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Inzidenz, Mortalität und Überleben von Krebserkrankungen in Deutschland

Verfasst von: Klaus Kraywinkel und Antje Wienecke
Die Erfassung von Krebserkrankungen durch die seit 2009 in allen Bundesländern flächendeckend arbeitenden epidemiologischen Krebsregister bildet neben der Todesursachsenstatistik die Grundlage für die Beschreibung der Krebsbelastung in Deutschland. Diese Daten ermöglichen es, die Erkrankungshäufigkeit und Sterblichkeit für verschiedene Krebsarten abzubilden, zeitliche Trends zu analysieren und Aussagen zu den Überlebensaussichten je nach Krebserkrankung, Alter, Geschlecht und Tumorstadium zu treffen. Am häufigsten erkranken Frauen in Deutschland an Brustkrebs und Männer an Prostatakrebs, jeweils gefolgt von Darm- und Lungenkrebs. Häufigste Todesursachen unter den Krebserkrankungen sind Brustkrebs bei Frauen und Lungenkrebs bei Männern. Die relativen 5-Jahres-Überlebensraten, die das Überleben der Betroffenen in Bezug setzen zur Lebenserwartung von Personen gleichen Alters und Geschlechts, variieren je nach Diagnose zwischen 9 % bei Bauchspeicheldrüsenkrebs und 96 % für Hodenkrebs.

Einleitung

Die Epidemiologie beschäftigt sich mit der Verbreitung, aber auch mit den Ursachen und Bedingungen von Erkrankungen in einer Bevölkerung. Mit den Daten der epidemiologischen (bevölkerungsbezogenen) Krebsregister und der Todesursachenstatistik ist es möglich, die Erkrankungshäufigkeit und Sterblichkeit für verschiedene Krebsarten detailliert abzubilden und Aussagen zu den Überlebensaussichten je nach
  • Erkrankung,
  • Alter,
  • Geschlecht und
  • Tumorstadium
zu treffen. Von besonderem Interesse sind der zeitliche Verlauf der Ergebnisse sowie die Einordnung im regionalen wie internationalen Vergleich.
Die Erhebung und Analyse von Daten über Auftreten und Häufigkeit von Krebserkrankungen durch epidemiologische Krebsregister ist eine unverzichtbare Grundlage für die Beschreibung von Ausmaß und Art der Krebsbelastung einer Bevölkerung. Aus diesen Daten lassen sich gesundheitspolitische Maßnahmen zur
  • Prävention,
  • Früherkennung und
  • Versorgung
von Krebserkrankungen ableiten und die Effektivität solcher Maßnahmen beurteilen. Auch kann die Analyse langfristiger Trends und regionaler Unterschiede wichtige Impulse für die Erforschung von Risikofaktoren für die Krebsentstehung liefern (Wolf et al. 2011).
Die epidemiologische Krebsregistrierung in Deutschland hat eine lange Tradition, ein erstes Krebsregister wurde bereits in den 1920er-Jahren in Hamburg gegründet. Die längste kontinuierliche Erfassung von Neuerkrankungen an Krebs besteht im Saarland (seit 1970). In der DDR gab es seit 1956 ein nationales Krebsregister, dem nach kurzer Unterbrechung nach der Wiedervereinigung 1995 das Gemeinsame Krebsregister der neuen Bundesländer und Berlin folgte.
Seit 2009 ist die epidemiologische Krebsregistrierung in allen Bundesländern flächendeckend, zusätzlich werden Krebserkrankungen bei Kindern durch das Deutsche Kinderkrebsregister erfasst. Auf Grundlage dieser Daten errechnet das Zentrum für Krebsregisterdaten (ZfKD) im Robert Koch-Institut die bundesweiten Krebsneuerkrankungs- und Überlebensraten sowie weitere epidemiologische Kennzahlen (Wolf et al. 2011).
In Europa ist die epidemiologische Krebsregistrierung unterschiedlich weit verbreitet: Während in allen skandinavischen Ländern bereits seit mindestens 1960 flächendeckend alle Krebsneuerkrankungen erfasst werden, sind in anderen Ländern, zum Beispiel Frankreich, Italien und Spanien, lediglich Daten aus einzelnen regionalen Registern verfügbar. Eine Aufgabe der Internationalen Krebsforschungsagentur (IARC) ist die regelmäßige Schätzung der Krebsinzidenz und -mortalität in allen Ländern der Welt, wobei je nach Region unterschiedliche Datenquellen herangezogen werden (Global Cancer Observatory 2019).
Im Folgenden werden wesentliche Aspekte zur Epidemiologie von Krebserkrankungen hinsichtlich Inzidenz, Mortalität und Überlebensaussichten in Deutschland dargestellt sowie eine Einordnung der Kennzahlen im internationalen Vergleich angestrebt. Dabei wird auf die derzeit aktuelle Datenlage zurückgegriffen und die Inzidenz für das Jahr 2016 sowie die Mortalität anhand der Todesursachenstatistik für das Jahr 2017 berichtet.

Inzidenz

Ein grundlegendes Ziel der epidemiologischen Krebsregistrierung ist es, Informationen über jährliche Neuerkrankungsraten (Inzidenz) für die verschiedenen Krebsarten zur Verfügung zu stellen. Als Inzidenz- oder Neuerkrankungsrate wird hierbei die Zahl der jährlich neu diagnostizierten Krebserkrankungen in einer Bevölkerung (in der Regel pro 100.000 Personen) bezeichnet. Da die Erkrankungsraten für fast alle Krebsarten mit dem Alter steigen, werden altersstandardisierte Raten berechnet, um die Krebsinzidenz in Bevölkerungen unterschiedlicher Altersstrukturen vergleichen zu können. Bei der direkten Altersstandardisierung werden die altersspezifischen Erkrankungsraten in den einzelnen 5-Jahres-Altersgruppen mit den in der jeweiligen Standardbevölkerung festgelegten Werten gewichtet und aufsummiert (Boyle und Parkin 1991).
Durch diese Methode werden sowohl Veränderungen von Erkrankungs- und Sterberaten im Laufe der Zeit als auch Unterschiede zwischen verschiedenen Regionen sichtbar, und zwar unabhängig von Unterschieden oder Veränderungen im Altersaufbau. Für das vorliegende Kapitel wurde die sogenannte alte Europastandardbevölkerung verwendet, international sind auch andere Standardbevölkerungen gebräuchlich.
Im Jahr 2016 erkrankten in Deutschland etwa 258.520 Männer und 233.570 Frauen an Krebs, wobei die häufigen, aber nur sehr selten lebensbedrohlich verlaufenden nicht-melanotischen Krebserkrankungen der Haut nicht berücksichtigt sind (Robert Koch-Institut 2019). Damit waren 2016 etwa 84.500 Menschen mehr betroffen als noch 17 Jahre zuvor.
Zwischen 1999 und 2016 hat die absolute Zahl der Krebsneuerkrankungen bei Männern um 25 % und bei Frauen um 16 % zugenommen. Ursächlich waren vor allem Veränderungen im Altersaufbau der Bevölkerung: Im gleichen Zeitraum nahm der Anteil der über 65-Jährigen insgesamt von 16 % auf 21 % zu. Diese Veränderungen waren noch als Folge des Zweiten Weltkriegs bei den Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen: Mehrere Millionen Todesfälle unter den aktiven Kriegsteilnehmern, d. h. unter Männern aus den Geburtsjahrgängen vor 1930, führten gegen Ende des 20. Jahrhundert zu einem relativ geringen Bevölkerungsanteil älterer Männer, was inzwischen durch das Älterwerden der nachfolgenden Generationen weitgehend kompensiert wurde. Daher zeigt sich nach Altersstandardisierung ein anderes Bild: Bei den Männern blieb die altersstandardisierte Erkrankungsrate seit 1999 weitgehend konstant und war zuletzt sogar leicht rückläufig, während bei den Frauen im gleichen Zeitraum noch ein leichter Anstieg (um 4 %) zu verzeichnen war (Abb. 1).
Ein differenzierteres Bild ergibt sich, wenn man die Entwicklung der Inzidenz einzelner Krebsarten über diesen Zeitraum betrachtet: Während Krebserkrankungen des Magens (beide Geschlechter), der Lunge und des Kehlkopfes bei Männern sowie des Gebärmutterkörpers und der Eierstöcke deutlich rückläufig sind, zeigen sich zum Teil erhebliche Anstiege etwa beim Schilddrüsenkarzinom, den bösartigen Lebertumoren und beim Lungenkrebs bei Frauen. Einige dieser Entwicklungen können mit Veränderungen in der Prävalenz von Risikofaktoren in Beziehung gesetzt werden, wobei diese sich meist erst nach Jahrzehnten auswirken.
Ein Beispiel hierfür sind die rückläufigen Erkrankungsraten beim Magenkrebs, die in erster Linie auf eine seltener gewordene Besiedlung der Magenschleimhaut mit dem Bakterium Helicobacter pylori zurückzuführen sind. Der Inzidenzverlauf bei Lungenkrebs spiegelt dagegen die unterschiedliche Entwicklung der Rauchgewohnheiten bei Frauen und Männern nach dem Zweiten Weltkrieg wider.
Daneben können sich auch Früherkennungsmaßnahmen auf die Inzidenz von Krebserkrankungen auswirken. Hier sind zwei unterschiedliche Effekte zu unterscheiden:
  • Steht die Erkennung von Krebsvorstufen, wie beim Gebärmutterhals- und Darmkrebs-Screening im Vordergrund, kann die Inzidenz invasiver Tumoren gesenkt werden.
  • Ermöglicht die Früherkennung hingegen vor allem die Erkennung bereits bösartiger Tumoren in einem früheren, aber bereits invasiven Stadium, zeigt sich in der ersten Phase eines Programms regelhaft zunächst ein deutlicher Anstieg der Inzidenz, die dann später wieder zurückgeht.
Dies lässt sich in Deutschland nach der Einführung des Mammografie-Screening-Programms zur Früherkennung von Brustkrebs für Frauen von 50–69 Jahren beobachten. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass die Erkrankungsraten jedoch über dem Ausgangsniveau bleiben, da durch das Screening auch ein gewisser Anteil von langsam wachsenden Tumoren entdeckt werden, die sonst zeitlebens unerkannt geblieben wären oder sich eventuell sogar zurückgebildet hätten (Überdiagnose).
Auch eine Verbesserung bildgebender Untersuchungstechniken oder eine häufigere Anwendung derselben kann die Inzidenz von Krebserkrankungen beeinflussen, selbst wenn die Frühkennung von Tumoren nicht das eigentliche Ziel der Untersuchung darstellt. So gilt die zunehmende Anwendung hochauflösender Ultraschalluntersuchungen im Rahmen der Abklärung von Schilddrüsenerkrankungen als wahrscheinlichste Ursache für den in vielen wirtschaftlich weiter entwickelten Ländern zu beobachtenden Anstieg in der Inzidenz des Schilddrüsenkarzinoms.
Für andere Krebsarten sind Veränderungen der Krebsinzidenz noch nicht überzeugend geklärt, auch weil teilweise noch zu wenig über die entsprechenden Risikofaktoren bekannt ist. Ein Beispiel hierfür wäre der Anstieg der Inzidenz des Bauchspeicheldrüsenkarzinoms oder die sich zuletzt abschwächende Zunahme der Häufigkeit bösartiger Hodentumoren (Abb. 2).
Weltweit scheinen Krebserkrankungen insgesamt in wirtschaftlich weiter entwickelten Regionen immer noch häufiger aufzutreten, auch nach Berücksichtigung der Unterschiede im Bevölkerungsaufbau. Dabei spielt eine bessere Diagnostik wahrscheinlich ebenso eine Rolle wie bestimmte Elemente des, vereinfacht ausgedrückt, „westlichen Lebensstils“, wie etwa mangelnde Bewegung, ungesunde Ernährung und der Konsum von Tabak und Alkohol. Regionale Unterschiede werden bei einigen Krebsarten aber auch durch ethnische Unterschiede in der genetischen Disposition oder Unterschiede in der Prävalenz bestimmter chronischer Infektionen (HPV [humanes Papillomvirus], Hepatitis, Helicobacter pylori) bedingt, die die Entstehung bestimmter Tumorformen begünstigen. Innerhalb der Europäischen Union liegt Deutschland nach Angaben der IARC bei der Inzidenz für die meisten Krebsarten im Mittelfeld. Deutliche regionale Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten zeigen sich bei den tabakassoziierten Krebsarten, aber auch beim Magen-, Leber- und Gebärmutterhalskrebs (European Cancer Information System 2018).

Mortalität

Die Krebsmortalität beruht auf der Zahl der jährlichen Krebstodesfälle nach der amtlichen Todesursachenstatistik (Statistisches Bundesamt 2018). Entscheidend ist hier nicht die unmittelbare Todesursache, sondern die dem Tod zugrunde liegende Erkrankung nach ärztlicher Einschätzung, die in der Todesbescheinigung dokumentiert wird. Die Todesursachen werden nach der Internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD – International Classification of Diseases and related Health Problems) kodiert. In den Jahren 1980–1997 wurde die Kodierung auf Basis der 9. Revision der ICD durchgeführt, die 1998 von der 10. Revision der ICD abgelöst wurde. In nächster Zeit steht die Einführung der 11. Revision der ICD an.
Von den im Jahr 2017 in Deutschland verstorbenen 457.756 Männern und 474.507 Frauen, starben 122.603 Männer und 104.077 Frauen an bösartigen Neubildungen (ohne nicht-melanotischen Hautkrebs, C44). Das bedeutet, dass hierzulande ungefähr jeder Vierte (27 % der Männer und 22 % der Frauen) an einer Krebserkrankung verstirbt, dieser Anteil ist seit rund 25 Jahren nahezu konstant. Damit sind bösartige Neubildungen nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache in Deutschland. Unter den Krebserkrankungen verursachen Lungenkrebs bei Männern und Brustkrebs bei Frauen die meisten Todesfälle (Abb. 3).
Aufgrund der demografischen Veränderungen und der damit verbundenen Zunahme Älterer in der deutschen Bevölkerung ist die absolute Zahl der Sterbefälle seit 1980 bei Frauen um 7 % und bei Männern um 28 % gestiegen (Abb. 4). Diese Entwicklung ist auch darin begründet, dass im gleichen Zeitraum die Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen stärker zurückging als die von Krebserkrankungen. Die altersstandardisierte Krebssterblichkeit hingegen sank bei beiden Geschlechtern um ein Viertel trotz gestiegener Inzidenzraten in diesem Zeitraum.
Die zeitlichen Trends der Sterberaten für einzelne Krebsarten folgen häufig der Entwicklung der Inzidenz: So geht die Sterblichkeit an Magenkrebs in ähnlichem Ausmaß zurück wie die Inzidenz, und beim Lungenkrebs zeigen Sterblichkeit und Inzidenz die gleichen, geschlechtsspezifischen Trends.
Bei anderen Krebserkrankungen spiegeln die Trends der Sterberaten Verbesserungen der Therapiemöglichkeiten und damit der Überlebenschancen wider: So geht die Brustkrebssterblichkeit in Deutschland seit Mitte der 1990er-Jahre zurück, während die Inzidenz in dieser Zeit insgesamt angestiegen ist. Steigende Sterberaten sind also zu beobachten, wenn die Erkrankungshäufigkeit steigt und dieser Anstieg nicht durch entsprechende Verbesserungen der Überlebensraten kompensiert wird. Beispiele hierfür sind Lungen- und Bauchspeicheldrüsenkrebs bei Frauen (Abb. 5).
Im weltweiten Vergleich sind die Unterscheide in der Krebssterblichkeit altersstandardisiert insgesamt geringer als bei der Inzidenz. Die höhere Inzidenz in den wirtschaftlich stärker entwickelten Ländern wird teilweise durch bessere Behandlungsmöglichkeiten bzw. einen weiter verbreiteten Zugang zu spezialisierten Versorgungseinrichtungen und technisch aufwendigen Therapien wettgemacht. Innerhalb Europas lässt sich für die Krebssterblichkeit insgesamt immer noch ein Ost-West-Gefälle beschreiben. Hier spielen sowohl eine höhere Inzidenz beispielsweise bei tabakassoziierten Krebserkrankungen in Osteuropa als auch insgesamt noch ungünstigere Überlebensaussichten eine wesentliche Rolle. Die Krebssterblichkeit in Ungarn liegt altersstandardisiert mehr als doppelt so hoch wie in einigen skandinavischen und südeuropäischen Ländern. Auch innerhalb Deutschlands zeigen sich relevante regionale Unterschiede. Für Krebserkrankungen insgesamt liegt die Sterblichkeit für Frauen in Sachsen und Baden-Württemberg derzeit (2015–2017) etwa 10 % unter dem Wert für Deutschland, in Hamburg und Schleswig-Holstein dagegen etwa 10 % darüber. Bei den Männern sind die Unterschiede noch etwas deutlicher mit höheren Sterberaten im Osten (vor allem Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt) und den niedrigsten im Süden (Baden-Württemberg und Bayern) (Abb. 6). Deutliche regionale Unterschiede in der Krebssterblichkeit zeigen sich in Deutschland vor allem bei den tabakassoziierten Tumoren der Lunge, der Harnblase und des Mund-Rachen-Raums, außerdem für Magen- und Leberkrebs. Hier liegen die höchsten Sterberaten für die einzelnen Bundesländer jeweils deutlich mehr als 50 % über den niedrigsten.

Überlebensraten/Survival

Der Einfluss von Krebserkrankungen auf die Lebenserwartung der Betroffenen wird häufig über das relative 5-Jahres-Überleben abgebildet. Dabei wird der beobachtete Anteil der überlebenden Krebspatientinnen und -patienten 5 Jahre nach Diagnosestellung mit der aus Sterbetafeln berechneten Überlebenswahrscheinlichkeit in der allgemeinen Bevölkerung gleichen Alters und Geschlechts verglichen. Ein relatives 5-Jahres-Überleben von 100 % bedeutet demnach, dass innerhalb von 5 Jahren nach einer Krebsdiagnose genauso viele betroffene Personen verstorben sind, wie auch ohne diese Diagnose zu erwarten gewesen wäre. Da die Überlebenswahrscheinlichkeiten stark vom Alter abhängen, unterscheiden sich relative und absolute Überlebensraten stärker bei Krebsarten, die vor allem im höheren Alter auftreten.
Die hier berichteten relativen Überlebensraten wurden nach dem sogenannten Periodenansatz berechnet. Ähnlich wie bei der Berechnung der allgemeinen Lebenserwartung wird nach dieser Methode das Überleben von Menschen mit Krebs während einer bestimmten Zeitperiode, hier zwischen 2015 und 2016, berücksichtigt. In die Berechnung werden diejenigen Patienten eingeschlossen, die innerhalb dieser Periode gelebt haben und deren Tumoren frühestens 5 Jahre davor erstmals diagnostiziert wurden. Die Methode erlaubt eine relativ zuverlässige Schätzung der 5-Jahres-Überlebensraten derjenigen Patientinnen und Patienten, die erst kürzlich erkrankt sind und noch keine 5 Jahre unter Beobachtung stehen.
Die Überlebensaussichten von Krebspatienten in Deutschland haben sich in den letzten 30 Jahren insgesamt erheblich verbessert. Anfang der 1980er-Jahre lagen die relativen 5-Jahres-Überlebensraten für Krebserkrankungen im Erwachsenenalter insgesamt noch zwischen 44 % (DDR) und 50 % (Saarland) bei den Frauen sowie zwischen 27 % (DDR) und 38 % (Saarland) bei den Männern (Schön et al. 1999). Für den Zeitraum 2015 bis 2016 liegen sie für Frauen bei 65 % und für Männer bei 59 %. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist nicht gleichbedeutend mit einem entsprechenden „Vorteil“ von Frauen gegenüber Männern mit der gleichen Krebserkrankung: Nicht zuletzt trägt der bei den Männern höhere Anteil von Lungenkrebs mit eher schlechten Überlebensaussichten zu diesem Unterschied im Gesamtergebnis bei. Der Lungenkrebs ist auch ein wesentlicher Grund für die Verringerung des Unterschieds im Überleben zwischen Frauen und Männern seit den 1980er-Jahren, denn seitdem ist die Lungenkrebserkrankungsrate bei Frauen angestiegen, während sie bei Männern zurückgegangen ist. Bei Kindern zeigen Ergebnisse aus dem Deutschen Kinderkrebsregister deutliche Verbesserungen bei den Überlebensaussichten: Lagen diese Anfang der 1980er-Jahre noch bei 67 %, sind es heute bereits 84 %. Deutliche Verbesserungen bei den Überlebensraten erwachsener Krebspatienten in den letzten 25 Jahren wurden gerade für die häufigen Krebserkrankungen, also bösartige Tumoren der Brustdrüse, des Darms und der Prostata, erreicht.
Abb. 7 zeigt das relative 5-Jahres-Überleben nach Diagnose und Geschlecht für die 28 häufigsten Krebsarten sowie für Krebserkrankungen insgesamt. Unter diesen weist das Pankreaskarzinom mit 9,8 % bei Frauen und 9,3 % bei Männern das niedrigste 5-Jahres-Überleben auf. Beim malignen Melanom, Hoden- und Prostatakrebs bei Männern sowie Schilddrüsenkarzinom bei Frauen liegen die relativen 5-Jahres-Überlebensraten dagegen bei über 90 %. Für bestimmte Formen des Schilddrüsen- und Hodenkrebses oder des Melanoms werden heute sogar Werte von annähernd 100 % erreicht. Dies bedeutet, dass im Durchschnitt Betroffene durch diese Erkrankungen zumindest in den ersten 5 Jahren nach Diagnosestellung in ihren Überlebenschancen nur sehr geringfügig eingeschränkt sind.
Im internationalen Vergleich wurde vielfach gezeigt, dass die Überlebensraten nach Krebserkrankungen deutlich mit der regionalen Wirtschaftskraft zusammenhängen. So liegt das 5-Jahres-Überleben in den Industrienationen deutlich höher als in Entwicklungs- und Schwellenländern. Innerhalb Europas gehört Deutschland zu den Ländern mit den höchsten Überlebenschancen nach Krebs. Selbst innerhalb Deutschlands bestehen jedoch noch leichte, aber statistisch signifikante Nachteile für Betroffene in wirtschaftlich und sozial benachteiligten Regionen, ein Befund, der noch weiterer Analysen bedarf (Jansen et al. 2014). Davon abgesehen, sind die vor der Wiedervereinigung bestehenden Unterschiede in den Überlebensraten zwischen alten und neuen Bundesländern heute weitgehend verschwunden (Jansen et al. 2012).
Unterschiede in den Überlebensraten nach Krebs spiegeln jedoch nicht immer Vorteile im Gesamtüberleben der Betroffenen wider. Sie können auch durch unterschiedliche Angebote oder Inanspruchnahme von Früherkennungsmaßnahmen beeinflusst werden. Eine frühere Diagnose einer Krebserkrankung führt schließlich auch dann zu einem längeren Überleben mit der Krebserkrankung, wenn der Sterbezeitpunkt gar nicht beeinflusst wird. Zusätzlich werden bei Krebsfrüherkennungsuntersuchungen auch langsam wachsende Tumoren gefunden, die ansonsten zeitlebens unbemerkt geblieben wären. Da diese Tumoren naturgemäß eine gute Überlebensprognose aufweisen, werden die Überlebensraten durch Früherkennung so noch weiter erhöht. Überlebensraten eigenen sich daher nicht dazu, positive Effekt von Früherkennungsmaßnahmen oder -programmen abzubilden. Letztlich ist dies nur durch den Nachweis der Senkung der krankheitsspezifischen Sterblichkeit, zumindest aber eines Rückgangs der Inzidenz fortgeschrittener Erkrankungsstadien oder einer Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen möglich.
Literatur
Boyle P, Parkin DM (1991) Statistical methods for registries. In: Jensen OM, Parkin DM, MacLennan R, Muir CS, Skeet RG (Hrsg) Cancer registration: Principles and methods, IARC scientific publications no. 95. International Agency for Research on Cancer and International Association of Cancer Registries, Lyon, S 126–158
European Cancer Information System – ECIS (2018) https://​ecis.​jrc.​ec.​europa.​eu. Zugegriffen am 13.02.2019
Global Cancer Observatory (2019) https://​ecis.​jrc.​ec.​europa.​eu. Zugegriffen am 13.02.2019
Jansen L, Gondos A, Eberle A (2012) Cancer survival in Eastern and Western Germany after the fall of the iron curtain. Eur J Epidemiol 27(9):689–693
Jansen L, Eberle A, Emrich K et al (2014) Socioeconomic deprivation and cancer survival in Germany: an ecological analysis in 200 districts in Germany. Int J Cancer 134(12):2951–2960
Robert Koch-Institut, Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V. (Hrsg) (2019) Krebs in Deutschland für 2013/2014, 11. Aufl. Berlin
Schön D, Bertz J, Görsch B et al (1999) Entwicklung der Überlebensraten von Krebspatienten in Deutschland. Robert Koch-Institut, Berlin, S 49
Statistisches Bundesamt, Destatis (2018) Amtliche Todesursachenstatistik Deutschland. www.​gbe-bund.​de. Zugegriffen am 13.12.2018
Wolf U, Barnes B, Bertz J et al (2011) Das Zentrum für Krebsregisterdaten (ZfKD) im Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 54:1229–1234CrossRef