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Kombination von Strahlen- und Chemotherapie

Verfasst von: Jürgen Dunst und Daniel Zips
Kombinationen von Strahlentherapie und medikamentöser Therapie (hier im engeren Sinne: Chemotherapie) werden oft eingesetzt. Aus strahlentherapeutischer Sicht sind drei grundsätzlich verschiedene Wirkungsprinzipien zu unterscheiden, deren klare Trennung und Einordnung für die Therapiestrategie und das klinische Handling von großer Bedeutung sind.

Begriffsdefinitionen

Kombinationen von Strahlentherapie und medikamentöser Therapie (hier im engeren Sinne: Chemotherapie) werden oft eingesetzt. Aus strahlentherapeutischer Sicht sind drei grundsätzlich verschiedene Wirkungsprinzipien zu unterscheiden, deren klare Trennung und Einordnung für Therapiestrategie und das klinische Handling von großer Bedeutung sind (Abb. 1):
  • Räumliche Kooperation
  • Lokale Wirkungsverstärkung
  • Immunologische Effekte

Räumliche Kooperation

Bei diesem Wirkprinzip steht die systemische Wirkung der Chemotherapie (gegen manifeste oder okkulte Metastasen oder zur Kontrolle einer generalisierter „Systemerkrankung“) außerhalb des Bestrahlungsvolumens im Vordergrund. Die Strahlentherapie wird gezielt als ergänzende lokale Maßnahme zur Optimierung der Tumorkontrolle an kritischen Stellen verwendet. Beispiele hierfür sind:
  • Maligne Lymphome: Primäre medikamentöse Therapie, zusätzliche lokale Bestrahlung auf Gebiete mit hohem Rückfallrisiko (z. B. Bulk) oder aktive (PET-positive) Residualbefunde. Diese Kombination ist sinnvoll, da Strahlentherapie auch Chemotherapie-resistente Subpopulationen zerstören kann. Echte Strahlenresistenz gibt es nicht (im Gegensatz zur Resistenz gegen Medikamente): Resistenz gegen Strahlentherapie ist immer nur relativ.
  • Kleinzelliges Bronchialkarzinom: Im Stadium „limited disease“ wird eine mittelfristig gute Tumorkontrolle oder Vernichtung von Mikrometastasen durch Chemotherapie erreicht. Bei gutem Chemotherapieeffekt (komplette/partielle Remission) besteht das höchste Rückfallrisiko in Regionen, in denen die Wirksamkeit der Chemotherapie geringer ist, also im primär befallenen Mediastinum (wegen Tumormasse) und im Gehirn (wegen reduzierter Wirksamkeit der Chemotherapie durch die Blut-Hirn-Schranke). Die konsolidierende Bestrahlung dieser Gebiete kann sinnvoll sein.
  • Adjuvante Therapie bei soliden Tumoren mit hohem systemischen und lokalem Rezidivrisiko (z. B. Mammakarzinom, NSCLC, Rektumkarzinom): Bei diesen Erkrankungen besteht nach operativer Therapie neben dem (meist im Vordergrund stehenden) systemischem Rezidivrisiko auch ein hohes lokales Rückfallrisiko, das durch die medikamentöse Therapie nicht ausreichend gesenkt wird. Die zusätzliche Strahlentherapie kann dieses lokale Risiko beherrschen und das Überleben verlängern.
  • Palliative Therapie bei metastasierter Tumorerkrankung: Bei palliativer medikamentöser Therapie kann die Strahlentherapie am „Ort der höchsten Not“ eingesetzt werden, um relevante Symptome rascher und mit höherer Wahrscheinlichkeit als mit Chemotherapie allein zu beherrschen.
  • Oligoprogression bei metastasierter Erkrankung: Im individuellen Ansatz kann eine Progression nur einzelner Metastasen unter systemischer Therapie durch eine Strahlentherapie dieser Metastasen die Zeit bis zur Umstellung oder Intensivierung der Systemtherapie verlängert werden.
Generell gilt: Chemotherapie und Strahlentherapie müssen zwar aufeinander abgestimmt werden, aber die Antitumorwirkung ist weitgehend unabhängig voneinander. Oft ist es sinnvoll, die Therapiemodalitäten sequenziell oder interkalierend einzusetzen, um einerseits Dosiskompromisse zu vermeiden und andererseits die Verträglichkeit zu verbessern, z. B. konsolidierende Bestrahlung eines Tumorbulks bei Lymphomen nach Abschluss der Chemotherapie oder palliative Bestrahlung einer symptomatischen Knochenmetastase zwischen zwei Chemotherapiekursen. Bei bestimmten Situationen (z. B. kurative primäre Radiochemotherapie bei Kopf-Hals-Tumoren oder NSCLC) ist die simultane Chemotherapie während der Strahlentherapie der sequenziellen Kombination überlegen (s. Abschn. 1.2).

Lokale Wirkungsverstärkung („Radiosensibilisierung“, biologische Kooperation)

Bei vielen lokoregional begrenzten Erkrankungen, die mit Radiotherapie in kurativer Intention behandelt werden, kann eine zusätzliche Chemotherapie die lokale Wirkung der Radiotherapie verstärken und dadurch die Prognose wesentlich verbessern. Die Chemotherapie muss dann aber simultan zur Bestrahlung verabreicht werden (sog. simultane Radiochemotherapie, „concurrent chemoradiation“).
Biologische Grundlage sind die Sensibilisierung von Tumorzellen und die zusätzliche Tumorzellabtötung im bestrahlten Gebiet (Mitchel et al. 1986; Stratford 1992; Begg et al. 1994; Lawrence et al. 2003). Der radiosensibilisierende Effekt ist an Zellkulturen und in Tierexperimenten eindeutig belegt: Unter bestimmten Bedingungen können bei gleichzeitiger Strahlen- und Chemotherapie überadditive Effekte auftreten, d. h., der zytotoxische Effekt der Kombination ist größer als die Summe der Einzeleffekte („1 + 1 = 2,5“). Die molekularen Mechanismen sind vielfältig und nicht vollständig geklärt (s. Kap. „Radiosensitizer, Radiotherapie als Chemosensitizer“). Wichtig für das Verständnis dieses Wirkprinzips sind folgende Aspekte:
  • Der strahlensensibilisierende Effekt ist nur vorhanden, wenn das Zytostatikum während der Radiotherapieserie verabreicht wird. Die Chemotherapie muss zwingend simultan verabreicht werden; Chemotherapie vor (neoadjuvant) oder nach der Radiotherapie (adjuvant, Erhaltungstherapie) ist diesbezüglich ineffektiv (Jerzak et al. 2017).
  • Der Effekt ist medikamentenspezifisch und erfordert eine spezielle Sequenz von Bestrahlung und Chemotherapie. Zum Beispiel ist ein überadditiver Effekt in Experimenten mit Cisplatin vor allem dann nachgewiesen, wenn Cisplatin direkt vor einer Bestrahlung verabreicht wird. Die Strahlensensibilisierung durch 5-Fluorouracil (5-FU) dagegen ist am ausgeprägtesten, wenn 5-FU kontinuierlich (in niedrigen Dosierungen) mindestens 24 Stunden nach einer Bestrahlung verabreicht wird. Diese experimentellen Daten haben zu spezifischen Chemotherapieregimen für die simultane Radiochemotherapie geführt (Haraf et al. 1995).
  • Der strahlensensibilisierende Effekt ist bei den meisten Substanzen auch in niedrigen Konzentrationen vorhanden. Zum Beispiel gilt bei der simultanen Radiochemotherapie von Plattenepithelkarzinomen im HNO-Bereich eine kumulative Dosis von mindestens 200 mg/m2 Cisplatin als notwendig für eine signifikante Steigerung der lokoregionalen Tumorkontrolle im Vergleich zur alleinigen Radiotherapie. Die Einzeldosis von Cisplatin scheint keine Rolle zu spielen, d. h., die Verbesserung der lokalen Kontrolle ist bei 2x 100 mg/m2 oder 3x 70 mg/m2 oder wöchentlich 40 mg/m2 oder zwei Wochenkursen mit jeweils 5x 25 mg/m2 Cisplatin gleich oder zumindest sehr ähnlich. Da kleinere Einzeldosen meistens besser vertragen werden und die Patienten ohnehin jeden Tag zur Behandlung kommen, haben sich in Europa Chemotherapieregime mit kleineren Einzeldosen durchgesetzt.
  • Klinisch wichtige Beispiele, bei denen lokale Wirkungsverstärkung relevant ist, sind Analkarzinome, Plattenepithelkarzinome im HNO-Bereich, gastrointestinale Tumoren (Ösophaguskarzinome, Rektumkarzinom), Bronchialkarzinome, Zervixkarzinome und das Harnblasenkarzinom.
  • Der strahlensensibilisierende Effekt ist sowohl bei definitiver Radiochemotherapie (als alleinige lokoregionale Therapie ohne Operation) als auch bei prä- und postoperativer adjuvanter Radiochemotherapie nachweisbar.
  • Biologische Kooperation zwischen Bestrahlung und systemischer Therapie kommt zustande, weil die Therapiemodalitäten auf unterschiedliche Subpopulationen im Tumor wirken. Das Beispiel der konsolidierenden nach Systemtherapie (Strahlentherapie eradikiert Chemotherapie-resistente Zellen) wurde bereits erläutert. Experimentelle Daten zeigen, dass bestimmte Medikamente gezielt Subpopulation mit geringer Strahlenempfindlichkeit abtöten können. Ein Beispiel hierfür sind bioreduktive Substanzen oder Mitomycin C, die besonders zytotoxisch auf hypoxische und damit relativ radioresistente Zellen wirken.

Immunologische Effekte

Seit kurzem ist bekannt, dass Radiotherapie einen immunogenen Zelltod verursacht, d. h., die nach Bestrahlung entstehenden Zellbruchstücke scheinen vom Immunsystem besser erkannt zu werden bzw. eine stärkere Immunantwort auszulösen. Dies kann zu abscopalen Effekten (Remissionen von nicht bestrahlten Läsionen) führen oder die Wirkung immunologischer Therapien verstärken. Es gibt Hinweise, dass eine Anti-PD-1-Therapie besonders wirksam ist bei Patienten, die eine Radiotherapie erhalten haben (s. Kap. „Strahlentherapie und Immuntherapie“).
Die genaue Abstimmung von immunologischen Therapieverfahren und Radiotherapie ist noch nicht geklärt und aktuell Gegenstand experimenteller und klinischer Forschung.

Historische Entwicklung der simultanen Radiochemotherapie

Als Meilenstein gilt die Entwicklung der Radiochemotherapie beim Analkarzinom. Anfang der 1980er-Jahre wurde an der Universität Chicago im Rahmen einer prospektiven Studie eine präoperative Radiochemotherapie bei Analkarzinomen vor der (damals als Standard angesehenen) Rektumexstirpation eingesetzt. Trotz niedriger Strahlendosis (anfänglich 30 Gy) und vergleichsweise niedrig dosierter Chemotherapie mit 5-FU und Mitomycin C (MMC) beobachtete man bei zehn von zwölf Patienten eine histologisch komplette Remission bei der anschließenden Operation. Die Zytostatika 5-FU und MMC und deren Dosierungen hatte man aufgrund von Zellkulturexperimenten ausgewählt, in denen eine Strahlensensibilisierung beobachtet worden war. Für MMC war eine Strahlensensibilisierung speziell im hypoxischen Milieu nachgewiesen worden.
In den nächsten zwei bis drei Jahren wurde das Studienkonzept optimiert (höhere Strahlendosis von 50 Gy, zwei Kurse Chemotherapie, Verzicht auf Operation bei Remission). Später (nach 1990) in randomisierten Studien geprüfte Modifikationen (andere Zytostatika, intensivierte Chemotherapie, vorgeschaltete Chemotherapie oder Erhaltungschemotherapie) erbrachten keine Verbesserungen, sodass die Radiochemotherapie mit 5-FU/MMC seit 30 Jahren unverändert die Basis auch der heutigen Therapiekonzepte ist.
Die beindruckenden Ergebnisse beim Analkarzinom führten dazu, dass ähnliche Kombinationstherapien auch bei anderen Tumorentitäten geprüft wurden und sich nach und nach in der Klinik etablierten (Dunst et al. 1997).

Radiosensibilisierende Medikamente

Im engeren Sinne darf man nur dann von Radiosensibilisierung sprechen, wenn ein überadditiver (synergistischer, radiosensibilisierender) Effekt nachweisbar ist. Da die Strahlenwirkung nicht linear zur Dosis steigt, ist ein solcher Nachweis streng genommen nur experimentell in Zellkulturen durch eine Isobologramm-Analyse beweisbar (Begg et al. 1994; s. auch Kap. „Radiosensitizer, Radiotherapie als Chemosensitizer“). Experimentelle Belege für eine spezifische Strahlensensibilisierung sind für zahlreiche Medikamente vorhanden.
Als Faustregel kann gelten, dass die meisten Zytostatika und zielgerichteten Substanzen, die bei einer bestimmten Entität wirksam sind, oft auch einen radiosensibilisierenden Effekt haben. Bei Plattenepithelkarzinomen im HNO-Bereich z. B. sind radiosensibilisierende Effekte experimentell nachgewiesen für Platin, Taxane, 5-FU, Mitomycin C und EGF-R-Inhibitoren und Tyrosinkinaseinhibitoren.
Welche Effekte für die in der Klinik bei Radiochemotherapie beobachtete höhere Effektivität verantwortlich sind, ist aber nicht eindeutig bekannt. Ob die spezifische Radiosensibilisierung klinisch relevant ist oder ob der höhere Effekt aus einer einfachen additiven Wirkung resultiert oder ob die Intensivierung der Therapie (mehr Zytotoxizität in gleicher Zeit) bedeutend ist, ist nicht eindeutig zu klären. Die Indizien sprechen aber für eine klinische Relevanz der Radiosensibilisierung. Dies wird bestätigt durch mehrere Studien, in denen eine Kombination von Radiotherapie (in Standarddosis) und Chemotherapie effektiver war als eine Dosiseskalation der Radiotherapie.
Eine Übersicht über die wichtigsten Medikamente zeigt Tab. 1.
Tab. 1
Wichtige Medikamente bei Radiochemotherapie (Auswahl)
Substanz
Radiosensibilisierende Wirkung (experimentell)
Applikationsweise
Indikationen
(Auswahl)
Cisplatin
Bei Applikation direkt vor Bestrahlung
Kurzinfusion während Radiotherapie, z. B.
• 100 mg/m2 alle 3 Wochen
• Wöchentlich 40 mg/m2
• 25 mg/m2/Tag an Tag 1–5 und Tag 29–33
Kumulative Dosis sollte 200 mg/m2 betragen
Kopf-Hals-Tumoren (Plattenepithelkarzinom), Ösophagus-Ca, NSCLC, Urothel-Ca, Zervix-Ca
5-Fluorouracil
Capecitabin
Bei Applikation über mindestens 24 Stunden nach Bestrahlung
Dauerinfusion über 120 Stunden oder mehrere Wochen
Capecitabin: Dauergabe
Rektum-Ca, HNO-Tumoren, Anal-Ca
Taxane
Langanhaltend nach Bestrahlung
Kurzinfusion 1–2x/Woche, z. B. 2x/Woche 30 mg/m2 Paclitaxel
Breites Spektrum
Mitomycin C
Bei Applikation direkt mit Bestrahlung, v. a. unter hypoxischen Bedingungen
Bolusinjektion 10–15 mg/m2 alle 4 Wochen
Anal-Ca, HNO-Tumoren
Adriamycin
Bei Applikation direkt mit Bestrahlung
Kurzinfusion 1–2x/Woche
Sarkome
Cetuximab/EGFR-Tyrosinkinaseinhibitor
Bei Applikation direkt vor/mit Bestrahlung
Wöchentliche Infusion
Orale Dauergabe
HNO-Tumoren
NSCLC

Klinische Indikationen

Eine Übersicht über die aktuellen klinischen Indikationen zeigt Tab. 2.
Tab. 2
Aktuelle Indikationen (Auswahl, Evidenzlevel jeweils LoE I)
Entität
Indikationen zur simultanen Radiotherapie
Plattenepithelkarzinome im Kopf-Hals-Bereich
• Primäre (definitive) Radiochemotherapie bei inoperablen Tumoren oder als Alternative zur Operation
• Adjuvante Radiochemotherapie bei High-Risk-Tumoren
• Palliative (Re-)Behandlung bei Rezidiven
• Primäre (definitive) Radiochemotherapie bei inoperablen Tumoren oder als Alternative zur Operation
• Präoperative Radiochemotherapie
• Palliative Behandlung bei symptomatischen Tumoren
• Primäre (definitive) Radiochemotherapie bei inoperablen Tumoren oder als Alternative zur Operation
• Präoperative Radiochemotherapie (Stadium IIIA)
• Primäre (definitive) Radiochemotherapie bei inoperablen Tumoren oder als Alternative zur Operation
• Adjuvante Radiochemotherapie bei High-Risk-Tumoren
• Primäre (definitive) Radiochemotherapie bei inoperablen Tumoren oder als Alternative zur Operation mit dem Ziel Organerhalt
• Präoperative Radiochemotherapie
• Adjuvante Radiochemotherapie bei High-Risk-Tumoren
• Primäre (definitive) Radiochemotherapie

Nebenwirkungen

Durch die Kombinationstherapie treten mehr Nebenwirkungen auf; allerdings sind die Chemotherapie-assoziierten Nebenwirkungen wegen der relativ niedrigen Dosierung der Zytostatika moderat.

Faustregeln

  • Hämatologische Nebenwirkungen, die bei alleiniger Radiotherapie kaum vorkommen, müssen beachtet werden und sind für Dosierungsanpassungen der Chemotherapie relevant.
  • Es besteht ein gewisser radiosensibilisierender Effekt auch am gesunden Gewebe. Akute Strahlenreaktionen an Haut- und Schleimhäuten im Bestrahlungsvolumen werden etwas verstärkt. Dies betrifft z. B. Frequenz, Schweregrad und Dauer eine Mukositis bei Bestrahlung im Mund- und Rachenbereich oder einer Enteritis bzw. Proktitis bei Bestrahlung im Beckenbereich.
  • Das Nebenwirkungsmuster kann die Relevanz von Nebenwirkungen verändern. Zum Beispiel entwickeln die meisten Patienten bei Bestrahlung im Hals- und Rachenbereich (z. B. bei Oropharynxkarzinomen) eine mehrere Wochen anhaltende Mukositis, die eine Prädilektionsstelle für Superinfektionen darstellt. Bei alleiniger Radiotherapie ist das vergleichsweise unproblematisch. Bei Radiochemotherapie können an sich wenig bedeutende hämatologische Nebenwirkungen (z. B. Leukopenie Grad 3) aber diese und andere Nebenwirkungen komplizieren.
  • Wichtig für die Langzeitprognose: Die für Patienten relevanten (und bei moderner Radiotherapie meistens seltenen) Spätfolgen einer Radiotherapie werden durch die simultane Chemotherapie kaum bzw. praktisch nicht verstärkt.
  • Langzeittoxizitäten der Chemotherapie treten selten auf, weil diese stark von der kumulativen Dosis von Zytostatika (z. B. Neurotoxizität) oder Peak-Konzentration bei hohen Einzeldosen (z. B. Ototoxizität bei Cisplatin) abhängen. Die für diese Toxizitäten erforderlichen Konzentrationen werden bei den Zytostatikadosierungen im Rahmen einer Radiochemotherapie selten oder nie erreicht.
  • Es gibt zahlreiche Hinweise, dass Unterbrechungen der Strahlentherapie für die Antitumorwirkung nachteilig sind; das gilt auch bei Radiochemotherapie. Die größte Herausforderung für die Klinik besteht also darin, eine möglichst gute Therapieadhärenz zu erreichen und Nebenwirkungen so zu kontrollieren, dass Unterbrechungen der Strahlentherapie vermieden werden. Dazu sollten entsprechende supportive Maßnahmen schon im Vorfeld großzügig eingesetzt werden, z. B. prophylaktische PEG bei erwarteter Mukositis im HNO-Bereich oder Ösophagus. Wenn höhergradige Akutreaktionen an Haut und Schleimhäuten auftreten, sollte die Therapie unter stationären Bedingungen fortgeführt werden. Prinzipiell sollte aus diesen Gründen die Radiochemotherapie in der Hand von erfahrenen Radioonkologen in enger interdisziplinärer Abstimmung liegen.

Dosisanpassungen bei Nebenwirkungen

Falls stärkere Nebenwirkungen auftreten, können folgende allgemeine Grundsätze als Richtschnur gelten:
  • Wichtig ist eine optimale Supportivtherapie. Radiotherapiepausen sollten vermieden oder auf wenige Tage beschränkt werden.
  • Dosiskompromisse bei der Radiotherapie haben im allgemeinen größere Bedeutung als Dosiskompromisse bei der Chemotherapie. Man sollte also versuchen, die Bestrahlung des Tumors fortzuführen. In Einzelfällen können Modifikationen des Bestrahlungsplans sinnvoll (z. B. vorgezogener Boost, d. h. die Bestrahlung des makroskopischen Tumors oder der Primärtumorregion wird fortgeführt mit Pause der Bestrahlung nur in elektiv bestrahlten Anteilen des Zielvolumens).
  • Für die simultane Chemotherapie scheint die kumulative Dosis während der Radiotherapieserie eine Rolle zu spielen. Bei hämatologischen Nebenwirkungen sind Verschiebungen der Chemotherapie hilfreich (allerdings nur innerhalb der geplanten Strahlentherapieserie).

Zukünftige Entwicklungen

Grundsätzlich ist die für viele Zytostatika nachgewiesene Radiosensibilisierung bei vielen der neuen zielgerichteten Medikamente ebenfalls nachgewiesen. Die in den letzten zwei Jahrzehnten für Zytostatika und Radiotherapie entwickelten Konzepte sind also grundsätzlich (mit Vorbehalt) auf andere zytotoxisch wirkende und zielgerichtete Medikamente übertragbar (Maier et al. 2016; Muschel et al. 1998).
Neue Strategien betreffen Substanzen, die die DNA-Reparatur beeinflussen oder spezifische Signalwege inhibieren (Tofilon und Camphausen 2009). Da der relative Unterschied in der Strahlenempfindlichkeit zwischen malignen und benignen Zellen bestimmt wird durch das Ausmaß von strahleninduzierten DNA-Schäden und der Geschwindigkeit und Vollständigkeit der DNA-Reparatur, ist die selektive Beeinflussung der Reparaturmechanismen ein theoretisch attraktives Konzept. Ferner sind auch Nanopartikel zur spezifischen Strahlenverstärkung gut geeignet (Her et al. 2017; s. auch Kap. „Radiosensitizer, Radiotherapie als Chemosensitizer“).
Literatur
Begg AC, Deurloo MJ, Kop W, Bartelink H (1994) Improvement of combined modality therapy with cisplatin and radiation using intratumoral drug administration in murine tumors. Radiother Oncol 31:129–137CrossRefPubMed
Dunst J, Becker A, Fleig WE, Schmoll HJ (1997) Simultane Radiochemotherapie. Dtsch Ärztebl 94:A3277–A3280
Haraf DJ, Weichselbaum RR, Vokes EE (1995) Timing and sequencing of chemoradiotherapy. Cancer Treat Res 74:173–198CrossRefPubMed
Her S, Jaffray DA, Allen C (2017) Gold nanoparticles for applications in cancer radiotherapy: Mechanisms and recent advancements. Adv Drug Deliv Rev 109:84–101CrossRefPubMed
Jerzak KJ, Delos Santos K, Saluja R, Lien K, Lee J, Chan KKW (2017) A network meta-analysis of the sequencing and types of systemic therapies with definitive radiotherapy in locally advanced squamous cell carcinoma of the head and neck (LASCCHN). Oral Oncol 71:1–10CrossRefPubMed
Lawrence TS, Blackstock AW, McGinn C (2003) The mechanism of action of radiosensitization of conventional chemotherapeutic agents. Semin Radiat Oncol 13:13–21CrossRefPubMed
Maier P, Hartmann L, Wenz F, Herskind C (2016) Cellular Pathways in Response to Ionizing Radiation and Their Targetability for Tumor Radiosensitization. Int J Mol Sci 17. https://​doi.​org/​10.​3390/​ijms17010102
Mitchell JB, Russo A, Kinsella TJ, Glatstein E (1986) The use of non-hypoxic cell sensitizers in radiobiology and radiotherapy. Int J Radiat Oncol Biol Phys 12:1513–1518
Muschel RJ, Soto DE, McKenna WG, Bernhard EJ (1998) Radiosensitization and apoptosis. Oncogene 17:3359–3363CrossRefPubMed
Stratford IJ (1992) Concepts and developments in radiosensitization of mammalian cells. Int J Radiat Oncol Biol Phys 22:529–532CrossRefPubMed
Tofilon PJ, Camphausen K (2009) Molecular targets for tumor radiosensitization. Chem Rev 109:2974–2988CrossRefPubMedPubMedCentral