Verfasst von: Dieter Weichenhan, Daniel B. Lipka, Odilia Popanda, Peter Schmezer, Clarissa Gerhäuser, Yassen Assenov, Michael Lübbert und Christoph Plass
Epigenetische Modifikationen sind reversible Veränderungen der DNA oder des Chromatins. Diese Modifikationen spielen eine essenzielle Rolle in der Entwicklung und Differenzierung und sind lebensnotwendig für die gewebespezifischen Funktionen eines Organismus. In Krebszellen verändern sich die Muster der epigenetischen Modifikationen und führen zur Aktivierung von Onkogenen oder zur Inhibierung von Tumorsuppressorgenen. Da epigenetische Modifikationen nicht die DNA-Sequenz verändern, sind sie zu attraktiven Zielstrukturen für moderne Krebstherapien geworden. In diesem Kapitel fassen wir den heutigen Kenntnisstand auf dem Gebiet der Tumorepigenetik zusammen.
Der menschliche Organismus besteht aus über 200, zum Teil hochspezialisierten unterschiedlichen Zelltypen. Alle Zellen verfügen über dieselbe genetische Information, die in der DNA-Sequenz gespeichert ist. Die zelltypspezifische Interpretation des Genoms, die für die Ausprägung verschiedener Zellphänotypen erforderlich ist, wird über epigenetische Regulationsmechanismen festgelegt und gesteuert. Der Begriff Epigenetik beschreibt chemische Modifikationen der DNA oder der N-terminalen Enden von Histonmolekülen. Diese Modifikationen beeinflussen die Genexpressionsmuster der Zellen, ohne die DNA-Sequenz und die darin enthaltene genetische Information zu verändern. Dies wird unter anderem durch Verdichten oder Auflockern des Verpackungsgrades der DNA im Chromatin erreicht. Als Heterochromatin bezeichnet man kondensiertes Chromatin, das abgeschaltete Gene enthält. Euchromatin ist hingegen offenes Chromatin und enthält aktiv exprimierte Gene (Abb. 1). Damit fungieren epigenetische Modifikationen wie Schalter, die Gene an- oder abschalten können. Epigenetische Modifikationen können im Rahmen der Zellteilung an Tochterzellen weitergegeben werden und sind somit für den Erhalt der Zellidentität in proliferierenden Geweben von großer Bedeutung.
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Epigenetische Modifikationen in normalen Zellen
Zu den epigenetischen Mechanismen zählt unter anderem die DNA-Methylierung. Durch Anhängen einer Methylgruppe (CH3) an die C5-Position entsteht aus einem Cytosin ein 5-Methylcytosin. Beim Menschen tritt DNA-Methylierung hauptsächlich im Kontext von CpG-Dinukleotiden (CpGs) auf, wobei unter normalen Bedingungen etwa 60–80 % der insgesamt etwa 2,8 × 107 CpGs methyliert sind.
Die Methylierungsreaktion wird durch DNA-Methyltransferasen (DNMT1, DNMT3A und DNMT3B) katalysiert. DNMT1 ist für die Aufrechterhaltung der DNA-Methylierung nach der DNA-Replikation während der S-Phase verantwortlich. Die Enzyme DNMT3A und DNMT3B katalysieren hingegen die De-novo-Methylierung unmethylierter DNA.
Essenziell für aktive Demethylierung sind die Enzyme aus der Ten-Eleven-Translokationsfamilie (TET-Familie), die die schrittweise Oxidation von 5-Methylcytosin zu Hydroxymethylcytosin, Formylcytosin und Carboxylcytosin katalysieren.
Histonmoleküle als Grundbausteine der Nukleosomen können an bestimmten Aminosäurepositionen ebenfalls chemisch modifiziert werden. Zu den möglichen Histonmodifikationen zählen z. B. Acetylierung, Methylierung, Sumoylierung und Ubiquitinylierung, die von zahlreichen Enzymen (Histonacetylasen, Histondeacetylasen, Histonmethylasen, Histondemethylasen) angebracht oder entfernt werden können.
Die Acetylierung der N-terminalen Enden durch Histonacetyltransferasen (HATs) öffnet die Chromatinstruktur und ermöglicht Transkriptionsfaktoren den Zugang zur DNA. Folglich fungieren Proteine mit HAT-Aktivität wie beispielsweise p300/CBP (CREB-bindendes Protein) oder PCAF (p300/CBP-assoziierter Faktor) als transkriptionelle Koaktivatoren. Die Histonacetylierung wird durch Histondeacetylasen (HDAC) rückgängig gemacht, indem sie die Übertragung des Acetylrests auf Coenzym A (CoA) katalysieren, was zu Chromatinkondensation und transkriptioneller Repression führt. Neben den derzeit bekannten HDAC1 bis -11 besitzen strukturell nicht verwandte Sirtuine (SIRT) Deacetylierungsaktivität.
Auch die Methylierung N-terminaler Histonenden ist entscheidend an der Regulation der Chromatinstruktur beteiligt. Die Histonmethylierung findet an Lysin- und Argininresten statt und kann sowohl aktivierende als auch reprimierende Effekte auf die Genexpression ausüben. Bisher sind beim Menschen mehr als 50 Histonmethyltransferasen (HMT) bekannt. HMTs nutzen für die Methylierung von Lysinresten S-Adenosyl-L-Methionin (SAM) als Methylgruppendonor. Der funktionelle Effekt der Histonmethylierung ist abhängig von der Position des methylierten Lysinrests (z. B. K4, K9, K27, K36, K79 in Histon H3) und von dessen Methylierungsstatus (Mono-, Di- oder Trimethylierung). Trimethylierung der Lysin-4-Position in H3 (H3K4me3) ist im Allgemeinen mit aktiven Transkriptionsstartstellen assoziiert, während H3K9me2/me3 oder H3K27me3 in transkriptionell unterdrückten Regionen gefunden werden. Histonmethylierung wird durch Histon-Lysin-Demethylasen (HDM) entfernt, zum Beispiel durch Lysin-spezifische Demethylase 1 (LSD1) oder durch eines der 20 Enzyme aus der Familie der Jumonji-Domänen-haltigen (JmjC) Histondemethylasen.
Die Gesamtheit der epigenetischen Modifikationen wird als das Epigenom bezeichnet. DNA-Methylierung ist die am besten untersuchte epigenetische Modifikation. Sie wurde erstmals in den 1970er-Jahren in einen Zusammenhang mit genomischem Imprinting, X-Chromosom-Inaktivierung und zellulärer Differenzierung gebracht. Heute wissen wir, dass DNA-Methylierung in Promoter- oder Enhancerregionen die Bindung von Transkriptionsfaktoren moduliert und so die Gentranskription reguliert. Diese Modulation wird durch Proteine mit einer Methyl-CpG-bindenden Domäne vermittelt, die methylierte CpGs erkennen und binden. Sie rekrutieren Korepressorkomplexe, die mit HMTs und HDACs assoziiert sind, und führen so zur Stilllegung eines Gens. Passiver Verlust der DNA-Methylierung während der Zellteilung durch Hemmung oder Herunterregulierung von DNMT1 sowie aktive Demethylierung durch TET-Enzyme können zur Reaktivierung zuvor stillgelegter Gene führen.
Epigenetische Veränderungen in Tumoren
Im Rahmen der Karzinogenese kommt es häufig zu einem globalen Verlust der DNA-Methylierung, der auch repetitive Elemente betrifft. Diese genomweite DNA-Hypomethylierung fördert genomische Instabilität und in deren Folge auch das Auftreten von chromosomalen Aberrationen. Genspezifische Promotor-Hypomethylierung wurde zudem als ein möglicher Mechanismus zur Aktivierung von Onkogenen und metastasierungsfördernden Genen beschrieben. Umgekehrt können Tumorsuppressorgene (TSG) durch DNA-Hypermethylierung ihrer Promotoren transkriptionell reprimiert werden.
Das weltweite Interesse an Mutationen epigenetischer Faktoren wurde zu Beginn der 2010er-Jahre zunächst durch die Entdeckung der DNMT3A-Mutationen bei der akuten myeloischen Leukämie und kurze Zeit später durch die Beschreibung von Mutationen im Gen der Methyltransferase SETD2 sowie im Gen der Histondemethylase KDM5C beim klarzelligen Nierenzellkarzinom geweckt. In der Folge konnten Großprojekte zur Krebssequenzierung zeigen, dass Mutationen in epigenetischen Enzymen in vielen weiteren Tumorentitäten gehäuft auftreten (Plass et al. 2013). Mutationen epigenetischer Faktoren werden inzwischen als eine zentrale treibende Kraft bei der malignen Transformation, der klonalen Expansion transformierter Zellen und bei der Entstehung intratumoraler epigenetischer Heterogenität angesehen.
Ein Beispiel für Mutationen, die sich auf das Methylom auswirken, liefert die Isocitrat-Dehydrogenase (IDH). Somatische Mutationen in IDH1 oder IDH2 bewirken aberrante Enzymaktivität, die zur Bildung des Onkometaboliten 2-Hydroxyglutarat führt, der verschiedene α-Ketoglutarat-abhängige Demethylasen, darunter die DNA-Demethylasen der TET-Familie, hemmt. IDH1/2-Mutationen sind frühe Ereignisse in der Entwicklung von niedriggradigen Gliomen und induzieren ein spezifisches Methylierungsmuster, das durch Hypermethylierung von CpG-reichen Regionen, sogenannten CpG-Inseln, charakterisiert ist („CpG island methylator phenotype“, CIMP). Das CIMP-Muster betrifft vor allem entwicklungsrelevante Gene, und folglich verbleiben CIMP-positive Tumorzellen in einem stammzellähnlichen Zustand und sind gegen Differenzierungssignale resistent. Im Gegensatz dazu führen DNMT3A-Mutationen, wie sie z. B. bei der akuten myeloischen Leukämie (AML) und anderen hämatopoetischen Neoplasien gefunden werden, zu einem genomweiten Verlust der DNA-Methylierung (Review in (Assenov et al. 2018)).
Histonmodifikationen scheinen dynamischer als DNA-Methylierung reguliert zu werden. Damit ermöglichen Histonmodifikationen eine stärkere Plastizität zwischen differenzierten oder eher undifferenzierten Zellstadien mit erhöhter Selbsterneuerungskapazität, die zum fokalen Wachstum resistenter Tumorklone beitragen oder die Zellmigration als Reaktion auf veränderte Signale aus der Mikroumgebung eines Tumors erleichtern können. Zum Beispiel kann Sauerstoff- oder Nährstoffmangel zu fokaler Hypermethylierung N-terminaler Histonenden führen, da Histondemethylasen Sauerstoff und bestimmte Kofaktoren für die Demethylierungsreaktion benötigen.
Eine Zunahme der epigenetischenIntratumorheterogenität ist häufig mit Tumorrezidiven und schlechter Prognose assoziiert. Intratumorale Heterogenität erhöht die Wahrscheinlichkeit therapeutischer Resistenzentwicklung. Außerdem kann das Vorliegen multipler Tumorklone mit unterschiedlichen (epi)genetischen Signaturen und Phänotypen die Diagnosestellung sowie das Fällen von Therapieentscheidungen erschweren. Das gegenwärtige weltweite Interesse an der Entwicklung von Inhibitoren epigenetischer Regulatoren könnte somit in der Zukunft neue Behandlungsoptionen eröffnen, um der epigenetischen Heterogenität und damit einer entscheidenden Triebfeder der Tumorevolution entgegenzuwirken.
Epigenetische Biomarker
Seit den späten 1960er-Jahren wurden X-Chromosomen-Inaktivierungsmuster als Klonalitätstests bei humanen Malignomen eingesetzt. Dabei zeigte sich bei gesunden Frauen eine altersabhängig erhöhte Inzidenz von klonaler X-Chromosom-Inaktivierung, die bis zu 38 % der ansonsten gesunden Frauen über 60 Jahre betraf. Das Vorliegen dieser klonalen X-Chromosom-Inaktivierungsmuster wurde in der Folge mit einem etwa zehnfach erhöhten Risiko für die Entstehung hämatopoetischer Neoplasien in Verbindung gebracht.
Inzwischen weiß man, dass im Alter gehäuft rekurrente somatische Mutationen im Blut gesunder Personen vorkommen. Diese Mutationen finden sich oft in Genen, die auch in hämatopoetischen Neoplasien mutiert sind, und betreffen zumeist epigenetische Regulatoren (z. B. DNMT3A, TET2, ASXL1). Die Inzidenz der klonalen Hämatopoese nimmt mit dem Alter zu und ist mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung hämatopoetischer Neoplasien, einem verringerten Gesamtüberleben und mit einer Verdoppelung des Risikos für koronare Herzkrankheit assoziiert (Jaiswal et al. 2017). Demnach gehen Veränderungen in der epigenetischen Landschaft der Entstehung hämatopoetischer Neoplasien voraus und begünstigen diese möglicherweise. Dazu passend finden sich bei etwa 70 % der Patienten mit AML somatische Mutationen in epigenetischen Regulatoren.
Wahrscheinlich haben diese Mutationen weitreichende Folgen für das komplexe Zusammenspiel der verschiedenen epigenetischen Regulationsmechanismen (Langstein et al. 2017). Unser mechanistisches Verständnis von den funktionellen Auswirkungen der Mutationen epigenetischer Faktoren auf die Gewebehomöostase sowie vom Beitrag dieser Mutationen zur malignen Transformation ist allerdings noch gering. Dennoch ermöglichen uns epigenomweite Untersuchungen bereits faszinierende neue Einblicke in die Pathophysiologie maligner Erkrankungen. Diese Einblicke werden uns bereits in naher Zukunft eine differenziertere Klassifizierung von Krankheiten für viele Krankheitsentitäten ermöglichen.
Ein wesentliches Problem beim Versuch der klinischen Translation von epigenetischen Befunden ist die relativ aufwendige und wenig standardisierte Methodik zur Bestimmung epigenetischer Muster. Dies erschwert derzeit noch die klinische Anwendbarkeit epigenetischer Marker im klinischen Alltag. Mit zunehmendem Einsatz des Next Generation Sequencing (NGS) im Rahmen der klinischen Routinediagnostik eröffnet sich nun jedoch die Möglichkeit einer einfachen, genauen und robusten Messung der DNA-Methylierung (Blueprint consortium 2016). Ein DNA-Methylierungsarray wird ebenfalls mit Erfolg eingesetzt.
Ein Beispiel für die klinische Translation epigenetischer Befunde aus der Grundlagenforschung ist die Identifizierung des Primärtumorgewebes beim „carcinoma of unknown primary“ (CUP) (Moran et al. 2016). Die vorgenommene epigenetische Gewebeklassifizierung bei CUP-Patienten war hochsensitiv und -spezifisch, sodass bei über 80 % der Patienten ein Primärtumorgewebe bestimmt werden. Die Nutzung dieses Wissens zum Zweck einer tumorspezifischen Behandlung könnte in Zukunft die Behandlung von CUP-Patienten verbessern helfen.
Weitere Beispiele für die epigenetische Subklassifizierung von Tumorentitäten kommen bislang vorwiegend aus dem Gebiet der pädiatrischen Neuroonkologie, wo insbesondere aufgrund der Schwierigkeit der konventionellen pathologischen Differenzialdiagnostik ein hoher Bedarf an objektivierbaren Befunden besteht. Hierbei zeigt sich, dass insbesondere die Integration molekulargenetischer und epigenetischer Befunde zur Identifizierung und Charakterisierung neuer Krankheitsentitäten beziehungsweise Krankheitssubgruppen führt (Sturm et al. 2016). Ferner werden DNA-Methylierungsmarker in der Krebsfrüherkennung eingesetzt, beispielsweise in Form eines Kolonkarzinom-spezifischen hypermethylierten Bereichs im SEPT9-Genlokus in einem von der FDA zugelassenen blutbasierten Test. Für die blutbasierte Differenzialdiagnostik bei Verdacht auf Vorliegen eines Bronchialkarzinoms wird gegenwärtig der Einsatz einer Kombination zweier DNA-Methylierungsbiomarker (SHOX2 und PTGER4) in klinischen Studien getestet.
Die Entwicklung epigenetischer Biomarker befindet sich noch in ihren Anfängen. Wahrscheinlich jedoch werden epigenetische Biomarker bald ein wichtiger Bestandteil der molekularen Diagnostik im Bereich der Früherkennung, Subklassifizierung und Prognosestellung sein.
Methoden zur Erfassung epigenetischer Veränderungen
Epigenetische Veränderungen des Methylierungsmusters von Krebszellgenomen lassen sich durch die unterschiedliche chemische Reaktion methylierter und nicht methylierter Cytosine mit Bisulfit erkennen. Methylierte Cytosine bleiben als Cytosine erhalten, nicht methylierte Cytosine werden jedoch zu Uracil umgewandelt. Bei nachfolgender PCR-Amplifikation wird das Uracil durch Thymin ersetzt. Aus der Häufigkeit des Cytosins an einer bestimmten Genomposition nach Bisulfitbehandlung errechnet sich schließlich sein Methylierungsgrad zwischen 0 % und 100 %.
Veränderungen des Methylierungsmusters konnten anfänglich nur in eng begrenzten Regionen des Krebszellgenoms, beschränkt auf einzelne oder nur wenige CpGs, z. B. durch methylierungsspezifische PCR oder durch Sequenzierung klonierter PCR-Produkte nach Bisulfitbehandlung der DNA, untersucht werden. Diese Methoden sind apparativ wenig anspruchsvoll und erfüllen in einigen Labors auch heute noch ihren Zweck. Im Gegensatz zur Klonierungsmethode sind die Analyse Bisulfit-behandelter DNA durch Massenspektrometrie (MassARRAY) oder durch Pyrosequenzierung hochdurchsatzfähig und geeignet für die klinische Routineanalyse, erfordern aber eine besondere Geräteausstattung (Methodenvergleich in (Blueprint consortium 2016)).
Die moderne, Bisulfit-basierte genomweiteMethylierungsanalyse erfolgt entweder durch EPIC BeadChip-Analyse oder durch NGS (Lister et al. 2009). EPIC BeadChip verwendet Hybridisierungssonden, mit denen sich etwa 850.000 CpGs des humanen Genoms analysieren lassen. Diese CpGs decken repräsentativ verschiedene Bereiche des Genoms wie Genpromotoren und Enhancer ab, jedoch nur etwa 3 % aller CpGs. Dagegen wird der Methylierungsgrad sämtlicher CpGs durch Bisulfit-NGS festgestellt. Die ursprünglich erheblichen Kostenunterschiede zwischen BeadChip und NGS werden zunehmend nivelliert, doch ist der Aufwand an Computerleistung und bioinformatischer Analyse der NGS-Daten erheblich höher. Inzwischen lassen sich genomweite Methylierungsunterschiede an wenigen hundert Zellen, die beispielsweise durch Mikrodissektion mikroskopischer Tumoren gewonnen wurden, bestimmen. Verfahren zur Messung der DNA-Methylierung gar einzelner Zellen eröffnen neue Horizonte für die epigenetische Analyse von Tumorevolution und -heterogenität (Smallwood et al. 2014). Bevor die Einzelzellmethylierungsanalyse auf breiter Ebene Einzug in die onkologische Forschung nehmen kann, bedarf es allerdings noch aufwendiger Methodenoptimierung.
Epigenetische Veränderungen in Krebszellen sind auch anhand charakteristischer Nukleosomenmuster erkennbar, die durch Modifikationen der Histonproteine geprägt werden. Histonmodifikationen lassen sich nach Ultraschallfragmentierung durch Chromatin-Immunpräzipitation (ChIP) mithilfe spezifischer Antikörper anreichern. NGS-Analysen der angereicherten Genomregionen (ChIP-Seq) geben Aufschluss über die Anwesenheit der entsprechenden Histonmodifikationen und damit indirekt über den aktiven oder inaktiven Zustand des Chromatins.
Der genomweiten Nukleosomenbesatz des Chromatins lässt sich mithilfe des „assay for transposase accessible chromatin“ (ATAC) analysieren (Buenrostro et al. 2013). Das Chromatin lysierter Zellen wird enzymatisch in Fragmente zerlegt, die an ihren Enden Sequenzieradaptoren tragen. Nukleosomenbesetzte Genomabschnitte sind enzymatisch unzugänglich und erweisen sich in der nachfolgenden NGS-Analyse (ATAC-Seq) als unterrepräsentiert. Im Rückschluss ergibt sich ein Zelltyp-spezifisches Nukleosomenmuster kompakter und lockerer Chromatinabschnitte.
Zusammen mit den neuen experimentellen Verfahren zur Analyse epigenetischer Veränderungen sind zahlreiche neue bioinformatische Methoden zu deren mathematischen und statistischen Erfassung entwickelt worden. Um beispielsweise Tumorheterogenität einer Bulk-Tumorprobe festzustellen, können die relativen Häufigkeiten von Tumorsubklonen bioinformatisch durch spezifische DNA-Methylierungsmuster hergeleitet werden. Ein insbesondere für die Analyse von Blutproben geeigneter Algorithmus wurde mit den Methylierungsprofilen gereinigter Zelltypen entwickelt (Houseman et al. 2012). Andere Methoden zur Identifizierung einzelner Tumorsubklone sind sowohl für Blut als auch für solide Gewebe geeignet. Diese Methoden untersuchen ein Kollektiv von Tumorproben und teilen die Methylierungswerte in verschiedene Fraktionen auf, die epigenetische Profile von Zelltypen bzw. Tumorsubklonen widerspiegeln. Die Weiterentwicklung bioinformatischer Methoden zur Analyse des Genoms und des Epigenoms von Tumoren wird von zentraler Bedeutung für eine verbesserte personalisierte Krebstherapie sein.
Epigenetische Therapien
In Tumoren sind epigenetische Enzyme häufig mutiert oder in ihrer Expression gestört, was zu schwerwiegenden Veränderungen führt. Daher wurden therapeutische Ansätze entwickelt, die epigenetische Enzyme spezifisch hemmen und so die Veränderungen im Tumor umkehren.
Inhibitoren von DNA-Methyltransferasen(DNMTi). Die synthetischen Nukleoside 5-Azacytidin und 5-Aza-2‘-deoxycytidin sind die wichtigsten Vertreter der DNMTi (Jones et al. 2016). Beide Substanzen wurden von den Arzneimittelbehörden in den USA (FDA) und Europa (EMA) zur Behandlung von myelodysplastischen Syndromen und von akuten myeloischen Leukämien zugelassen. Bei diesen hämatopoetischen Neoplasien bewirkte die DNMTi-Therapie eindeutige Verbesserungen in Remissionsraten, dem Überleben und der Lebensqualität, doch zeigten sich nur geringe Verbesserungen bei soliden Tumoren, besonders nach Monotherapie mit diesen Subtanzen (Schiffmann et al. 2016).
5-Azacytidin wird sowohl in RNA als auch in DNA eingebaut, häufiger jedoch in RNA. Dies hat zur Folge, dass Polyribosomkomplexe destabilisiert werden und die Methylierung und Akzeptorfunktion von Transfer-RNAs sowie die Produktion von Proteinen gestört ist. Im Gegensatz dazu wird 5-Aza-2‘-deoxycytidin ausschließlich in die DNA eingebaut. Für die hemmende Wirkung auf DNA-Methyltransferasen müssen beide Substanzen während der S-Phase des Zellzyklus in das Genom von schnell proliferierenden Zellen eingebaut werden. Nach Interaktion der DNA-Methyltransferasen mit der DNA verhindert dieser Einbau die Auflösung des DNA-Methyltransferase-Komplexes. Das Enzym bleibt kovalent an die DNA gebunden, was seine Funktion blockiert und letztlich zu seinem proteasomalen Abbau führt. Folglich wird die weitere Methylierung von Cytosinbasen in der DNA verhindert und die Cytosinmethylierung in den Tochterzellen reduziert.
Inhibitoren der Histondeacetylasen. Das Zusammenspiel von Histonacetyltransferasen (HAT) und Histondeacetylasen (HDAC) moduliert die Acetylierung an verschiedenen Lysin-Positionen der Histone H2A, H2B, H3 und H4. Diese Modulation reguliert zusammen mit anderen epigenetischen Faktoren die Chromatinkompaktheit von Genregionen und deren Expression. Häufig sind einzelne HDAC in hämatologischen und soliden Tumoren verstärkt exprimiert, was zu gestörter Genexpression und malignem Wachstum führt. Durch Hemmung von HDAC kann ein gestörtes Acetylierungsmuster der Histone, der Zellzyklusstop, die Differenzierung, der Zelltod, die Angiogenese und die Immunantwort wieder normalisiert werden. HDAC-Inhibitoren sind synthetische oder natürliche Substanzen wie kurzkettige Fettsäuren, Hydroxaminsäuren, zyklische Peptide und Benzamid-Derivate (Eckschlager et al. 2017). Alle Inhibitoren haben eine Metallbindungsstelle und können mit Zink-Ionen Chelate bilden. Vor allem die HDAC-Inhibitoren der ersten Generation haben eine geringe Spezifität gegenüber den einzelnen HDAC. Sirtuine mit dem Kofaktor NAD+ sind gegenüber HDAC-Inhibitoren resistent. Für die Hemmung der Sirtuine in Tumorzellen werden eigene Substanzen entwickelt.
Mittlerweile sind verschiedene HDAC-Inhibitoren in klinischen Studien für die Behandlung mehrerer Tumorentitäten erprobt worden. Von FDA und EMA zugelassen sind Belinostat (peripheres T-Zell-Lymphom), Panobinostat (multiples Myelom), Romidepsin (kutanes T-Zell-Lymphom) und Vorinostat (kutanes T-Zell-Lymphom). Weitere Substanzen sind in der klinischen Phase-I- und -II-Prüfung, wo sie auch bei soliden Tumoren, unter anderem von Prostata, Lunge, Pankreas und Brust, getestet werden. In klinischer Phase III befindet sich bereits Entinostat, ein Hemmstoff der HDAC-Klasse I, der bei Brustkrebs eingesetzt wird.
Inhibitoren von Proteinen der Bromodomänenfamilie. Weitere vielversprechende Substanzen zur Reprogrammierung des Epigenoms sind Inhibitoren der Bromodomänenfamilie („Bromodomäne [BRD] und extraterminale Domäne“-Proteine; BET-Proteine). BET-Proteine können den epigenetischen Code ablesen, indem sie an acetylierte Histonsignale binden und die Elongation von Transkripten verstärken. Insbesondere BRD4 kann in Tumorzellen überexprimiert sein und so das Zellwachstum und die Aktivität von Onkogenproteinen wie MYC stimulieren. In Tumorzellen bindet überexprimiertes BRD4 vermehrt an sogenannte Superenhancer, die im acetylierten, aktiven Zustand die Expression gleich mehrerer Gene verstärken. Pharmakologische Hemmung verdrängt BRD4 von den Superenhancern und stellt eine normale Expression der von diesen abhängig regulierten Gene wieder her. Die experimentelle Leitsubstanz zur Hemmung von BRD4 ist (+)-JQ1, das allerdings für eine Therapie zu toxisch ist. Zahlreiche weitere Hemmstoffe werden derzeit untersucht; 8 werden mittlerweile in klinischen Studien der Phase I und II getestet (Jones et al. 2016). Am weitesten entwickelt sind die Pan-BET-Inhibitoren OTX015, INCB054329 und BMS-986158, deren Wirksamkeit bei hämatologischen Erkrankungen und soliden Tumoren getestet wird.
Inhibitoren weiterer epigenetischer Zielproteine und Kombinationstherapie. Viele Tumoren weisen Mutationen in Genen für Histon- und Chromatin-modifizierende Enzyme wie Histonmethyltransferasen und Histondemethylasen auf. Diese Mutationen tragen durch Änderungen der Chromatinstruktur und der Genexpression zur Karzinogenese bei. Beispielsweise ist in Lymphomen die Histon-3-Lysin27-N-Methyltransferase EZH2 durch Mutation aktiviert (Lu und Wang 2017). EZH2-Inhbitoren wie Tazemetostat werden zurzeit hinsichtlich ihrer Wirksamkeit bei Lymphomen und anderen soliden Tumoren geprüft. Weitere Beispiele für Mutationen, die eine gezielte, mutationsspezifische Therapie ermöglichen könnten, betreffen Gene für die Histonmethyltransferase DOT1L (Leukämien mit MLL-Rearrangement) und die Histondemethylase LSD1 (AML und kleinzelliges Lungenkarzinom).
Die unterschiedlichen Wirkmechanismen von DNMT-, HDAC- und BET-Protein-Inhibitoren legen nahe, durch Substanzkombination ihre Wirkung zu verstärken und mögliche Resistenzen zu umgehen. Vor allem Kombinationen von Inhibitoren von DNMT1 und HDAC werden bereits klinisch erprobt, unter anderem am nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom. Weitere Ansätze konzentrieren sich auf Kombinationen von epigenetisch wirksamen Substanzen mit klassischen Zytostatika. Die epigenetische Komponente soll dabei tumorspezifisch abgeschaltete Tumorsuppressorgene reaktivieren und die zytostatische Wirkung verstärken. Erste Studien haben ermutigende Ergebnisse gezeigt und werden derzeit besonders für das Ovarialkarzinom vertieft.
Ausblick
Die zentrale Bedeutung epigenetischer Mechanismen in der Tumorigenese ist inzwischen unstrittig. Eine Herausforderung in der Zukunft wird sein, die Gesamtheit der genetischen und epigenetischen Veränderungen in einem integrativen Ansatz zur Klärung der molekularen Pathomechanismen so zu vereinen, dass darauf aufbauend neue diagnostische und therapeutische Konzepte entwickelt werden können. Erste vielversprechende Ansätze gibt es hier bei Gehirntumoren, bei denen es Wissenschaftlern gelang, über DNA-Methylierungsmuster neue molekulare Subgruppen zu definieren und dadurch neue Therapieansätze vorzuschlagen. Aber auch die epigenetischen Therapieansätze sind vielversprechend, und insbesondere die Kombination epigenetischer Medikamente mit Immuntherapien könnte in naher Zukunft zu neuen Erfolgen in der Behandlung maligner Erkrankungen führen.
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