Einleitung
Stammzellen sind Zellen mit hoher Regenerationsfähigkeit, wodurch sie geschädigtes Gewebe wieder aufbauen können. Sie unterscheiden sich von pluripotenten embryonalen Stammzellen durch eine beschränkte Entwicklungsfähigkeit.
Blutbildende Stammzellen sind zu einer myeloischen und lymphatischen Differenzierung in der Lage. Sie wurden bei Versuchen mit ionisierender Bestrahlung an Tieren bestimmt. Nach Ganzkörperbestrahlung sterben die Tiere am Versagen der
Blutbildung, die Infusion von
Knochenmark kann den Tod an mangelnder Blutbildung verhindern. Nach der Infusion findet man Zellen mit den Merkmalen des Spenders im Knochenmark und Blut, es besteht ein
Chimärismus, d. h., Knochenmark, Blut und Lymphknoten werden mit Zellen des Spenders besetzt. Die Regeneration der Blutbildung kommt von Stammzellen, die kleine Kolonien in der Milz der Maus oder in semisoliden Medien in der Kultur bilden können. Diese Zellen sind in der CD34-positiven Fraktion des Knochenmarks angereichert.
Stammzellgewinnung
Stammzellen kommen vornehmlich im
Knochenmark, in geringem Maße auch im Blut vor. Die Implantation von
Knochenmark in Knochenmarkräume hat keinen Vorteil gebracht, da Stammzellen im Blut zirkulieren können. Nach multiplen Leukapheresen oder einer Chemotherapie mit Cyclophosphamid oder ähnlichen Substanzen ohne Stammzelltoxizität können sie im Blut vermehrt auftreten und für die Transplantation gesammelt werden. Während die wiederholten Leukapheresen wegen der Volumenlimitierung aufgegeben wurden, werden die Stammzellen heute nach
Cyclophosphamid und mehrtägigen
Behandlung mit Wachstumsfaktoren ins Blut mobilisiert und dort gesammelt. Ausnahme ist das sogenannte
Nabelschnurblut, das bereits ohne Mobilisation große Mengen Stammzellen enthält. Diese wird aus der Plazenta nach Abnabelung des Kindes gewonnen, sodass für das Kind kein Risiko besteht. Allerdings sind die Volumina vergleichsweise gering:
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80–150 ml Plazentarestblut stehen
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1,0–1,5 l Knochenmarkblut und je nach Ergiebigkeit
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500–600 ml Leukapheresat gegenüber.
Regeneration
Kein anderes Gewebe hat eine vergleichbare schnelle Regeneration wie die Hämatopoese, sie muss in der Lage sein, bei Blutverlust oder Infektionen in kürzester Zeit
Erythrozyten und
Leukozyten zu bilden. Diese Voraussetzungen sind für die Stammzelltransplantation ideal, bereits nach 2 Wochen findet man in der Regel Granulozyten und
Retikulozyten des Spenders im peripheren Blut. Die Geschwindigkeit hängt von der Menge und der Qualität der Stammzellen ab. Bei gesunden jungen Hunden ergab die Menge von 0,8 × 10
8/kg mononukleärer Knochenmarkzellen (MNC) die schnellstmögliche Erholung, größere Mengen konnten die Erholung der Hämatopoese nicht beschleunigen. Weniger als 0,15 × 10
8/kg MNC waren nicht ausreichend für die Erholung. Mit der
Mobilisierung von Stammzellen ins Blut einigte man sich auf
Spender und Kompatibilität
Während die eigenen Stammzellen bei der autologen Transplantation verwendet werden, ohne dass es zu immunologischen Komplikationen aufgrund von Unverträglichkeiten kommt, muss man bei der Stammzelltransplantation von gesunden Spendern mit immunologischen Komplikationen in Form von Abstoßungen oder Transplantat-gegen-Wirt-Reaktionen (Graft-versus-Host-Reaktionen) rechnen. Eine Ausnahme bilden eineiige Zwillingsgeschwister, die immungenetisch identisch sind.
Die Auswahl geeigneter Spender wird mit der Bestimmung der
Haupthistokompatibilitätsantigene (
HLA-Antigene) getroffen. Die Gene, die für den Haupthistokompatibilitätskomplex („major histocompatibility complex“, MHC
) kodieren, werden kodominant vererbt und sitzen in einer Genregion, beim Menschen auf
Chromosom Nr. 6. HLA-identische Geschwister haben die gleichen elterlichen Chromosomen geerbt und sind daher genetisch identisch. Ihre Identität kann daher leicht mit einigen zytotoxischen Antiseren, meist aus dem Blut von Frauen nach Schwangerschaft gewonnen, bestimmt werden. Eines von 4 Geschwistern ist in der Regel identisch. Bei unverwandten Spendern muss eine hochauflösende, genetische Untersuchung für 10 HLA-Loci durchgeführt werden, für HLA-A, HLA-B, HLA-C und für die sogenannte Klasse II mit
HLA-DR und HLA-DP, damit eine weitgehende Identität festgestellt werden kann.
Darüber hinaus spielen auch andere
antigene Unterschiede eine Rolle, die sogenannten
Minor-Histokompatibilitätsantigene (Minor-HA), die von anderen Genloci kodiert werden. HLA-identische Transplantate können abgestoßen werden, wenn z. B. eine Patientin gegen Y-Chromosom kodierte Antigene ihres Bruders durch eine vorausgegangene Schwangerschaft immunisiert ist. Auch schwere Graft-versus-Host-Reaktionen können nach HLA-identischer Transplantation auftreten, wobei vermutlich Minor-HA eine Rolle spielen.
Vorbehandlung des Patienten
Stammzellen gesunder Spender (allogene Stammzellen) benötigen eine immunsuppressive Vorbehandlung des Patienten, mit Ausnahme von Patienten mit angeborenem, schwerem Immundefekt, die das Transplantat nicht abstoßen können. Aber auch diese zeigen eine bessere Erholung der B-Zellen, wenn eine myelosuppressive – stammzelltoxische – Vorbehandlung, wie z. B. mit Busulfan, durchgeführt wird. Patienten mit schwerer aplastischer Anämie benötigen unter Umständen keine Vorbehandlung, wenn sie einen eineiigen Zwilling als Spender haben, der immungenetisch identisch ist. In den meisten Fällen wird aber dennoch eine immunsuppressive Vorbehandlung benötigt, da die Krankheit häufig eine autoimmune Pathogenese hat. Zum Erfolg der Stammzelltransplantation gehört eine Vorbehandlung, die Immunsuppression zur Vermeidung einer Abstoßung des Transplantates mit Myelosuppression zur Ansiedlung transplantierter Stammzellen verbindet.
Während HLA-identische Transplantate einen dauerhaft gemischten Chimärismus produzieren können, ist das bei HLA-inkompatiblen Transplantaten selten.
Die Vorbehandlung bestand ursprünglich aus
Ganzkörperbestrahlung und Cyclophosphamid
oder einer Kombination von beiden, später kam
Busulfan als „myeloablatives“ Medikament dazu. Im Gegensatz zu Busulfan und Ganzkörperbestrahlung führt
Cyclophosphamid nicht zu einer anhaltenden Knochenmarkaplasie. Die Maximaltherapie mit Ganzkörperbestrahlung oder Busulfan und Cyclophosphamid, unter Umständen mit BCNU (Bischlorethylnitrosourea), Cytosin Arabinosid oder Etoposid erweitert, war durchaus erfolgreich bei Patienten mit fortgeschrittenen, refraktären
Leukämien, für Patienten in früheren Krankheitsstadien und anderen hämatologischen Krankheiten, aber zu toxisch.
Als Alternative zu Cyclophosphamid wurde Fludarabin, als Alternative zu Ganzkörperbestrahlung und Busulfan Melphalan und Treosulfan eingeführt, die Intensität der Vorbehandlung bis zu einer „nicht-myeloablativen“ Vorbehandlung gemindert. Krankheitsspezifische Vorbehandlungen stellen z. B. das FLAMSA-Regime für die akute Leukämie und Cyclophosphamid-Fludarabin-Melphalan für das Myelom dar. In beiden Regimen sind aber moderat stammzelltoxische Elemente in Form von 4 Gy Ganzkörperbestrahlung oder Busulfan und Melphalan 140 mg/kg KG enthalten.
Abstoßung und Graft-versus-Host-Krankheit
Während bei 1–2 % der Leukämie-Patienten mit HLA-identischem Geschwisterspender mit einer
Abstoßung zu rechnen ist, kann sie bei 5–20 % der Patienten mit Spendern auftreten, die ein oder mehrere HLA-Antigen-Unterschiede haben. Wesentlich häufiger ist die
Graft-versus-Host-Krankheit (GVHK), die
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bei 40–60 % der Patienten mit HLA-identischem Geschwisterspender,
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bei 60–80 % der Patienten mit HLA-inkompatiblem Spender auftritt,
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bei Verwendung von Blutstammzellen häufiger und schwerer als bei
Knochenmark.
Verantwortlich sind T-Zellen des Spenders, die Histokompatibilitätsantigene des Patienten als fremd erkennen und Haut, Darm und Leber infiltrieren und angreifen. Die Entfernung von T-Zellen aus dem Transplantat konnte die GVHK weitgehend verhindern und
Immuntoleranz induzieren. Nachteile waren
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eine verzögerte Erholung des Immunsystems mit erhöhter Infektanfälligkeit,
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eine vermehrte Abstoßung des Transplantats und
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vor allem eine erhöhte Rückfallrate von Leukämie.
Vermehrte Abstoßungen konnten durch die Behandlung des Patienten mit Antithymozytenglobulin (ATG) oder Alemtuzumab vor der Transplantation verhindert werden,
Antikörper im Blut des Patienten depletierten auch die T-Zellen des Transplantates „in vivo“. Die
immunsuppressive Behandlung nach der Transplantation erfolgt mit
Methotrexat oder Mykophenolat Mofetil und Calcineurininhibitoren Cyclosporin A oder
Tacrolimus. Eine besondere Form der Immunsuppression
nach Transplantation ist die hoch dosierte Cyclophosphamid-Gabe mit 50 mg/kg KG an Tagen 3 und 4 nach Transplantation, das bei HLA-haploidentischer Transplantation sehr erfolgreich ist. Antigenerkennende
Lymphozyten von Spender und Patient proliferieren und werden durch Cyclophosphamid abgetötet. Stammzellen werden dabei nicht erfasst.
Akute GVHK tritt innerhalb der ersten Wochen und Monate auf, bei Befall des Darms sind die Verläufe meist schwer. Eine besondere Rolle kommt der Darmflora zu, die die GVH-Reaktion anstoßen kann. Durch die genetische Bestimmung der Darmflora ist eine Vielzahl von
Bakterien bekannt, die Immunreaktion stimulieren, aber auch solche, die die GVHK mindern können. Offensichtlich spielt der Tryptophanabbau durch Darmbakterien und die Produktion von Indoxylsulfat eine Rolle in der Hemmung der akuten GVHD.
Chronische GVHD entsteht meist aus akuter GVHD, kann aber auch ohne vorausgehende akute GVHD auftreten. Haut und Schleimhäute sind die Hauptzielorgane. Sie kann aber auch Lunge, Leber und Darm befallen, in einer vaskulären Ausprägungsform involviert sie auch ZNS, Muskeln, Gelenke und Nerven. Besonders bedrohlich ist die GVHD der Lunge in Form von
Bronchiolitis obliterans oder chronischer, interstitieller Pneumonitis. Risiken sind rekurrente Infektionen und Lungenentzündungen. Thrombopenie unter 100.000/μl und Hypogammaglobulinämie sind Risikofaktoren der chronischen GVHD.
Zur
Behandlung von GVHD werden in erster Linie
Kortikosteroide verwendet, im Versagensfall auch extrakorporale Photophorese,
Antikörper und antiproliferative Medikamente wie
Methotrexat oder Cyclophosphamid. Calcineurininhibitoren können die GVH-Aktivität bremsen, besonders erfolgreich ist Ruxolitinib
, ein Inhibitor von STAT1/2, in der Behandlung und Unterdrückung der GVHD.
Wirkmechanismus
Die Behandlung maligner Erkrankungen der Hämatopoese durch Stammzelltransplantation beruht zum einen auf der
Hochdosistherapie, insbesondere mit stammzelltoxischen Methoden, die auch die Tumor- und Leukämiestammzellen erreichen. Zum anderen tragen aber i
mmunkompetente Zellen des Transplantats, die keiner Hochdosistherapie ausgesetzt waren, zum Erfolg bei. Nach Transplantation autologer Stammzellen oder Stammzellen von einem syngenen Zwilling können Tumorantigene erkannt werden, die eine Immunreaktion gegen den Tumor auslösen. Nach Transplantation allogener Stammzellen werden zusätzlich Histokompatibilitätsantigene erkannt, die eine starke Immunreaktion auslösen und zur dauerhaften Unterdrückung der Leukämie oder des Tumors führen können. Da die Hämatopoese das erste Zielorgan der GVHD ist, sind allogene Zellen besonders effektiv. Ein überzeugendes Beispiel brachte die Transfusion von Spenderlymphozyten zur Behandlung von Rezidiven von chronischer, myeloischer Leukämie nach Transplantation. Es konnten dauerhafte Remissionen ohne Chemo- oder
Strahlentherapie erzielt werden.
Lymphozyten vom Stammzellspender können nach Erzielung von Chimärismus und
Toleranz transfundiert werden, vorausgesetzt es treten keine interkurrente Infektionen auf.
Zusammenfassung
Die allogene
Blutstammzelltransplantation ist die erfolgreichste Behandlung von schweren Blutkrankheiten im Langzeitverlauf, ist aber mit erheblichen Risiken verbunden, die sich aus den Immunreaktionen von Abstoßung und Graft-versus-Host-Reaktion und der erforderlichen Immunsuppression ergeben. Ziel ist eine
Toleranz gegen die Organe des Patienten, ohne die Immunreaktion gegen maligne Zellen zu verlieren.