Morbus Hodgkin
Die kumulative 10-Jahres-Inzidenz sekundärer
Leukämien nach kurativer Therapie des
Morbus Hodgkin ist deutlich erhöht und wird in unterschiedlichen Serien zwischen 0,9–10 % berichtet (Kaldor et al.
1987; Nelson et al.
1981; Coltman und Dixon
1982). Das relative Risiko beträgt in Studien mit hoher Fallzahl etwa 20–40 im Vergleich zur Normalbevölkerung, mit insgesamt jedoch abnehmender Tendenz durch Modifikation der Behandlungsschemata (s. unten). Ursächlich hierfür ist v. a. die Exposition mit alkylierenden Substanzen und Topoisomerase-II-Inhibitoren. Das relative Risiko für eine Leukämie, die durch alkylierende Substanzen hervorgerufen wird, ist am größten innerhalb der ersten 5 Jahre nach Exposition und geht mit
chromosomalen Aberrationen in den
Chromosomen 5 und 7 einher (Swerdlow et al.
2011; Andersen et al.
1998).
Im Gegensatz dazu treten Epipodophyllotoxin-assoziierte AMLs meist innerhalb der ersten 3 Jahre nach der Behandlung auf, i. d. R. ohne ein vorausgehendes
myelodysplastisches Syndrom (MDS). Sie sind häufig durch eine balancierte Translokaktion 11q23/21q22 charakterisiert (Andersen et al.
1998,
2001; Brusamolino et al.
1998).
Ein wichtiger Risikofaktor für die Entwicklung einer therapieabhängigen
akuten myeloischen Leukämie (tAML) bzw. eines MDS ist die kumulative Dosis der potenziell leukämogenen Medikamente. So wurden in einer großen retrospektiven Analyse der Deutschen Hodgkin-Studiengruppe knapp 12.000 Patienten auf das Risiko einer tAML- bzw. MDS-Entwicklung untersucht. Es zeigte sich, dass eine deutlich höhere Zahl von tAML/MDS bei Patienten mit einer eskalierten BEACOPP-Behandlung auftrat als bei Patienten, die kein oder <4 Zyklen eskaliertes BEACOPP erhalten hatten (1,7 % vs. 0,7 % vs. 0,3 %, P<0,0001) (Eichenauer et al.
2014). Eine Analyse der Stanford-Universität von 3 Studiengenerationen mit insgesamt 754 Patienten zwischen 1974 und 2003 zeigte eine ähnliche Korrelation mit einem deutlichen Rückgang der Rate von tAML/MDS nach Reduktion der kumulativen Alkylanzien-Dosierung (Koontz et al.
2013).
Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Entstehung einer tAML oder eines MDS ist die konsolidierende
Strahlentherapie nach Chemotherapie. So wurde in der Deutschen Hodgkin-Studiengruppe parallel zur Abnahme der Zahl der bestrahlten Patienten von 71 % auf 11 % ein substanzieller Rückgang der tAML/MDS-Rate in den unterschiedlichen Studien beobachtet (Engert et al.
2009,
2012). Zudem traten weniger tAML/MDS nach einer alleinigen Bestrahlung des betroffenen Gebietes („involved field ratiotherapy“) als nach einer ausgedehnten Strahlentherapie („extended field radiotherapy“) auf (Delwail et al.
2002).
Weitere Risikofaktoren, die mit der Entwicklung einer AML bzw. eines MDS in Verbindung gebracht werden, sind eine
Splenektomie, ein Alter über 40 Jahren bei Therapie sowie ein fortgeschrittenes Erkrankungsstadium (Eichenauer et al.
2014; Delwail et al.
2002). Patienten mit anhaltend erniedrigten Thrombozytenzahlen nach Therapie als Ausdruck einer erhöhten Knochenmarktoxizität zeigen ebenfalls ein signifikant erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Sekundärleukämie.
Das Risiko für die Entwicklung solider Zweittumoren und
Non-Hodgkin-Lymphome steigt kontinuierlich mit zunehmendem Abstand von der durchgeführten Therapie und erreicht nach 15–20 Jahren ein
Maximum. Einen Anhalt für einen signifikanten Rückgang in den Folgejahren gibt es bislang nicht. Nach 15 Jahren beträgt die kumulative Inzidenz solider Zweittumoren 10–14 % und 1–2 % bei Non-Hodgkin-Lymphomen. Die Entwicklung der Folgeneoplasien wird dabei von verschiedenen Risikofaktoren beeinflusst:
-
-
-
Art und Intensität der Chemotherapie (Ng et al.
2002)
-
Nikotinabusus (van Leeuwen et al.
1995)
-
Positive Familienanamnese für Tumorerkrankungen (Sud et al.
2017)
Ähnlich wie für AML und MDS zeigt sich auch für die soliden Tumoren ein Rückgang der Erkrankungszahlen mit der Weiterentwicklung der Behandlungsregime. So wurde in einer großen retrospektiven Analyse von knapp 24.000 Hodgkin-Lymphom-Überlebenden ein standardisiertes Inzidenzrisiko (SIR) von 2,24 (95 %-KI 2,13–2,35) bei Patienten gemessen, die eine Behandlung in den Jahren 1973–1986 erhielten, von 1,82 (95 %-KI 1,72–1,93) bei Patienten mit einer Therapie zwischen 1987 und 2000 und von 1,66 (95 %-KI 1,51–1,82) bei Patienten mit einer Therapie in den Jahren 2001–2014 (Kumar et al.
2017). Der Rückgang kann v. a. auf eine rückläufige Inzidenz von Tumoren des Magendarmtrakts und der Brust zurückgeführt werden.
Insgesamt werden erhöhte Raten von Tumoren des Magens, Kolons, Bronchialsystems, der Mamma, des zentralen Nervensystems sowie der Schilddrüse und des Weichgewebes gefunden. Zudem treten vermehrt Plattenepithelkarzinome der Haut und maligne
Melanome auf (Bokemeyer et al.
1993).
Für die Entwicklung von Bronchialkarzinomen nach abgeschlossener Hodgkin-Lymphom-Behandlung spielt neben den Behandlungsregimen (Radiotherapie, Chemotherapie mit
Alkylanzien) auch das Nikotinverhalten der Patienten eine erhebliche Rolle. So bestand in einer retrospektiven Datenerhebung bei 84 % der Patienten mit einem sekundären Bronchialkarzinom ein Nikotinabusus, der bei 56 % der Patienten mehr als 10 Pack Years betrug (Schoenfeld et al.
2012). Das Behandlungsergebnis dieser Patienten mit Zweitmalignomen ist häufig schlecht. In einer Analyse der Deutschen Hodgkin-Studiengruppe verstarben 70 % der Patienten mit Zweittumoren innerhalb der ersten 21 Monate (Behringer et al.
2004).
Das erhöhte Risiko für die Entwicklung eines
Mammakarzinoms nach Hodgkin-Lymphom-Behandlung wurde speziell in einer retrospektiven schwedischen Kohorte mit 9522 Patientinnen untersucht. Es zeigte sich eine kumulative 30-Jahres-Inzidenz von 13,8 % bei Frauen, die bei Diagnose der Hodgkin-Erkrankung jünger als 35 Jahre alt waren (Sud et al.
2017). Bei Frauen jenseits des 40. bzw. 50. Lebensjahres war das Risiko für die Entwicklung eines Mammakarzinoms dagegen nicht erhöht (Veit-Rubin et al.
2012; Ibrahim et al.
2012). Sekundäre Mammakarzinome treten vermehrt bilateral auf und sind gehäuft an den Rändern der ehemaligen Bestrahlungsfelder bzw. in den äußeren Quadranten zu finden (Ibrahim et al.
2012; Elkin et al.
2011; Wolden et al.
2000). Auch hier erhöht eine zusätzliche Chemotherapie das mit der Radiotherapie assoziierte Risiko. Dabei scheint das Risiko 5–9 Jahre nach der Behandlung des
Hodgkin-Lymphoms anzusteigen und erreicht ein Plateau nach etwa 15–19 Jahren. Offensichtlich besteht ein erhöhtes Risiko allerdings auch nach 40 Jahren Nachsorge weiter (Ibrahim et al.
2012; Schaapveld et al.
2015; Swerdlow et al.
2012).
Non-Hodgkin-Lymphome (NHL)
Überlebende von Non Hodgkin
Lymphomen (NHL) weisen ebenfalls ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Sekundärneoplasien auf
. Hierzu zählen insbesondere Bronchial-, Blasen-und
Nierenzellkarzinome,
Hirntumoren,
Melanome,
Hodgkin-Lymphome und akute
Leukämien, die keinen lymphozytären Ursprung haben (Veit-Rubin et al.
2012). Eine Untersuchung von knapp 80.000 Patienten mit einem NHL, die zwischen den Jahren 1973 und 2001 behandelt wurden, zeigte ein standardisiertes Inzidenzrisiko (SIR) von 1,14 im Vergleich zur Normalbevölkerung. Eine zusätzliche
Strahlentherapie veränderte das Risiko für das Auftreten einer Zweitneoplasie insgesamt nicht, allerdings wurde eine erhöhte Rate von Sarkomen,
Mammakarzinomen und
Mesotheliomen bei den bestrahlten Patienten gefunden (Tward et al.
2006). Interessanterweise war das Risiko für nicht bestrahlte Patienten, an einem sekundären Mamma- oder
Prostatakarzinom zu erkranken, im Vergleich zur Normalbevölkerung erniedrigt. Als ursächlich wurden erniedrigte Östrogen- und Testosteronspiegel als Folge der Chemotherapie diskutiert.
Mammakarzinom
Das absolute Risiko
für die Entwicklung einer sekundären Leukämie 10 Jahre nach jeglicher adjuvanter Chemotherapie beträgt 1,8 % im Vergleich zu 1,2 % bei Patientinnen ohne eine entsprechende Behandlung (Patt et al.
2007). Eine enge Korrelation besteht auch hier zu dem Einsatz von alkylierenden Substanzen und Topoisomerase-II-Hemmstoffen (Leone et al.
2007). Besonders hoch ist das Risiko einer sAML zudem nach Melphalan
-Exposition, das v. a. in den 1970er-Jahren Verwendung in der adjuvanten Therapie des
Mammakarzinoms fand. Hier wurde ein 10-fach erhöhtes Risiko im Vergleich zu Cyclophosphamid berichtet (Curtis et al.
1992). Aber auch nach Therapie mit Cyclophosphamid
besteht ein geringgradig erhöhtes Risiko im Vergleich zur Normalbevölkerung (Tallman et al.
1995; Valagussa et al.
1994).
Dabei besteht ein enger Zusammenhang zwischen der applizierten Dosierung und dem Risiko einer sAML bzw. eines MDS. So wurde beispielweise in einer großen retrospektiven Analyse mit über 7000 Brustkrebspatientinnen aus 19 randomisierten Studien, die eine Therapie mit Epirubicin und Cyclophosphamid erhielten, bei Dosierungen, die die der Standardtherapien nicht überstiegen (≤720 und ≤6300 mg/m
2), ein Risiko von 0,37 % (95 %-KI 0,13–0,61) berichtet. Dagegen stieg das Risiko für Patientinnen mit höheren Dosierungen der Kombinationschemotherapie auf 4,97 % (95 %-KI 2,06–7,87) (Praga et al.
2005). Ebenso zeigt sich ein Trend für eine erhöhte Rate sekundärer MDS/AML nach dosisdichten adjuvanten Therapieschemata (Moebus et al.
2010).
In einer retrospektiven Analyse am Institut Curie in Frankreich untersuchten Kirova und Kollegen 16.705 Brustkrebsüberlebende, die zwischen 1981 und 1997 behandelt wurden. Die Behandlungen der Patientinnen umfassten Chemo-, Radio- und/oder Hormontherapie. Die Chemotherapieregime variierten im Laufe der Jahre und umfassten CMF (Cyclophosphamid,
Methotrexat und 5-Fluorouracil), FAC (5-Fluorouracil, Adriamycin und Cyclophosphamid) oder FEC (5-Fluorouracil, Epirubicin, Cyclophosphamid). Die nach dem Alter standardisierte Risikorate (SIR) im Vergleich zur französischen Normalbevölkerung war am höchsten für die Entwicklung sekundärer
Leukämien (SIR 2,07 [1,52–2,75]),
Ovarialkarzinome (SIR 1,6 [1,27–2,04]) und gynäkologische Tumoren (Zervix- und
Endometriumkarzinom (SIR 1,6 [1,34–1,89];
P<0,0001). Dabei war v. a. das Risiko für die Entwicklung einer sekundären Leukämie mit einer Chemotherapie assoziiert, wohingegen gynäkologische Tumoren in erster Linie mit Hormontherapien in Verbindung gebracht wurden (Kirova et al.
2008).
Auch Curtis und Kollegen fanden ein mehr als zweifach erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Gebärmutterkrebses in einer retrospektiven Untersuchung von knapp 40.000 Patientinnen, die sich zwischen 1980 und 2000 einer Hormonbehandlung mit Tamoxifen
unterzogen (Curtis et al.
2004). Dieses erhöhte Risiko bestätigte sich in anderen Untersuchungen.
Einfluss auf die Entwicklung von Sekundärmalignomen haben auch genetische Prädispositionen der Patientinnen. So wurde in einer großen prospektiven Kohorte mit BRCA-2-Trägerinnen eine deutliche Erhöhung der standardisierten Inzidenzrate (SIR 8,11) sekundärer
Leukämien nach Durchführung einer Chemotherapie beobachtet (Iqbal et al.
2016).
Ovarialkarzinom
Auch bei Patientinnen mit
Ovarialkarzinom scheint eine Assoziation zwischen dem Risiko für sekundäre
Leukämien und der Dosis der verwendeten alkylierenden Substanzen zu bestehen (Travis et al.
1999). Dabei erhöhen Cyclophosphamid
, Chlorambucil
, Melphalan
, Thiotepa
und Treosulfan
unabhängig voneinander das Risiko für sekundäre Leukämien. Chlorambucil und Melphalan weisen dabei das höchste leukämogene Potenzial auf. Eine Untersuchung von knapp 100.000 überlebenden Patientinnen mit Ovarialkarzinom zeigte ein relatives Risiko von 12 (4–32) nach Chemotherapie (Kaldor et al.
1990; Greene et al.
1982). Nach platinhaltiger Kombinationschemotherapie wurde bei 28.971 Patientinnen mit Ovarialkarzinom ein vierfach erhöhtes Risiko berichtet. Dabei erhöhte sich das relative Risiko mit Carboplatin auf das 6,5-Fache, mit Cisplatin auf das 3,3-Fache. Eine alleinige
Strahlentherapie hatte hingegen keinen Einfluss. Sekundäre Leukämien traten im Median 4 Jahre nach Behandlung der Ovarialkarzinome auf (Travis et al.
1999).
Eine retrospektive Datenanalyse von mehr als 12.000 taiwanesischen Patientinnen zeigte ebenfalls eine deutliche Erhöhung der standardisierten Inzidenzrate für sekundäre
Leukämien (SIR 3,83) sowie für solide Tumoren. So wurde das SIR für sekundäre Karzinome des Kolons, Rektums und Analkanals mit 2,14 und für Lunge und Mediastinum mit 1,58 angegeben. Das SIR für Mamma-, Zervix- und Uteruskarzinome betrug 1,68, 1,65 und 7,96, das für Blasen- und
Schilddrüsenkarzinome 3,17 und 2,23. Multivariate Analysen identifizierten ein höheres Alter sowie eine Exposition mit Chemo- oder Radiotherapie als unabhängige Risikofaktoren (Hung et al.
2015).
Hodenkarzinom
Sekundäre Malignome
stellen eine erhebliche Bedrohung für Patienten mit Hodenkarzinomen nach erfolgreicher kurativer Behandlung dar. Ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Folgeneoplasien, insbesondere solider Tumoren, besteht auch 20 Jahre nach Abschluss der Chemotherapie fort (Fung et al.
2013).
Die Aufnahme von Etoposid
in die Standardtherapieprotokolle zur Erstlinienbehandlung (z. B. PEB-Schema) hat zwar zu einer Steigerung der Effektivität bei gleichzeitiger Senkung der akuten Toxizität geführt (Williams et al.
1987), allerdings um den Preis einer Zunahme der sekundären
Leukämien auf bis zu 0,6 % im Rahmen einer durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von 5 Jahren (Kollmannsberger et al.
1998). Steigt die kumulative Etoposid-Dosis auf >2 g/m
2 an, z. B. im Rahmen eines Hochdosischemotherapieregimes, verdoppelt bis verdreifacht sich die Inzidenz. Dabei weisen die sekundären Leukämien häufig die bereits zuvor beschriebenen Charakteristika Epipodophyllotoxin-assoziierter Leukämien auf.
Ähnlich wie für Etoposid wurde für Cisplatin
eine Korrelation zwischen der verabreichten Dosis und dem Auftreten von Folgeneoplasien gefunden. So zeigte sich ein relatives Risiko (RR) für die Entwicklung einer sekundären Leukämie von 3,2 (95 %-KI 1,5–8,4) bei einer kumulativen Cisplatin-Dosierung von 650 mg/m
2 mit einem Anstieg auf mehr als das Sechsfache bei über 1000 mg/m
2 (Travis et al.
2000).
Zudem traten signifikant mehr solide Tumoren nach einer kumulativen Cisplatin-Dosierungen von 400–499 mg/m
2 und über 500 mg auf (HR 2,43, 95 %-KI 1,40–4,23; HR 2,42, 95 %-KI 1,50–3,90), wohingegen eine kumulative Dosis <400 mg/m
2 keinen signifikanten Einfluss hatte (Groot et al.
2018). Eine lineare Dosis-Wirk-Beziehung wurde dabei für die Entwicklung solider Tumoren des Gastrointestinaltrakts gefunden (Groot et al.
2018).
Ursächlich für die Entstehung von Folgeneoplasien nach Cisplatin-Behandlung ist möglicherweise die lange Persistenz von Cisplatin-DNA-Addukten in Organen sowie von aktiven Cisplatin-Bestandteilen in
Serum und
Urin – auch 20 Jahre nach erfolgter Behandlung (Boer et al.
2015; Gietema et al.
2000).
Eine große retrospektive Datenerhebung basierend auf 14 populationsbasierten Tumorregistern in Europa und Nordamerika mit über 40.000 Patienten (zwischen 1942 und 2001), die ihren Keimzelltumor länger als 1 Jahr überlebten, zeigt deutlich das erhöhte Risiko für die Entstehung solider Folgeneoplasien bei Keimzelltumorpatienten auf. Dabei wurde ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines soliden Tumors bei >10-Jahres-Überlebenden sowohl nach alleiniger Chemotherapie (RR 1,8, 95 %-KI 1,3–2,5) als auch nach alleiniger
Strahlentherapie (RR 2,0, 95 %-KI 1,9–2,2) oder der Kombination aus beidem (RR 2,9, 95 %-KI 1,9–4,2) beobachtet (Travis et al.
2005). Insgesamt betrug das RR für die Entwicklung eines soliden Tumors ≥10 Jahre nach Diagnosestellung 1,9 (95 %-KI 1,8–2,1). Diese Erhöhung des RR blieb im 20.–29. Jahr erhalten (1,7, 95 %-KI 1,6–1,9) und war auch 35 Jahre nach Diagnosestellung noch festzustellen. Eine Zunahme des RR fand sich für Ösophagus-, Magen- und Pankreas- und kolorektale Karzinome sowie für Bronchial-, Pleura- und
Schilddrüsenkarzinome. Vermehrt wurden zudem von Blasen-, Prostata- und
Nierenzellkarzinome sowie maligne
Melanome und Bindegewebstumoren berichtet.
Eine retrospektive Analyse von 12.691 Patienten, die zwischen 1980 und 2008 im populationsbasierten Surveillance-, Epidemiologie- und Endergebnis-Programm erfasst wurden, zeigte ein ähnliches Ergebnis mit einem Anstieg des SIR auf 1,4 (95 %-KI 0,76–1,14) nach alleiniger Chemotherapie, wohingegen eine alleinige chirurgische Behandlung keinen signifikanten Einfluss auf die Entstehung von Folgemalignomen hatte (Fung et al.
2013).
Nach alleiniger
Strahlentherapie zeigte sich nach 10 Jahren Nachbeobachtungszeit eine Zunahme der typischen infradiaphragmalen Tumoren innerhalb des ehemaligen Strahlenfeldes. In diesem Zusammenhang muss insbesondere auf das erhöhte Risiko für die Entwicklung von Blasenkarzinomen hingewiesen werden (Groot et al.
2018; Wanderas et al.
1997; Travis et al.
1997).
Multiples Myelom
Die Entwicklung sekundärer Malignome bei Patienten mit multiplem Myelom
ist seit den 1960er-Jahren bekannt. So wurde eine erhöhte Rate sekundärer
Leukämien bei Patienten unter niedrig dosiertem Melphalan kombiniert mit alkylierenden Substanzen nachgewiesen (Bergsagel et al.
1979).
Die Einführung der Hochdosischemotherapie mit anschließender autologer Stammzelltransplantation hat offensichtlich das Risiko für die Entwicklung einer sekundären Leukämie oder eines MDS nicht weiter erhöht (Mailankody et al.
2011). Anders scheint es sich mit der Lenalidomid
-Erhaltungstherapie nach Hochdosistherapie zu verhalten. Hier wurde eine erhöhte Inzidenz von AML/MDS,
Hodgkin-Lymphomen, B-ALL sowie Prostata-, Mamma- und
Ösophaguskarzinomen berichtet. So wurde beispielsweise in den IFM-2005-02- und CALGB-100104-Studien bei 5,5 % und 6,5 % der Lenalidomid-behandelten Patienten eine Sekundärneoplasie diagnostiziert, aber nur bei 1 % und 2,5 % der Patienten der zugehörigen Kontrollarme (Attal et al.
2012; Holstein et al.
2017).
Es wird allerdings gemutmaßt, dass die Entwicklung von Folgeneoplasien bei Patienten mit multiplem Myelom – vielleicht mehr als bei anderen Erkrankungen – ein multifaktorielles Geschehen ist (Thomas et al.
2012). Dabei scheinen neben der Behandlung auch krankheitsspezifische Charakteristika, Umweltfaktoren und patienteneigene Voraussetzungen die Entstehung zu beeinflussen.