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Begleittherapie bei Cisplatin

Verfasst von: Martin Sökler, Winfried Alsdorf, Ulrich Jaehde und Carsten Bokemeyer
Cisplatin zählt zu den Zytostatika mit geringer therapeutischer Breite mit relevanten nicht hämatologischen Nebenwirkungen wie Ototoxizität, Neurotoxizität und vor allem Nephrotoxizität. Risikofaktoren für eine Nierenfunktionsverschlechterung sind höheres Alter, hohe Cisplatin-Dosen, eine bestehende Hypertonie und eine Hypalbuminämie. Cisplatin wird überwiegend über die Niere ausgeschieden und ist tubulotoxisch. Häufig sind Elektrolytverlustsyndrome, insbesondere eine Hypomagnesiämie. Voraussetzungen für eine Cisplatin-Therapie sind eine Kreatininclearance >60 ml/min, der Ausschluss bzw. Korrektur einer Hypovolämie, ein Elektrolytausgleich (Kalzium, Magnesium) und eine ausreichende Urinproduktion (>100 ml/h). Vor jeder Cisplatin-Therapie sind zudem eine Audiometrie und der Ausschluss einer manifesten Polyneuropathie erforderlich. Das Nephrotoxizitätsrisiko wird durch intravenöse Hydrierung beginnend bereits mindestens 2 Stunden vor der Cisplatin-Gabe und der Sicherstellung einer Diurese von 100 ml/h über 24 Stunden nach der Applikation gesenkt. Die Flüssigkeitsgabe sollte zumindest in den ersten 2-4 Stunden intravenös mit Zusatz von Magnesium und Kalium erfolgen. Bei höheren Cisplatin-Dosen ≥60 mg/m2 erfolgt meist eine zusätzliche forcierte Diurese durch die Gabe von Mannitol. Bei Flüssigkeitsretention ist die Gabe von Schleifendiuretika sinnvoll, um den Urinfluss aufrechtzuerhalten. Aufgrund des hohen emetogenen Potenzials von Cisplatin ist eine prophylaktische Antiemese mit einem Serotoninantagonisten, einem NK1-Antagonisten und Dexamethason obligat.

Einleitung

Cisplatin zählt zu den Zytostatika mit besonders geringer therapeutischer Breite mit vorwiegend nicht hämatologischen Nebenwirkungen.
Neben der Ototoxizität und Neurotoxizität gehört die Nephrotoxizität von Cisplatin zu den dosislimitierenden Nebenwirkungen. In einer großen retrospektiven Analyse von über 4000 Patienten, die von 2000–2015 Cisplatin erhielten, zeigte sich ein Kreatininanstieg um ≥0,3 mg/dl nach dem ersten Zyklus bei 13,6 % der Patienten. Als Risikofaktoren wurden
  • ein höheres Alter,
  • eine höhere Cisplatin-Dosis,
  • eine bestehende Hypertonie und
  • eine Hypalbuminämie
ermittelt und hieraus ein Score abgeleitet (Motwani et al. 2018):
Risikofaktor
Scorepunkte
Alter bis 60 Jahre
0,0
Alter 61–70 Jahre
1,5
Alter >70 Jahre
2,5
Albumin >3,5 g/dl
0,0
Albumin ≤3,5 g/dl
2,0
Dosis bis 100 mg
0,0
Dosis 101–150 mg
1,0
Dosis >150 mg
3,0
0,0
Hypertonie
2,0
Das Risiko für ein akutes Nierenversagen liegt bei einem Score
  • bis 3 bei 4–8 %,
  • von 3,5–6 bei 15 % und
  • >6 bei 28–38 %.
Cisplatin wird überwiegend über die Niere ausgeschieden (>50 % in den ersten 24 Stunden) und ist tubulotoxisch. Die Konzentration in der Nierenrinde übersteigt die Plasmakonzentration um ein Mehrfaches. Histologische Studien zeigen Tubulusschäden und -nekrosen besonders im S3-Segment des proximalen Tubulus. Weiterhin können unter Cisplatin Elektrolytverlustsyndrome, insbesondere teilweise schwere Hypomagnesiämien, und ein sekundäres Fanconi-Syndrom auftreten.
Eine ausreichende Hydratation mit Sicherstellung einer Diurese von mindestens 100 ml/h und prophylaktischer Elektrolytsubstitution kann das Nebenwirkungsrisiko reduzieren und gilt als obligat. Heute übliche Cisplatin-haltige Chemotherapieprotokolle sehen Einzeldosen
  • von 40–100 mg/m2 an einem Tag oder
  • 20–40 mg/m2/Tag über 3–5 Tage oder
  • 25–30 mg/m2 wöchentlich vor,
vorwiegend appliziert als Kurzinfusion (15–60 min), seltener als kontinuierliche Infusion über 4–24 Stunden. Die kumulative Dosis, die pro Therapiezyklus nicht überschritten werden sollte, liegt bei 100(–120) mg/m2. Insgesamt werden in der Regel 4–6 Zyklen Cisplatin-haltiger Therapie pro Behandlungslinie insgesamt appliziert.

Voraussetzungen für eine Cisplatin-Therapie

Eine Cisplatin-Therapie sollte nur durchgeführt werden, wenn folgende Punkte Beachtung finden:
  • Serumkreatinin im Normbereich, Kreatininclearance >60 ml/min (>50 ml/min bei wöchentlichen Einzeldosen von bis zu maximal 30 mg/m2)
  • Ausschluss bzw. Korrektur einer Hypovolämie
  • Normwerte für Elektrolyte im Serum (Kalzium, Magnesium)
  • Keine manifeste Harnabflussbehinderung (gegebenenfalls Pigtail- oder Nierenfistelanlage)
  • Keine Begleiterkrankungen, die eine Hydratation mit 2–3 l/m2/Tag verhindern
  • Ausreichende Urinproduktion (100–200 ml/h)
  • Meidung zusätzlicher nephrotoxischer Substanzen
  • Keine schwerwiegende Vorschädigung des Innenohrs (Audiogramm obligat) und des peripheren Nervensystems

Hydrierung und forcierte Diurese

Hydrierung vor der Therapie

Um das Risiko einer Nephrotoxizität zu minimieren, ist eine verstärkte Flüssigkeitsgabe bereits vor der Cisplatin-Gabe notwendig. Das Gesamtausmaß der Hydrierung am Applikationstag hängt auch von der Tageseinzeldosis ab und davon, ob repetitive Gaben an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen vorgesehen sind. Die Prähydration sollte intravenös über mindestens 2 Stunden, besser 6–12 Stunden, erfolgen und mindestens 1 l NaCl 0,9 % oder gemischt NaCl 0,9 %/Glucose 5 % beinhalten. Alternativ kann auch eine Fertiglösung wie Jonosteril® eingesetzt werden.

Cisplatin-Gabe und Hydrierung nach der Therapie

Cisplatin wird in 0,9 %iger NaCl-Lösung gegeben, wobei eine Konzentration von 0,1 mg bis maximal 1 mg Cisplatin pro ml NaCl angestrebt werden sollte. Hinweise, dass die Applikation in 3 %iger NaCl-Lösung zu einer Reduktion der Nephrotoxizität führt, wurden bislang nicht bestätigt. Auch die Applikation von Cisplatin am Abend, um chronopharmakologische Aspekte zur Toxizitätsreduktion auszunutzen, hat sich klinisch nicht etabliert.
Hohe Cisplatin-Einzeldosen gehen mit einem erhöhten Risiko für Nephrotoxizität einher. Daher kann bei Patienten mit leicht reduzierter Nierenfunktion oder erhöhtem Risiko für Nephrotoxizität die Aufteilung des Cisplatins auf mehrere Therapietage das Auftreten einer Nierenfunktionsstörung verhindern.
Die Posthydratation sollte eine Diurese von 100 ml/h über 24 Stunden nach der Applikation sicherstellen (Gabe von 2–4 l) und zumindest in den ersten 2–4 Stunden intravenös erfolgen. Die Flüssigkeitsmenge kann dann auch peroral gegeben werden, falls der Patient nicht erbricht und die Elektrolyte im Serum ausgeglichen sind. Eine ambulante Therapiedurchführung ist möglich. Pro Liter Infusionslösung sollten ca. 20 mmol Kaliumchlorid und ca. 4 mmol Magnesium zugesetzt werden. Dadurch wird nicht nur einem Elektrolytverlust vorgebeugt. Es gibt auch Hinweise auf einen nephroprotektiven Effekt von Magnesium (Kidera et al. 2014). Eine Magnesiumsubstitution während der Cisplatin-Therapie kann auch peroral erfolgen (z. B. mit 160 mg/Tag p.o., entsprechend 4 Dragees Magnesium-Verla à 40 mg) und ist noch für einige Tage nach Ende der Cisplatin-Applikation sinnvoll.

Forcierte Diurese

Der Stellenwert einer routinemäßigen Diuretika-Gabe zusätzlich zur in jedem Falle erforderlichen Hydrierung ist umstritten (Morgan et al. 2012). Während ältere, kleine randomisierte Studien keinen Vorteil belegen (Santoso et al. 2003), deuten neuere, allerdings retrospektive Daten doch auf einen Stellenwert hin (McKibbin et al. 2016; Williams et al. 2017). Zumindest bei höheren Cisplatin-Dosen ≥60 mg/m2 erfolgt in den meisten Zentren eine prophylaktische Gabe von Mannitol (z. B. 125 ml 20 %ige Lösung vor der Cisplatin-Gabe). Eine Diuretika-Gabe bei inadäquater Hydrierung sollte aber in jedem Falle unterbleiben. Sie kann sogar zu einer Verschlechterung der Nierenfunktion führen.
Kommt es unter Hydrierung nach Cisplatin zu einer Flüssigkeitsretention (>1000 ml bzw. 1 kg Gewichtszunahme) oder einem Abfall der Urinproduktion auf <100 ml/h, sind diuretische Maßnahmen, wie die Gabe von Mannitol oder Schleifendiuretika (z. B. Furosemid 20 mg i. v. oder Torasemid 10 mg p.o.), indiziert. Ein ausreichender Urinfluss sollte für 12–24 Stunden nach Cisplatin-Gabe aufrechterhalten werden. Ein Nachteil der Applikation von Furosemid bei Patienten mit Cisplatin-Therapie im Sinne von verstärkter Toxizität wurde bisher nicht belegt.

Beispiele für Infusionsprotokolle

Die Cisplatin-Therapie mit Hyperhydratation wird häufig unter stationären Bedingungen durchgeführt. In spezialisierten Therapieeinrichtungen ist eine ambulante Therapie vertretbar. Die in Tab. 1 genannten Durchführungsprotokolle sind als Beispiele zu verstehen. Grundsätzlich setzt die Durchführung der Cisplatin-Therapie ausreichend große chemotherapeutische Erfahrungen voraus.
Tab. 1
Durchführungsprotokolle bei Cisplatin-Therapie
Cisplatin-Dosis 20 mg/m2; Tag 1–5
8–10 Uhr
10–10:15 Uhr
10–13 Uhr
1000 ml NaCl 0,9 %*
Cisplatin gelöst in 100 ml NaCl 0,9 %
1000 ml NaCl 0,9 %"
1000 ml Glukose 5 %*
*Zusatz:
• Je 20 mmol KCl pro Liter Infusionslösung
• Je 4 mmol Mg2+ pro Liter Infusionslösung (z. B. 10 ml Magnesiumsulfat 10 %)
Cisplatin-Dosis 70–100 mg/m2; Tag 1
Optional 20–8 Uhr
Obligat 8–10 Uhr
10–10:15 Uhr
10–8 Uhr** (Folgetag)
1000 ml NaCl 0,9 %*
1000 ml NaCl 0,9 %*
Cisplatin gelöst in 250 ml NaCl 0,9 %
1500 ml NaCl 0,9 %*
  
Mannitol 125 ml 20 %
1500 ml Glukose 5 %*
*Zusatz:
• Je 20 mmol KCl pro Liter Infusionslösung
• Je 4 mmol Mg2+ pro Liter Infusionslösung (z. B. 10 ml Magnesiumsulfat 10 %)
**Bei guter Adhärenz und keinem Erbrechen kann ein Teil der Flüssigkeit auch peroral zugeführt werden (z. B. Tee, Mineralwasser)
Anmerkung: Bei Retention >1000 ml bzw. Gewichtszunahme >1 kg oder einem Abfall der Urinproduktion auf <100 ml/h zusätzliche Diuretika-Gabe: erneut Mannitol 20 % 125 ml oder Furosemid 20 mg i. v.
Während der Hydratation ist auf Flüssigkeitsbilanzierung und Gewichtskontrolle sowie Kontrollen von Serumkreatinin und Elektrolyten inklusive Kalzium und Magnesium zu achten.

Weitere Begleitmaßnahmen bei Cisplatin-Therapie

Aufgrund des hohen emetogenen Potenzials von Cisplatin ist eine prophylaktische adäquate Antiemese mit einem Serotoninantagonisten, einem NK1-Antagonisten und Dexamethason obligat. Diese Maßnahme muss prophylaktisch erfolgen und nicht erst therapeutisch bei manifestem schwerem Erbrechen (s. auch Kap. „Leitlinien in der antiemetischen Prophylaxe und Therapie – Medikamentöse Tumortherapie“). Bei unzureichender Wirkung der Antiemetika kann die zusätzliche Gabe des Dopaminantagonisten Olanzapin (10 mg/Tag p.o.) häufig eine Verbesserung der Symptomatik erzielen und so die Verträglichkeit der Therapie deutlich verbessern (Navari et al. 2016).
Vor jeder Cisplatin-Therapie sind die Bestimmung der Kreatininclearance (Bestimmung des Serumkreatinins reicht nicht aus!), eine Audiometrie und der Ausschluss einer manifesten Polyneuropathie erforderlich. Im Verlauf sind Kontrollen der berechneten Kreatininclearance erforderlich. Die Nephroprotektion mit dem Thiolpräperat Amifostin spielt trotz positiver Daten in Studien vor 15–20 Jahren heute keine Rolle (Hensley et al. 2009; Kemp et al. 1996). Im klinischen Alltag hatte es sich kaum durchgesetzt, einerseits aufgrund der heute meist eingesetzten niedrigeren Cisplatin-Dosen, der Alternative einer Carboplatin-Therapie bei eingeschränkter Nierenfunktion, der relativ hohen Kosten und der mit Amifostin verbundenen eigenen Toxizität (Übelkeit, Erbrechen, Hypotonie, Exanthem).
Literatur
Crona DJ, Faso A, Nishijima TF et al (2017) A systematic review of strategies to prevent cisplatin-induced nephrotoxicity. Oncologist 22:609–619CrossRef
Hensley M, Hagerty KL, Kewalramani T et al (2009) American Society of Clinical Oncology 2008 clinical practice guideline update: use of chemotherapy and radiation therapy protectants. J Clin Oncol 27:127–145CrossRef
Kemp G, Rose P, Lurain J et al (1996) Amifostine pretreatment for protection against cyclophosphamide–induced and cisplatin–induced toxicities: Results of a randomized controlled trial in patients with advanced ovarian cancer. J Clin Oncol 14:2101–2112CrossRef
Kidera Y, Kawakami H, Sakiyama T et al (2014) Risk factors for cisplatin-induced nephrotoxicity and potential of magnesium supplementation for renal protection. PLOS One 9(7):e101902CrossRef
Launay-Vacher V, Rey J-B, Isnard-Bagnis C et al (2008) Prevention of cisplatin nephrotoxicity: state of the art and recommendations from the European Society of Clinical Pharmacy Special Interest Group on Cancer Care. Cancer Chemother Phramacol 61(6):903–909CrossRef
Motwani SS, McMahon GM, Humphreys BD (2018) Development and validation of a risk prediction model for acute kidney injury after the first course of cisplatin. J Clin Oncol. (2018 Jan 10) [Epub ahead of print]
McKibbin T, Cheng LL, Kim S (2016) Mannitol to prevent cisplatin-induced nephrotoxicity in patients with squamous cell cancer of the head and neck (SCCHN) receiving concurrent therapy. Support Care Cancer 24:1789–1793CrossRef
Morgan KP, Buie LW, Savage SW (2012) The role of mannitol as a nephroprotectant in patients receiving cisplatin therapy. Ann Pharmacother 46:276–281CrossRef
Navari RM, Qin R, Ruddy KJ et al (2016) Olanzapine for the prevention of chemotherapy-induced nausea and vomiting. New Engl J Med 375:134–142CrossRef
Santoso JT, Lucci JA, Coleman RL (2003) Saline, mannitol, and furosemide hydration in acute cisplatin nephrotoxicity: a randomized trial. Cancer Chemother Pharmacol 52:13–18CrossRef
Williams RP, Ferlas BW, Morales PC, Kurtzweil AJ (2017) Mannitol for the prevention of cisplatin-induced nephrotoxicity: a retrospective comparison of hydration plus mannitol versus hydration alone in inpatient and outpatient regimens at a large academic medical center. J Oncol Pharm Practice 23(6):422–428CrossRef