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Alternative versus komplementäre und integrative Onkologie – Eine Begriffsdefinition

Verfasst von: Jutta Hübner
Ärzte, die ihre Patienten zu der Fragestellung „Was kann ich selbst tun?“ beraten, haben ebenso wie Wissenschaftler im Umgang mit der komplementären und alternativen Medizin eine schwierige Aufgabe. Schon allein die Zusammenziehung von komplementär und alternativ in einem Titel ist hochgradig fragwürdig.

Einleitung

Ärzte, die ihre Patienten zu der Fragestellung „Was kann ich selbst tun?“ beraten, haben ebenso wie Wissenschaftler im Umgang mit der komplementären und alternativen Medizin eine schwierige Aufgabe. Schon allein die Zusammenziehung von komplementär und alternativ in einem Titel ist hochgradig fragwürdig.

Alternative und komplementäre Medizin

Alternative Medizin bezeichnet nicht nur Methoden, die dem Patienten suggerieren, dass sie ohne die Methoden der akademischen, wissenschaftlich geprüften Medizin genauso gut oder sogar noch besser zu einem Heilungserfolg kommen können, der dann auch noch ohne Nebenwirkungen mit 100 %iger Sicherheit gelingen wird, sondern auch parallel zur akademischen Medizin angewendete Methoden, die mit den Grunderkenntnissen der wissenschaftlichen Medizin nicht in Einklang zu bringen sind, die die Grundregeln der evidenzbasierten Medizin ablehnen, sich einer wissenschaftlichen Überprüfung entziehen oder die trotz eines klaren Missverhältnisses von (nicht) nachgewiesenem Nutzen und Risiken.
Dagegen erkennt die komplementäre Medizin die Regeln der evidenzbasierten Medizin an und akzeptiert, dass wir für die Anwendung nach den Prinzipien der Medizinethik, den Nutzen ebenso wie den Schaden kennen und auf die jeweilige individuelle Patientensituation anwenden und den Patienten darin unterstützen müssen, eine Entscheidung nach seinen Präferenzen zu treffen.
Patienten mit einer Krebserkrankung haben oft hohe Erwartungen an die komplementäre Medizin. Ihre Ziele sind unterschiedlich:
  • Verbesserung des Überlebens
  • Heilung
  • Maßnahmen gegen Nebenwirkungen
  • Stärkung der körpereigenen Kräfte und des Immunsystems
  • Wunsch, selbst aktiv werden zu können
Die Frage der Patienten nach einer einfachen, wirksamen und sanften Therapie ist verständlich und gleichzeitig eine Aufforderung an den Arzt, die Notwendigkeit der schulmedizinischen Therapie gut zu erklären, Nebenwirkungsmanagement aktiv anzubieten und ehrlich zu sagen, dass wir mit naturheilkundlichen und anderen komplementären Methoden keine direkte Therapie der Krebserkrankung anbieten können.

Evidenz

Ein wesentliches Problem der komplementären Medizin ist oft die niedrige Evidenz. Dies liegt nicht nur daran, wie häufig postuliert wird, dass Studienkonzepte, Finanzierungen etc. fehlen, sondern ganz im Wesentlichen handelt es sich um grundsätzliche Probleme der zu untersuchenden Behandlungskonzepte. Verblindung ist meist nicht möglich. Placebos sind häufig schwer zu konstruieren, und Patienten haben eine eigene Präferenz, die sie auch leicht neben der Studie umsetzen können, da die meisten Methoden und Substanzen auf dem Markt frei erhältlich sind.
Eine wichtige Maßgabe ist deshalb die Überprüfung, ob es für die gewählte Methode eine Hypothese zur Wirkung und Wirksamkeit gibt, die im Einklang mit wissenschaftlichen Konzepten zur Erkrankung Krebs und zu den biochemischen und physiologischen Vorgängen im menschlichen Körper steht. Fehlt eine überprüfbare Hypothese, ist die Methode mit äußerster Vorsicht zu betrachten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei positiven Studienergebnissen um einen Placeboeffekt – oder sogar nur um experimentelle Daten, die suggestiv eingesetzt werden.
Als zweites ist zu überprüfen, ob die Methode schaden kann. Auch hier stehen wir leider oft wenigen Daten gegenüber. Nebenwirkungen und Wechselwirkungen bleiben vermutlich sehr oft verborgen, weil der behandelnde Onkologe nicht weiß, dass Patienten nebenher etwas einnehmen und/oder weil die meisten Menschen von der Harmlosigkeit der Methoden überzeugt sind.
Aus diesen Gründen kommt die erste Fassung der Leitlinie Komplementäre Medizin für onkologische PatientInnen (Leitlinienprogramm Onkologie 2021) häufig zu der Aussage, dass eine Empfehlung aufgrund der vorliegenden Evidenz nicht ausgesprochen werden kann, oder sie rät gerade bei den substanzgebundenen Verfahren aufgrund potenzieller oder nachgewiesener Risiken vom Einsatz ab.
Auch ein indirekter Schaden sollte Bestandteil einer Aufklärung von Patienten und Angehörigen sein. Hierzu gehören finanzielle Ausgaben und Zeitaufwendungen.
Häufig werden Verfahren der alternativen Medizin unter dem Aspekt „es schadet nicht“ und „wenn der Patient es möchte, dann setzen wir es als Placebo ein“ von Ärzten befürwortet. Dabei sehen wir, dass positive Erfahrungen mit alternativmedizinischen Methoden wie Homöopathie oder Akupunktur bei Bagatellerkrankungen dazu führen, dass Patienten diese Methoden auch in einer ernsthaften Krankheitssituation wie Krebs einsetzen und teilweise zunächst auf sie vertrauen.

Anwendung komplementärer Medizin

Ein verantwortungsbewusster Einsatz komplementärer Medizin bietet aus der Sicht der Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie in der Deutschen Krebsgesellschaft die Möglichkeit einer Ergänzung zur Schulmedizin, der Verbesserung des Nebenwirkungsmanagements und vor allen Dingen eine hervorragende Möglichkeit, Patientenautonomie zu fördern. Die Frage der Patienten ist gut zu beachten: „Was kann ich selbst tun?“. Tatsächlich sind es die einfachen Methoden, beginnend mit Lebensstilmodifikationen, ausgewogener Ernährung, körperlicher Aktivität und dann ausgewählter von informierten Patienten selbstständig auszuwählender und anzuwendender Verfahren, die den Kern der komplementären Medizin ausmachen.
Weder Infusionstherapien noch technische Geräte passen in dieses Konzept. Seriöse komplementäre Medizin besteht aus einfachen Anleitungen und Hinweisen von gekochten Möhren oder geriebenem Apfel bei Durchfällen oder Honig bei Mukositis. Dies setzt bei uns Ärzten nicht nur Bescheidenheit, sondern auch Respekt vor der Selbstverantwortung und dem Selbstmanagement des Patienten voraus. Komplementäre Medizin könnte man symbolisch als die Haltung beschreiben, in der wir den weißen Kittel manchmal ausziehen, dem Patienten übergeben und ihn selbst entscheiden lassen. Was wir fördern, ist das Gefühl von Selbstwirksamkeit, das häufig mit der Diagnose Krebs verloren geht.
Literatur
Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): Komplementärmedizin bei onkologischen PatientInnen; Langversion1.0, 2021, WMF-Registernummer: 032/055OL. http://​www.​leitlinienprogra​mm-onkologie.​de/​leitlinien/​Komplementärmedi​zin/​. (TT.MM.JJJJ)