Provozierte Anfälle sind definiert als
epileptische Anfälle, die an eine plausible anfallsauslösende Bedingung (endogene oder exogene Noxen, akute zerebrale Erkrankungen) geknüpft sind. Diese Bedingungen führen aber nur bei wenigen Menschen zu einem epileptischen Anfall, sodass bei der Realisierung von provozierten Anfällen von zusätzlichen genetischen Faktoren ausgegangen werden muss.
Provozierte Anfälle
sind
epileptische Anfälle, die nur bei bestimmten Gelegenheiten auftreten und deswegen nicht mit einer
Epilepsie gleichzusetzen sind. Sie werden durch exogene oder endogene Noxen oder akute zerebrale Erkrankungen provoziert. Die Noxen führen aber nur bei wenigen Menschen zu einem epileptischen Anfall, während bei der Mehrzahl keine Anfälle auftreten, sodass bei der Realisation von provozierten Anfällen von zusätzlichen, wahrscheinlich genetischen Faktoren ausgegangen werden muss (Beghi et al.
2010). In der neuen Klassifikation der Epilepsien der Internationalen Liga gegen Epilepsie von 2017 ist der Begriff „Gelegenheitsanfälle
“ nicht mehr vorgesehen (Scheffer et al.
2017). Trotzdem haben wir uns entschieden, dieses Kapitel beizubehalten, da in der klinischen Praxis bezüglich Diagnosestellung und therapeutischen Konsequenzen provozierte Anfälle im eben genannten Sinn keine unwesentliche Rolle spielen. Sie sind nicht identisch mit der Gruppe der akuten symptomatischen Anfälle, da sie auch Anfälle beinhalten, die durch unspezifische Faktoren ausgelöst werden wie z. B. ausgeprägter
Schlafentzug.
Phänomenologisch sind provozierte Anfälle überwiegend
generalisierte tonisch-klonische Anfälle, aber es können auch alle anderen Anfallsformen auftreten. Neben singulären Anfällen kann es auch zu Anfallsserien oder -status kommen. Die mit Abstand häufigsten provozierten Anfälle sind die praktisch ausschließlich im Kindesalter auftretenden
Fieberkrämpfe, im jungen Erwachsenenalter ist Alkoholentzug die häufigste Ursache für provozierte Anfälle, im höheren Lebensalter überwiegen akute zerebrovaskuläre Prozesse als Ursache. Insgesamt sind provozierte Anfälle häufig, etwa 10-mal häufiger als
Epilepsien.
Fieberkrämpfe
Unter
Fieberkrämpfen sind
epileptische Anfälle zu verstehen, die in der Kindheit zwischen dem 3. Lebensmonat und dem 5. Lebensjahr meist zu Beginn akuter fieberhafter Erkrankungen mit einem Temperaturanstieg auf mindestens 38,5 °C auftreten. Dabei sind differenzialdiagnostisch akute entzündliche Erkrankungen des ZNS als Ursache des Anfalls abzugrenzen, was gerade bei Säuglingen ggf. nur mittels
Lumbalpunktion möglich ist. Man unterscheidet zwischen einfachen und komplizierten Fieberkrämpfen, die sich in Bezug auf Manifestationsalter, Klinik,
EEG und Prognose voneinander unterscheiden. Obwohl Fieberkrämpfe selten nach dem 5. Lebensjahr auftreten, soll es nach dem Vorschlag zur revidierten Terminologie der epileptischen Anfälle und
Epilepsien kein Alterslimit für Fieberkrämpfe im Kindesalter mehr geben.
Pathophysiologisch handelt es sich um eine unspezifische Reaktionsform des unreifen oder auch geschädigten Gehirns auf den Provokationsfaktor
Fieber, wobei genetische Faktoren eine zusätzliche wichtige Rolle spielen. Bei etwa 25 % der Patienten finden sich auch in der Verwandtschaft
Fieberkrämpfe.
Provozierte Anfälle im Erwachsenenalter
Provozierte Anfälle im Erwachsenenalter können sich als primär generalisierte, sekundär generalisierte oder fokal bleibende Anfälle äußern. Bei Auftreten fokaler Anfälle ohne Bewusstseinsstörung (früher: einfach-fokale Anfälle) muss stets an eine lokalisierte Hirnschädigung gedacht werden. Meistens handelt es sich um einzelne Ereignisse, jedoch kommen auch Serien und Status vor. Alkoholentzug
ist der häufigste auslösende Mechanismus im jungen Erwachsenenalter. Dabei treten
generalisierte tonisch-klonische Anfälle bei Alkoholkarenz zwischen 24 und 48 h nach dem letzten Alkoholkonsum bei langjährigem Alkoholabusus auf. Aber auch einzelne Alkoholexzesse bei Patienten ohne chronischen Alkoholabusus können Anfälle provozieren. Auch ausgeprägter
Schlafentzug ist ein bekannter Auslöser von provozierten Anfällen in Form von generalisierten tonisch-klonischen Anfällen. Dabei ist der verantwortliche Mechanismus das exzessive Schlafdefizit und weniger die Verschiebung der Schlafzeit. Beachtet werden muss dabei aber die häufige Koinzidenz einer durch Schlafmangel induzierten Manifestation eines ersten tonisch-klonischen Anfalls bei idiopathischer Disposition zu
Epilepsie. Akute symptomatische Anfälle infolge einer ZNS-Schädigung können nur als provozierte Anfälle gerechnet werden, wenn sie innerhalb von 7 Tagen nach der akuten Schädigung auftreten (sog. Frühanfall
). Anfälle, die mehr als 7 Tage nach akuter ZNS-Schädigung auftreten, gelten als unprovozierte Anfälle (sog. Spätanfall
). Die Unterscheidung ist insofern wichtig, als das Rezidivrisiko und damit auch die Entwicklung zu einer Epilepsie unterschiedlich ist mit deutlich höherem Rezidivrisiko nach einem ersten „Spätanfall“ (Flügel
2013). Die folgende Übersicht zeigt eine Auswahl der wichtigsten anfallsprovozierenden Faktoren.
Facharztfragen
1.
Was versteht man unter einem provozierten Anfall?
2.
Was sind häufige Ursachen provozierter Anfälle?