Onkologische Chirurgie
Die chirurgische Therapie
ist zentraler Bestandteil des onkologischen Behandlungskonzepts von soliden Tumoren. Vorrangige Ziele sind Heilung und Prognoseverbesserung, jedoch auch Palliation unter bestmöglichem Erhalt von
Lebensqualität. Die chirurgische Therapie ist dabei eingebettet in ein
interdisziplinäres und idealerweise personalisiertes Therapiekonzept (Siewert et al.
2010).
Das Ziel ist eine unter Berücksichtigung individueller Risikofaktoren und Komorbidität auf die jeweilige Tumorerkrankung zugeschnittene Tumortherapie. Voraussetzung hierfür ist ein exaktes Staging.
Hierbei werden in Zukunft neben den klassischen Prognoseparametern wie
zunehmend auch molekulare Marker Berücksichtigung finden (Brierley et al.
2017).
Dabei werden Weiterentwicklungen in der medizinischen Onkologie, insbesondere in der Therapie mit
Antikörpern und
Checkpoint-Inhibitoren, sowie eine verbesserte genetische Diagnostik vermutlich zunehmend auch Einfluss auf die Indikationsstellung (prophylaktische Chirurgie; zytoreduktive Chirurgie, ggf. auch Tumordebulking) haben.
Ziel der onkologischen Chirurgie
Primärtumor
Das Ziel der onkologischen Chirurgie unter kurativer Intention ist die
postoperative Residualtumorfreiheit (R0-Resektion
) durch
Resektion des Primärtumors en bloc mit dem kompletten regionären Lymphabstromgebiet. Bei der Entfernung des Primärtumors ist eine
„dreidimensionale“ Tumorfreiheit zu fordern. Dies bedeutet, dass neben dem oralen und aboralen (bzw. proximalen und distalen) auch der laterale Resektionsrand (zirkumferenzielle Rand, respektive das Tumorbett) tumorfrei sein müssen. Die hierbei in die verschiedenen Richtungen einzuhaltenden
Sicherheitsabstände variieren aufgrund unterschiedlichen Wachstumsverhaltens und differenter pathologischer Eigenschaften der Karzinome (z. B. intramurales Wachstum, diskontinuierliches Wachstum, Vorhandensein von Satellitenknoten) erheblich. Für viele Tumorentitäten ist die Datenlage hinsichtlich des einzuhaltenden Sicherheitsabstands
sehr heterogen bzw. komplett unklar. Hinzu kommt, dass eine neoadjuvante Vorbehandlung insbesondere in der Metastasenchirurgie Einfluss auf das Resektionsausmaß und somit auf den notwendigen Sicherheitsabstand haben kann (Siewert et al.
2010).
Lymphknotendissektion
Analog zum Primärtumor bezieht sich die Residualtumorfreiheit auch auf das Lymphabstromgebiet
. Generell sind bei der
Lymphknotendissektionzu beachten. Dabei orientiert sich die
Lymphadenektomie
Für viele Tumoren liegt das lokoregionäre Lymphabstromgebiet innerhalb eines definierten anatomischen Areals/Kompartiments, sodass das Ausmaß der Lymphadenektomie gewissermaßen anatomisch vorgegeben bzw. begründet ist. Die Anzahl der in einem anatomischen Kompartiment sich befindenden und somit einer histopathologischen Untersuchung zuführbaren Lymphknoten kann individuell jedoch sehr unterschiedlich sein. Zudem haben neoadjuvante Therapien, insbesondere eine Radiochemotherapie, Einfluss auf die „Ausbeute“ an Lymphknoten (Bartsch et al.
2019).
Der
Lymphadenektomie kommt bei der Behandlung der meisten Karzinome primär eine prognostische, vielfach jedoch auch eine
therapeutische Bedeutung zu:
-
Neben einer höheren Rate an potenziell kurativen Resektionen durch die Entfernung von tumorpositiven Lymphknoten (LK)
-
kann eine systematische regionale Lymphadenektomie beispielsweise auch einen palliativen Nutzen bringen.
-
Zudem erlaubt der Nachweis oder Ausschluss von LK-Metastasen auch eine bessere Einschätzung der Prognose und
-
dadurch letzten Endes auch eine therapeutische Stratifizierung (z. B. Notwendigkeit einer adjuvanten Therapie).
-
Darüber hinaus ist ein exaktes TNM-Staging oft auch die Voraussetzung für die Durchführung bzw. den Einschluss in Therapiestudien.
Metastasierung und Tumorbiologie
Unter Metastasierung versteht man eine diskontinuierliche Tumorausbreitung außerhalb des den Primärtumor tragenden Organs, gelegentlich auch innerhalb desselben Organs. Die Ausbreitung erfolgt überwiegend hämatogen und/oder lymphogen. Dabei ist es auch möglich, dass Tumoren nur einen der beiden Metastasierungswege beschreiten. Seltene Metastasierungswege sind die cavitäre oder kanalikuläre Metastasierung. Eine Perineuralscheideninfiltration wird nicht als Metastasierung verstanden, da hierbei eine kontinuierliche Tumorausbreitung entlang nervaler Strukturen vorliegt.
Im Gegensatz zur Perineuralscheideninfiltration handelt es sich bei der Lymphgefäßinvasion üblicherweise um einen diskontinuierlichen Befall der Lymphbahnen, d. h. um den Nachweis einzelner oder Gruppen von Tumorzellen im Lymphgefäßsystem. Da für die histopathologische Untersuchung nur eine begrenzte Anzahl an Schnitten durchgeführt wird, kann eine stattgehabte Lymphangioinvasion der pathologischen Diagnostik entgehen, sodass im Einzelfall durchaus L0 (kein Nachweis von Tumorzellen in den Lymphgefäßen) diagnostiziert wird, obwohl eine Lymphgefäßinvasion vorliegt. So sind auch Befunde wie beispielsweise N1L0 (Vorliegen einer Lymphknotenmetastase ohne nachweisbaren Befall der Lymphgefäße) zu erklären.
Die prognostische Bedeutung einer vaskulären (V1), lymphangionären (L1) und perineuralen (Pn1) Infiltration ist noch nicht abschließend geklärt. Hierzu finden sich sehr unterschiedliche und zum Teil auch widersprüchliche Daten in der Literatur (Siewert et al.
2010).
Pathologie und Klassifikation
Eine sorgfältige makroskopische und histologische Aufarbeitung des Operationspräparats seitens der Pathologie
ist die Voraussetzung für eine exakte
TNM-Klassifikation des Tumors. Dies erfordert u. a.
Dabei reicht eine konventionelle Hämatoxylin/Eosin-Färbung des Präparats zur Einordnung des Primärtumors und zur sicheren Detektion von Lymphknotenmetastasen häufig aus. Vielfach sind aber noch zusätzliche immunhistopathologische und zunehmend auch molekularbiologische Untersuchungen zur besseren Zuordnung und Differenzierung erforderlich und sinnvoll.
In aller Regel wird der Primärtumor en bloc mit dem lokoregionären Lymphabflussgebiet entfernt. Dies erlaubt eine sichere anatomische Zuordnung der einzelnen Lymphknotenstationen. Eine genaue und nachvollziehbare Markierung (richtige Bezeichnung) des Lymphknotenpakets durch den Chirurgen erleichtert diese zusätzlich und sollte selbstverständlich sein.
Nach einer Chemo- oder Radiotherapie kann es bei ausgeprägten regressiven Veränderungen allerdings notwendig sein, einzelne vitale Tumorzellen in Lymphknoten mittels einer zusätzlichen immunhistochemischen Zytokeratinfärbung nachzuweisen.
Metastasen, die 0,2 cm oder kleiner sind, werden als Mikrometastasen bezeichnet und als pN1(mi) verschlüsselt. In seltenen Fällen werden auch noch kleinere Tumorzellcluster (≤0,02 cm) nachgewiesen, die dann als isolierte Tumorzellen pN0(i+) bezeichnet werden.
Da die
pN-Klassifikation nur für regionäre Lymphknoten gilt und tumorbefallene nicht regionäre Lymphknoten als Fernmetastasen (pM1) gewertet werden, sollte vonseiten der Chirurgie auf eine präzise Kennzeichnung bzw. Markierung der jeweiligen Lymphknotenstationen geachtet werden, sodass der Pathologe eine korrekte
TNM-Klassifikation vornehmen kann.
Die
Mindestanzahl der zu entfernenden und histopathologisch zu untersuchenden
Lymphknoten, die für eine statistisch solide und prognostisch relevante Unterscheidung zwischen pN- und pN+ erforderlich ist, ist bei vielen Tumoren noch Gegenstand der Diskussion. Finden sich im Resektat weniger als die in der aktuellen
TNM-Klassifikation geforderte Mindestanzahl an Lymphknoten, so soll dennoch pN0 klassifiziert werden, wenn alle LK tumorfrei sind. In diesem Fall muss die Anzahl der untersuchten Lymphknoten in Klammern ergänzt werden (Campos-Lobato et al.
2013).
Chirurgisch-technische Prinzipien der chirurgischen Onkologie
Eine möglichst minimale physikalische Manipulation des Tumors (
No-touch-Technik) während der Operation stellt nach wie vor ein wichtiges Prinzip der onkologischen Chirurgie dar, wenngleich die Effektivität dieser Maßnahme nicht abschließend wissenschaftlich belegt ist. Eine Eröffnung des Tumors ist wegen der Gefahr der Tumorzelldissemination
unbedingt zu vermeiden. Entsprechend muss auch das Bergen des Tumors aus der Bauchhöhle schonend und ohne Kontamination der Wundränder durch den Tumor erfolgen (Siewert et al.
2010).
Das
regionale Lymphabstromgebiet der meisten gastrointestinalen Organe ist gut charakterisiert. Häufig liegt es innerhalb eines definierten anatomischen Kompartiments oder ist sogar von einer Hüllfaszie umgeben. Daher ist das Ausmaß der Lymphadenektomie für Karzinome dieser Organe weitgehend standardisiert. Die lokoregionären Lymphknoten werden typischerweise als komplettes Paket und en bloc mit dem Primärtumor entfernt. Hierdurch soll das Eröffnen von Lymphbahnen und somit eine Tumorzelldissemination vermieden bzw. vorgebeugt werden (Kauff et al.
2019).
Nach Möglichkeit wird das Lymphknotenpaket von peripher nach zentral entwickelt. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass ein anatomisch intaktes Präparat entsteht und so dem Pathologen eine exakte anatomische Zuordnung der Lymphknoten sowie eine sichere Befundung möglich sind.
Bei der systematischen regionären Lymphadenektomie besteht nahezu nie eine Indikation zur Schnellschnittuntersuchung eines Lymphknotens aus diesem Gebiet, da selbst ein positiver Befund in aller Regel keine Konsequenz für das operative Vorgehen hat. Zudem besteht bei der Entnahme eines Lymphknotens zumindest theoretisch die Gefahr der Tumorzellverschleppung.
Rekonstruktionen nach Resektionen im Gastrointestinaltrakt sollen möglichst einfach, jedoch unter Berücksichtigung funktioneller Erfordernisse und der
Lebensqualität erfolgen. Nach Resektionen von Tumoren im Frühstadium kann eine Rekonstruktion im ehemaligen Tumorbett erfolgen. Nach Entfernung großer und fortgeschrittener Tumoren kann es sinnvoll sein, bei der Rekonstruktion das Tumorbett zu umgehen, um im Falle eines Lokalrezidivs das funktionelle Ergebnis der Rekonstruktion nicht zu gefährden.
Die
perioperative Morbidität ist ein wesentlicher Prognosemarker in der onkologischen Therapie. Komplikationen führen nicht nur zu einer Immunsuppression, sondern verzögern oder verbieten gar die Durchführung adjuvanter Therapiemaßnahmen. Die perioperative Morbidität hat somit ganz entscheidenden Einfluss auf das onkologische Ergebnis. Daher sind die Reduktion des operativen Traumas und insbesondere das Vermeiden von Komplikationen wichtige Anforderungen an die onkologische Chirurgie (Siewert et al.
2010).
Minimalinvasive onkologische Chirurgie
Minimalinvasive Verfahren
haben in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Hierunter zählen neben
-
laparoskopischen und
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thorakoskopischen Verfahren
-
auch die Kombination dieser Techniken mit dem offenen Vorgehen (Hybridtechnik)
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sowie endoskopische bzw. kombiniert endoskopisch offene/laparoskopische Eingriffe (Rendezvous-Verfahren)
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und die zunehmend angewandten robotischen Verfahren.
Heutzutage können nahezu alle Eingriffe, zumindest Primäreingriffe, der onkologischen Chirurgie minimalinvasiv vorgenommen werden.
Neben kleineren Operationszugängen und somit einem verringerten Operationstrauma sowie einem besseren kosmetischen Ergebnis gehen die minimalinvasiven Verfahren häufig immer mit einer zumindest vergleichbaren, oft jedoch sogar etwas geringeren perioperativen Morbidität einher. Dabei sind minimalinvasive Verfahren hinsichtlich primärer onkochirurgischer Qualitätsindikatoren wie R0-Resektionsraten und Anzahl entfernter Lymphknoten in nahezu allen bisherigen, oft jedoch lediglich retrospektiven Studien, den offenen Verfahren gleichwertig bzw. zumindest nicht unterlegen. Für das Langzeitüberleben fehlen aktuell noch für nahezu alle Karzinomentitäten aussagekräftige Studien (Cipriani et al.
2019).