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Ethische Fragen in der Onkologie

Verfasst von: Eva Winkler und Johannes Gobertus Meran
Die Behandlung und Betreuung von Patienten mit Tumorerkrankungen wirft immer wieder Fragen nach dem richtigen Handeln und der guten Entscheidung auf. Solche ethischen Fragen sind zwar nicht spezifisch für die Onkologie, aber die Konstellationen, in denen sie sich stellen, sind es häufig. Wie soll entschieden werden, wenn die Wünsche der Patienten Fürsorgeüberlegungen des Onkologen entgegenlaufen? Gerade wenn es um den starken Therapiewunsch bei fortgeschrittener Erkrankung geht? Welche Rolle soll den Angehörigen bei solchen Entscheidungen zukommen? Ist es nicht besser, Hoffnung zu erhalten als ehrlich aufzuklären? Wie kann man gemeinsam mit dem vorinformierten Patienten klug entscheiden, und sollen die Kosten der Behandlung dabei eine Rolle spielen? In diesem Kapitel wird daher zunächst in einem allgemeinen Teil Ethik und die Methoden ethischer Reflexion und Konfliktlösung im Krankenhaus vorgestellt, um dann die Fragen aufzugreifen, die in der Onkologie in besonderer Weise ethisch herausfordernd sind.

Was ist mit Ethik gemeint?

Jede ärztliche Tätigkeit geht über die Anwendung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und klinischen Erfahrungswissens weit hinaus und erfordert immer wieder moralische Bewertungen. Ethik ist die „Theorie der Moral“, also die argumentative Auseinandersetzung mit Moral, die ihrerseits soziokulturell geprägte Regeln widerspiegelt (Spaemann 1986).
Aufgabe der Ethik ist daher die Begründung des guten Handelns.
Der verantwortliche Arzt in Klinik und Praxis steht täglich vor wertenden Entscheidungen, bei denen er neben den rein medizinisch-physiologischen Daten vor allem Nutzen und Risiko im Interesse der anvertrauten Patienten und deren Präferenzen abwägen muss. Eine medizinische Ethik kann dem Arzt keine Entscheidungen abnehmen, aber Grundlagen liefern, um schwierige Entscheidungsprozesse konsistent, durchdacht und letztlich nach bestem Wissen und Gewissen zu gestalten.

Gibt es eine ethische Methodik?

In der Praxis wird eine systematische Reflexion von ärztlichen Handlungen meist nur dann erfolgen, wenn Konflikte, Meinungsverschiedenheiten oder einfach ein Unbehagen mit der Situation auftreten. Die Grundvoraussetzung für ethische Überlegungen ist die Bereitschaft zur Reflexion – zum Nachfragen nach Gründen und Argumenten für eine Entscheidung.
Verschiedene Modelle zur Vereinfachung der ethischen Analyse haben sich entwickelt. Es gibt Prinzipien und Regeln, an denen man sich orientieren kann. Die bekannteste ist die sogenannte goldene Regel: „Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem andern zu.“ Den meisten Medizinern sind die hippokratischen Maximen „primum non nocere“ und „primum utilis esse“ bekannt. In neuerer Zeit kamen noch die Maximen „salus aegroti suprema lex“ und „voluntas aegroti suprema lex“ (Das Heil bzw. der Wille des Kranken ist oberstes Gesetz) hinzu.
In der jüdisch-christlichen Tradition war die medizinische Ethik fest verwurzelt und im Wesentlichen auf normativen Pflichten aufgebaut, die das Handeln leiten sollten. Dieser deontologischen Normenethik (gr. deon = Pflicht) wurde die teleologische Ethik (gr. telos = Ziel) mit zielorientierten Maximen und dem Utilitarismus als prominentesten Vertreter gegenübergestellt. Diese Gegenüberstellung ist theoretisch, da in der praktischen Anwendung sowohl absolute Normen als auch eine Orientierung an den Folgen die Handlungen bestimmen (Tab. 1).
Tab. 1
Wesentliche Begründungsansätze ethischer Normen
Ethische Norm
Begründungsansatz
Teleologische Ethik
Bewertet eine Handlung von ihrem Ziel/ihrem Ergebnis/ihren Folgen her
Deontologische Ethik
Bewertet eine Handlung aufgrund unbedingter Pflichten/Sollensansprüchen
Prinzipienethik
Orientiert sich an mehreren im westlichen Kulturkreis konsensfähigen Prinzipien mittlerer Ebene, ohne deren Letztbegründung festzulegen: nicht schaden, Gutes tun, Autonomie wahren, Gerechtigkeit
Tugendethik
Legt den Schwerpunkt auf eine umfassend moralische Haltung: Die moralische Tugend ist ein erworbener Habitus, der zu vernunftmäßigem, gutem Handeln qualifiziert
Rechtsbasierte Ethik
Handlungen sollen vereinbarten Regeln folgen, die vorab im Konsens festgelegt werden. Gerechtigkeit als Fairness in Bezug auf eine Theorie der Verfahrensgerechtigkeit, die soziale Chancen und Lasten verteilt, ohne damit die Freiheit des Einzelnen einzuschränken
Als neue methodische Grundlage für ethische Überlegungen wurden von Philosophen der US-amerikanischen President’s Commission die „Principles of Biomedical Ethics“ entwickelt, die großen Einfluss auf die ethische Diskussion bekamen.
Medizinethische Prinzipien
  • Autonomie
  • Benefizienz (Gutes tun)
  • Non-Malefizienz (nicht schaden)
  • Gerechtigkeit
Diese Prinzipien gelten als die wesentlichen 4 Prinzipien, in deren Zusammenhang sich ethische Fragen diskutieren und analysieren lassen (Beauchamp und Childress 2013).

Wie können ethische Konfliktsituationen gelöst werden?

In vielen Krankenhäusern entwickelte sich eine Praxis der Fallanalyse, die direkt und pragmatisch umgesetzt wurde: „Was ist in der konkreten Situation zu tun?“ Eine solche Problemanalyse beginnt mit dem Sammeln der moralisch relevanten Fakten. Hierbei werden ein kurzer Abriss der medizinischen Epikrise, aber auch die Wünsche und Präferenzen der Patienten und die problematischen Entscheidungspunkte aufgezeigt.
Mit diesem Grundmaterial werden die einzelnen Entscheidungsschritte und deren Alternativen vor dem Hintergrund der 4 Prinzipien medizinischer Ethik (Autonomie, nicht schaden, Nutzen und Gerechtigkeit) durchleuchtet. Die ethischen Probleme werden aus dem Kontext herauskristallisiert und zu den Entscheidungsalternativen in Beziehung gesetzt. Es wird bei solch einem Prozess rasch deutlich, dass medizinische Daten und Fakten nur das Rohmaterial und die Grundlage bilden, während die problematischen Entscheidungen von Prinzipien und Maximen, letztlich von Grundhaltungen und Menschenbildern abhängen. Die Realität ist komplex und die verschiedenen Faktoren, die in einer Entscheidungssituation zum Tragen kommen, müssen erst benannt und sortiert werden – dabei hilft ein systematisches Vorgehen, wie es für die ethische Fallberatung angewandt wird (Fahr et al. 2011).
Ethische Fallberatung
1)
Ethisch relevante Fakten sammeln
 
2)
Ethische Probleme, Konflikte benennen
 
3)
Prinzipien, Maximen oder Richtlinien anwenden
 
4)
Lösungsalternativen nach Prioritäten ordnen
 
Manchmal gestaltet sich die Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen schwierig. Dazu trägt auch die komplexe Organisation Krankenhaus bei, denn aufgrund der Ausdifferenzierung der Fachgebiete werden Behandlungsentscheidungen häufig nicht mehr nur zwischen einem Arzt und seinem Patienten getroffen, sondern unter Einbeziehung verschiedener, spezialisierter Teams und Abteilungen.
Wenn keine Einigung über das angemessene Vorgehen erzielt werden kann, ist der nächste Schritt, Lösungsmöglichkeiten im klinischen Ethikkomitee oder im Rahmen einer ethischen Fallberatung zu diskutieren. Die klinische Ethikberatung hat bereits in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts in den USA ihren Anfang genommen als Reaktion auf prominente Gerichtsprozesse um die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen. Mittlerweile verfügt jedoch nicht nur in den USA jedes Krankenhaus mit mehr als 400 Betten über eine klinische Ethikberatung (Fox et al. 2007), sondern auch in Deutschland und Österreich werden zunehmend qualifizierte Ethikkomitees eingesetzt.
Die institutionalisierte Ethikberatung kann auch als Antwort auf die Herausforderungen an die Integrität des Krankenhauses als Organisation und ihren Umgang mit moralischer Diversität verstanden werden. Hier wird zum einen durch die multidisziplinäre Besetzung des Komitees die Diversität der Entscheidungsträger abgebildet und zum anderen explizit Raum und Zeit vorgehalten, um komplexen Entscheidungssituationen in der Klinik gerecht zu werden. Ethikberatung belässt die therapeutische Entscheidung bei dem verantwortlichen Arzt. Die 3 wichtigsten Tätigkeiten von klinischen Ethikdiensten sind
  • die Einzelfallberatung,
  • die Formulierung ethischer Leitlinien und
  • die ethische Weiterbildung der Mitarbeiter (Fletcher und Siegler 1996; Neitzke 2010).
Mittlerweile professionalisiert sich auch das Berufsbild des Ethikberaters im Gesundheitswesen mit zertifizierten Ausbildungscurricula (Simon et al. 2005) und Kompetenzstufen, wie sie die Akademie für Ethik in der Medizin empfiehlt (Vorstand der Akademie für Ethik in der Medizin 2014).

Ethische relevante Themen in der Onkologie

Nach den wichtigsten und ethisch schwierigsten Situationen im klinischen Alltag befragt, nannten ärztliche Direktoren und Pflegedienstdirektoren deutscher Universitätsklinika in der letzten Umfrage von 2004 am häufigsten die Entscheidung zur Behandlungsbegrenzung/-abbruch, gefolgt von Aufklärung und Einwilligung und dem Konflikt zwischen Fürsorgepflicht und dem Respekt vor der Patientenautonomie. Fragen der gerechten Ressourcenverteilung und Rationierung im Gesundheitswesen empfanden 2004 nur etwa ein Viertel der Befragten als wichtiges ethisches Problem (Vollmann et al. 2004).

Konflikte zwischen Fürsorgepflicht und dem Respekt vor der Patientenautonomie

In den letzten Jahrzehnten kam es zu einem Paradigmenwechsel vom Paternalismus zur Patientenautonomie. Gemeint ist damit die Entwicklung von einer zwar fürsorglichen, doch bevormundenden ärztlichen Haltung nach dem Motto „doctor knows best“ hin zu einem „shared decision making“.
„Shared decision making“ bescheibt ein partnerschaftliches Verhältnis, in dem der Arzt sein Expertenwissen und der Patient seine wertbasierten Wünsche einbringt und eine gemeinsame Behandlungsentscheidung getroffen wird.
Katalysiert wurde dieses „shared decsion making“ auch durch rechtliche Regelungen, genauer durch das Strafgesetz, das in Deutschland Behandlung ohne rechtfertigendes Einverständnis nach § 223 StGB als „Körperverletzung“, in Österreich nach § 110 StGB als „Eigenmächtige Heilbehandlung“ ahndet.
Autonomie
Autonomie entstammt der griechischen Wurzel „autos“ (selbst) und „nomos“ (Gesetz) und bedeutet Selbstbestimmung. Während der Begriff in der Antike politisch geprägt war, erlangte er im 18. Jahrhundert durch die Werke Immanuel Kants eine zentrale Position in der ethischen Diskussion. Für Kant besteht die Autonomie des Menschen darin, die eigenen Normen, Regeln kritisch zu überprüfen und nicht subjektiven Interessen und Wünschen zu folgen, sondern sich den, durch eigene Urteilskraft erkennbaren, allgemein verbindlichen Regeln zu unterwerfen. „Das Prinzip der Autonomie ist also: nicht anders zu wählen, als so, dass die Maximen seiner Wahl in demselben Wollen zugleich als allgemeines Gesetz mit begriffen seien“ (I. Kant). Selbstbestimmung ist jedoch nicht nur im Sinne der auf Kant zurückgehenden deontologischen ethischen Theorien ein zentrales Argument (s. Tab. 1), sondern spielt auch bei teleologischen Handlungstheorien, wie dem Utilitarismus (s. Tab. 1), der die moralische Qualität ausschließlich anhand der Folgen von Handlungen festmacht, eine wesentliche Rolle. So fordert etwa John Stuart Mill die Freiheit der Selbstbestimmung, um das größte Glück der größten Zahl zu erreichen (Mill 1962). Autonomie wird damit zu einem „mittleren ethischen Prinzip“ (Meran 1990), das sich aus verschiedenen Moralsystemen ableiten lässt und, als solches die strittige Letztbegründungsfrage umgehend, von der modernen amerikanischen Bioethik als ein „Principle of Respect for Autonomy“ übernommen wurde (Beauchamp und Childress 2013).
In der medizinischen Praxis hat Autonomie Voraussetzungen, zu denen Kommunikationsfähigkeit (Wachheit, Sprachvermögen) sowie Entscheidungsfähigkeit und eine gewisse Willensfähigkeit gehören. Von Harry Frankfurt stammt die Einteilung in „first und second order desires“, womit er aufzeigen möchte, dass wir Wünsche erster Ordnung haben, wie etwa das Begehren eines Alkoholikers zu trinken, aber auch Wünsche von übergeordneter Bedeutung, also zweiter Ordnung, wie den Wunsch von der Sucht loszukommen, um ein harmonisches Familienleben führen zu können (Frankfurt 1982).
Eine autonome Entscheidung würde voraussetzen, dass man in der Lage ist, solch eine Ordnungsstruktur rational zu erkennen und basierend auf entsprechenden Wertungen letztlich Entscheidungen zu treffen. So wird sich der verständliche Wunsch, die Haare zu behalten, in manchen Fällen dem höheren Ziel, das Leben durch eine hoch dosierte Chemotherapie zu retten, unterordnen. Problematisch dabei ist, dass manchmal ein Wunsch zwar rational als untergeordnet erkannt wird, aber einfach stärker ist als vernünftige weiterblickende Perspektiven. Dabei kann es gerade auch Ausdruck einer geänderten Struktur von Präferenzen sein, wenn man vordergründige Wünsche für wichtiger erachtet und vielleicht gerade damit Selbstbestimmung ausübt. So könnte einer Frau mit einem Malignom, die vielleicht noch kurze verbleibende Zeit mit unveränderten Haaren (als Ausdruck ihres Selbstbildes) wichtiger sein, als eine Chance auf längeres Leben.
Letztlich ist die Frage nach dem Grad der Entscheidungsfähigkeit, die ihrerseits auf graduellen Fähigkeiten beruht, wie Einsichtsfähigkeit, Intelligenz, Verstand und Willensfähigkeit, eine normative, also wertende Frage. Es wird hier eine Schwelle in graduelle Fähigkeiten gesetzt, und der Arzt oder in seltenen Zweifelsfällen der Vormundschaftsrichter muss entscheiden, ob ein Patient ausreichend entscheidungsfähig ist oder nicht. Der Respekt vor der Autonomie sollte zwar unverfügbar sein – also auch dem bewusstlosen oder dementen Patienten zukommen, die Ausübung von Selbstbestimmung wird ermöglicht, wenn Entscheidungsfähigkeit zuerkannt wird.
Die Anerkennung der Entscheidungsfähigkeit hängt von Kriterien ab, über die es keinen Konsens gibt. Verständnis der Sachlage und Fähigkeit zu einer vernünftigen Überlegung können von einem Ideal bis hin zu minimalen Äußerungen von Präferenzen etwa eines dementen Patienten gehen, die nur noch erahnen lassen, was er wirklich möchte. Auch die Forderung, dass die autonome Entscheidung frei von kontrollierenden Einflüssen sein muss, kann sich der Realität von Lebensbezügen, verwandtschaftlichen Einflüssen, religiösen Prägungen bis hin zu extremen Vorgaben, wie sie von Zeugen Jehovas gemacht werden, nicht entziehen. Es bleibt immer auch eine wertende Einschätzung, ob sich jemand innerhalb oder außerhalb des akzeptablen Rahmens bewegt.

Der vorinformierte Patient und das Internet

Die Verfügbarkeit von medizinischem Wissen im Internet ist eine bedeutende Entwicklung und wichtige Bedingung für die Aufklärung von Laien – vielleicht vergleichbar mit der Innovation des Buchdrucks, der das Wissen des privilegierten Klerus zunehmend einer breiteren Masse zugänglich machte.
Heute nutzen Patienten durchschnittlich 3 Informationsquellen in Sachen Gesundheit, der Arzt ist – bestenfalls – eine davon. Das Internet ist dabei eine der wichtigsten Informationsquellen: 65 % der deutschen Patienten informieren sich nach ihrem Arztbesuch regelmäßig in Foren und Gesundheitsportalen zu Diagnose und Behandlungsempfehlungen ihres Arztes (Baumann und Czerwinski 2015). Darin wird ein großes Potenzial für die Aufklärung, Teilhabe und Selbstbestimmung von Patienten in Gesundheitsfragen gesehen (Hofmann und Winkler 2016).
Aufklärung ist nach Immanuel Kant „der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“. Der aufgeklärte Mensch hinterfragt Autoritäten, sammelt sich seine Informationen aus verschiedenen Quellen selbst, prüft diese kritisch und bildet sich basierend auf kritischer Information eine eigene Meinung. Handelt er dann entsprechend dieser Gründe, so sprechen wir von selbstbestimmtem oder autonomem Handeln.
Die Studienlage zur Eigeninitiative von Patienten bei der Recherche von Gesundheitsinformationen im Internet lässt sich so interpretieren, dass Patienten, die die Fähigkeiten besitzen, Informationen und deren Quellen im Internet kritisch zu bewerten, positive Auswirkungen im Sinne der Teilhabe an Entscheidungen und der Steuerung ihrer Gesundheitsversorgung erleben. Diese Patienten bringen häufig bereits ein hohes Bildungsniveau und Kompetenz in Gesundheitsfragen mit. Bei vielen anderen Patienten ist die Sorge begründet, dass die Vorinformationen nicht zu einem besseren, sondern vielleicht sogar schlechteren Behandlungsergebnis führen können. Der Kern des Problems scheint, dass vorinformierte Patienten teilweise eine stärkere Überzeugung und Meinung zu Gesundheitsfragen entwickeln und sich gleichzeitig nicht ausreichend bewusst sind über die Gefahren, wenn sie ihre Behandlung auf der Basis von unvalidierten und inakkuraten Informationen aus dem Internet selbst steuern wollen.
Daran wird noch einmal deutlich, dass auch beim Konzept der gemeinsamen (partizipativen) Entscheidungsfindung immer schon mitgedacht ist, dass die Wahlalternativen einem Qualitätskriterium genügen müssen, das durch Evidenz und inhaltliche Plausibilität bestimmt ist. Arzt und Patient wählen gemeinsam aus verschiedenen evidenzbasierten Therapieoptionen aus. Nur so kommen die beiden Paradigmenwechsel der modernen Medizin – partizipative Entscheidungsfindung und evidenzbasierte Medizin – zum Wohle des Patienten zusammen: Das Erste ohne das Zweite verletzt die Fürsorgepflicht, das Zweite ohne das Erste den Respekt vor der Autonomie des Patienten.
Aktuell sind jedoch auch Ärzte selbst häufig nicht gut informiert und darauf vorbereitet, um ihren Patienten qualitativ hochwertige Internetseiten zu empfehlen. In einer aktuellen Befragung deutscher Ärzte kannten beispielsweise nur 20 % die Seite „patienten-information.de“, ein Service des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin und nur 7 % hielten sie für vertrauenswürdig, während Wikipedia nicht nur bei 96 % der Befragten bekannt war, sondern auch von beinahe 60 % der Ärzte für vertrauenswürdig gehalten wurde (Bittner 2016). Die Beratung der Patienten im Umgang mit Gesundheitsseiten im Internet und elektronische Medien wird daher zu einer Aufgabe für Ärzte werden, auch um Patienten vor falscher Information und daraus resultierendem Schaden zu bewahren.

Grenzen der Behandlungspflicht und Entscheidungen gegen tumorspezifische Therapien

Ein Kernanliegen der Medizin überhaupt ist die sorgfältige Abwägung von Nutzen und Schaden der Maßnahmen, die wir Patienten zukommen lassen – dies gilt in besonderem Maße für Entscheidungen bei fortgeschrittener Tumorerkrankung. Eine solche Abwägung kann aber immer nur im Hinblick auf ein bestimmtes Therapieziel erfolgen, und gerade dieses Ziel ist es, das sich zum Lebensende hin ändert: von einer Behandlung, die primär auf den Gewinn an Lebenszeit durch tumorspezifische Therapie ausgerichtet war, hin zu einer Behandlung, die die Symptomkontrolle und bestmögliche psychosoziale Begleitung von Patient und Angehörigen in den Mittelpunkt stellt. Zwei Drittel der Patienten mit infauster Prognose wünschen in der letzten Lebensphase eine palliative Behandlung, die auf Symptomkontrolle ausgerichtet ist. Ein Drittel wünscht jedoch, mittels Maximaltherapie Lebenszeit zu gewinnen (Stiggelbout et al. 1996; Voogt et al. 2005).
Diese Situationen, in denen ein Patient Maximaltherapie wünscht, während die behandelnden Ärzte ein palliatives Therapieziel verfolgen, werden in der Onkologie als besonders herausfordernd und konfliktbehaftet erlebt (Winkler et al. 2009).
Bei Konflikten hinsichtlich der Therapieintensität ist nicht immer klar, ob der Patient die Situation tatsächlich anders bewertet als seine behandelnden Ärzte – im Sinne eines ethischen Konflikts – oder ob er nur von einer anderen Informationsbasis her entscheidet, nämlich einer, die von einem sehr viel günstigeren Nutzen-Belastungs-Verhältnis ausgeht.
In solchen Situationen können folgende Leitfragen bei der Entscheidungsfindung helfen (Winkler et al. 2011):
1.
Ist das Therapieziel des Patienten mit der erwünschten Maßnahme erreichbar? (Medizinische Indikation)
 
2.
Wie bewertet der Arzt das Verhältnis von Therapienutzen und Belastung? (Abwägung von Fürsorge und Nichtschadensprinzip)
 
3.
Kann der Patient seine Situation realistisch einschätzen? (Wirklichkeitsbezug des Patientenwunsches)
 
4.
Bleibt der Patient in Kenntnis von Nutzen und Risiken bei seinem Therapiewunsch? (Respekt vor der Autonomie des Patienten)
 
Es muss dann zunächst medizinisch evaluiert werden, ob tatsächlich Maximaltherapie die Chance bietet, das Leben zu verlängern. Erste Daten von Patienten mit nicht kleinzelligem Lungenkarzinom im Stadium IV zeigen, dass eine frühe palliative Führung einen Verzicht auf Chemotherapie ermöglicht und damit nicht nur zur besseren Lebensqualität, sondern möglicherweise zur Verlängerung der Lebenszeit beiträgt (Temel et al. 2010). Das bedeutet umgekehrt, dass die Fortsetzung der tumorspezifischen Therapie ohne abgesicherte Evidenz möglicherweise das Ziel des Patienten, Zeit zu gewinnen, verfehlt und nicht nur mit mehr Nebenwirkungen, sondern im schlimmsten Fall mit einer Verkürzung der Lebenszeit einhergeht.
Wenn die Verpflichtungen des Arztes, seinen Patienten vor Schaden zu bewahren (Prinzip des Nichtschadens) und seinen Willen zu achten (Prinzip des Respekts vor der Autonomie), in Konflikt stehen, ist es besonders wichtig herauszufinden, worauf der Wunsch des Patienten nach einer Therapie mit ungünstigem Nutzen-Risiko-Verhältnis beruht. Wünscht der Patient Maximaltherapie, weil er seine Situation nicht realistisch einschätzt oder hat er verstanden, dass es sich um einen geringen Zeitgewinn mit möglicherweise nebenwirkungsreicher Therapie handelt, sofern ein Zeitgewinn überhaupt gelingt? Im letzten Fall kann der Onkologe den gut informierten Wunsch des Patienten mittragen, im ersten Fall beruht der Wunsch jedoch nicht auf guter Information. Laut Studienlage wissen weniger als die Hälfte der Patienten im fortgeschrittenen Tumorstadium, dass ihre Behandlung keine kurative Intention mehr hat (Weeks et al. 2012).
Gründe für die unrealistischen Erwartungen des Patienten sind die mangelnde prognostische Aufklärung von Ärzteseite, aber auch Verdrängungsmechanismen im Umgang mit der schweren Krankheit. Diese sind auch durchaus nachvollziehbar und sollen nicht eine Zwangsaufklärung des Patienten nahelegen. Jedoch kann man sagen, dass die Bewertung des Wunsches nach Maximaltherapie eines Patienten, der qua Verdrängung in gewisser Weise von seinem Recht auf Nichtwissen Gebrauch macht, eine andere ist als die bei einem Patienten mit realistischer Risiko-Nutzen-Einschätzung, da hier das Prinzip des Respekts vor der autonomen Entscheidung des Patienten stark gemacht wird und eine informierte Entscheidung voraussetzt (Mehlis und Winkler 2016).

Kann man wahrhaftig aufklären und Hoffnung erhalten?

Ein Prüfstein für paternalistische Einstellungen sind Aufklärungsgespräche, die manchmal noch ein Generationsproblem deutlich machen können. Obwohl gerade in der Onkologie vielfältige psychologisch-empirische Studien gezeigt haben, dass die Frage nicht lauten kann, ob, sondern nur wie man den Patienten aufklären sollte, wird das gnädige Verschweigen selten, aber doch noch praktiziert. Rechtlich ist das sogenannte therapeutische Privileg auf Situationen beschränkt, in denen die Aufklärung wegen ernstlicher Gesundheits- oder Lebensgefahr für den Patienten kontraindiziert ist (Laufs 1992). Nur in diesen seltenen Ausnahmefällen dürfte man die Aufklärung über Diagnose, Verlauf und Therapie zurückhalten. Alles andere wäre eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes, der Autonomie des Patienten.
Aufklärung bedeutet mehr als Information und erfordert die empathische Begleitung und Entscheidungshilfe für Patienten. Das Spannungsfeld einer guten Aufklärung verbindet die Begriffe klar, wahr und verantwortlich. Neben der medizinisch sachlichen Information muss ausgesprochen oder zumindest nonverbal vermittelt werden, dass man den Patienten nicht alleine lässt und die Begleitung über die Zeit unabhängig vom Verlauf gewährleistet sein wird. Der die Beziehung tragende Hoffnungsbogen soll nicht auf falschen Erwartungen oder Informationen gründen, sondern in der Bereitschaft, den Weg gemeinsam zu gehen, verankert sein. Daher verlangen gerade Gespräche über die Änderung des Therapieziels am Lebensende vom Patienten ein hohes Maß an Krankheitseinsicht und realistischer Einschätzung seiner Situation und vom Onkologen eine kontinuierliche Kommunikation über den gesamten Krankheitsverlauf (Pfeil et al. 2015). Nach einer Umfrage unter Onkologen werden gerade diese Gespräche zur Therapiezieländerung als die größte kommunikative Herausforderung empfunden – noch vor der Mitteilung einer unheilbaren Diagnose oder dem Progress der Erkrankung (Baile et al. 2000).
Es erfordert Feingefühl und Erfahrung – sowie erstaunlicherweise aktives Zuhören –, um die richtige Zeit zu finden, im Rahmen der Therapiezieländerung auch das mögliche Lebensende anzusprechen – immer verbunden mit den entsprechenden palliativen Therapieangeboten. Gelingen diese „End-of-life“-Gespräche, so wird meist am Lebensende weniger aggressiv behandelt und öfter rechtzeitige Palliative Care eingesetzt (Wright et al. 2008). Aktuelle Studien zeigen zwar eine Zunahme der Gespräche über Advance Care Planning bei Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung mit den Möglichkeiten der Patientenverfügung und Stellvertreterentscheidungen sowie Möglichkeiten der Palliativversorgung, doch bleibt in diesem Bereich noch viel zu tun (Mack et al. 2012; Coors, Jox u. In der Schmitten 2015). Die European Society for Medical Oncology (ESMO) versucht die strukturelle Vernetzung von Onkologie und Palliative Care über ein Zertifizierungsprogramm zu unterstützen (ESMO 2016).

Rolle der Angehörigen: Mitentscheider oder Hilfsbedürftige?

Eine Krebserkrankung betrifft neben dem Patienten auch seine Angehörigen bzw. nahestehende Menschen. Die Angehörigen bewegen sich im Spannungsfeld: Einerseits sind sie Unterstützer und stellen eine wichtige Ressource in der Krankheitsbewältigung für den Patienten dar, andererseits sind sie durch die Erkrankung und deren Auswirkung Mitbetroffene. Die Belastung ist hoch, insbesondere nimmt diese auch bei Fortschreiten der Erkrankung zu, und es kann zu einer klinisch signifikanten Symptombelastung (u. a. Schlafstörungen, Depression, Angst, Erschöpfung) kommen (Hauke et al. 2011)
Wichtige Fragen im Umgang mit den Angehörigen
  • Wer sind die nahestehenden Angehörigen?
  • Wer soll welche Informationen erhalten?
  • Wer ist hilfreich, wer kann unterstützen?
  • Wie sieht die Form der Unterstützung aus bzw. wie könnte sich der Angehörige einbringen?
  • Wer benötigt bei deutlicher psychosozialer Belastung zusätzlich professionelle Hilfe (z. B. durch Vermittlung an die Psychoonkologie)?
Auch zu beachten ist, dass Angehörige nicht immer primär die Interessen des Patienten verfolgen müssen, sondern auch eigene Bedürfnisse und Interessen haben, die denjenigen des Patienten widersprechen können. Liebe, Sorge, aber auch Schuldgefühle können sogar zum Versuch der Entmündigung des Patienten führen. Wichtig ist, dass der Patient für den Arzt im Vordergrund bleibt und selbst bestimmt, ob und wieweit seine Angehörigen informiert werden.
Dies gilt insbesondere dann, wenn Angehörige fordern, dass man einen entscheidungsfähigen, erwachsenen Patienten „verschont“ und ihm seine Diagnose verschweigt. Überhaupt ist es meist problematisch und führt zu Spannungen, wenn unterschiedliche Informationsniveaus bestehen. Immer ist aber die Familie mit ihren Sorgen und Wünschen ernst zu nehmen. Eine gute Patientenbetreuung schließt auch die Betreuung der Angehörigen mit ein. Besonders schwierig und anspruchsvoll ist die Aufklärung von Angehörigen, die zugleich Stellvertreter oder Sachwalter der Patienten sind, wie beispielsweise bei Kindern oder nicht entscheidungsfähigen Patienten.

Gerechte Ressourcenverteilung – Rolle des hämatoonkologischen Arztes

Die Versorgung von Patienten mit malignen Erkrankungen ist in den letzten Jahren infolge der demografischen Entwicklung auch in den Mittelpunkt von Planungsüberlegungen im Gesundheitswesen gerückt. Die Lebenserwartung steigt, und die Häufigkeit der Krebserkrankungen im Alter nimmt deutlich zu (Balducci und Extermann 2000).
In diesem Zusammenhang stellt sich die ethische Frage nach der gerechten Mittelverteilung. Diese sogenannte Allokation von begrenzten Ressourcen spielt aus 2 Gründen eine herausragende Rolle. Erstens gehören die onkologischen Therapien zu den teuersten, und durch Etablierung neuer Konzepte wie der Immuntherapie oder moderner, biomarkerstratifizierter Therapien werden Grenzen der Finanzierbarkeit erreicht. Zweitens ist die kurze Zeit der letzten Lebensmonate statistisch gesehen die teuerste, womit die Frage des möglicherweise geringen Nutzens bei sehr hohem Aufwand aufgeworfen wird.
Ressourcenknappheit entsteht, wenn der Bedarf größer ist als die vorhandenen Mittel. Mittel im Gesundheitswesen sind nicht nur finanzielle Einheiten, sondern auch Expertise, Arbeitskraft, räumliche Möglichkeiten, Pflegebedarf und Sachmittel wie vorhandene Medikamente bis hin zu Körperbestandteilen wie Blutkonserven und Organen. Das Gesundheitswesen ist durch verschiedene Eigenheiten charakterisiert, die es von anderen ökonomisch orientierten Systemen grundlegend unterscheidet. Das Prinzip der Solidargemeinschaft, die immer einspringt, wenn eine Leistung zur Erhaltung oder Wiederherstellung von Gesundheit benötigt wird, hat vielfach zu einem Verlust der Preissensitivität geführt. Dies ist einerseits sehr begrüßenswert, da sich beispielsweise ein Tumorpatient nicht mit den Kosten seiner Behandlung beschäftigen muss, es bedeutet aber auch die Notwendigkeit von Verteilungsentscheidungen auf verschiedenen Ebenen.
Modell der Allokationsebenen
(Engelhardt 1988)
  • Makroallokation I: Gesundheitsausgaben am Bruttosozialprodukt
  • Makroallokation II: Verteilung innerhalb des Gesundheitswesens
  • Mikroallokation I: Verteilung nach Patientengruppen
  • Mikroallokation II: Verteilung an den einzelnen Patienten
Ein hilfreiches Modell, um die Entscheidungsebenen zu unterscheiden, stammt von T. Engelhardt (Engelhardt 1988). Während die Makroallokation auf oberer Ebene die Verteilungsentscheidungen innerhalb des gesamten Budgets zugunsten des Gesundheitsbudgets betrifft, wird mit Makroallokation auf unterer Ebene die Verteilung innerhalb des Gesundheitsbudgets gemeint. Diese Entscheidungen sind weitgehend politischer Natur und werden durch politische Entscheidungsträger getroffen.
Die Ebene der Mikroallokation beschäftigt sich mit Verteilungsentscheidungen für Patientenkollektive nach verschiedenen Kriterien wie Alter, Erkrankungsart, Lebenserwartung und Lebensqualität. Hier werden Gesundheitsprogramme entwickelt, die für bestimmte Leistungsempfänger gedacht sind, und festgelegt, wer in die Gruppe der Leistungsempfänger hineinfällt bzw. nicht hineinfällt (z. B. für ein bestimmtes Medikament). Auf der vierten Stufe, der unteren Ebene der Mikroallokation, werden die Entscheidungen innerhalb der konkreten Arzt-Patient-Beziehung getroffen, z. B. welche diagnostischen oder therapeutischen Mittel für einzelne Patienten eingesetzt werden. Die jeweils höhere Ebene grenzt den Entscheidungsrahmen der unteren Ebene ab und erlaubt konkrete Verantwortungen zuzuordnen. So kann der einzelne Arzt nicht für das Gesamtbudget verantwortlich gemacht werden, jedoch als „gate-keeper“ in der individuellen Entscheidung zwischen Therapieoptionen.
Es wird schon lange kontrovers diskutiert (Winkler 2011), welche Rolle Ärzte bei der Mittelverteilung am Krankenbett spielen sollen (Levinsky 1984; Ubel und Arnold 1995). Einerseits ist die Basis für den Behandlungsvertrag und das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient eine auf das Patientenwohl ausgerichtete und nicht primär am Gemeinwohl orientierte Behandlung.
Andererseits macht der Sozialgesetzgeber die Rücksicht auf die Bedürfnisse der Allgemeinheit durch die Notwendigkeits- und Wirtschaftlichkeitsprüfung zur Pflicht des Arztes als Leistungserbringer: § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V: „Leistungen, die nicht notwendig oder wirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.“ Ein Argument hierfür ist, dass der behandelnde Arzt zumindest die Notwendigkeit der Behandlung im Einzelfall am besten beurteilen und so dem Einzelfall besser gerecht werden kann.
Dieser Rollenkonflikt, dem Patientenwohl und der Versicherungsgemeinschaft verpflichtet zu sein, wird von vielen Medizinern heute als belastend wahrgenommen und ist häufig schwer aufzulösen. Wenn Rationierungsentscheidungen allein auf der Arzt-Patienten-Ebene getroffen werden, birgt dies zudem die Gefahr, dass gleiche Fälle abhängig von den individuellen Bewertungsgrenzen unterschiedlicher Ärzte und den Üblichkeiten in ihrem Fachgebiet nicht gleich behandelt werden. Das würde gegen den Gleichheitsgrundsatz und damit gegen ein grundsätzliches Gerechtigkeitsprinzip verstoßen. Umfragestudien zeigen, dass sich Ärzte aufgrund des Kostendrucks auch heute schon mit Priorisierungen und Rationierungen konfrontiert sehen (Choosing Wisely 2016). Die Entscheidung, ob Therapien mit grenzwertigem Lebenszeit- oder Lebensqualitätsgewinn angeboten und finanziert werden, sollte daher oberhalb der Arzt-Patienten-Beziehung nach transparenten und expliziten Kriterien getroffen werden.
Hierfür ist jedoch eine gesellschaftliche Einigung auf allgemein anerkannte explizite Verteilungskriterien nötig, die politisch sehr viel schwieriger zu erreichen ist als die implizite Zuteilung durch finanzielle Steuerungssysteme wie Budgets, Diagnosis-Related-Group-(DRG-)Pauschalen oder Kopfpauschalen. Aus medizinethischer Perspektive ist die implizite Rationierung vor allem wegen der fehlenden Transparenz hinsichtlich der Kriterien zur Verteilung knapper Mittel und der daraus resultierenden Gefahr der Ungleichbehandlung fragwürdig.
Seit 2011 wird in den USA eine „Choosing wisely“-Initiative zur Begrenzung von Übertherapie geführt, die im deutschsprachigen Raum mit „klug entscheiden“ zu übersetzen ist und sich evidenzbasiert den Themen der Über- und Unterversorgung widmet (Choosing Wisely 2016). Die Versorgung von Tumorpatienten ist auch eine gesellschaftspolitische Frage, die nicht zuletzt das jeweilige Menschenbild unserer Zeit widerspiegelt.
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