Bislang liegen keine Analysen von Protagonisten der alternativen Medizin vor, die die Sinnhaftigkeit der Konzepte unter Beweis stellen. Es gibt allerdings deutliche Evidenz dafür, dass die Konzepte der alternativen Medizin nicht erfolgreich sind (Johnson et al.
2018). Im Gegenteil, die Analysen weisen auf deutlich schlechtere Überlebenschancen unter Alternativmedizin hin. Insbesondere wenn die evidenzbasierte Therapie abgelehnt wird, kommt es zu einer deutlichen Prognoseverschlechterung. In der Studie von Johnson et al. (
2018) wurden Daten von Patienten ohne metastasierte Erkrankungen untersucht.
Die folgenden Unterabschnitte sind alphabetisch sortiert.
Amygdalin (Vitamin B17)
Weit verbreitet ist die Einnahme von Vitamin B17
bzw. Amygdalin
, insbesondere in Form von Aprikosenkernen. In Medien finden sich Berichte über Patienten, die mit dieser Therapie geheilt worden sein sollen. Nach oraler Aufnahme wird aus Amygdalin Mandelonitrit freigesetzt, das durch die Darmflora zu Benzaldehyd und Blausäure transformiert wird. Angeblich sollen gesunde Zellen und Tumorzellen sich in ihrer Ausstattung so unterscheiden, dass die Tumorzelle an der Blausäure zugrunde geht, während die gesunde Zelle dies überlebt. Vom BfArM (Lilienthal
2014) und dem Bundesamtes für Risikobewertung liegen Warnhinweise vor. Umstritten ist, ob Amygdalin als Infusion unschädlich ist. Allerdings zeigt eine aktuelle Studie auch hier einen Anstieg der kritischen Substanzen (Mani et al.
2019). Schon in den 1980er-Jahren hat eine Studie mit fast 180 Patienten gezeigt, dass Amygdalin keinen Überlebensvorteil bringt. Trotz maximaler Überwachung traten in dieser Studie Blausäureintoxikationen
und hohe Zyanidspiegel bis hin zur letalen Dosis auf (Moertel et al.
1982).
Aus Deutschland sind Zyanidintoxikationen
zuletzt bei einem 4-jährigen Kind mit einem rezidivierenden anaplastischen Ependymom WHO-Grad 3 in fortgeschrittener Krankheitsphase beschrieben worden, dessen Eltern eine alternative Heilung herbeiführen wollten (Sauer et al.
2015).
Artemisia annua
Artemisinin
aus Artemisia annua
(Einjähriger Beifuß
) wird als pflanzliches Mittel gegen
Malaria eingesetzt. Artesunat
ist ein halbsynthetischer Abkömmling von Arteminisin mit einer Endoperoxid-Brücke, welcher mit
Eisen reagiert und hierdurch freie Radikale bildet. Diese Radikalbildung führt vermutlich auch zur Zerstörung von
Plasmodien.
Zum Einsatz von Artemisinin oder Artesunat bei Tumorpatienten liegen keine klinischen Studien vor. Fallberichte lassen sich nicht eindeutig bewerten. Grundsätzlich ist es denkbar, dass der oben genannte Wirkmechanismus auch gegen Tumorzellen wirkt. Allerdings zeigt ein Tierexperiment, dass der klinische Einsatz fragwürdig ist, da die in einem Mausexperiment wirksame Dosis um ein Vielfaches über der beim Menschen verwendeten Dosis der Malariatherapie liegt (Cao et al.
2019), sodass Verträglichkeit und Überlegenheit gegenüber anderen Tumormedikamenten fraglich sind.
Artesunat ist nicht nebenwirkungsfrei, insbesondere Neurotoxizität wurde bei Tieren beschrieben. Aus klinischen Fällen wurden teils erhebliche Toxizitäten berichtet, u. a. Nephro-, Hämato- und Hepatotoxizität (Jansen et al.
2011; Krishna et al.
2015; Efferth et al.
2017).
Basentherapie
Eine unter Laien weit verbreitete Hypothese der Karzinogenese ist eine Übersäuerung des Körpers. Entsprechend werden Patienten eine „basische“ Ernährung, die Einnahme von Basenpulver oder sogar Basenbäder empfohlen. Für keine dieser Methoden gibt es klinische Wirksamkeitsnachweise. Der Saure-Basen-Haushalt im Gesamtkörper ist sehr genau reguliert, auch wenn pH-Verschiebungen im Mikromilieu des Tumors beschrieben sind. Patienten werden aber anhand wiederholter Bestimmungen des Urin-pH-Werts vor und nach Einnahme der Substanzen mit einfachem Lackmustest von der Wirkung der Einnahme eindrücklich überzeugt.
Dendritische Zellen
Dendritische Zellen, d. h. Zellen des Immunsystems, die sich aus
Monozyten oder aus Vorläufern der B- und T-Zellen entwickeln und zu den Phagozyten zählen, können auf Krebsantigene geprimt werden und eine spezifische zelluläre Immunabwehr ermöglichen. Umfangreiche Forschungsbemühungen haben jedoch nicht zu einem Durchbruch dieser Therapien geführt. Trotzdem werden sie im Bereich der alternativen Medizin entweder allein oder in Kombination mit Tumortherapien, die dann aber meist auch nicht den Leitlinienempfehlungen entsprechen, als private Leistung angeboten. Durch die Entwicklung der modernen Immuntherapien ist es für Laien besonders schwierig, in diesem Feld seriöse von unseriösen Angeboten zu unterscheiden.
Galavit
Chemisch gesehen handelt es sich bei Galavit
um einen Abkömmling von Luminol, einer Substanz, die unter anderem in der Kriminalistik zur Spurensuche verwendet wird, da sich damit geringste Mengen von Blut nachweisen lassen. In den Jahren 1999 und 2000 wurde Galavit als Immunstimulans zur Krebstherapie angeboten. Etwa 165 Krebskranke, denen Ansprech- bzw. Heilungsraten zwischen 70–80 % versprochen wurden, wurden damit behandelt. 2006 wurde über diese Behandlungen am Landgericht Kassel verhandelt. Weder frühere Studien noch die Analyse der vor Gericht verhandelten Fälle lassen den Schluss zu, dass Galavit als Krebsmedikament wirksam ist (aerzteblatt.de
2001).
Geistheilung
Unter „geistigem Heilen“
fasst man eine ganze Reihe von unterschiedlichen Vorgehensweisen zusammen, die auf unterschiedlichen Theorien basieren und diverse kulturelle Hintergründe haben. Dazu zählen das christliche Handauflegen
und Gesundbeten
, Reiki
, Prana-Heilen
, der Therapeutic Touch
, die Fernheilung
, das Gebets
- und Gruppenheilen
, aber auch Exorzismus
, Schamanismus
, Radionik
und Besprechen
. Den Methoden ist gemeinsam, dass keinerlei Hilfsmittel eingesetzt werden, die nach gegenwärtigem medizinischem Verständnis geeignet wären, wirksam zu sein. Der Begriff Geistheiler
ist nicht geschützt. Medizinisches Fachwissen oder eine Ausbildung zum Heilpraktiker sind nicht notwendig. Geistheiler dürfen Menschen mit Methoden wie Handauflegen, Beten oder
Meditation behandeln, sie dürfen ihnen aber keine Heilung versprechen. Nach Schätzungen gibt es rund 15.000 Geistheiler in Deutschland (Jonas
2021).
Nach dem Dachverband Geistiges Heilen geht man davon aus, dass die Welt und jedes einzelne Wesen ein beseeltes, komplexes, natürliches, energetisches System darstellen, das von einer universellen Schöpferkraft/einem universellen Bewusstsein beeinflusst wird (DHG
2021). Entsprechend gelten Krankheiten als Ausdruck von Störungen in dem System. Durch geistiges/spirituelles Heilen und energetische Behandlungen sollen die Störungen beseitigt und der Fluss dieser Energien aktiviert und harmonisiert werden (DHG
2021).
Auch Beten/Gesundbeten zählt zu den häufig angewendeten Methoden bei Krebs. Es gibt einige Studien, die zeigen, dass manche dieser Methoden die Beschwerden von Patienten mit Krebs bessern können (Jim et al.
2015; Gonella et al.
2014; Pedersen et al.
2014). Allerdings gibt es keine validen Hinweise dafür, dass die Methoden geeignet wären, allein im Sinne von alternativer Medizin eine Besserung oder Heilung herbeizuführen.
Germanische Neue Medizin, Neue Medizin
Ryke Geerd Hamer
(1935–2017), ein deutscher Arzt, propagierte die von ihm erfundene Behandlungsmethode, die auf 5 empirisch gefundenen „biologischen Naturgesetzen“, den sog. Eisernen Regeln basiert. Hamer zufolge ist ein biologischer Konflikt, ein Schockerlebnis der Auslöser einer Krankheit. Ziel der „Germanischen Neuen Medizin
“ ist es, dem Patienten die Angst vor der Krankheit zu nehmen und eine Konfliktlösung oder die
Auflösung des Konflikterlebnisses als Voraussetzung für die natürliche Heilung herbeizuführen.
Die Konzepte dieser Theorie sind begründet in der Biografie von Herrn Hamer, der nach dem Tod seines Sohnes an Hodenkrebs erkrankte und trotz chirurgischer Therapie sein Überleben auf seine Medizin zurückführte. In seine Konzepte hat Hamer auch antisemitische Verschwörungstheorien integriert (DGK
2017).
Hinweise für die Wirksamkeit der Konzepte von Hamer gibt es nicht. Im Internet findet sich eine Seite (Deckers
2019). Dort werden mindestens 300 Todesfälle in Zusammenhang mit der Anwendung der Germanischen Neuen Medizin vermutet, 149 sind dokumentiert. Nachweisbare Heilungen wurden nicht dokumentiert.
Homöopathie
Die Homöopathie ist in Deutschland weit verbreitet und wird von Laien oft den naturheilkundlichen Verfahren zugerechnet, obwohl sie weder mit natürlichen Substanzen noch mit den Methoden der klassischen Naturheilverfahren arbeitet.
In Deutschland gilt die Homöopathie als Therapie der besonderen Therapierichtung (§ 34 Abs. 3 Satz 2 SGB V). Im Jahre 1976 wurde durch die damalige Legislative entschieden, dass anstelle des klassischen Zulassungsverfahrens homöopathische Arzneimittel registriert werden. Ein wissenschaftlicher Wirksamkeitsnachweis muss nicht erbracht werden. Homöopathische Mittel sind rezeptfrei, aber apothekenpflichtig.
Die 3 Grundprinzipien der Homöopathie – Ähnlichkeitsregel, Potenzierung und Arzneimittelprüfung – entsprechen an keiner Stelle einem wissenschaftlich fundierten Korrelat. Insbesondere die sog. Potenzierung, mit der die Wirkung der Substanz gesteigert werden soll, zeigt, dass über den Placebo- oder Hinwendungseffekt hinaus keine eigenständige Wirkung zu erwarten ist. In der klassischen Homöopathie werden meist höhere Potenzen ab C30 bzw. D23 verwendet (D = 1:10; C = 1:100; Q bzw. LM = 1:50.000; die Zahl hinter dem Buchstaben beschreibt, wie oft verdünnt wurde).
2 Publikationen beschreiben ein besseres Überleben von Tumorpatienten bei zusätzlicher Gabe von Homöopathika.
Hierzu gehört eine retrospektive Analyse von
Patientendaten der homöopathischen Ambulanz der Uniklinik Wien. Verglichen wurden diese mit Expertenerwartungen zum Überleben bei der jeweiligen Tumorsituation. Ein wichtiger Kritikpunkt dieser Veröffentlichung ist, dass nur Patienten mit wenigstens 3 homöopathische Konsultationen berücksichtigt wurden (Gaertner et al.
2014).
Eine randomisierte kontrollierte Studie untersuchte klassische Homöopathie bei Patienten mit verschiedenen Tumoren unter antitumoraler Therapie bezüglich Global Health Status und subjektivem Wohlbefinden. Auch hier ist der Effekt der Globuli-Verordnung nicht von der zusätzlichen Zuwendung zu trennen. Aufmerksam sollte uns aber machen, dass bei den Patienten in der Interventionsgruppe weniger konventionelle Therapien eingesetzt wurden (Frass et al.
2015) – Daten zum Überleben wurden nicht berichtet. Aufgrund der geringen Anwendung von nebenwirkungsbehafteten Therapien der konventionellen Medizin lassen sich die Unterschiede bei der
Lebensqualität leicht erklären. Diese Studie weist auf ein erhebliches Schadenspotenzial durch auf den ersten Blick inerge Homöopathika hin, denn ein Teil der Patienten scheint diese Therapien als Ersatz für die leitliniengerechte Therapie zu verstehen.
Wenngleich die folgende Thematik nicht in den Bereich der Alternativmedizin fällt, hat eine Studie zum Nebenwirkungsmanagement antitumoraler Therapien und der Behandlung von Mukositiden
bei Kindern aus dem Jahr 2001 für Aufsehen gesorgt (Oberbaum et al.
2001). Bei dieser Studie erhielten Kinder mit einer Hochdosischemotherapie eine Mundspülung
mit einem homöopathischen Komplexmittel oder Chlorhexidin-Lösung
. In der Interventionsgruppe entwickelten signifikant weniger Kinder Entzündungen. Dieser Ansatz wurde in 2 weiteren Studien wiederholt (Steinmann et al.
2012; Sencer et al.
2012), ohne dass das Ergebnis reproduziert werden konnte. Es ist denkbar, dass in der Studie mit den Kindern die Mundhygiene mit mildem Wasser eine höhere Adhärenz und damit besseren Erfolg hatte,als die Chlorhexidin-Spülungen. Leider gibt es dazu keine Protokolle.
Hyperthermie
Bei der Hyperthermie
handelt es sich um einen Oberbegriff für sehr unterschiedliche Therapieverfahren. Neben Verfahren, die unmittelbar über die Erwärmung zu einem Zelltod der malignen Zellen führen sollen, werden Temperaturerhöhungen auf ca. 42 °C in Kombination mit Chemo- oder
Strahlentherapie eingesetzt, um in speziellen Tumorsituationen die Wirkung der primären Therapie zu verstärken bzw. z. B. bei einer Re-Bestrahlung trotz Dosisreduktion eine Wirkung zu erzielen. Diese Verfahren gehören zur evidenzbasierten Therapie, wenn sie bei durch Studien belegter Indikationsstellung mit technischen Geräten eingesetzt werden, die nachweislich im Tumor diese Temperatur erreichen. Eine gute Übersicht der Qualitätsstandards findet sich bei der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Hyperthermie (IAH) der Deutschen Krebsgesellschaft (LMU
2021).
Während Ganzkörperhyperthermien bis 42 °C eine Zeitlang als Therapieoption wissenschaftlich erforscht wurden, aber wegen der hohen Toxizität und fehlender positiver Studien wieder verlassen wurden, finden Patienten immer wieder Angebote der sog. moderaten Ganzkörperhyperthermie, bei der über Infrarot oder im Wasserbett eine Körpertemperatur von ca. 39 °C erreicht werden. Es liegen keine Wirksamkeitsnachweise für diese Methoden vor.
Gleiches gilt weiterhin für die Elektrohyperthermie oder Onkothermie, ein regionales Verfahren, das über elektrische Felder eine Erwärmung erreichen soll, für die aber keine Messungen am Menschen in wissenschaftlich nachvollziehbaren Veröffentlichungen vorliegen. Ebenso wenig gibt es klinische Beweise für die angebliche direkte antitumorale Wirkung des elektrischen Feldes.
Insulinpotenzierte Therapie
Unter der sog. insulinpotenzierten Therapie
versteht man eine gleichzeitige Chemotherapie und Gabe von
Insulin. Durch die Insulingabe wird zunächst der Blutzucker abgesenkt und dann gezielt
Glukose und geringe Mengen von Chemotherapiemitteln infundiert. Dabei sollen die malignen Zellen bei der Aufnahme von Glukose auch die Zytostatika aktiv aufnehmen, sodass eine therapeutische Wirkung ohne Nebenwirkungen möglich sein soll. Eine aktive Anreicherung von Zytostatika trotz geringem Serumspiegel ist allerdings mit dieser Hypothese nicht zu erklären.
Miracle Mineral Supplement (MMS)
Die kritische Stellungnahme des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM
) zu Miracle Mineral Supplement
(MMS
) ist eindeutig: MMS wird als zulassungspflichtiges Arzneimittel eingestuft und als bedenklich bewertet, da der begründete Verdacht einer über das vertretbare Maß hinausgehenden schädlichen Wirkung besteht (BfArM
2015). Trotzdem finden sich immer noch Internetseiten und andere Informationsquellen, die Patienten dazu auffordern, MMS als Heilmittel gegen Krebs und andere Erkrankungen einzusetzen. Die Einstufung des BfArM erfolgte, da der Hersteller eindeutige Heilsversprechen gemacht hat. Verbunden war dies mit Dosierungsangaben.
MMS enthält Natriumchlorid. Zusammen mit Zitronensäurelösung verwendet, kommt es zu einer Freisetzung des giftigen Gases Chlordioxid, das als Bleichmittel von Papier und zur Desinfektion von Trinkwasser eingesetzt wird. Schwere Verätzungen von Haut und Schleimhäuten sowie Augenschäden können die Folge sein.