Einleitung
Die beiden in der Klinik am häufigsten eingesetzten Oxazaphosphorine
sind die
Alkylanzien Ifosfamid und
Cyclophosphamid. Ihre Anwendung ist von einigen unerwünschten Wirkungen begleitet, wovon die toxische Zystitis am bedeutsamsten ist (Tab.
1). Die
akute Zystitis manifestiert sich als hämorrhagische Urothelschädigung, die neben den klinischen Symptomen der Zystitis (Schmerzen, Spasmen, Harndrang) durch eine Hämaturie gekennzeichnet ist. Besonders gefährdet sind Patienten nach vorheriger Bestrahlung im Beckenbereich oder bei gleichzeitig bestehender bakterieller Zystitis.
Tab. 1
Mögliche Ursachen der akuten toxischen Zystitis bei onkologischen Patienten
Chemotherapie mit Oxazaphosphorin-Derivaten | Dosisabhängig bis zu 50 % (im Extremfall bis zu 100 %) |
Radiogene Zystitis | 2–18 % nach 30–70 Gy |
| 4–8 % |
Busulfan-Therapie (orale Langzeitgabe) | 1–16 % |
Thrombopenie (besonders nach Knochenmarktransplantation mit Reaktivierung von BK- oder JC-Virus) | 2–16 % |
Urotoxizität
Die Differenzialdiagnose der toxischen Zystitis von onkologischen Patienten umfasst nicht nur die Toxizität der Oxazaphosphorine, sondern auch andere Ursachen, die in Tab.
1 zusammengestellt sind.
Es wird klinisch eine akute und eine chronische Oxazaphosphorin-assoziierte Urotoxizität unterschieden. Es wird angenommen, dass vor allem die Aldehyde Acrolein und Chloracetaldehyd, weniger die nur in geringen Konzentrationen vorhandenen 4-OH-Metaboliten für die Urothelschädigung verantwortlich sind.
Unter der akuten Urotoxizität wird eine häufig bereits während oder gegen Ende der Zytostatikaverabreichung auftretende hämorrhagische Urothelschädigung verstanden, die von einer einfachen asymptomatischen Mikrohämaturie bis im Extremfall zu einer bedrohlichen Blasentamponade reichen kann. Hämaturie wird ohne Mesna-Prophylaxe bei der Cyclophosphamid-Therapie im Dosisbereich <1 g/m2 nur selten beobachtet, bei Ifosfamid-Gabe jedoch wesentlich häufiger (50–100 %).
Patienten, die im Beckenbereich vorbestrahlt wurden, anamnestisch unter Oxazaphosphorinen eine hämorrhagische Zystitis durchgemacht haben oder aktuell an einer Zystitis erkrankt sind, müssen obligat mit Mesna behandelt werden.
Unter der chronischen Urothelschädigung ist eine über einen Zeitraum von Monaten bis Jahren zunehmende Blasenfibrose bis zur Entstehung eines medikamenteninduzierten Urothelkarzinoms zu verstehen. Insbesondere bei chronischer Behandlung mit Cyclophosphamid ist bei kumulativen Dosen ab 30 g mit einer zunehmenden Inzidenz von Urothelkarzinomen zu rechnen. Mesna hat sich im Tierexperiment als sehr wirksam zur Verhinderung der Entstehung von Urothelkarzinomen gezeigt.
Zur Prophylaxe der akuten und chronischen Urotoxizität sind eine gute Hydratation (täglich 2 l Flüssigkeit) und die konsequente Gabe von Mesna (s. unten) notwendig. Andere Medikamente, wie z. B. N-Acetylcystein, oder Maßnahmen wie Blasenspülungen oder Urinalkalinisierung sind obsolet.
Die seltene, aber klinisch bedrohliche Blasentamponade
bei schwerer hämorrhagischer Zystitis wurde früher mit heroischen Maßnahmen wie Formalin-Blaseninstillationen zur Blutstillung bekämpft. Dies muss heute als obsolet betrachtet werden, und erfolgsversprechender erscheinen die Gabe von 1–2 mg/kg KG Prednison-Äquivalent und/oder die temporäre bilaterale Katheterisierung der Ureteren. In sehr schweren Fällen muss die A. illiaca interna ligiert, embolisiert oder eine totale
Zystektomie durchgeführt werden. Bei weniger schweren Fällen von Makrohämaturie kann die lokale Instillation von Fibrinklebern mittels Sprühkatheter bzw. die intravesikale Anwendung von Prostaglandin-F-IIα zu einem Sistieren der Makrohämaturie in bis 50 % der Fälle führen.
Nephrotoxizität
Neben einer als Folge der hämorrhagischen Urothelschädigung auftretenden Nephrotoxizität ist bei Ifosfamid-Therapien auch eine direkte Nephrotoxizität insbesondere bei Kindern zu beobachten. Sie kann sowohl als glomeruläre wie auch als proximal oder distal tubuläre Schädigung klinisch manifest werden.
Am häufigsten (mit bis zu 30 % Häufigkeit) wird bei Kindern eine proximale tubuläre Schädigung beobachtet
(Fanconi-Syndrom). Sie manifestiert sich mit einer erhöhten Ausscheidung von
Aminosäuren,
Phosphat,
Kalium,
Glukose und Bikarbonat. Letzteres führt dann zur proximal renal-tubulären Azidose. Klinisch steht die
Hypophosphatämie mit Rachitis und konsekutiver Wachstumsverzögerung im Vordergrund. Selten werden zusätzlich auch vermehrt Kalzium und
Magnesium (dies meist nach Cisplatin-Vorbehandlung) im
Urin gefunden. In leichteren Fällen ist mit einer Rückbildung zu rechnen, bei schweren Fällen jedoch kaum oder nur sehr verzögert. Die
Inzidenz und der Schweregrad des
Fanconi-Syndroms nehmen mit zunehmender Dosis und Therapiedauer zu und sind ausgeprägter bei sehr jungen oder mit Cisplatin vorbehandelten Kindern.
Die
Pathogenese dieser Nephrotoxizität bei Kindern ist weiterhin unklar; vermutet wird eine Rolle des Metaboliten Chloracetaldehyd. Allerdings hat auch die nach heutiger Auffassung korrekte Verabreichung von Mesna
(Tab.
2), das Chloracetaldehyd binden kann, das Auftreten dieser Tubulusschädigung bisher nicht zuverlässig verhindern können. Die Prophylaxe dieser Toxizität ist in der pädiatrischen Onkologie ein vordringliches Problem geworden. Neue Untersuchungen zeigen, dass subklinische Veränderungen in der Ausscheidung von Urinproteinen eine spätere chronische Nephrotoxizität nach Ifosfamid voraussagen können. So scheint insbesondere das
Tamm-Horsfall-Protein einen prädiktiven Wert zu haben (MacLean et al.
1998).
Tab. 2
Therapieschemata für die Applikation von Mesna bei Ifosfamid-(IFO-)Therapie
IFO <3 g/m2/Tag | Standardschemata mit IFO, i.v. Kurzinfusion |
Mesna: | 20 % der IFO-Dosis (h 0, +4, +8; i.v.) |
IFO 3–5 g/m2/Tag | Mittelhoch dosiertes IFO, kontinuierliche Infusion (24 h) |
Mesna: | 20 % der IFO-Dosis (h 0; Bolus i.v.) |
50 % der IFO-Dosis (h 0 bis +12 nach IFO kontinuierlich i.v.a) |
IFO ≥5 g/m2/Tag | Hochdosistherapie mit IFO, kontinuierliche Infusion (24 h) |
Mesna: | 20 % der IFO-Dosis (h 0; Bolus i.v.) |
100–120 % der IFO-Dosis (h 0 bis +12 nach IFO kontinuierlich i.v.a) |
Orale Gabe von Mesna (für IFO <3 g/m2 als Kurzinfusion) | |
Mesna: | 20 % IFO-Dosis (h 0; Bolus i.v.) |
40 % IFO-Dosis (h +2, +6 p.o.) |
Verabreichung von Mesna
Die Verabreichung von Mesna stützt sich auf ältere klinische Daten, und wegen der sehr überzeugenden Wirksamkeit wurde in der Folge kaum an einer weiteren Optimierung des etablierten prophylaktischen Konzepts gearbeitet.
Der Einsatz von Mesna gilt bei Ifosfamid-Therapie generell und bei Cyclophosphamid-Dosierungen >500 mg/m
2 (bzw. über 10 mg/kg KG) als obligat. In Tab.
2 sind die aktuellen Empfehlungen zur Applikation von Mesna bei Ifosfamid-Therapie zusammengefasst. Bei der kontinuierlichen Gabe von Ifosfamid bei Äquidosis mit Mesna kann auch auf die Bolusgabe von 20 % zum Zeitpunkt 0 nach unserer Erfahrung verzichtet werden. Besonders wichtig ist, dass 12–24 Stunden nach Infusionsende von Ifosfamid Mesna weiter verabreicht wird.
Für die hoch dosierte (≥1 g/m2) Cyclophosphamid-Gabe wird in analoger Weise Mesna verabreicht wie für Ifosfamid-Therapien. In vielen Zentren werden aber je nach eigenen klinischen Erfahrungen abweichende Dosierungen und Intervalle eingesetzt.
Verschiedene Überlegungen lassen eine weitere Entwicklung von Mesna als wünschenswert erscheinen: Die optimale Dosis, die Verabreichungsart und Dosisaufteilung sind angesichts der sehr kurzen
Halbwertszeit von Mesna (ca. 30 min) im Vergleich zu Ifosfamid und Cyclophosphamid (4–6 h) wohl noch zu definieren. Insbesondere die Entwicklung von Mesna-Tabletten hat eine wesentliche Verbesserung gebracht, da hier durch eine verzögerte gastrointestinale Aufnahme von Mesna eine pro Dosis um einige Stunden verlängerte Schutzwirkung erzielt wird. Auch wird durch die geschmacksneutrale Tablette die Aversion gegen die übelriechende Trinklösung verhindert (Tablette à 400 mg und 600 mg).
Ifosfamid-Enzephalopathie
Vor allem bei höheren Ifosfamid-Dosierungen, wie sie nun seit der Einführung der hämatopoetischen Wachstumsfaktoren möglich sind, wird selten auch eine dosislimitierende, meist reversible Enzephalopathie beobachtet. Die Ursache dieser Enzephalopathie ist noch nicht geklärt. Es wird vermutet, dass Chloracetaldehyd dafür verantwortlich sein könnte.
Das klinische Bild der Ifosfamid-assoziierten Enzephalopathie ist sehr vielfältig und kann von leichten mnestischen Störungen bis zu
epileptischen Anfällen und schwerem
Koma reichen. In der Regel ist die Enzephalopathie nach Absetzen der Therapie voll reversibel. Als Risikofaktoren für das Auftreten der Enzephalopathie sind eine eingeschränkte Nierenfunktion, ein schlechter Allgemeinzustand, niedriges Serumalbumin und nach unserer Erfahrung auch weibliches Geschlecht zu betrachten. Am wenigsten Enzephalopathien haben wir mit der kontinuierlichen Infusion von Ifosfamid über mehrere Tage gesehen, insbesondere wenn die Infusion mit
Glukose verabreicht wurde. Fast obligatorisch tritt die Enzephalopathie bei oraler Verabreichung von Ifosfamid auf, die deshalb als experimentell betrachtet werden muss.
In jüngster Zeit ist es gelungen, die Ifosfamid-Enzephalopathie häufig erfolgreich zu behandeln und auch prophylaktisch anzugehen. Methylenblau
hat sich sowohl in der Prophylaxe wie auch Therapie der Ifosfamid-Enzephalopathie als wirksam erwiesen (Aeschlimann et al.
1998). Vorerst liegen aber nur kasuistische Beobachtungen vor, und die Optimierung dieser therapeutischen und prophylaktischen Strategie muss noch erfolgen (Pelgrims et al.
2000).
Als vorläufige Empfehlung gilt, Methylenblau beim Auftreten einer Enzephalopathie vorerst in einer Dosis von 50 mg langsam i.v. zu verabreichen und die Gabe in 2- bis 4-stündigen Abständen zu wiederholen. Klingt die Enzephalopathie ganz ab und wird die Therapie mit Ifosfamid weitergeführt, kann Methylenblau 3- bis 4-mal 50 mg i.v. bzw. 200 mg/24 h kontinuierlich i.v. täglich als Prophylaxe gegen das Wiederauftreten der Enzephalopathie verabreicht werden.
Für die Prophylaxe bei Patienten, die bereits eine Ifosfamid-assoziierte Enzephalopathie durchgemacht haben, empfehlen wir, am Vorabend der Ifosfamid-Therapie beginnend, 3- bis 4-mal 50 mg Methylenblau oral zu verabreichen. Sowohl für die Therapie als auch für die Prophylaxe der Ifosfamid-Enzephalopathie ist auf eine genügende Glukosezufuhr zu achten (z. B. 2 Liter 5%-ige
Glukose/24h).
Schließlich finden sich in der Literatur Hinweise, dass in vereinzelten Fällen auch intravenöses Thiamin (
Vitamin B1) therapeutisch wirksam sein kann, hier ist die Datenlage allerdings zu gering für eine Empfehlung (Buesa et al.
2003).