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Klinische Neurologie
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Publiziert am: 27.07.2017

Neuromuskuläre Biopsien bei HIV-Patienten

Verfasst von: Eva Neuen-Jacob
Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die für den klinisch tätigen Neurologen relevante neuromuskuläre Biopsiediagnostik bei HIV-Patienten. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Darstellung der Indikation und der Abgrenzung von entzündlichen versus therapie-assoziierten toxischen Myopathien und Neuropathien.

HIV-assoziierte neuromuskuläre Erkrankungen

Seit Einführung der antiretroviralen Kombinationstherapie (cART) 1996 ist die Inzidenz von Neuro-AIDS-Manifestationen deutlich zurückgegangen. Bei der cART werden Medikamente mit verschiedenem Wirkmechanismus kombiniert, um die Viruslast besser zu senken. Neben Substanzen aus der Gruppe der nukleosidanalogen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) werden Protease-Inhibitoren (PI) und/oder nicht-nukleosidanaloge Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) eingesetzt (Eggers et al. 2017). Zusätzlich stehen Entry-Inhibitoren und Integrase-Inhibitoren zur Verfügung. NRTIs können sowohl am Muskel als auch am Nerven eine mitochondriale Schädigung infolge einer Hemmung der mitochondrialen DNA-Polymerase γ auslösen. Dieser Effekt ist dosisabhängig und nach Dosisreduktion bzw. Umsetzen der Therapie prinzipiell reversibel.

Myopathien

Die cART-induzierte toxische Myopathie manifestiert sich klinisch durch eine Kombination aus Muskelschwäche und -atrophie, belastungsabhängige Myalgien und eine CK-Erhöhung. Diese Symptome sind nicht von denen einer HIV-assoziierten Polymyositis zu unterscheiden.
Bioptisch zeigt sich bei einer HIV-assoziierten Polymyositis – ebenso wie bei HIV-negativen Patienten – eine nekrotisierende Myositis mit endomysialen Infiltraten aus CD8-Zellen. Im Gegensatz dazu finden sich bei der cART-induzierten toxischen Myopathie Zeichen einer mitochondrialen Schädigung (Abb. 1) mit Ragged-red-Fasern (Abb. 1a), einem partiellen Mangel des mitochondrialen Enzyms Zytochrom-c-Oxidase (Abb. 1b) und ultrastrukturellem Nachweis von Mitochondrien mit pathologischen Cristaeformationen und/oder parakristallinen Einschlüssen (Abb. 1d). Meist ist gleichzeitig eine verstärkte Sarkoplasmaverfettung der Muskelfasern auffällig. Fakultativ kann eine zusätzliche entzündliche Komponente mit CD8-Zellen und einer Hochregulation von MHC-Klasse-I-Antigen auf den Muskelfasern nachweisbar sein (Abb. 1c). Die Diagnose kann nur histochemisch am unfixierten Muskelgewebe bzw. elektronenmikroskopisch gestellt werden, nicht aber am Paraffinschnitt.
Als weitere HIV-assoziierte Muskelveränderungen sind die – sehr seltene – HIV-assoziierte Nemalin-Myopathie, die durch den histologischen Nachweis von Nemalin-Körperchen definiert ist, sowie erregerbedingte Myositiden, z. B. mit Toxoplasma gondii oder Lymphommanifestationen zu nennen.

Neuropathien

HIV-assoziierte Polyneuropathien sind eine häufige Komplikation bei HIV-infizierten Patienten und können auch die Erstmanifestation darstellen (Hahn et al. 2010). Das Risiko für das Auftreten einer Neuropathie ist abhängig vom Stadium der Erkrankung und ist erhöht bei niedriger CD4-Zahl, hoher Viruslast und der vorherigen Applikation neurotoxischer Substanzen.
Die häufigste Neuropathieform ist eine distal-symmetrische schmerzhafte sensorische axonale Neuropathie, die zum einen direkt durch das HIV bedingt sein kann, aber auch als Nebenwirkung der cART entstehen kann. Beide Formen sind klinisch nicht voneinander zu unterscheiden.
Die Abgrenzung einer HIV-induzierten inflammatorischen Neuropathie von einer antiviral-toxischen Neuropathie ist klinisch von großer Bedeutung, da sich das therapeutische Vorgehen unterscheidet. Während eine HIV-induzierte Neuritis/Vaskulitis im Allgemeinen gut auf Steroide anspricht, ist bei der cART-induzierten toxischen Neuropathie ein Umsetzen der Medikation erforderlich. Die Suralisbiopsie spielt bei der Differenzialdiagnose eine entscheidende Rolle. Perivaskuläre entzündliche Infiltrate aus CD8-Zellen, die u. U. auf die Gefäßwand übergreifen, lassen eindeutig die Diagnose einer HIV-induzierten Neuritis bzw. Vaskulitis stellen.
Bei der antiviral-toxischen Neuropathie sind dagegen keine entzündlichen Infiltrate nachweisbar. Elektronenmikroskopisch lassen sich pathologische Mitochondrienveränderungen bzw. eine pathologische Lipidspeicherung in Axonen oder Schwann-Zellen detektieren.
Unter der cART können auch vorbestehende subklinische Neuropathien getriggert bzw. demaskiert werden oder exazerbieren, die möglicherweise erst in der Suralisbiopsie diagnostiziert werden können. Letztlich muss mit zunehmendem Alter der HIV-Patienten als Folge der besseren therapeutischen Möglichkeiten auch mit einer höheren Inzidenz von Neuropathien gerechnet werden.
Zusammenfassend ist bei unklaren Fällen einer schmerzhaften distalen sensorischen Neuropathie insbesondere bei fortgeschrittenen Stadien der HIV-Erkrankung aus neuropathologischer Sicht die Indikation zur Suralisbiopsie zu stellen, um eine antiviral-toxische Neuropathie von einer HIV-induzierten inflammatorischen Neuropathie bzw. einer HIV-unabhängigen hereditären oder metabolischen Neuropathie zu unterscheiden.

Facharztfragen

1.
Wie unterscheiden Sie morphologisch eine HIV-assoziierte Polymyositis von einer cART-induzierten toxischen Myopathie?
 
2.
Wann ist bei HIV-Patienten eine Nervenbiopsie indiziert?
 
Literatur
Eggers C, Arendt G, Hahn K, Husstedt I W, Maschke M, Neuen-Jacob E, Obermann M, Rosenkranz T, Schielke E, Straube E for the German Association of Neuro-AIDS and Neuro-Infectiology (DGNANI) (2017) HIV-1-associated neurocognitive disorder: epidemiology, pathogenesis, diagnosis, and treatment. J Neurol, Epub 31 May 2017. https://​doi.​org/​10.​1007/​s00415-017-8503-2
Hahn K, Husstedt I W, Arendt G, Deutsche Neuro-AIDS-Arbeitsgemeinschaft (DNAA) (2010) HIV-assoziierte Neuropathien. Nervenarzt 81:409–417CrossRefPubMed