Für zahlreiche antineoplastisch wirksame Substanzen sind allergische Reaktionen
in unterschiedlicher Häufigkeit und Ausprägung beschrieben worden. Grundsätzlich können die Wirkstoff- oder Hilfsstoff-induzierten Überempfindlichkeitsreaktionen
in 4 Typen eingeteilt werden, wobei insbesondere der Typ-I-Reaktion mit der Folgekomplikation einer
Anaphylaxie eine besondere Bedeutung in der Akutbehandlung zukommt. Allerdings sind für die wenigsten Medikamente die exakten Pathomechanismen und zugrunde liegenden immunologischen Abläufe bisher exakt beschrieben worden.
Die potenziellen Überempfindlichkeitsreaktionen der einzelnen Zytostatika
weisen erhebliche quantitative und qualitative Unterschiede auf. Tab.
1 fasst die Substanzen zusammen, bei denen bisher am häufigsten Hypersensitivitätsreaktionen
(HSR) beschrieben wurden, wie z. B. L-Asparaginase, die Taxane, Bendamustin, Etoposid, Platin-Verbindungen und Melphalan. So ist beispielsweise beim Carboplatin, dem in der Behandlung des
Ovarialkarzinoms eine zentrale Bedeutung zukommt, bei ca. 27 % der behandelten Patientinnen mit einer Überempfindlichkeitsreaktion zu rechnen. Bei der Hälfte der Betroffenen treten die HSR trotz einer Prämedikation mit Dexamethason und einem H1-Antihistaminikum nach dem 6. oder 8. Therapiezyklus auf. Man geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass im Laufe der Platinexposition Addukte im Körper gebildet werden, die eine IgE-vermittelte HSR in Gang setzen.
Tab. 1
Inzidenz, Prävention und Management von schwereren Überempfindlichkeitsreaktionen (HSR), die in Verbindung mit verschiedenen Zytostatika und L-Asparaginase-Zubereitungen auftreten können
Bleomycin | Interkalator | <1 | Keine | Geißelerytheme sind eine spezifische Reaktion auf Bleomycin – unabhängig von der Dosis und dem behandelten Tumor |
Procarbazin | Alkylans | <2 | Steroid, H1-Antihistaminikum | Treten dennoch HSR auf, ist von einer weiteren Therapie abzusehen; Unverträglichkeiten sind auch in Verbindung mit tyraminreicher Nahrung zu erwarten (Cheese-Effekt) |
Carboplatin | Platin-Verbindung | 5–8 | Steroid, NK1-Antagonist, 5-HT3-Antagonist | Teilweise Desensibilisierungsprotokolle im Einsatz |
Cisplatin | Platin-Verbindung | <1 | Steroid, NK1-Antagonist, 5-HT3-Antagonist | Überempfindlichkeitsreaktionen schon ab dem 2. Zyklus sind selten |
Oxaliplatin | Platin-Verbindung | <1 | Steroid, NK1-Antagonist, 5-HT3-Antagonist | Akute Dyspnoe ist Ausdruck einer akuten, oft kältegetriggerten Neuropathie |
L-Asparaginase, Erwinase, PEG-Asparaginase | Fremdprotein | <10 | | Bei einer HSR: Wechsel auf andere Asparaginase-Zubereitung und intensivierte Prämedikation |
Paclitaxel | Taxan (zzgl. Lösungsvermittler Cremophor EL) | <4 | Steroid, NK1-Antagonist, 5-HT3-Antagonist | Nab-Paclitaxel enthält keine Anteile des allergisierenden Cremophor EL; Kreuzreaktionen mit Docetaxel selten, aber möglich |
Docetaxel | Taxan (zzgl. Lösungsvermittler Polysorbat 80) | <2 | Steroid, NK1-Antagonist, 5-HT3-Antagonist | Nab-Paclitaxel enthält keine Anteile des allergisierenden Polysorbat 80 |
Cabazitaxel | Taxan (zzgl. Lösungsvermittler Polysorbat 80) | Sehr gering | Steroid, NK1-Antagonist, 5-HT3-Antagonist | In 2 großen Studien beim Prostatakarzinom wurde durch diese Prämedikation keine schwerwiegende HSR beobachtet |
Etoposid | Podophyllotoxin (zzgl. Lösungsvermittler Polysorbat 80) | <1 | Steroid, 5-HT3-Antagonist | Evtl. intensivierte Prämedikation, langsamere Infusionsrate; Alternative: Etoposidphosphat |
Melphalan | Alkylans (N-Lost-Derivat) | Gelegentlich | Steroid, 5-HT3-Antagonist (bei intensivierten Therapien) | Teilweise sind Desensibilisierungsprotokolle beschrieben |
Bendamustin | Alkylans (N-Lost-Derivat und Antimetabolit) | | Steroid, 5-HT3-Antagonist | Exantheme und arzneimittelinduziertes Fieber möglich |
Bei den
Taxanen ist zu beachten, dass wahrscheinlich 3 Mechanismen für das Auftreten von Überempfindlichkeitsreaktionen verantwortlich sind:
-
Direkte Histaminfreisetzung aus den Basophilen
-
IgE/IgG-vermittelte Reaktion
-
Komplementaktivierung über die relativ hochmolekularen Lösungsvermittler Cremophor EL (Paclitaxel) oder Polysorbat 80 (Docetaxel, Cabazitaxel)
Da im
nab-Paclitaxel keine Lösungsvermittler enthalten sind, ist mit dieser Formulierung die geringste HSR-Rate zu erwarten. Teilweise wurde bei einer HSR auf eine konventionelle Formulierung mit Erfolg auf nab-Paclitaxel gewechselt, allerdings sind auch Fälle einer Kreuzallergie bekannt, da die HSR auch auf der Taxanstruktur und nicht allein auf der Art des verwendeten Lösungsmittels beruht.
Im Rahmen einer allergischen Reaktion treten üblicherweise innerhalb weniger Minuten nach Infusionsbeginn Juckreiz und Hautausschläge auf, teilweise kommt es zu Tachykardien, Fließschnupfen, Schwellungen im Gesicht, Blutdruckveränderungen bis hin zu Atemnot. Kommt es zu entsprechenden Symptomen, ist ein sofortiger Infusionsstopp angezeigt. Weitergehende Maßnahmen sehen den Einsatz von Flüssigkeit (z. B. 500 ml Vollelektrolytlösung innerhalb von 5 min), H1- und H2-Antihistaminika,
Glukokortikoiden und Epinephrin (z. B. 0,5 mg
Adrenalin in 0,5 ml) vor. Eine Reexposition mit z. B. Carboplatin (oder Cisplatin) bei bekannter HSR gegen Platin-Verbindungen ist unter solchen Vorzeichen sehr kritisch zu sehen. Einige Zentren verfügen allerdings über Erfahrungen mit Desensibilisierungsprotokollen, in denen zunächst mehrere Carboplatin-Dosen in sehr geringer Konzentration (ca. 1:10.000) verabreicht werden. Tatsächlich konnte nach Abschluss dieses Verfahrens wieder mit den regulären Zyklen begonnen werden.
Bei der Applikation von
Fremdproteinen (z. B. Asparaginase) können im Laufe der Therapie
Antikörper gegen das Fremdprotein gebildet werden, die ihrerseits Typ-I-Reaktionen bei wiederholter Applikation zur Folge haben.
Eine besondere Form der HSR ist in diesem Zusammenhang beim Cetuximab zu beachten. Da in der variablen Region des chimären Antikörpers das Oligosaccharid Galactose-α-1,3-Galactose als Strukturelement vorhanden ist, kann es bei Patienten, die einen Zeckenbiss in der Anamnese aufweisen und dadurch gegen Galactose-α-1,3-Galactose sensibilisiert sind, selbst bei der ersten Infusion mit Cetuximab zu schweren HSR kommen. Da üblicherweise nicht auf eine entsprechende Prädisposition getestet wird, ist die Anamneseerhebung sehr wichtig und vor allem bei der ersten Gabe auf eine möglichst langsame Infusionsgeschwindigkeit zu achten.
Infusionen mit monoklonalen
Antikörpern (MAB) führen relativ häufig zu
infusionsassoziierten Reaktionen („infusion-related reactions“, IRR). Sie sind allerdings typischerweise nicht wie bei einer allergischen Reaktion mit einer unmittelbaren Histaminfreisetzung verbunden, da nach der Bindung des MAB an ein
Antigen auf der Zielzelle in der Regel
Zytokine (
Chemokine) freigesetzt werden, die wiederum andere Immuneffektorzellen heranführen sollen.
Kommt es darüber hinaus zu einer Zytolyse bzw. Phagozytose der betroffenen Zelle, ist je nach Tumormasse mit einer teilweise beträchtlichen Freisetzung an bestimmten
Zytokinen zu rechnen (z. B.
Interleukine, Interferone, Tumornekrosefaktor).
Die damit verbundene Symptomatik weist zwar Ähnlichkeiten zur Typ-I-HSR auf, jedoch schwächen sich die Symptome in den Folgezyklen üblicherweise ab, da die Tumorlast reduziert wird. Unter diesen Vorzeichen ist leicht nachvollziehbar, dass eine bestmögliche Prämedikation insbesondere vor dem ersten Therapiezyklus zu berücksichtigen ist und die erste Infusion (z. B. Daratumumab über 6–7 Stunden) besonders langsam erfolgen muss. Am Beispiel des Rituximab wurde wiederum deutlich, dass die Folgeapplikationen deutlich schneller erfolgen können (z. B. Infusionsdauer über 90 min). Alternativ ist indikationsabhängig sogar eine subkutane Applikation des Antikörpers möglich.
Auf der Basis verschiedener Erfahrungswerte sind substanzabhängig mehr oder weniger umfangreiche
Prämedikationsregime festgeschrieben worden (Tab.
2). Üblicherweise sind in diesem Zusammenhang Dexamethason,
Paracetamol und ein H1-Antihistaminikum im Einsatz. Interessanterweise wird beim Daratumumab
der Einsatz des Leukotrienantagonisten Montelukast (Dosis: 10 mg p.o. 30 min vor der ersten Infusion) empfohlen, da sich hierdurch die IRR-Rate von 58,5 % auf 38 % reduzieren ließ. Inwieweit sich der Einsatz des gut verträglichen Montelukast auch zur IRR-Reduktion bei anderen
Antikörpern eignen könnte, bedarf noch weitergehender Untersuchungen.
Tab. 2
Inzidenz, Prävention und Management von Überempfindlichkeitsreaktionen und infusionsassoziierten Reaktionen, die in Verbindung mit monoklonalen Antikörpern auftreten können
Atezolizumab | Anti-PDL1-MAB (humanisierter MAB) | K. A. | Keine | Antihistaminikum und Antipyretikum als Sekundärprophylaxe; immunassoziierte Hautreaktionen möglich |
Avelumab | Anti-PDL1-MAB (voll humaner MAB) | K. A. | Keine | Herabsetzen der Infusionsgeschwindigkeit als Sekundärprophylaxe. immunassoziierte Hautreaktionen möglich |
Bevacizumab | Anti-VEGF (humanisierter MAB) | <1 | Keine | Teilweise sind Infusionen innerhalb von 10 min beschrieben |
Blinatumomab | Bispezifischer Antikörper (voll muriner MAB) | K. A. | Dexamethason 20 mg i.v. 1 h vor Infusionsbeginn (je Zyklus), Paracetamol während der ersten 48 h | Bildung von HAMA beschrieben |
Brentuximab vedotin | Zytotoxisches Anti-CD30-Immunkonjugat S (chimärer MAB) | SJS beschrieben | Keine | Sekundärprophylaxe mit einem Kortikoid, Paracetamol und Antihistaminikum |
Cetuximab | Anti-EGFR1 (chimärer MAB) | Ca. 3 | | Generell engmaschige Beobachtung während der Infusion und 1 h danach; Zeckenbiss in der Anamnese als wichtiger Risikofaktor |
Daratumumab | Anti-CD38-MAB (voll humaner MAB) | 5 | Steroid, Antipyretikum, Antihistaminikum und Montelukast | Verlangsamung der Infusionsgeschwindigkeit als sekundäre Maßnahme Subkutane Anwendung ab dem 1. Zyklus möglich! |
Durvalumab | Anti-PDL1-MAB (Noll humaner MAB) | K. A. | Keine | Sekundärprophylaxe bei Bedarf möglich |
Elotuzumab | Bindung am SLAMF7 (humanisierter MAB) | <1 | Dexamethason, H1 und H2-Antihistaminikum, Paracetamol | Maximale Infusionsgeschwindigkeit: 0,5 ml/min |
Ipilimumab | Anti-CTLA4 (voll humaner MAB) | <1 | Paracetamol bei Bedarf | Immunassoziierte Hautreaktionen möglich |
Inotozumab ozogamicin | Zytotoxisches Anti-CD22-Immunkonjugat (humanisierter MAB) | K. A. | Steroid, Antipyretikum, Antihistaminikum, und Montelukast | Infusionszeit mind. 1 h |
Necitumumab | Anti-EGFR1-MAB (voll humaner MAB) | K. A. | Keine | Steroid, Antipyretikum und Antihistaminikum als Sekundärprophylaxe |
Nivolumab | Anti-PD1-MAB (voll humaner MAB) | K. A. | Keine | Immunassoziierte Hautreaktionen möglich |
Obinutuzumab | Anti-CD20-MAB (humanisierter MAB) | K. A. | Kortikoid | 1. Zyklus Tag 1 (100 mg über 4 h), Tag 2 (900 mg langsam i.v.!) |
Ofatumumab | Anti-CD20-MAB (voll humaner MAB) | K. A. | Kortikoid (z. B. Prednisolon 50 mg), Paracetamol, Antihistaminikum | IRR vor allem während der 1. Infusion |
Panitumumab | Anti-EGFR1 (voll humaner MAB) | ≤2 | Keine | Bei Dosen >1000 mg muss die Infusionsdauer 90 min betragen |
Pembrolizumab | Anti-PD1-MAB (humanisierter MAB) | K. A. | Keine | Systemische Kortikoid-Anwendung sollte vor Therapiebeginn vermieden werden (mögl. PD-Beeinträchtigung) |
Pertuzumab | Anti-HER2-MAB (Subdomäne II) (humanisierter MAB) | Ca. 2 | Keine | Engmaschige Überwachung des Patienten vor und nach jeder Infusion |
Ramucirumab | Anti-VEGFR2-MAB (voll humaner MAB) | K. A. | H1-Antihistaminikum | Sekundärprophylaxe sieht zusätzlich Dexamethason und Paracetamol vor |
Rituximab | Anti-CD20 (chimärer MAB) | <10 | Paracetamol und Diphenhydramin | Auf möglichst langsame, 1. Infusion ist zu achten; subkutane Applikation ab Zyklus 2 bei NHL-Patienten möglich |
Trastuzumab | Anti-EGFR2 (humanisierter MAB) | <1 | Keine | |
Trastuzumab emtansin | Zytotoxisches Anti-EGFR2-Immunkonjugat (humanisierter MAB) | K. A. | Keine | Initial über 90 min i.v. engmaschige Überwachung |
Infusionsassoziierte Reaktionen sind auch mit liposomalen Darreichungsformen (z. B. Myocet, Caelyx) beobachtet worden, sodass auch bei diesen besonderen Arzneiformen initial auf langsamere Infusionsgeschwindigkeiten zu achten ist.
Bei einigen monoklonalen
Antikörpern (z. B. Blinatumomab, Daratumumab, Ramucirumab, Trastuzumab emtansin und den
Checkpoint-Inhibitoren Ipilimumab, Nivolumab und Pembrolizumab) wird der Einsatz von
In-Line-Filtern zur parenteralen Applikation vorgeschrieben. Hintergrund dieser Maßnahme ist, dass entsprechende Zubereitungen Aggregate und Partikel enthalten können, die durch eine Filtration zurückgehalten werden sollen, da ansonsten Phlebitiden, Hautausschläge oder ein Atemnotsyndrom die Folge sein können.