Einführung
Durch die Therapien onkologischer Erkrankungen
kann es zu unterschiedlichen Nebenwirkungen kommen. Diese Nebenwirkungen können sowohl als akute Nebenwirkungen unter einer laufenden Therapie als auch danach bis in die Nachsorge hinein auftreten. Die Nebenwirkungen sind sehr vielfältig und können individuell in unterschiedlichen Stärken in Erscheinung treten. Als Folge können diese die Nahrungsaufnahme, den Appetit und die
Lebensqualität beeinflussen und entsprechend das Risiko einer Mangelernährung erhöhen. Durch eine individuelle Ernährungsberatung können die Nebenwirkungen reduziert und abgeschwächt werden. Im Folgenden werden exemplarisch einige Nebenwirkungen und mögliche diätetische Vorgehen aufgezeigt. Dabei ist relevant zu erwähnen, dass die Empfehlungen immer individuell an die PatientInnen angepasst werden sollten.
Appetitverlust
Die Appetitlosigkeit
(Anorexie
) ist eine der häufigsten Beschwerden einer Krebserkrankung und kann unabhängig von dem Hungergefühl auftreten. Obwohl der Patient Hunger empfindet, kann es trotzdem zur Abnahme der oralen Nahrungsaufnahme kommen. Dabei kann der Appetit bei onkologischen PatientInnen durch Stoffwechselveränderungen oder als Nebenwirkung von diversen Medikamenten oder Therapien massiv beeinträchtigt sein. Allerdings sollten diese Beschwerden am Lebensende aus medizinischen und rechtlichen Gründen anders behandelt werden, denn bei KrebspatientInnen in einem fortgeschrittenen Stadium ist eine verringerte Nahrungszufuhr als natürlicher Teil des Krankheits- und Sterbeprozesses anzusehen (Ukovic und Porter
2020; Bruera
2021; Erickson et al.
2017).
Es gibt viele
Faktoren,
die das Hungergefühl und den Appetit beeinflussen können:
-
Die Krebserkrankung selbst
-
Der Stress und die psychische Belastung durch die Krankheit
-
Die eingesetzten Medikamente und Therapeutika
Die Schwere der Appetitlosigkeit hängt vom Krankheitsstadium, dem Ausmaß und Zeitraum des Gewichtsverlusts sowie vom Alter des Patienten ab. Der Appetitverlust und die damit verbundene reduzierte Energiezufuhr können eine Mangelernährung begünstigen.
Die
Mangelernährung geht wiederum mit einer negativen Prognose und einem reduzierten progressionsfreien und Gesamtüberleben einher (Zhang et al.
2019,
2021). Dies liegt insbesonders daran, dass die Mangelernährung schwerwiegende Folgen haben kann, bei denen es zur Beeinträchtigung der körperlichen Gesundheit des Patienten kommt. Diese Folgen können sich klinisch relevant auf die Therapie auswirken, wie z. B. (siehe auch Kap. „Identifikation und Prävention von Mangelernährung bei TumorpatientInnen“):
Bei einer Appetitlosigkeit gehören zu den
ernährungstherapeutischen Zielen:
-
Das Gewicht zu stabilisieren
-
Die Eiweißzufuhr zu sichern
-
Die Nahrungsmenge und -auswahl anzupassen
-
Die Energiedichte der Ernährung zu maximieren
Hierbei ist es sehr wichtig, gegenüber den PatientInnen verständnisvoll zu sein, sie aber dennoch zu motivieren, ohne Appetit zu essen (Ukovic und Porter
2020). Dadurch kann eine Ernährungstherapie als wichtiger Baustein dienen, um der Mangelernährung entgegenzuwirken. Hierbei können bereits kleine Veränderungen im Essverhalten sehr hilfreich sein, um die Energiezufuhr zu steigern. Beispielsweise kann das bewusste Integrieren appetitsteigender Lebensmittel, Essenspräsentation generell sowie auch soziale Faktoren wie das gemeinsame Essen mit Familie oder Freunden erheblich zur Motivation beitragen.
Durchfall
Der Durchfall
(Diarrhö
) ist eine sehr häufige Begleiterscheinung bei Krebserkrankungen. Er bezeichnet eine erhöhte Stuhlfrequenz mit mehr als dreimal täglich dünnflüssigen Stühlen. Der Durchfall lässt sich in zwei
Kategorien unterteilen:
Dabei gibt es vielfältige
Ursachen wie Infektionen, Therapienebenwirkungen (z. B. bei Zytostatika) bis hin zu einer fehlerhaften Medikamenteneinnahme (z. B. Pankreasenzyme). Zusätzlich können Operationen am Magen-Darm-Trakt, eine Chemotherapie und
Strahlentherapie (vor allem im Bauchbereich) für Durchfälle ursächlich sein (Erickson und Schaller 2017; Bertz und Zürcher
2014).
Bei Durchfall verliert der Körper viel Flüssigkeit, Salze und Mineralstoffe. Besonders starke und häufige Durchfälle können zu einer gefährlichen Dehydration des Körpers führen.
Auf eine Dehydration hinweisende Symptome (Bonis und Lamont
2021):
-
-
Unelastische Haut
-
Starker Durst
-
Es gibt eine zunehmende Evidenz durch prospektive randomisierte kontrollierte Studien, die die positiven Effekte der Ernährungstherapie bei PatientInnen mit Durchfällen belegen. So konnte beispielsweise ein Cochrane-Review anhand vier randomisierter kontrollierter Studien mit insgesamt 413 Teilnehmenden mit Durchfällen eine Verbesserung zeigen. Dabei kam es bei den Teilnehmenden mit einer Ernährungstherapie gegenüber den Teilnehmenden der Standardbehandlung zur signifikanten Risikoreduktion (relatives Risiko [RR] 0,66; 95 %-Konfidenzintervall [KI] 0,51–0,87) (Henson et al.
2013). Daher ist die Ernährungstherapie als Teil eines multidisziplinären Ansatzes unabdingbar. Ziel der Ernährungstherapie ist die Sicherung einer bedarfsgerechten Flüssigkeits-, Energie- sowie Nährstoffzufuhr (siehe Kap. „Ernährung in der Onkologie – Überblick“). Außerdem sind eine ätiologisch-basierte Ernährungsintervention und ein individuelles Vorgehen notwendig.
Übelkeit und Erbrechen
Übelkeit und Erbrechen entstehen meist, wenn das Zusammenspiel von Hirnfunktionen und dem Verdauungstrakt gestört ist oder eine Irritation des Gastrointestinaltrakts vorliegt.
Häufig äußern sich die Beschwerden als Nebenwirkung einer Chemo- oder
Strahlentherapie, wobei die Übelkeit und das Erbrechen unabhängig voneinander auftreten können. Insbesondere die eingesetzten Zytostatika, wie beispielsweise Carmustin, Anthrazyklin/Cyclophosphamid (
Mammakarzinom), Cisplatin, Dacarbazin, Cyclophosphamid, Mechlorethamin, Melphalan und Streptozotocin, können zu Übelkeit und/oder Erbrechen führen. Darüber hinaus können metabolische Störungen, Schmerzen, Infektionen oder Fehler bei der Sondenernährung ursächlich sein (Hesketh
2022).
Neben einer Anpassung der analgetischen oder antiemetischen Medikamente sollte eine Ernährungstherapie als Teil der supportiven Therapie erfolgen. Insbesondere weil Übelkeit und Erbrechen oft mit einer verminderten Nahrungsaufnahme assoziiert sind, kann das einen unerwünschten Gewichtsverlust, eine Dehydratation und eine Mangelernährung begünstigen (Benson et al.
2004; Muehlbauer et al.
2009). Zusätzlich zur reduzierten Energieaufnahme können Defizite von bestimmten Nährstoffen auftreten, wie z. B.
Kalium. Daher richtet sich der Schwerpunkt der Ernährungsintervention auf eine Gewichtsstabilisierung und eine ausreichende Flüssigkeits-, Protein- und Energiezufuhr.
Geschmacksveränderung
Die Änderung
des Geschmackempfindens
kann sehr individuell ausfallen. Die wahrgenommenen Veränderungen werden meistens als metallisch, bitter, süß, pappig oder salzig beschrieben. Abhängig von der Tumorart und vor allem den Behandlungsmethoden kann eine verminderte oder veränderte Geschmacksempfindung bei bis zu zwei Drittel der onkologischen PatientInnen vorkommen (Spotten et al.
2017; Drareni et al.
2021; Epstein et al.
2012). Vorrangig wird das durch eine orale Entzündung und durch eine Nervenschädigung mittels einer Radio- und Chemotherapie ausgelöst. Dabei kann es zur Schädigung der Geschmacks- und auch Geruchsrezeptoren kommen (Nolden et al.
2019).
Der
Mechanismus der Geschmacksveränderungen ist komplex, da die Geschmacksempfindung ein Zusammenspiel aus sensorischen Faktoren (wie dem Geruchssinn) und den Geschmacksrezeptoren ist. Aktuell gibt es keine einheitlichen Diagnosekriterien für die Geschmacksveränderung. Durch einen validierten Geschmackstest
(Taste Strips
) kann die Geschmackswahrnehmung objektivierbar werden und zur Identifikation von Normogeusie und Hypogeusie verwendet werden (Hummel et al.
2011). In der einarmigen Studie TASTE konnte gezeigt werden, dass durch eine individuelle Ernährungsberatung in Kombination mit einem Geruchs- und Geschmackstraining die Geschmacksnerven bei PatientInnen unter einer Chemotherapie kurzfristig verbessert werden konnten (Grundherr et al.
2019).
Jedoch sind weitere Studien notwendige um diese Ergebnisse zu Bestätigen.
Mögliche Folgen der beeinträchtigen Geschmackwahrnehmung sind Veränderung der Essgewohnheiten und/oder eine Abneigung gegenüber bestimmten Lebensmitteln oder Lebensmittelgruppen. Diese Abneigung kann einen Appetitverlust und eine einseitige Ernährung begünstigen, die wiederum das Risiko eines Gewichtsverlustes und einer Mangelernährung erhöht. So werden beispielsweise Nahrungsquellen wie Fleisch und Fisch seltener verzehrt, wodurch die Deckung des Proteinbedarfs erschwert wird.
Das Hauptziel der Ernährungsintervention bei verändertem Geschmacksempfinden ist die Sicherung einer angemessenen Energie- und Proteinzufuhr. Dabei ist es wichtig, die Lebensmittel individuell anzupassen (z. B. mit Soßen) und/oder durch ein gleichwertiges Lebensmittel zu ersetzen.
Stomatitis
Insbesondere
onkologische PatientInnen leiden häufig an einer Entzündung der Mundschleimhäute
. Die Schmerzen und damit die eingeschränkte orale Nahrungsaufnahme kann die
Lebensqualität und in schweren Fällen den Therapieerfolg beeinträchtigen.
Zu den
Ursachen für eine Entzündung im oropharyngealen Bereich gehören die in der Chemotherapie eingesetzten Zytostatika, wie z. B. Bevacizumab, Docetaxel,
Everolimus und Ibrutinib. Darüber hinaus können eine
Strahlentherapie im oropharyngealen Bereich, orale Infektionen,
Eisenmangelanämie, physikalische und chemische Reize, Dehydration und/oder eine Immunsuppression zu Entzündungen der Mundschleimhaut führen. Eine schlecht sitzende Zahnprothese und/oder eine unzureichende Zahn- und Mundhygiene gehören ebenfalls zu den oft übersehenen Ursachen einer Stomatitis (Sonis und Curtis
2012; Negrin und Toljanic
2022).
Das Ziel der Ernährungstherapie ist es, sowohl Prophylaxe zu betreiben als auch bei erkrankten PatientInnen eine ausreichende Energie-, Nährstoff- und Flüssigkeitszufuhr sicherzustellen. Neben Strategien zur Mundhygiene ist eine Optimierung der Lebensmittelauswahl unabdingbar. Dabei gilt es, Reizungen und Beschwerden zu vermeiden (Erickson et al.
2017).
Obstipation
Die
Obstipation ist eine subjektive Empfindung der PatientInnen, die durch eine erschwerte Stuhlausscheidung oder verminderte Stuhlfrequenz definiert ist.
Die
Ursache einer
Obstipation bei onkologischen PatientInnen ist multifaktoriell bedingt, wobei Motilitätsstörungen und eine veränderte Darmtransitzeit durch Operationen im Magen-Darm-Bereich und Medikamentengabe eine wesentliche Rolle einnehmen. Eine reduzierte Flüssigkeitszufuhr und vermindertes Bewegungsverhalten können ebenfalls zu einer Obstipation beitragen (Davies et al.
2020).
Für die Diagnose können die Rom-Kriterien verwendet werden, die als objektive Diagnosekriterien für eine funktionelle
Obstipation dienen. Hierfür müssen in den vorangegangenen sechs Monaten mindestens zwei Kriterien für mindestens 25 % der Zeit erfüllt werden (z. B. klumpig-harter Stuhl, starkes Pressen beim Stuhlgang, weniger als drei Stuhlentleerungen pro Woche).
Eine
Obstipation kann Blähungen, Schmerzen im Unterbauch (Darmbereich), ein Völlegefühl und eine Appetitlosigkeit hervorrufen. Daher richtet sich der Schwerpunkt der Ernährungsintervention auf die Optimierung der Nahrungszusammensetzung, um vorhandene Symptome zu mindern. Außerdem sollte die Flüssigkeitszufuhr an den individuellen Bedarf angepasst werden (Wald
2021).
Obwohl bei einer
Obstipation häufig zu einer ballaststoffreichen Ernährung geraten wird, kann diese in gewissen Situationen nicht empfohlen werden. Bei PatientInnen mit fortgeschrittem Tumorstadium, mit Darmobstruktionen, einer hohen Einnahme von Schmerzmitteln (z. B.
Opioide) oder operations- und/oder therapiebedingten Beschwerden kann eine ballaststoffreiche Ernährung
kontrainduziert sein. Außerdem ist der Effekt einer ballaststoffreichen Kost bei einer Obstipation eher gering: Während das Stuhlgewicht zunimmt, wird die durchschnittliche Stuhlfrequenz nur geringfügig erhöht (Müller-Lissner et al.
2005; Mesía et al.
2019).
Fazit
Die Nebenwirkungen einer Antikrebstherapie können sehr unterschiedlich sein. Die Vielzahl an praktischen Empfehlungen zeigt auf, wie hilfreich eine supportive Therapie bei den Nebenwirkungen sein kann. Die allgemeinen Ernährungsempfehlungen sind für onkologische PatientInnen bei der Therapie oft nicht geeignet. Daher sollten die Ernährungsempfehlungen jeweils individuell bestimmt und der Situation schrittweise angepasst werden. Das sollte mit den PatientInnen besprochen und der Nutzen gegenüber der Belastung genau abgewogen werden.