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Klinische Neurologie
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Publiziert am: 26.04.2018

Zerebrale Ischämie: Pathophysiologie, Klassifikation, Epidemiologie und Risikofaktoren

Verfasst von: Christof Klötzsch und Joachim Röther
In den letzten Jahren haben sich die Möglichkeiten der Behandlung von Patienten mit ischämischen Schlaganfällen beträchtlich verbessert. Die therapeutischen Ansätze basieren auf grundsätzlichen Erkenntnissen zur zerebralen Perfusion und Autoregulation. Der Einsatz invasiver Behandlungsmethoden setzt voraus, dass der behandelnde Arzt mit der Interpretation von Infarktmustern in cCT/cMRT ebenso wie mit der Gefäßanatomie vertraut ist. Für die Wahl der effektivsten Sekundärprävention ist die korrekte differenzialätiologische Abklärung nach einem Schlaganfall von großer Bedeutung. Dazu gehört auch, dass dem behandelnden Arzt auch seltene Ursachen von Schlaganfällen bekannt sind. Die oben genannten Inhalte werden in diesem Kapitel ausführlich und auch anhand vieler Abbildungen vermittelt.
In den letzten Jahren haben sich die Möglichkeiten der Behandlung von Patienten mit ischämischen Schlaganfällen beträchtlich verbessert. Die therapeutischen Ansätze basieren auf grundsätzlichen Erkenntnissen zur zerebralen Perfusion und Autoregulation. Der Einsatz invasiver Behandlungsmethoden setzt voraus, dass der behandelnde Arzt mit der Interpretation von Infarktmustern in cCT/cMRT ebenso wie mit der Gefäßanatomie vertraut ist. Für die Wahl der effektivsten Sekundärprävention ist die korrekte differenzialätiologische Abklärung nach einem Schlaganfall von großer Bedeutung. Dazu gehört auch, dass dem behandelnden Arzt auch seltene Ursachen von Schlaganfällen bekannt sind. Die oben genannten Inhalte werden im nachfolgenden Kapitel ausführlich und auch anhand vieler Abbildungen vermittelt.
Physiologie und Pathophysiologie
Physiologie des Hirnstoffwechsels
Obwohl das menschliche Gehirn nur 2 % des Körpergewichts ausmacht, erhält es 15 % des Herzminutenvolumens und verbraucht 20 % des gesamten Sauerstoffbedarfs eines in Ruhe befindlichen Körpers. Die Energieversorgung wird nahezu ausschließlich durch Glukose gedeckt, dabei reicht der Energievorrat des Gehirns nur etwa eine Minute aus. Die Abhängigkeit des Gehirns von einer kontinuierlichen Versorgung mit Sauerstoff und Energieträgern erklärt das Auftreten von neurologischen Funktionsstörungen schon wenige Sekunden nach Auftreten einer zerebralen Ischämie (Dirnagl et al. 1999; Hossmann 1994).
Der Erhaltungsumsatz beschreibt den minimalen Energiebedarf der Hirnzelle, der notwendig ist, um ihre Zellstrukturen zu erhalten; wird er unterschritten, stirbt die Zelle ab. Der Energiebedarf, der notwendig ist, um eine vollständige Aufrechterhaltung der Funktionsbereitschaft zu ermöglichen, wird als Bereitschaftsumsatz bezeichnet. Der Tätigkeitsumsatz entspricht dem Energiebedarf einer aktiven Zelle (Abb. 1).
Im Ruhezustand verbraucht das Gehirn in einer Minute 3,35 ml Sauerstoff/100 g Hirngewebe. Der Hauptenergielieferant Glukose wird zu 90 % aerob verstoffwechselt, während 10 % anaerob zu Pyruvat abgebaut werden. In nur ganz geringem Maße und fast ausschließlich unter pathologischen Umständen werden Ketonkörper und Aminosäuren verstoffwechselt. Die Blut-Hirn-Schranke verhindert die Diffusion der zumeist hydrophilen in der Blutbahn zirkulierenden Substanzen. Sauerstoff und Kohlendioxid diffundieren, Glukose und Aminosäuren werden über Carriersysteme eingeschleust, während das Ionenmilieu durch energieabhängige Pumpensysteme aufrechterhalten wird. Die Kaliumkonzentration ist in der Hirnzelle 20- bis 40-mal höher als im Extrazellularraum, während die Natriumkonzentration 5- bis 15-mal niedriger in der Hirnzelle ist. Ebenfalls von großer Bedeutung ist die Kalziumkonzentration in der Zelle, die direkt steigernd auf die Bildung von Adenosintriphosphat (ATP) wirkt. Kalzium aktiviert aber auch die Phospholipase A, die über einen Abbau der Zellmembran zu einer Freisetzung von Arachidonsäure und damit auch Prostaglandinen und Leukotrienen führt. Deren Katabolismus führt zur Bildung freier Radikale. Eine intakte Zelle kann über eine Steuerung der Kalziumkonzentration und die Bildung von Radikalfängern diesen Mechanismen ausreichend entgegenwirken (Siesjö und Bengtsson 1989).
Hirndurchblutung
Die Hirndurchblutung wird durch den zerebralen Perfusionsdruck bestimmt, der sich aus der Differenz von arteriellem Mitteldruck in den Hirnarterien und der Summe von intrakraniellem und venösem Druck ergibt. Obere Einflussstauung, Valsalva-Manöver und Thrombosen der Hirnvenen erhöhen den normalerweise niedrigen Venendruck (2 mmHg). Der intrakranielle Druck (0–10 mmHg) wird durch intrakranielle Raumforderungen oder die Ausbildung eines Ödems erhöht. Arterien mit einem Durchmesser über 100 μm bestimmen 30 % des Perfusionswiderstandes, 40 % werden von Arteriolen mit einem Durchmesser von 40–100 μm verursacht. Eine weitere Einflussgröße ist die Blutviskosität, die normalerweise in größeren Gefäßen niedrig ist und in kleinen Gefäßen durch Erythrozytenaggregation stark zunehmen kann.
Autoregulation der Hirndurchblutung
Die Hirndurchblutung kann bei einem arteriellen Mitteldruck von 50–150 mmHg durch Vasodilatation bzw. -konstriktion konstant gehalten werden. Außerhalb dieser Grenzen, aber auch in Ischämiebezirken, geht diese autoregulatorische Fähigkeit verloren, und die Durchblutung folgt passiv dem Blutdruck. Unter physiologischen Bedingungen ist die Hirndurchblutung eng an den Stoffwechsel des Gehirns gekoppelt.
Innerhalb eines Kohlendioxidpartialdruck(pCO2)-Bereiches von 25–60 mmHg wird die Hirndurchblutung der Kohlendioxidkonzentration angepasst. Hypokapnie verursacht eine Vasokonstriktion, während Hyperkapnie zur Vasodilatation führt. Eine Erhöhung des pCO2 um 1 mmHg führt zu einer 4 %igen Durchblutungssteigerung (Abb. 2). Diese Änderung des Gefäßdurchmessers ist aber auch abhängig vom arteriellen Mitteldruck. So ist z. B. bei arterieller Hypotonie mit entsprechender Vasodilatation die CO2-Reaktivität eingeschränkt oder sogar aufgehoben.
Ein Absinken des pO2 unter 50 mmHg führt durch Auslösung einer Azidose zu einer Durchblutungssteigerung; unter physiologischen Bedingungen hat der pO2 jedoch einen zu vernachlässigenden Einfluss auf die Hirndurchblutung.
Hirnischämie
Die globale Hirnischämie durch Schockzustand, Herzstillstand oder Asphyxie muss von der fokalen Hirnischämie unterschieden werden, bei der durch einen akuten Gefäßverschluss oder eine Minderdurchblutung durch eine vorgeschaltete Gefäßstenose bei gleichzeitiger Hypotonie eine Gewebeischämie ausgelöst wird. Eine Reduktion der Hirndurchblutung von dem normalen Niveau von 50–60 ml/100 g Gewebe/min auf 20 ml/100 g/min kann noch folgenlos toleriert werden, eine Unterschreitung dieser Schwelle führt zu Funktionsstörungen, die aber nach Normalisierung der Durchblutung reversibel sind. Im Falle einer Durchblutung von weniger als 8–10 ml/100 g/min tritt eine anoxische Zelldepolarisation und nachfolgende Infarzierung auf.
In Abhängigkeit von der kollateralen Blutversorgung kommt es im Infarktbereich zur Ausbildung eines zu den Randzonen ansteigenden Durchblutungsgradienten. Während im Kernbereich das Gewebe untergeht, sind die Randzonen (Penumbra) nur in ihrer Funktion gestört und können sich bei einer Verbesserung der Durchblutung noch nach Stunden wieder erholen. Elektrophysiologisch ist die Penumbra als das Gewebe definiert, dessen Funktionsstoffwechsel erloschen ist (keine SEP erhältlich), während der Strukturstoffwechsel noch intakt ist, d. h. es ist noch nicht zu einer ischämischen Depolarisation mit einem Membranversagen gekommen. Der Schwellenwert der zerebralen Durchblutung liegt dabei um 20 ml/100 g/min (Hossmann et al. 1994).
Die Penumbra ist das Ziel therapeutischer Bemühungen, da das Gewebe zwar ischämisch, aber noch vor dem irreversiblen Gewebeuntergang zu retten ist („tissue-at-risk-of-infarction“). In der Penumbra sind die Blutgefäße maximal dilatiert und können auf Änderungen des Zellmilieus, z. B. einen pCO2-Anstieg, nicht mehr reagieren (Vasoparalyse). Die Adhäsion von Leukozyten in den Kapillaren, die ein ischämisches Gewebeareal versorgen, ist für eine unvollständige Reperfusion mit verantwortlich. Dauert die Ischämie in der Penumbra so lange an, dass die Ionenpumpen versagen (Membranversagen), so kommt es zum Einstrom von NaCl, Wasser und Kalzium in die Zelle, wobei die überhöhte Kalziumkonzentration zur übermäßigen Freisetzung von exzitatorischen Neurotransmittern führt und damit durch eine Ankurbelung des Zellstoffwechsels den Energieverbrauch der ischämischen Zellverbände noch erhöht und letztlich den Zelltod mit bedingt (Endres und Dirnagl 2002).
Ischämisches Hirnödem
Das Versagen der Membranpumpen bei der Ischämie ist dafür verantwortlich, dass Wasser entsprechend einem osmotischen Gradienten von extrazellulär einströmt und sich ein intrazelluläres, zytotoxisches Ödem entwickelt. Bei länger bestehender Ischämie kommt es durch eine Schädigung der Blut-Hirn-Schranke zu einem vasogenen Ödem. Dabei strömt freies Wasser zusammen mit Plasmabestandteilen aus der Blutbahn in den Extrazellulärraum. Die Nettowasseraufnahme des ischämischen Hirngewebes mit Ausbildung des vasogenen Ödems stellt sich im CT dichtegemindert dar. Ein großes ischämisches Hirnödem kann aufgrund der raumfordernden Wirkung zu einer Kompression der Liquorräume führen und kann durch die begleitende intrakranielle Druckerhöhung zusätzlich die Durchblutung in der Penumbra verschlechtern.
Nachweis der zerebralen Ischämie und des Hirninfarkts
In der CT kann ein Hirninfarkt bereits 2 Stunden nach Symptombeginn mit Ischämiefrühzeichen wie verwaschener Stammganglienstruktur, abgeblasstem Kopf des Linsenkerns oder aufgehobener kortikaler oder insulärer Rinden-Mark-Grenze nachweisbar sein. Im hinteren Kreislauf sind Hirnstamminfarkte oftmals aufgrund von Artefakten nicht sicher oder erst nach 24 Stunden abzugrenzen (Kummer et al. 1996). Größere Infarzierungen führen schon nach wenigen Stunden zu einer deutlichen Dichteminderung des Gewebes aufgrund der Nettowasserzunahme im ischämischen Hirngewebe. Bei 50 % der Patienten mit embolischem Verschluss des Mediahauptstammes ist der Thrombus im Nativ-CT primär als hyperdense Struktur nachweisbar. Das hyperdense Mediazeichen („dense MCA sign“) stellt einen wenig sensitiven, aber hoch spezifischen Hinweis auf einen Gefäßverschluss dar.
Eine genaue Bestimmung der Infarktgröße ist meist nach 24 Stunden möglich. Das zytotoxische Ödem erreicht allerdings erst nach 4–5 Tagen seine maximale Ausprägung und kann bei ausgedehnten supratentoriellen Infarkten zur Kompression der Ventrikel und zur Mittellinienverlagerung bis hin zur Einklemmung führen, sodass man von einem „malignen Mediainfarkt“ spricht (Abb. 3).
Nach 3–5 Tagen zeigt sich eine etwa 2 Wochen nachweisbare Kontrastmittelaufnahme in den Randbezirken des Infarktes. Dieses Phänomen ist besonders zwischen dem 10. und 20. Tag nach dem Infarkt von Bedeutung, da in diesem Zeitraum das Ischämieareal durch Reparationsvorgänge, Ödembildung und Hyperperfusion im Nativ-CT isodens erscheinen kann (Fogging-Effekt). Eine sekundäre hämorrhagische Transformation des Infarktareals tritt bei bis zu 40 % der Hirninfarkte auf, ohne dass es jedoch dadurch zu einer bleibenden Verschlechterung des neurologischen Bildes kommt. Dieses Phänomen deutet auf eine Reperfusion eines größeren intrakraniellen Gefäßes hin. Oftmals handelt es sich dabei um den M1-Abschnitt der A. cerebri media und die hämorrhagische Transformation eines Linsenkerninfarktes. Kolliquationsnekrosen führen 4–6 Wochen später zu einer computertomografisch scharfen Demarkierung des Infarktareals (Abb. 4).
Mit der Einführung der MRT haben sich zusätzliche technische Möglichkeiten ergeben, das Ausmaß einer zerebralen Ischämie frühzeitig zu diagnostizieren. Mithilfe der intravenösen Gabe eines Kontrastmittel(KM)-Bolus (Perfusions-MRT) können minderperfundierte Areale schon unmittelbar nach dem Gefäßverschluss dargestellt werden. Diffusionsgewichtete MRT-Untersuchungen ermöglichen die frühzeitige Darstellung ischämischen Gewebes. Diese Methode macht sich die verminderte Wasserdiffusion im extrazellulären Raum aufgrund der Wasserverschiebung von extra- nach intrazellulär im Rahmen der ischämischen Zelldepolarisation zu Nutze, sodass sich ischämisches Hirngewebe bereits nach kurzer Zeit (weniger als 30 Minuten) hyperintens darstellt. Die Differenz zwischen Hirngewebe mit einer Perfusions- und einer Diffusionsstörung (Mismatch) zeigt die Penumbra an (Röther et al. 1999; Thomalla et al. 2009) (für weitere Details zur zerebralen Bildgebung Kap. „Diagnostische Neuroradiologie“).
Klassifikation
Entsprechend der herkömmlichen Definition handelt es sich bei der transitorischen ischämischen Attacke (TIA) um ein ischämisch bedingtes neurologisches Defizit, das sich innerhalb von 24 Stunden zurückbildet. Häufig dauern die Attacken nur 1–2 Minuten, die Hälfte der TIA dauert weniger als 30 Minuten. Nur 10 % der Attacken dauern länger als 6 Stunden. Die herkömmliche Definition der TIA ist nicht unumstritten, da bildgebende Verfahren zeigen, dass bei etwa der Hälfte der Patienten mit einer klinisch flüchtigen Ischämie kleine Infarkte nachgewiesen werden. Eine „gewebebasierte“ Definition verzichtet daher auf ein Zeitfenster und charakterisiert die TIA als eine transiente Episode einer neurologischen Funktionsstörung, die durch eine fokale Ischämie des Gehirns, des Rückenmarks oder der Retina bedingt ist und nicht zu einer Infarzierung geführt hat (Easton et al. 2009).
Wichtig ist die Erkenntnis, dass Patienten nach einer TIA ein hohes Risiko für einen Schlaganfall mit einem persistierenden neurologischen Defizit aufweisen und daher umgehend auf einer Stroke Unit überwacht und diagnostiziert werden sollten.
In Einzelfällen kann die klinische Symptomatik fluktuieren oder über mehrere Stunden zunehmen, ohne dass in den bildgebenden Verfahren schon eine ischämische Läsion nachweisbar ist (progredienter Infarkt). Verantwortlich für einen solchen Verlauf können eine primär hämodynamische Ursache der Ischämie, ein „capsular warning syndrome“ durch rezidivierenden Verschluss einer funktionellen Endarterie oder starke Blutdruckschwankungen nach embolisch bedingter Ischämie sein.
Es wird eine Klassifikation bevorzugt, die sich an ätiopathogenetischen Gesichtspunkten orientiert und lakunäre Infarkte von makroangiopathisch oder kardial-embolisch verursachten Ischämien im vorderen bzw. hinteren Stromgebiet unterscheidet (Abb. 5; Adams et al. 1993; Amarenco et al. 2009).
Häufigkeit und Vorkommen
Zerebrovaskuläre Erkrankungen stellen nach kardialen und bösartigen Erkrankungen die dritthäufigste Krankheitsgruppe dar und stehen an dritter Stelle der Todesursachenstatistik. Die totale und altersbezogene Prävalenz zerebrovaskulärer Erkrankungen wird in Tab. 1 aufgelistet.
Tab. 1
Prävalenz zerebrovaskulärer Erkrankungen. (Nach Baum 1981)
Altersgruppen
Häufigkeit
Total
794/100.000
Unter 45 Jahre
71/100.000
Zwischen 45 und 64 Jahren
1067/100.000
Über 65 Jahre
5411/100.000
Die Inzidenz von Hirninfarkten beträgt 150–250/100.000 Einwohner im Jahr. Jede vierte Erkrankung stellt dabei ein Rezidiv dar. Die Mortalität durch zerebrovaskuläre Erkrankungen beträgt in Deutschland etwa 110/100.000 Einwohner (Feigin et al. 2009; Kolominsky-Rabas et al. 1998).
Risikofaktoren
Unter den für einen Hirninfarkt prädisponierenden Faktoren dominieren arterielle Hypertonie und Diabetes mellitus als Gefäßrisikofaktoren sowie kardiale Emboliequellen. Weitere wichtige Gefäßrisikofaktoren (siehe Kap. „Schlaganfall: Differenzialdiagnostische Übersicht“) sind die Hyperlipidämie, der Nikotinabusus, das Übergewicht und der Bewegungsmangel. Ihre Bedeutung für die Atherosklerose und die Morbidität und Mortalität kardio- und zerebrovaskulärer Erkrankungen sind gut belegt. Große Studien zeigen einen Effekt der Lipidsenkung mittels Statinen auf die Reduktion von Myokardinfarkt und Rezidivschlaganfall. Andere Faktoren wie z. B. die Hyperhomocysteinämie gelten zwar als Risikofaktoren für die Atherosklerose und Schlaganfälle, randomisierte Studien mit Substitution von Folsäure und Vitamin B6 und B12 führten jedoch nicht zu einer Reduktion der Schlaganfallrate.
Wichtig ist, dass die Kombination mehrerer Risikofaktoren zu einer Risikopotenzierung führt.
Die beim Myokardinfarkt nachgewiesene enge Korrelation mit den Faktoren Diabetes mellitus, Hyperlipidämie und Nikotinabusus findet sich bei den Hirninfarkten weniger eindeutig wieder, was vor allem mit den unterschiedlichen Ursachen des Schlaganfalls zusammenhängt. So sind die Risikofaktoren Hypertonus und Diabetes mellitus bei der Makro- und Mikroangiopathie häufiger anzutreffen als beim kardioemboligenen Schlaganfall (Grau et al. 2001).
Bei der zerebralen Mikroangiopathie führen die chronische arterielle Hypertonie bzw. der schlecht eingestellte Diabetes mellitus zu einer Lipohyalinose der Arteriolen und sehr kleinen Arterien. Diese Veränderungen betreffen häufig die das Marklager versorgenden penetrierenden Endarterien und lösen u. a. lakunäre Infarkte aus.
Im Bereich der Karotisbifurkationen sind arteriosklerotische Veränderungen wesentlich häufiger zu beobachten als an den Vertebralarterien und den intrakraniellen Hirngefäßen (Abb. 6). Es wird vermutet, dass die Gefäßgeometrie und die vermehrte Volumenbelastung der Karotiden dafür verantwortlich sind. Während sich bei Männern schon ab der 4.–5. Lebensdekade arteriosklerotische Veränderungen entwickeln, tritt dies bei Frauen in der Regel erst ab der 6. Lebensdekade deutlich in Erscheinung. Sonografische Verlaufsuntersuchungen von arteriosklerotischen Veränderungen haben in 20 % der Fälle auch spontane Regressionen gezeigt, deren Ursache und Bedeutung aber weiter unklar ist.
Dilatative Arteriopathie
Dilatative Gefäßprozesse können sich spontan oder aber unter der Einwirkung einer chronischen arteriellen Hypertonie entwickeln und sowohl zu langstreckigen Erweiterungen des Gefäßquerschnitts als auch zu einem elongierten Verlauf führen. Gefäßelongationen im Sinne von Knick- (Kinking) oder Schlingenbildung (Coiling) werden im extrakraniellen Verlauf der A. carotis interna nicht selten beobachtet und sind nicht mit einem erhöhten Infarktrisiko verbunden. Dilatative Gefäßprozesse der A. basilaris (Megadolichobasilaris) können hingegen symptomatisch werden, da langsame Flussgeschwindigkeiten die Bildung wandständiger Thromben begünstigen. Diese können zum Verschluss von Rami ad pontem und damit zu einem paramedianen Ponsinfarkt führen.
Prognostische Faktoren
Nach einer TIA besteht innerhalb der folgenden 3 Monate ein Risiko von 10 % für das Auftreten eines Hirninfarktes. Dieses Risiko wird durch die Ursachenabklärung mit rascher Einleitung einer Sekundärprophylaxe auf 2 % gesenkt (Luengo-Fernandez et al. 2009). Nach einer Amaurosis fugax auf dem Boden einer hochgradigen Karotisstenose erhöht sich das Risiko eines nachfolgenden ipsilateralen Infarktes auf 16 %/2 Jahre. Während das Schlaganfallrisiko einer symptomatischen, hochgradigen, über 70 %igen Karotisstenose 24 % innerhalb der ersten beiden Jahre nach dem Ereignis beträgt und daher möglichst umgehend, spätestens aber innerhalb von 2 Wochen operiert oder gestentet werden sollte, liegt das Risiko der asymptomatischen Karotisstenosen deutlich niedriger. Die mittlere jährliche Schlaganfallrate liegt in prospektiven Studien bei 1,4 %, in aktuellen Studien unter konsequenter Sekundärprävention sogar bei unter 0,4 %. Gleichzeitig ist die Gesamtmortalität durch begleitende kardiale Erkrankungen auf bis zu 7 % pro Jahr erhöht. Auch bei Berücksichtigung spezialisierter gefäßchirurgischer Zentren liegt diese niedrige spontane Schlaganfallrate unter der perioperativen Morbidität und Letalität karotischirurgischer Eingriffe. Die Indikation zur Rekanalisation einer asymptomatischen Karotisstenose sollte daher zurückhaltend gestellt werden. Änderungen in der Behandlungsstrategie asymptomatischer Gefäßprozesse ergeben sich aus dem Auftreten von zerebralen oder retinalen Ischämien oder einer raschen Progredienz der Stenose mit einer hämodynamischen Relevanz.

Facharztfragen

1.
Was versteht man unter der ischämischen Kaskade?
 
2.
Was sind die typischen Frühzeichen einer zerebralen Ischämie im Nativ-CT?
 
3.
Was versteht man unter dem Mismatch-Konzept in Bezug auf die akute Schlaganfallbildgebung mittels MRT?
 
4.
Nennen Sie die Risikofaktoren für einen Hirninfarkt und ihre Bedeutung.
 
Literatur
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