Einleitung, Bedeutung für das Wohlbefinden, Physiologie, Neurophysiologie
Ein ungestörter und erholsamer
Nachtschlaf ist eine wesentliche Voraussetzung für unser persönliches Wohlbefinden und eine gute
Lebensqualität. Eine Reihe von Erkrankungen geht mit Störungen des Nachtschlafs und damit Beeinträchtigung des guten körperlichen Befindens einher. Zudem werden wichtige körperliche und kognitive Funktionen im privaten wie beruflichen Leben gestört. Dabei müssen wir davon ausgehen, dass Störungen des
Schlafs bei so schwerwiegenden Erkrankungen wie einem Tumorleiden nicht spontan von Patienten berichtet werden, sodass dieses wichtige Symptom von den behandelnden Ärzten häufig nicht erkannt wird.
Aus der Wachheit gleiten wir in die
Schlafphasen, zuerst in den Leichtschlaf, dann in den Tiefschlaf und in den
REM-Schlaf. In der ersten Nachthälfte werden längere Tiefschlafphasen erreicht, der Leichtschlaf nimmt gegen Morgen zu. Die Phasen dauern 70–90 Minuten und wiederholen sich 4- bis 6-mal pro Nacht. Allen Schlafphasen können charakteristische Hirnstrombilder zugeordnet werden (Aserinsky und Kleitman
1953). Mit zunehmendem Alter nehmen die Anteile des Tiefschlafs ab bei gleichzeitiger Zunahme Anteile des Leichtschlafs.
Im Energiestoffwechsel des Gehirns fällt beim Verbrauch des Adenosintriphosphats
Adenosin an. Nach der Energiehypothese von Benington und Heller (
1995) steigt die extrazelluläre Adenosinkonzentration mit der Dauer der Wachphase an. Über Kaliumkanäle in der Zellwand von Neuronen bewirkt das Adenosin ein Absinken des Membranpotenzials, damit nimmt die Erregbarkeit der Neurone ab. Möglicherweise ist das der Grund für die gefühlte Müdigkeit, und der
Schlaf dient zur Wiederauffüllung der Energiespeicher im Gehirn.
Eine
Funktion des Schlafes scheint ein geregelter Abbau von Synapsen zu sein, der das Gehirn wieder in einen lernfähigen Zustand zurückversetzt und es vor einer maximalen Verdichtung von Synapsen schützt (Bushey et al.
2011).
Der
zirkadiane Schlaf-Wach-Rhythmus wird gesteuert durch die „innere Uhr
“, deren Sitz im Nucleus suprachiasmaticus ist. Wenn die Fotosensitiven, Melanopsin-enthaltenden retinalen Ganglienzellen „Dunkelheit“ melden, erfolgt im Corpus pineale die Ausschüttung von
Melatonin, dem Einschlafhormon (Wiater
2016). Die Ausschüttung weiterer Hormone, wie z. B.
Kortisol, folgt ebenfalls dem zirkadianen Rhythmus (Chung et al.
2011).
Nach dem 2-Phasen-Modell der Schlafsteuerung folgt die Schlafneigung einerseits ungefähr unserer inneren Uhr und unterliegt andererseits dem Schlafdruck, der sich mit zunehmender Wachdauer aufbaut (Borbély und Achermann
1999).
Nicht erholsamer Schlaf
Schlafstörungen führen zu einer Verschlechterung der zentralnervösen Aktivität, Konzentrationsmangel, Müdigkeit, Antriebsarmut und Stimmungsschwankungen. Von einer
Insomnie spricht man, wenn die Betroffenen über den Zeitraum von mindestens einem Monat Ein- und/oder Durchschlafstörungen haben, die mit einer Beeinträchtigung der Tagesbefindlichkeit oder der Leistungsfähigkeit am Tag einhergehen.
Schlafstörungen sind ein unabhängiger Risikofaktor für
Herzinfarkt, Herzversagen und Bluthochdruck (Li et al.
2014; Meng et al.
2013; Sofi et al.
2014). Es gibt Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Schlafstörungen und
Diabetes, metabolischem Syndrom sowie Übergewicht (Chen et al.
2008; Anothaisintawee et al.
2015; Patel und Hu
2008). Schlafstörungen beeinflussen zudem Funktionen des Immunsystems (Schuld et al.
2005). Ob es möglich ist, „sich gesund zu schlafen“, lässt sich allerdings derzeit nicht abschließend beurteilen.
Darüber hinaus haben
Schlafstörungen auch
gesellschaftliche Aspekte. So ist nicht ausreichender
Schlaf ein Risikofaktor für Arbeitsunfähigkeitszeiten sowie für Unfälle am Arbeitsplatz oder im Straßenverkehr (Laugsand et al.
2014; Sivertsen et al.
2009a,
b).
Auch für
psychiatrische Erkrankungen haben
Schlafstörungen eine wesentliche Bedeutung So gibt es einen Zusammenhang zwischen
Insomnien und dem späteren Auftreten von Depressionen (Baglioni et al.
2011), aber auch
Suizidalität (Bernert et al.
2014),
Angststörungen (Neckelmann et al.
2007) und Substanzabhängigkeit (Weissman et al.
1997).
Häufigkeit von Schlafstörungen
Schlafstörungen sind bei Menschen mit Krebserkrankungen häufige Folgestörungen von verschiedenen Aspekten der Krebserkrankung oder möglicherweise auch der Krebstherapie.
Viele Menschen haben zumindest zeitweilig das Gefühl schlecht zu
schlafen. In der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DESGS1) (Schlack et al.
2013) gaben 69,7 % der Befragten im Alter zwischen 18 und 79 Jahren das mindestens einmalige Auftreten von insomnischen Symptomen im letzten Jahr an, bei 30,3 % traten die Symptome 3-mal wöchentlich auf und 5,7 % erfüllten die diagnostischen Kriterien einer
Insomnie.
Für Menschen mit Krebserkrankungen gibt es umfangreiche Daten der Deutschen Rentenversicherung; in der DRV-Rehabilitandenbefragung 2017 gaben von 13.354 Befragten 77 % an, in der Zeit vor der Rehabilitationsmaßnahme
Schlafstörungen gehabt zu haben (Deutsche Rentenversicherung
2017).
Eigene Daten zeigten bei 68 % mindestens eine Art von Schlafstörung. In Remissionsphasen ohne aktive Therapie litten immer noch über 40 % der Betroffenen an gestörtem
Schlaf. Jeweils etwa 45 % hatten allgemein eine schlechte Schlafqualität bzw. eine
Insomnie. Erhöhte
Tagesschläfrigkeit trat bei 12 % der Patienten in aktiven Krankheitsphasen auf, bei 22 % bei stabiler Erkrankung (Strik et al.
2016). In der weiteren Literatur wird für krebskranke Patienten das Auftreten von
Schlafstörungen in 30–62 % der Fälle angegeben (Dahiya et al.
2013; Davidson et al.
2002; Liu und Ancoli-Israel
2008; Riemann et al.
2014; Anderson et al.
2003).
Ursachen von Schlafstörungen
Schlafstörungen sind bei Patienten mit Krebserkrankungen häufig (s. oben). Seelische oder körperliche Folgestörungen von Krebserkrankung und Krebstherapie können ebenso zu Schlafstörungen führen wie supportive Therapien, möglicherweise aber auch die tumorspezifische Behandlung wie
Strahlentherapie und antitumorale Systemtherapie.
Depressionen und Angststörungen
Häufige psychische Komorbiditäten bei Krebserkrankungen sind Depressionen (0–58 %) und
Angststörungen (1–49 %) (Weis und Boehncke
2011).
Schlafstörungen sind Begleitsymptome bei fast jeder
Depression und häufige Begleiterscheinungen von
Angsterkrankungen. Krebspatienten sorgen sich um die eigene Zukunft oder den eigenen Lebensentwurf, die Zukunft des Partners und der Kinder. Sie haben finanzielle Sorgen bis zur Angst vor Armut oder Sorgen um die berufliche Zukunft. Es bestehen häufig Ängste vor einer Progression der Tumorerkrankung, und es treten Ängste mit Ein- und Durchschlafstörung vor Staginguntersuchungen auf (
Progredienzangst). Dazu tritt eine Grübelneigung
im nächtlichen Wachzustand auf, bei der die Gedanken unaufhörlich um die psychisch belastenden Inhalte kreisen.
Schmerzen
Schmerzen
sind ein häufiges Symptom bei Tumorerkrankungen und können den Nachtschlaf empfindlich beeinträchtigen. Dabei beeinflussen sich Schmerzen und
Schlaf wechselseitig. Schmerzen beeinträchtigen nicht nur die Schlafqualität, sondern ein schlechter Schlaf beeinflusst auch die Wahrnehmung von Schmerzen. In der reizarmen Umgebung der nächtlichen Ruhe kann es zu einer verstärkten Schmerzwahrnehmung kommen. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass Schmerzen bei Schlafmangel auch tagsüber stärker wahrgenommen werden.
Atmungsstörungen
Der erholsame
Schlaf kann auch durch
schlafbezogene Atmungsstörungen beeinträchtigt werden, die z. B. durch mechanische Obstruktionen durch primäre oder metastatische Raumforderungen im Bereich von Lunge oder Luftröhre verursacht werden. Im Rahmen von Tumorerkrankungen treten insbesondere Dyspnoe und
Husten auf. Daneben können auch obstruktive Störungen vom
Schnarchen bis zur
Schlafapnoe die Schlafqualität mindern.
Therapie im Bereich des Hypogastriums
Stoma
Stomata als Folge von Tumoroperationen können insbesondere in der ersten Zeit nach der Anlage häufige Unterbrechungen des Nachtschlafs bedingen. Viele Patienten benötigen eine längere Eingewöhnungszeit, bis sie den Umgang mit passenden Stomasystemen sicher beherrschen, sich Auswahl und Rhythmus von Essen und Trinken eingespielt haben und sich wieder ein Gefühl von Sicherheit eingestellt hat.
Antitumorale Systemtherapie
Es gibt nur sehr wenige Daten zu
Schlafstörungen und antitumoraler Systemtherapie
. Zwar werden Müdigkeit, Erschöpfung und Fatigue häufig beschrieben, Schlafstörungen aber fast nie. Vermutlich liegen diese nicht im Fokus der behandelnden Ärzte und werden deshalb zu selten abgefragt.
In der klinischen Praxis ist es zuweilen schwierig, die Schlafstörung ätiologisch eindeutig zuzuordnen, z. B. die Wirkung von Chemotherapie und Begleitmedikation zu trennen oder Ausmaß und Einfluss von Depression oder Angststörung einzuschätzen.
In einer Arbeit konnte gezeigt werden, dass
5-Fluorouracil (5-FU) die rhythmische Expression von per1 und per2 im suprachiasmatischen Nucleus (SCN) hemmen kann. Im Nucleus suprachiasmaticus
des Hypothalamus befindet sich eine übergeordnete zirkadiane innere Uhr, die unseren inneren Rhythmus mit dem 24-Stunden-Rhythmus synchronisiert. Für die Funktion der inneren Uhr ist die rhythmische Expression sogenannter Uhrengene verantwortlich, unter anderem auch per1 und per2 (Terazono et al.
2008).
In einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2014 konnte bei Frauen mit
Brustkrebs eine erhöhte Rate an
Schlafstörungen unter Chemotherapie gezeigt werden. Dabei wurden allerdings mögliche Einflussfaktoren wie Depressionen nicht berücksichtigt (Costa et al.
2014).
In einer prospektiven Studie mit 502 Frauen mit Brustkrebs konnte ein Jahr nach der Diagnose durch Chemotherapie kein signifikant erhöhtes Risiko für
Schlafstörungen gezeigt werden (Fontes et al.
2017).
Bei hormonabhängigen Brustkrebserkrankungen eingesetzte
antihormonelle Therapien verursachen häufig Hitzewallungen und konsekutiv
Schlafstörungen. Interessanterweise finden die Schlafstörungen als Nebenwirkungen in den Fachinformationen nur indirekt durch Erschöpfung, Müdigkeit oder Fatigue Eingang.
Strahlentherapie
Vermehrte
Tagesmüdigkeit von Patienten nach einer Ganzhirnbestrahlung
könnte durch eine Beeinflussung der zirkadianen Rhythmik bedingt sein. Tierexperimentell konnte in diesem Zusammenhang eine
Überexpression von Interleukin-1β, einem schlaffördernden Molekül, gezeigt werden (Ballesteros-Zebadua et al.
2014). Bei Frauen mit
Brustkrebs zeigten sich in verschiedenen Studien vermehrt
Schlafstörungen während adjuvanter Radiatio der betroffenen Brust (Weis und Boehncke
2011; Fontes et al.
2017). Auch nach Abschluss der Therapie ist 1 Jahr nach Erstdiagnose das Risiko für eine Schlafstörung erhöht (Savard et al.
2015).
Infolge einer Ganzhirnbestrahlung können
Störungen der Hypothalamus-Hypophysen-Funktion mit einem Mangel an
Wachstumshormonen, Schilddrüsenhormonen, adenokortikotropen Hormonen oder Gonadotropin entstehen (Constine et al.
1993; Vatner et al.
2018).
Bewegungsstörungen
Fast die Hälfte aller Tumorpatienten hat 2 Jahre nach Abschluss der Primärtherapie noch Symptome einer tumorassoziierten Fatigue
(Kuhnt et al.
2009). Die ebenfalls sehr häufigen
Schlafstörungen sind potenziell behandelbare Ursachen der tumorassoziierten Fatigue (Mortimer et al.
2010).
Diagnose von Schlafstörungen bei Patienten mit Tumorerkrankungen
Schlafstörungen beeinträchtigen die
Lebensqualität wesentlich. Der entscheidende Schritt bei der Diagnose ist,
regelhaft danach zu fragen. Für eine erste Unterscheidung ist wichtig herauszufinden, ob die Schlafstörung bereits vor der Krebserkrankung bestand oder im Zusammenhang mit der Krebserkrankung oder Krebstherapie neu aufgetreten ist.
Lag die Schlafstörung bereits vor der Tumorerkrankung und der Tumortherapie vor, empfehlen wir ein Vorgehen gemäß der S3-Leitlinie Nicht erholsamer
Schlaf (Riemann et al.
2017).
In der Regel werden den onkologischen Behandlern die onkologische Anamnese, der körperliche Untersuchungsbefund, körperliche Beschwerden, Schmerzen sowie aktuelle Medikation und Laborwerte bekannt sein.
Im Folgenden schlagen wir einen einfachen Fragenkatalog vor:
Therapie von Schlafstörungen bei Patienten mit Tumorerkrankungen
Grundlage der Therapie sind die in der S3-Leitlinie Nicht erholsamer
Schlaf (Riemann et al.
2017) empfohlenen Maßnahmen. Allen Patienten wird zunächst
eine kognitive Verhaltenstherapie gegen Insomnie empfohlen. Sie beinhaltet
-
Entspannungs- und Achtsamkeitsverfahren,
-
Regeln und Informationen zu gesundem Schlaf,
-
Schlaf-Wach-Rhythmus-Strukturierung und
-
Schlafrestriktion.
Daneben erfolgen
kognitive Techniken zum Erkennen von Teufelskreisen und selbst erfüllenden Prophezeiungen sowie kognitives Umstrukturieren dysfunktionaler Gedankenkreisläufe. Wenn die
kognitive Verhaltenstherapie nicht ausreichend wirksam ist, kann eine pharmakologische Behandlung begonnen werden.
Einfache Hinweise zur
Schlafhygiene wie Ritualisierung des
Schlafs, regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus, Erzeugung von ausreichend Schlafdruck, eine ruhige und dunkle Schlafumgebung sowie ein adäquater Umgang mit Licht können bereits in einem ersten Gespräch sehr hilfreich sein.
In der S3-Leitlinie Nicht erholsamer
Schlaf wird
kognitive Verhaltenstherapie bei
Insomnie (KVT-I) empfohlen. Ein Bestandteil der KVT-I sind Entspannungs- oder Achtsamkeitsverfahren. Die Evidenz für die Wirksamkeit bei
Insomnien einzelner Verfahren wie z. B. Achtsamkeit, Aromatherapie, Yoga oder Chi Gong ist gering. Da eine kognitive
Verhaltenstherapie nicht immer gleich verfügbar ist, haben sich im klinischen Alltag auch der einzelne Einsatz solcher Verfahren und/oder die Verabreichung von z. B. Schlaftees (als Ritual) und Lavendelauflagen bewährt.
Können in der
Anamnese beeinflussbare Ursachen für die Schlafstörung identifiziert werden, sollen diese konsequent behandelt werden.
Beispiele für behandelbare Ursachen sind Schmerzen, Hitzewallungen, Dyspnoe,
Husten, Nykturie oder Probleme im Umgang mit dem Stoma.
Bei einer
psychischen Komorbidität als Ursache für die Schlafstörung ist eine entsprechende psychiatrische und/oder psychotherapeutische Behandlung indiziert. Die Erkennung depressiver Symptome wird dem psychiatrisch erfahrenen Kollegen aufgrund der Anamnese mit typischen Hinweisen z. B. auf Freudlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, vermindertes Selbstwertgefühl oder Antriebsarmut möglich sein. Ergänzend kann ein validierter Fragebogen verwendet werden, wie z. B. der BDI (Beck’s Depression Inventory). Bei Versagen der psychotherapeutischen bzw. psychoonkologischen Behandlung ist eine medikamentöse Therapie mit einem schlafanstoßenden Präparat, wie z. B.
Mirtazapin, zu erwägen.
Schlafbezogene Atmungsstörungen können bei anamnestischen Hinweisen zunächst durch einen spezifischen Fragebogen, wie z. B. den Berlin-Fragebogen, erfasst werden. Weitere Diagnostik ist einem Schlaflabor vorbehalten, die Behandlung sollte durch einen Schlafmediziner erfolgen.
Das
Restless-Legs-Syndrom (RLS) zeichnet sich durch in Ruhe auftretende Missempfindungen und Bewegungsdrang der Beine aus. Ursachen können symptomatisch (
lumbale Spinalkanalstenose, Eisenmangel,
Polyneuropathie) oder idiopathisch sein. Die Diagnose erfolgt anamnestisch mit freien Fragen oder mit dem RLS-Fragebogen. Ätiologisch wird eine Störung des extrapyramidal-motorischen Systems vermutet. Entsprechend erfolgt die
Therapie der idiopathischen Form mit L-Dopa oder Dopa-Agonisten. Die
symptomatische Form wird nach Möglichkeit kausal (z. B. Eisensubstitution) oder rein symptomatisch z. B. mit
Koanalgetika wie
Gabapentin oder
Pregabalin oder auch mit
Opiaten behandelt. In unserer eigenen Untersuchung fanden wir mit etwa 10 % Häufigkeit eine höhere
Prävalenz von RLS als in der Normalbevölkerung, für die eine Häufigkeit von etwa 5 % angegeben wird. Möglicherweise hat dies mit dem Auftreten einer Chemotherapie-induzierten Polyneuropathie in unserem Patientenkollektiv zu tun.
Medikamente mit negativem Einfluss auf den erholsamen Schlaf
Eine Reihe von Medikamenten übt einen negativen Einfluss auf den erholsamen
Schlaf aus, entweder haben sie eine aktivierende Wirkung oder sie beeinflussen trotz sedierender Wirkung die physiologische Schlafarchitektur negativ. So sind beispielsweise die in der Onkologie häufig eingesetzten
Kortikosteroide ursprünglich Stresshormone mit aktivierender Wirkung, die nach Möglichkeit nur vormittags und nicht abends gegeben werden sollten. Antriebssteigernde
Antidepressiva, wie z. B. einige Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Citalopram, Paroxetin), sollten nur bei Antriebsstörung gegeben werden und auch bei manchen
Antiepileptika, wie
Levetiracetam oder Topiramat, auf den möglichen aktivierenden Effekt geachtet werden. Andererseits ist zu beachten, dass
Opiate und
Benzodiazepine zwar zunächst sedierend wirken, aber die physiologische Schlafarchitektur beeinträchtigen und ggf. einen erholsamen Schlaf behindern. Auf die entsprechende Wirkung von
Alkohol sollten Patienten aufmerksam gemacht werden. Eine Zusammenstellung mit einer Auswahl entsprechender Substanzen findet sich nachfolgend.
Medikamentöse Therapie
Zur Pharmakotherapie von
Schlafstörungen stehen verschiedene Substanzgruppen zur Verfügung. Sofern
Schmerzen als auslösende Ursache der Schlafstörung im Vordergrund stehen, hat deren Behandlung Priorität. Der zeitliche Schwerpunkt der Behandlung sollte dabei durchaus auf den Nachtstunden liegen, um eben den Nachtschlaf sicherzustellen. Dabei kann der sedierende Effekt mancher Substanzen genutzt werden, wie z. B. koanalgetisch wirkendes
Gabapentin und
Pregabalin bei neuropathischem Schmerz. Bei nozizeptiven Schmerzen können
Opiate eingesetzt werden, da bei starkem Schmerz der Vorteil des analgetischen Effekts in aller Regel die Störung der Schlafarchitektur überwiegt. Auf die Erkennung und Behandlung eines
Restless-Legs-Syndroms wurde bereits eingegangen.
Sedierende Antidepressiva
Das einzige sedierende Antidepressivum (Tab.
2) mit isolierter Zulassung bei
Schlafstörungen ist
Doxepin. Weitere Anwendungsgebiete des
Doxepins sind depressive Erkrankungen, Angstsyndrome, leichte Entzugssyndrome bei Alkohol-, Arzneimittel- oder
Drogenabhängigkeit sowie Unruhe. Allerdings besitzt es als trizyklisches Antidepressivum ein ungünstigeres Nebenwirkungsprofil als modernere Substanzen, weshalb trotz fehlender Zulassung häufig auch
Mirtazapin eingesetzt wird. Diese Substanzen haben ein geringeres Suchtpotenzial als
Benzodiazepine oder Benzodiazepinrezeptoragonisten.
Tab. 2
Substanzen in der Pharmakotherapie von Schlafstörungen
| Doxepin | 3–100 | 8–24 |
Amitryptylin | 25–100 | 10–28 |
| 3,75 | 7,5 |
| | 25–100 | 4–8 |
| 40–120 | 17–22 |
Benzodiazepine | Flunitrazepam | 0,5–1 | 16–25 |
Flurazepam | 15–30 | 48–120 |
Lormetazepam | 0,5–1 | 8–15 |
Nitrazepam | 5–10 | 25–35 |
Temazepam | 10–20 | 8–20 |
Triazolam | 0,125–0,25 | 1,4–4,6 |
Benzodiazepinrezeptoragonisten (Z-Substanzen) | | 5–10 | 2–4 |
Zopliclon | 3,75–7,5 | 5–6 |
| 2 | 2,5–4 |
| | 25–50 | 3–9 |
Doxylamin | 25–50 | 3–6 |
Hydroxizin | 37,5–75 | 7–20 |
| 25–100 | 10–12 |
Phytotherapeutika | Siehe Text |
Baldrianwurzel |
Hopfenzapfen |
Lavendel |
Melissenblätter |
Passionsblume |
Antipsychotika
Die zur Behandlung von
Schlafstörungen zugelassenen
Antipsychotika (Tab.
2) sind die niederpotenten
Neuroleptika Melperon und
Pipamperon. Ihr Einsatzbereich liegt insbesondere bei älteren Patienten und bei sehr lebhaften
Albträumen. Auch
Neuroleptika haben den Vorteil des weitgehend fehlenden Suchtpotenzials.
Benzodiazepine und Benzodiazepinrezeptoragonisten (Z-Substanzen)
Benzodiazepine und Benzodiazepinrezeptoragonisten
(Tab.
2) sind zur Kurzzeitbehandlung von
Schlafstörungen geeignet. Einige der für die Indikation Schlafstörungen zugelassenen Substanzen haben sehr lange
Halbwertszeiten, wegen möglicher Hangover-Effekte können Leistungsvermögen und
Fahrtüchtigkeit am nächsten Tag beeinträchtigt sein.
Triazolam (1,4–4,6 Stunden) und die Z-Substanzen
Zolpidem (2–4 Stunden) und
Zopiclon (5–6 Stunden) haben kürzere Halbwertszeiten. Die Substanzen sind zur kurzfristigen Behandlung im Sinne von
Kriseninterventionen, insbesondere bei
Erregungszuständen oder Angst, geeignet. Es besteht ein hohes Suchtpotenzial. Paradoxe Reaktionen können insbesondere bei älteren Patienten auftreten. Ein sehr sorgfältiger Umgang mit der Indikationsstellung, Dosierung und Behandlungsdauer und nicht zuletzt der
Patientenaufklärung ist notwendig.
Melatonin
Melatonin (Tab.
2) ist ein körpereigener Stoff, der an der Steuerung des zirkadianen Rhythmus beteiligt ist. Melatonin-haltige Substanzen stehen als pharmakologische Chronotherapeutika zur Verfügung. Melatonin hat eine schlafanstoßende und schlaffördernde Wirkung und kann die innere Uhr anschieben. In verschiedenen
Metaanalysen sind positive Effekte auf Einschlafzeiten und Schlafqualität beschrieben (Ferracioli-Oda et al.
2013; Kuriyama et al.
2014; Liu und Wang
2012). Außerdem scheint Melatonin bezüglich des Nebenwirkungsprofils unproblematisch zu sein, besitzt kein erhöhtes nächtliches Sturzrisiko sowie kaum Wirkverlust oder Abhängigkeitspotenzial.
Antihistaminika
Doxylamin und
Diphenhydramin sind frei verkäufliche Substanzen, verschreibungspflichtig sind
Hydroxizin und
Promethazin (Tab.
2). Es kann sich eine
Toleranz entwickeln, und bei längerer Anwendung kann es durch plötzliches Absetzen zu verstärkten
Schlafstörungen kommen. Obgleich es sich zum Teil um frei verkäufliche Substanzen handelt, gilt es, Gegenanzeigen und Wechselwirkungen sorgfältig zu beachten (insbesondere anticholinerge Wirkung). Im einzigen bisher vorliegenden systematischen Review wird die Effektivität von
Antihistaminika als mäßig eingeschätzt (Vande Griend und Anderson
2003).
Phytotherapeutika
Baldrian, Lavendel, Passionsblume, Melisse und Hopfen sind traditionell in der Pflanzenheilkunde verwendete Substanzen. Die Qualität von Studien dazu ist oftmals unzureichend, in den
Metaanalysen konnte allenfalls eine geringe Überlegenheit von
Baldrian gegenüber Placebo gezeigt werden (Leach und Page
2015). Es gibt eine Empfehlung der EMA für
Baldrianwurzel,
Melissenblätter und
Passionsblume zur Behandlung von
Schlafstörungen (EMA
2016). Es handelt sich um komplexe Wirkstoffgemische in unterschiedlichen Zubereitungsformen. Weil die sedative Wirkung nicht mit Sicherheit bestimmten Inhaltsstoffen zugeschrieben werden kann und Daten zur
Pharmakokinetik nicht vorliegen, wurde an dieser Stelle auf Angaben zu Dosierung und Pharmakokinetik verzichtet (Tab.
2).