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Ernährung, Übergewicht und körperliche Aktivität

Verfasst von: Tilman Kühn und Karen Steindorf
Fehlernährung, Bewegungsmangel und daraus resultierendes Übergewicht sind modifizierbare Risikofaktoren für eine Reihe von Krebserkrankungen. Pathophysiologische Folgen von Übergewicht wie chronische Entzündung, veränderte Regulation von Steroidhormonen oder Überaktivierung der Insulin-IGF-1-Achse gelten als globale Mechanismen, über die Ernährung und körperliche Aktivität – via Energiebilanz und Übergewicht – das Krebsrisiko beeinflussen. Daneben gibt es zusätzliche spezifische Wirkmechanismen von Lebensmittelinhaltsstoffen bzw. der körperlichen Aktivität, die in der Entstehung bestimmter Krebsarten eine Rolle spielen. Eine Ernährungsweise, bei der stärker auf pflanzliche und weniger auf hochverarbeitete, energiedichte Lebensmittel gesetzt wird, und regelmäßige körperliche Aktivität haben ein enormes Potenzial in der Krebsprävention, auch vor dem Hintergrund, dass die 3 Faktoren nach dem Rauchen die wichtigsten modifizierbaren Ursachen von Krebs in westlichen Ländern sind.

Einleitung

Im Ranking aller Risikofaktoren für Krebs gemäß ihres Potenzials zur Vermeidung von Krebserkrankungen in Deutschland belegen Ernährung, Übergewicht und körperliche Aktivität die Plätze 2–4, hinter dem Rauchen (Behrens et al. 2018). Sie sind als eng miteinander verbundene, aber dennoch auch als 3 eigenständige Faktoren im Kontext der Primärprävention von Krebs zu sehen. Eine enge Verbindung ist schon über die Energiebalance hinreichend definiert, die wiederum eng mit der Körperzusammensetzung assoziiert ist. So kann z. B. durch Sport und körperliche Aktivität Übergewicht vermieden, Fettmasse reduziert und Muskelmasse aufgebaut werden. Allerdings zeigt körperliche Aktivität auch unabhängig vom Body-Mass-Index (BMI) protektive Effekte. Schlanksein alleine ist also nicht unbedingt gesünder als übergewichtig, jedoch körperlich aktiv zu sein.
Eine Übersicht zu Zusammenhängen zwischen Ernährung, Übergewicht und körperlicher Aktivität mit Krebsrisiken, für die eine starke Evidenz vorliegt, findet sich in Tab. 1. In den folgenden Abschnitten werden deren Hintergründe beschrieben. Die Zusammenstellung basiert maßgeblich auf der umfassenden Aufbereitung der Evidenz zu Ernährung, Übergewicht sowie körperlicher Aktivität und Krebsrisiko des World Cancer Research Fund (WCRF) von 2018 (WCRF/AICR 2018), die Metaanalysen epidemiologischer Studien, aber auch experimentelle Evidenz berücksichtigt hat.
Tab. 1
Zusammenhänge zwischen Ernährungsfaktoren, körperlicher Aktivität, Übergewicht und Krebsrisiken gemäß Bericht des World Cancer Research Fund (WCRF) von 2018
Entität
Überzeugende Evidenz
Wahrscheinliche Evidenz
Mund, Kehlkopf, Rachen
Alkohol
Körpergewicht
Nasenrachenraum
Kantonesisch gesalzener Fisch*
Speiseröhre
Alkohol
Mate*
 
Körpergewicht
 
Lunge
Arsenhaltiges Trinkwasser*
 
Beta-Carotin-Supplemente
 
Magen
Alkohol
  
Gepökelte Lebensmittel
Körpergewicht ↑
  
Körpergewicht
Bauchspeicheldrüse
Körpergewicht
Gallenblase
Körpergewicht
Leber
Alkohol
Kaffee
 
Aflatoxin-belastete Lebensmittel*
 
 
Körpergewicht
 
Darm
Körperliche Aktivität
Ballaststoffe, Milchprodukte
 
Verarbeitetes Fleisch, Alkohol
Kalzium-Supplemente
 
Körpergewicht
Rotes Fleisch
Brust
Körperliche Aktivität
  
Alkohol
Eierstock
Körpergewicht
Gebärmutter
Körpergewicht
Kaffee
  
Glykämische Last
  
Körperliche Aktivität
Gebärmutterhals
Prostata
Körpergewicht
Niere
Körpergewicht
Moderater Alkoholkonsum
Blase
Arsenhaltiges Trinkwasser*
Haut
Arsenhaltiges Trinkwasser*
Höheres Risiko
Niedrigeres Risiko
*In Deutschland nicht bzw. kaum von Bedeutung

Ernährung

Ernährungsmodifikationen nach den Empfehlungen des WCRF bieten ein großes Potenzial für die Krebsprävention, vor allem über die Kontrolle von Energiebalance und Körpergewicht.
Als der WCRF 1997 erstmals einen weitestgehend auf Fall-Kontroll-Studien basierenden Übersichtsbericht zu Ernährung und Krebs veröffentlichte, galten eine Reihe an Assoziationen zwischen Ernährungsfaktoren und Krebsrisiken als überzeugend belegt (Tab. 2) (Glade 1999). In der Folge änderte sich die Studienlage zu Ernährung und Krebsrisiko, da seit den 1990er-Jahren vermehrt Ergebnisse aus groß angelegten Kohortenstudien verfügbar wurden. Einige vom WCRF 1997 als mit „überzeugender“ Evidenz kausal eingestufte Zusammenhänge zwischen Ernährungsfaktoren und Krebsrisiken wurden im zweiten WCRF-Bericht von 2007 und im dritten WCRF-Bericht von 2018 nur noch als „wahrscheinlich“ oder „möglich“ bewertet (s. Obst- und Gemüseverzehr in Tab. 2). Neben der Verfügbarkeit von Kohortenstudien gehen veränderte Einstufungen der Evidenz zu Ernährung und Krebs auch auf eine inzwischen stärkere Betonung mechanistischer Studien durch den WCRF zurück.
Tab. 2
Veränderungen von Evidenzgraden zu Zusammenhängen zwischen ausgewählten Ernährungsfaktoren und Risiken für häufige Krebstypen gemäß World Cancer Research Fund (WCRF)
 
Gemüse
Obst
Verarbeitetes Fleisch
 
1997
2007
2018
1997
2007
2018
1997
2007
2018
Darmkrebs
+++
+
+
++
+++
+++
Brustkrebs
++
++
Prostatakrebs
+
+
Lungenkrebs
+++
++
+
+++
++
+
+
+
Magenkrebs
+++
++
+++
++
+
+
+
+++ Überzeugend, ++ wahrscheinlich, + möglich, – kein Zusammenhang
Ein Zusammenhang, der sich im Laufe der Zeit verfestigte, ist der zwischen dem Verzehr von verarbeitetem Fleisch und Darmkrebsrisiko. Dieser wurde 2015 auch von einem internationalen Expertengremium der Weltgesundheitsorganisation als „überzeugend“ bewertet und der Verzehr von verarbeitetem Fleisch als „karzinogen für den Menschen“ klassifiziert. Das karzinogene Potenzial von verarbeitetem Fleisch wird in erster Linie auf Inhaltsstoffe wie
  • Nitrosamine,
  • polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe und
  • heterozyklische Amine
zurückgeführt (Bouvard et al. 2015), daneben werden erhöhte Zufuhren von
  • gesättigten Fettsäuren,
  • Hämeisen und
  • bovinen Viren via Fleisch
als zugrunde liegende Mechanismen diskutiert (Rohrmann und Linseisen 2016).
Für weitere Lebensmittel und Lebensmittelinhaltsstoffe, die mit Krebsrisiken assoziiert sind, sind ebenfalls spezifische Wirkmechanismen identifiziert worden (WCRF/AICR 2018). So induzieren Ballaststoffe beispielsweise eine vermehrte Bildung kurzkettiger Fettsäuren im Darm, die wiederum verschiedene antikanzerogene Effekte ausüben.
Insgesamt hat sich die Betrachtung von Ernährungsfaktoren in Bezug auf das Krebsrisiko in den letzten Jahren jedoch stark gewandelt. Während in der Vergangenheit oftmals die Aufnahme von möglicherweise karzinogenen oder chemopräventiven Inhaltsstoffen im Fokus stand, wirkt sich die Ernährung nach aktueller Evidenzlage in erster Linie über die Energiebalance, d. h. indirekt über ihren Einfluss auf das Körpergewicht und metabolische Veränderungen auf Risiken für vielzählige Krebserkrankungen aus. Dementsprechend ist der Verzehr von Obst und Gemüse – also von Lebensmitteln mit geringerer Energiedichte – nach wie vor integraler Bestandteil der aktuellen WCRF-Empfehlungen (Tab. 3).
Tab. 3
Empfehlungen des World Cancer Research Fund (WCRF) zu Ernährung und Bewegung. (Gekürzt gemäß WCRF 2018a; darüber hinaus empfiehlt der WCRF Müttern, wenn möglich zu stillen)
Empfehlung
Anmerkung
Normalgewicht halten
BMI von 18,5–24,9
Körperlich aktiv sein
Mindestens 150 Minuten moderate oder 75 Minuten anstrengende Aktivität pro Woche
Regelmäßig Obst, Gemüse, Leguminosen und Vollkornprodukte verzehren
Obst und Gemüse: 400 g/Tag
Ballaststoffe: 30 g/Tag
Verzehr von hoch verarbeiteten Lebensmitteln mit hohem Fett-, Zucker- und Stärkegehalt einschränken
Weniger Fastfood, Weißmehlprodukte, Chips, Süßigkeiten, Kuchen etc.
Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch einschränken
Maximal 3 Portionen rotes Fleisch pro Woche, so wenig verarbeitetes Fleisch wie möglich
Verzehr stark gesüßter Getränke einschränken
Vom Verzehr wird generell abgeraten; Fruchtsäfte nur in geringen Mengen
Verzehr von Alkohol einschränken
Vom Verzehr wird generell abgeraten; wenn, dann nur Höchstmengen gemäß nationaler Leitlinien
Nahrungsmittelsupplemente nur bei definiertem Bedarf, nicht zur mutmaßlichen Krebsprävention
Von hoch dosierten Supplementen wird abgeraten; Nährstoffzufuhr in der Regel über die Ernährung abdecken; in manchen Bevölkerungsgruppen unter Mangelrisiko Supplemente sinnvoll
Abgeraten wird seitens des WCRF von der ungezielten Einnahme von Nahrungsmittel-Supplementen, insofern kein diagnostizierter Mineralstoff- oder Vitaminmangel vorliegt. Dies geht vor allem auf Befunde randomisierter Studien zurück, die erhöhte Krebsrisiken unter Vitamin- oder Spurenelement-Supplementierung zeigten. Am besten belegt sind diese adversen Effekte in Bezug auf Beta-Carotin und Lungenkrebs unter Rauchern (WCRF/AICR 2018).
Für Krebsüberlebende („cancer survivors“) gelten die Empfehlungen des WCRF als grober Rahmen ebenfalls, wobei zusätzlich stark auf individuelle diätetische Bedürfnisse je nach Erkrankungs- bzw. Behandlungsfolgen geachtet werden muss.
  • Es bestehen vereinzelte Zusammenhänge zwischen dem Verzehr spezifischer Lebensmittel und Krebsrisiken (z. B. verarbeitetes Fleisch und Darmkrebs)
  • Die Ernährungsweise beeinflusst die Krebsentstehung daneben vor allem über die Regulation von Energiebalance und Körpergewicht

Übergewicht

Übergewicht gehört zu den wichtigsten modifizierbaren Risikofaktoren für eine Reihe von Krebserkrankungen. Damit ist die Prävention von Übergewicht bzw. Adipositas entscheidend für die Krebsprävention.
Als übergewichtig gelten Personen mit einem Body-Mass-Index (BMI) von 25 bis 29,9, Personen mit einem BMI von mehr als 30 gelten als adipös (World Health Organization 2018).
Bereits Übergewicht ist mit erhöhten Risiken für viele Krebsarten assoziiert, bei noch höheren Risiken mit weiter ansteigendem BMI (Bhaskaran et al. 2014). Übergewicht ist nach dem Rauchen zumindest in westlichen Ländern als der auf Populationsebene zweitwichtigste modifizierbare Risikofaktor für Krebs beschrieben worden (Renehan und Soerjomataram 2016). Dies lassen vor allem Ergebnisse groß angelegter (Meta-)Analysen schließen, die auf Daten aus Kohortenstudien mit Millionen von Studienteilnehmern fußen (WCRF/AICR 2018).
In einer aktuellen Schätzung für Deutschland wurde der Fehlernährung bezüglich der Krebslast eine ähnliche Bedeutung wie dem Übergewicht eingeräumt (Behrens et al. 2018), wobei darauf zu achten ist, dass eine akkurate Abgrenzung von Effekten der Ernährung via Energiebalance (also via Übergewicht) und sonstigen Mechanismen methodologisch schwierig ist. Eine Übersicht der Zusammenhänge zwischen Übergewicht und Risiken für spezifische Krebsarten findet sich in Tab. 1.
Ähnlich wie bei der Ernährung gibt es zu Übergewicht und Krebsrisiko kaum nennenswerte Langzeitinterventionsstudien (Mahabir et al. 2018). Dies geht darauf zurück, dass randomisierte Gewichtsinterventionen zur Senkung der Krebsinzidenz enorm groß (mehrere zehntausend Studienteilnehmer) und von langer Dauer (mehrere Jahrzehnte) sein müssten, was finanziell und logistisch schwierig erscheint. Außerdem müsste der Kontrollgruppe eine Gewichtsintervention vorenthalten werden, was aus ethischer Perspektive schwer denkbar ist. Damit haben laborbasierte mechanistische Studien und Humaninterventionen zu Intermediärendpunkten (Entzündungswerte, Insulinsensitivität etc.) – neben Kohortenstudien – für die Ableitung von Kausalzusammenhängen zwischen Übergewicht und Krebsrisiko eine große Bedeutung (WCRF/AICR 2018).
Eine weitere Evidenzlinie kommt aus Langzeitnachbeobachtungen randomisierter Studien zu bariatrischen Gewichtsreduktionsmaßnahmen, die auf eine niedrigere Krebsinzidenz bei Patienten mit chirurgisch induziertem Gewichtsverlust schließen lassen (Peltonen und Carlsson 2016).
Übergewichtsinduzierte chronische Entzündung und Veränderungen im Steroidhormonmetabolismus gelten als entscheidende Vermittler übergewichtsassoziierter Krebsrisiken (Abb. 1). Daneben könnten übergewichtsinduzierte Veränderungen der Insulin-IGF-1-Achse Risiken für einige Krebsarten erhöhen (Lauby-Secretan et al. 2016). Als weitere mögliche mechanistische Bindeglieder zwischen Übergewicht und Krebs werden im Fettgewebe produzierte Adipokine (z. B. Leptin und Adiponektin) und – vor allem für gastrointestinale Tumoren – Stoffwechselprodukte des Darmmikrobioms (z. B. Gallensäuren, kurzkettige Fettsäuren, Lipopolysaccharide) diskutiert (Berriel Diaz et al. 2016). Auch die Refluxösophagitis stellt einen Mediator von Zusammenhängen zwischen Übergewicht und Adenokarzinomen der Speiseröhre sowie möglicherweise weiteren Krebserkrankungen der oberen Luft- und Speisewege dar (Herbella et al. 2015).
Wie oben erwähnt, suggerieren Studien, in denen der BMI als Maß für Übergewicht und Adipositas genutzt wurde, dass ein erhöhtes Körpergewicht nach dem Rauchen einer der wichtigsten modifizierbare Risikofaktoren in westlichen Ländern ist (Renehan und Soerjomataram 2016). Der BMI spiegelt zwar relativ gut das Gesamtkörperfett wider, das für die zu Krebs führenden pathophysiologischen Veränderungen entscheidende viszerale Fett aber nur unzureichend (Neamat-Allah et al. 2014). Damit ist es naheliegend, dass die in Metaanalysen dargestellten Krebsrisiken je nach BMI die tatsächlichen, auf viszerale Fettanhäufung zurückgehenden Risiken nicht komplett abbilden. Auch wenn Übergewicht und Adipositas sicher nicht als „das neue Rauchen“ anzusehen sind, ist zudem zu berücksichtigen, dass die Prävalenz des Übergewichts – anders als die des Rauchens – in vielen westlichen Ländern in den vergangenen Jahren gestiegen ist (WCRF 2015).
Eine gewisse Aufmerksamkeit hat zuletzt das sogenannte Adipositas-Paradoxon erregt. Es fußte auf der Annahme, dass ein moderates Übergewicht in der Allgemeinbevölkerung und ggf. unter Krebspatienten mit der längsten Lebenserwartung verbunden ist. Allerdings ist dieses scheinbare Paradoxon weitestgehend aufzulösen: Mutmaßlich höhere Mortalitätsrisiken bei (sehr) niedrigen BMI-Werten in bestimmten Studien beruhen darauf, dass niedrige BMI-Werte häufiger unter Rauchern zu finden sind. Der eigentliche Risikofaktor ist das Rauchen, nicht der niedrige BMI. Außerdem ist ein niedriger BMI dann tatsächlich nachteilig, wenn er auf Sarkopenie oder Kachexie, also einen ungewollten Verlust an Körpersubstanz, zurückgeht (Lennon et al. 2016).
Zusätzlich reflektiert der BMI wie besprochen nur unzureichend viszerale oder sarkopenische Adipositas. Über viszerales Fett und Muskelmasse hinaus könnten weitere Parameter der Körperzusammensetzung (z. B. ektope Fetteinlagerungen) zukünftig helfen, Zusammenhänge zwischen Übergewicht bzw. Adipositas und Krebs besser aufzuschlüsseln. Aus Sicht der Primärprävention ist dessen ungeachtet anzumerken, dass eine forcierte Umsetzung von Maßnahmen zur Eindämmung von Übergewicht ohnehin angezeigt ist, egal, ob sich aus künftigen Studien weitere mechanistische Einsichten oder präzisere Risikoschätzungen ableiten lassen (WCRF 2018b).
  • Es bestehen Kausalzusammenhänge zwischen erhöhtem BMI und 13 Krebsarten
  • Maßnahmen der Übergewichtsprävention sollten als Maßnahmen der Krebsprävention begriffen und forciert werden

Körperliche Aktivität

Körperliche Aktivität ist mit einer Risikominderung für häufige Tumorarten assoziiert und besitzt ein hohes Potenzial für die Gesundheitsvorsorge der Allgemeinbevölkerung.
Körperlich aktive Menschen erkranken seltener an einigen Krebsarten als Personen, die einen körperlich inaktiven Lebensstil führen. Hunderte von epidemiologischen Studien untersuchten diese präventiven Effekte. Für Deutschland hat eine aktuelle quantitative Risikoabschätzung ergeben, dass ca. 6 % aller Krebserkrankungen auf geringe körperliche Aktivität zurückzuführen sind (Behrens et al. 2018). Für die mit körperlicher Aktivität assoziierten Krebstypen wurde abgeschätzt, dass ca. 10–15 % der zugehörigen Krebsfälle in Europa durch hinreichende körperliche Aktivität der Menschen vermieden werden könnten (Friedenreich et al. 2010).
Unter körperlicher Aktivität versteht man jede körperliche Bewegung, die durch die Skelettmuskulatur bewirkt wird und den Energieverbrauch über den Grundumsatz steigert. Damit umfasst körperliche Aktivität z. B. auch berufliche körperliche Aktivität, Aktivitäten, die der Fortbewegung dienen, aber auch körperliche Aktivitäten wie Haushaltstätigkeiten und Gartenarbeiten. Der Begriff körperliche Aktivität ist eindeutig vom Begriff Sport zu unterscheiden, der lediglich einen (wichtigen) Teilaspekt darstellt.
Im Hinblick auf körperliche Aktivität hat sich unser Lebensstil in den letzten 50–100 Jahren drastisch verändert. So gelten heute 35 % der Erwachsenen in Europe als körperlich inaktiv. Während früher ein körperlich aktives Leben vor allem über die Berufstätigkeit definiert war, spielt heute vor allem die Freizeit- sowie Wege-/Transportgestaltung eine große Rolle.
Schon mit der Definition wird die Verbindung von körperlicher Aktivität mit dem Energieverbrauch und der Energiebalance deutlich und somit mit den anderen Themenbereichen dieses Kapitels. Der WCRF bewertete kürzlich den Zusammenhang zwischen körperlicher Aktität und dem Risiko für Gewichtszunahme, Übergewicht und Adipositas für Zu-Fuß-gehen als eindeutig erwiesen und für ausdauerorientierte körperliche Aktivität im positiven und für sitzende/inaktive Zeit im negativen als wahrscheinlich erwiesen (WCRF/AICR 2018).
Bezüglich des Zusammenhangs mit Krebsrisiken befassten sich die meisten Studien mit Darm- und Brustkrebs und berücksichtigten bei der Auswertung bereits den Einfluss anderer wichtiger Faktoren, die ebenfalls auf das Krebsrisiko wirken, um verzerrte Ergebnisse zu vermeiden. Aktuelle Übersichtsarbeiten zu den verschiedenen Krebserkrankungen liegen vor, unter anderem aus dem Continuous Update Project des WCRF (WCRF/AICR 2018; McTiernan et al. 2019). Dabei ist hervorzuheben, dass konsistent inverse Assoziationen in Studien mit unterschiedlichsten Erhebungsmethoden für körperliche Bewegung sowie in unterschiedlichen Populationen gefunden wurden. Auch Untersuchungen von möglichen modifizierenden Faktoren, wie z. B. Ernährung, Body-Mass-Index, Geschlecht und Hormonersatztherapie, ergaben, dass es sich um sehr allgemein gültige Zusammenhänge handelt, die nicht auf Subgruppen beschränkt sind.
Als hinreichend nachgewiesen gilt vor allem der Zusammenhang von körperlicher Aktivität mit dem Kolonkarzinom, dem am häufigsten diagnostizierten Tumor in Deutschland. Diese Einschätzung ist aus der großen Anzahl von Studien und den jeweilig beobachteten Risikoreduktionen abgeleitet (WCRF/AICR 2018). Metaanalysen ergaben durchschnittliche relative Risikoreduktionen von 15–25 % durch hohe körperliche Aktivität verglichen mit geringerer körperlicher Aktivität (McTiernan et al. 2019). Das Risiko, an einem Kolonkarzinom zu erkranken, sinkt mit steigender Aktivität, sei es durch gesteigerte Intensität, Häufigkeit oder Dauer. Dabei wurde aber auch moderate körperliche Aktivität als überzeugend mit einer Risikoverringerung assoziiert eingestuft (WCRF/AICR 2018). Die größten Risikoverminderungen zeigten sich jedoch bei intensiveren Aktivitäten, die zudem regelmäßig über das gesamte Leben ausgeübt wurden.
Für das Rektumkarzinom liegen deutlich weniger Untersuchungen vor. Im Gegensatz zu den Studienergebnissen für das Kolonkarzinom zeigen diese Studien keine eindeutige Assoziationen zwischen dem Krebsrisiko und dem Bewegungsverhalten (McTiernan et al. 2019).
Als wahrscheinlich wird zudem der Zusammenhang von körperlicher Aktivität mit dem Risiko gesehen, an postmenopausalem Brust- oder Gebärmutterkrebs zu erkranken. Für anstrengende körperliche Aktivität gilt diese Bewertung auch für prämenopausalem Brustkrebs (WCRF/AICR 2018). Die Größenordnungen der relativen Risikosenkungen werden auf 12–21 % geschätzt (McTiernan et al. 2019). Da in der Ätiologie der genannten Tumorarten die endogenen Sexualhormonspiegel eine wichtige Rolle spielen und somit ein kausaler Zusammenhang mit körperlicher Aktivität sehr plausibel ist (s. Abb. 1), liegen auch Studien zu Effekten für verschiedene Krebssubtypen vor, etwa für Brustkrebs unterschieden nach Östrogen- und Progesteronrezeptorstatus. Mehrere Studien beobachteten signifikante Effektmodifikationen nach diesen Subtypen, jedoch sind die Ergebnisse noch als inkonsistent einzustufen.
Darüber hinaus werden Zusammenhänge zwischen körperlicher Aktivität und dem Krebsrisiko vermutet für die Speiseröhre, die Lunge, die Blase, die Nieren, den Magen und die Leber (WCRF/AICR 2018; McTiernan et al. 2019), möglicherweise mit etwas geringeren relativen Risikosenkungen von 10–20 %. Für zahlreiche andere Krebsarten werden Zusammenhänge diskutiert, es liegen allerdings derzeit nicht genügend Daten vor, um eine Bewertung des Zusammenhangs von Bewegung mit dem Krebsrisiko vorzunehmen. Zudem liegt moderate Evidenz – aufgrund weniger Studien – vor, dass sitzende Tätigkeiten für manche Krebserkrankungen als eigenständiger Risikofaktor über die möglicherweise damit verbundene nicht hinreichende körperliche Aktivität zu sehen ist. Entsprechende Daten liegen bislang für das Kolon-, Endometrium- und Lungenkarzinom vor (Patel et al. 2019).
Über welche Mechanismen körperliche Aktivität protektiv in die Krebsentstehung eingreift, ist noch unzureichend belegt und verstanden. Da körperliche Aktivität ein sehr komplexes Verhalten ist, spielen vermutlich zahlreiche physische und psychische Reaktionen und somit biologische Wirkmechanismen eine Rolle. Diskutiert wird der Einfluss auf Sexualhormone, auf das Insulin- und Insulinresistenz-System, Entzündungsprozesse, Immunfunktionen, Myokine, oxidativen Stress, DNA-Reparaturmechanismen und Vitamin D. Auch diese diskutierten Mechanismen verdeutlichen die Nähe zur Ernährung, Übergewicht und Körperzusammensetzung (s. Abb. 1) (Patel et al. 2019).
Insgesamt weist körperliche Aktivität somit als veränderbarer Lebensstilfaktor ein substanzielles Potenzial für die bevölkerungsbezogene Krebsprävention auf. Darüber hinaus wird ein körperlich aktiver Lebensstil mit zahlreichen weiteren positiven Gesundheitsfolgen in Verbindung gebracht. So führt ein körperlicher aktiver Lebensstil auch zur Vermeidung von z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Osteoporose, möglicherweise auch Demenz. Die gegenwärtigen Empfehlungen sind daher nicht krebsspezifisch, sondern legen gesunden Erwachsenen generell nahe, regelmäßig körperlich aktiv zu sein (Bull et al. 2020).
Für Ausdauertraining wird ein Umfang von 150–300 Minuten pro Woche bei moderater Trainingsintensität empfohlen. Diese Intensität lässt sich bereits durch sehr zügiges Gehen erreichen. Wahlweise können auch anstrengendere Ausdaueraktivitäten mit einer wöchentlichen Trainingszeit von 75–150 Minuten oder auch äquivalente Kombinationen aus beiden Anstrengungsstufen ausgeübt werden. Als anstrengende Aktivitäten gelten dabei z. B. schnelles Schwimmen und Joggen/Laufen. Darüber hinaus wird empfohlen, an 2 oder mehr Tagen pro Woche ein moderates bis anstrengenderes Krafttraining duchzuführen und zudem inaktive und sitzende Zeiten zu begrenzen.
Für viele Krankheiten, so auch Krebs, ist davon auszugehen, dass zusätzliche körperliche Aktivität auch mit einem größeren Nutzen im Sinne eines verringerten Erkrankungsrisikos einhergeht (Bull et al. 2020).
  • Körperliche Aktivität kann das Risiko für einige Krebsarten senken. Dazu gehören insbesondere die häufig auftretenden Krebsarten Darm- und Brustkrebs
  • In Deutschland sind ca. 6 % aller Krebserkrankungen auf einen Mangel an hinreichender Bewegung zurückzuführen
  • Die biologischen Wirkmechanismen von körperlicher Aktivität sind vielfältig, jedoch noch nicht hinreichend verstanden

Fazit

Die 3 betrachteten Faktoren bieten ein komplexes Muster, deren Interaktionen noch im Detail zu verstehen sind. Eine besondere Herausforderung stellt dabei weiterhin, trotz neuer Technologien, die Erfassung der Faktoren über den gesamten Lebenszyklus hinweg dar. Andererseits wird das Feld beflügelt durch die Einbeziehung intermediärer Komponenten, wie z. B. dem Mikrobiom, Metabolomen und funktionellen Muskelanalysen (Mahabir et al. 2018). Ungeachtet dessen kann jedoch ein Stück weit bezweifelt werden, dass sich die seit Jahren weitestgehend unveränderten Empfehlungen zu Ernährung, körperlicher Aktivität und Vermeidung von Adipositas (s. Tab. 3) durch die Verfügbarkeit präziserer und neuer Methoden zu deren Erfassung in zukünftigen Studien entscheidend verändern werden.
Maßnahmen zur Modifikation von Ernährung, körperlicher Aktivität und Adipositas stellen einen entscheidenden Ansatzpunkt für die Krebsprävention dar, bei einem Potenzial zur Vermeidung von etwa 20 % aller Krebserkrankungen (Blot und Tarone 2015; Behrens et al. 2018). Daneben ist das erhebliche Potenzial der vom WCRF empfohlenen Ernährungsmaßnahmen für die Prävention von Adipositas, Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und weiteren chronischen Erkrankungen zu berücksichtigen. Damit erscheint eine stärkere Betonung angewandter Prävention dringend angezeigt.
Literatur
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