geringeres Ansprechen der zerebralen Metastasen im Vergleich zur systemischen Metastasierung berichtet. Die Temozolomid-Chemotherapie bei Hirnmetastasen allein oder in Kombination mit Hirnbestrahlung konnte sich bei insgesamt enttäuschenden Studienergebnissen nicht etablieren.
Patienten mit Hirnmetastasierung beim
Keimzelltumor des Hodens sind
kurativ behandelbar, v. a. wenn die Hirnmetastasierung bereits bei Diagnosestellung vorliegt. Durch hoch dosierte platinhaltige Chemotherapie plus Bestrahlung sind mehr als 50 % der Patienten heilbar, bei Vorliegen eines Rezidivs von Hirnmetastasen nach vorheriger Chemotherapie ist die Prognose allerdings schlechter. Außerhalb kontrollierter Studien wird eine Chemotherapie v. a. bei Progression nach
Strahlentherapie eingesetzt.
Patienten mit systemischen
Lymphomen und einem sekundären ZNS-Befall haben durch eine intensive Chemotherapie mit hirngängigen Substanzen einschließlich der Hochdosischemotherapie mit Stammzelltransplantation die Chance auf eine Langzeitkontrolle und möglicherweise sogar Heilung (Fischer et al.
2011; Korfel et al.
2013). Die Prognose unter
Strahlentherapie oder intrathekaler Chemotherapie allein ist allerdings sehr ungünstig.
Facharztfragen
1.
Welche klinischen Bedingungen, wie z. B. das Lebensalter, bestimmen das Vorgehen bei zerebralen Metastasen?
2.
Nennen Sie den Unterschied von solitärer und singulärer Hirnmetastase.
3.
Welches sind die häufigsten Primärtumoren bei zerebralen Metastasen?
4.
Wie ist das Vorgehen bei Vorliegen einer neuen, metastasenverdächtigen Läsion bei einem bis dahin gesunden Betroffenen?