Allgemeines
Die allogene
Blutstammzelltransplantation hat sich von einem Therapieversuch bei anderweitig ausbehandelten Patienten mit lebensbedrohlichen Krankheiten zu einer Behandlung schwerer, auch chronischer Krankheiten mit ausgewogener Indikation entwickelt. Damit war die Ausgangslage schwerer als in späteren Zeiten; nach der erfolglosen Chemo- und
Strahlentherapie wurde eine noch intensivere Konditionierung mit maximal tolerierbaren Dosierungen von Chemotherapie und Ganzkörperbestrahlung angewendet, um eine Remission zu erzwingen.
Bestrahlung mit einer Einzeldosis von ca. 10 Gy und Cyclophosphamid, Etoposid, Cytosinarabinosid und BCNU in maximal tolerierbarer Dosierung waren effektiv, aber oft toxisch. Interstitielle
Pneumonie, Infektionen und Toxizitäten an anderen Organen sowie akute Graft-versus-Host-Reaktionen
beschränkten den Erfolg, zwischen 30–50 % starben an den Folgen der Behandlung. Dennoch traten auch bei diesen Patienten Rückfälle von Leukämie auf, nur etwa 20 % überlebten langfristig ohne Leukämie.
Während Patienten mit schwerer
aplastischer Anämie 40 Jahre nach Transplantation wohlauf sind, haben intensiv mit Ganzkörperbestrahlung und hoch dosierter Chemotherapie vorbehandelte Patienten oft kardiovaskuläre Probleme und Probleme mit Neoplasien. Die fraktionierte Ganzkörperbestrahlung und die Transplantation in Remission ließen die Akzeptanz der Transplantation für die Leukämiebehandlung ganz erheblich ansteigen. Schließlich konnte aufgrund tierexperimenteller Ergebnisse die Strahlendosis so weit reduziert werden, dass auch ein Überleben ohne Transplantation möglich war („nichtmyeloablativ“).
Der Erfolg der Transfusion von
Lymphozyten des Spenders bei der Behandlung von Leukämierezidiven zeigte die relative Bedeutung der Konditionierung im Vergleich zur Immunreaktion gegen die Leukämie (Graft-versus-Leukämie-Reaktion
). Heute können mit Konditionierungsformen reduzierter Intensität dauerhafte Erfolge ohne große Toxizität erzielt werden, die 100-Tage-Mortalität sollte unter 10 %, die 200-Tage-Mortalität unter 20 % liegen.
Mittlerweile gib es Langzeitbeobachtungen über mehr als 40 Jahre, Patienten mit
aplastischer Anämie haben eine gute Gesundheit, falls sie nicht eine chronische GVHD entwickelt haben. Chronische GVHD ist häufiger in Patienten, die statt
Knochenmark periphere Blutstammzellen und zur Konditionierung Bestrahlung und kein
Antithymozytenglobulin (ATG) bekommen haben.
Rezidive
Rückfälle sind selten und vorwiegend bei Patienten, die ein
myelodysplastisches Syndrom mit Knochenmarkaplasie hatten. Rückfälle sind häufig bei Patienten, die in einem aktiven Stadium von Leukämie oder hochmalignem Lymphom transplantiert wurden; sie treten meistens innerhalb von Monaten und wenigen Jahren auf, späte Rezidive nach 10 und 20 Jahren kommen vorwiegend bei chronischen
Leukämien und multiplen Myelomen vor. In Einzelfällen wurde selbst bei Spätrezidiven die Abstammung von der ursprünglichen Leukämie genetisch nachgewiesen. Dennoch ist die allogene Stammzelltransplantation bislang die einzige Behandlung, die zu einer dauerhaften Remission führen kann.
Während bei
Rückfällen akuter Leukämie eine Immuntherapie eher in Form einer Zweittransplantation mit mehr oder weniger intensiver Vorbehandlung zum Ziel führen kann, genügt bei
chronischer myeloischer Leukämie (CML) die Transfusion von Spenderlymphozyten mit oder ohne Stimulation mit Interferon-α und
GM-CSF. Bei Rezidiven von
multiplem Myelom sind die Remissionen meist zeitlich begrenzt, Idiotypvakzinationen und Lenalidomid können aber zu langen Remissionen führen.
Graft-versus-Host-Erkrankung (GVHD)
Todesfälle ohne Rückfall der Krankheit sind in den ersten Monaten durch akute GVHD, interstitielle
Pneumonie, Infektionen und Gerinnungsstörungen bedingt. Insbesondere GVHD des Darmes und interstitielle Pneumonien sind Ursache für frühe Verluste. Nach 6 Monaten kann bereits eine
Immuntoleranz entstanden sein, die akuten Risiken sind kontrolliert. Spätere Todesfälle sind weitgehend unabhängig vom Grad der Histokompatibilität von Spender und Patient, aber Transplantate von eineiigen Zwillingsspendern verursachen keine Mortalität mehr. Die späte Mortalität ist deutlich geringer bei Patienten, die in erster Remission oder im Frühstadium transplantiert wurden, in zweiter Remission ist kein signifikanter Unterschied mehr zu späteren Remissionen und aktiver Krankheit. Ursachen für späte transplantationsbedingte Todesfälle sind überwiegend chronische GVHD und Infektionen sowie maligne Neoplasien.
Chronische GVHD hat in der limitierten Form keine schlechte Prognose, zumal sie Schutz vor leukämischen Rezidiven bietet. In der ausgeprägten Form ist sie allerdings mit einer deutlich erhöhten Mortalität verbunden. Risikofaktoren sind Übergang aus einer akuten GVHD im Gegensatz zu spät entstandener „De-novo-GVHD“, Thrombopenie unter 100.000/μl, weibliche Spender für männliche Patienten, höheres Alter, Seropositivität für Zytomegalievirus (CMV) und EBV.
Das durchschnittliche Alter bei Transplantation stieg von 21 Jahren auf etwa 50 Jahre. Limitierend ist mittlerweile nicht das Alter, sondern die Komorbidität, die in einem Index für Begleiterkrankungen (Sorror-Index) gemessen wird. Zusammen mit der Schwere der Erkrankung kann auch ein Disease-Response-Index (DRI) bestimmt werden. Unter Berücksichtigung von Komorbidität und DRI können heute auch Patienten über 70 Jahre transplantiert werden.
Leichte chronische GVHD äußert sich in Augen- und Mundtrockenheit, die bis zu dreimal täglich Augentropfen erfordert und mit geringen lokalisierten Hautveränderungen einhergehen kann.
Mäßig schwere und schwere chronische GVHD zeigt sich in ausgedehnter
Sklerodermie der Haut und Schleimhäute, Kontrakturen, Fasziitis und Muskelatrophie. Besonders lebensbedrohlich sind Lungenerkrankungen wie
Bronchiolitis obliterans, chronische interstitielle Pneumonitis mit rezidivierenden Infektionen, Leber-GVHD, Ösophagitis und Kachexie. Während
Polyneuropathie bereits zum anerkannten Spektrum der chronischen GVHD gehört, sind zerebrale Veränderungen mit White Matter Lesions und entzündlichen Veränderungen noch umstritten. Die Bestrahlung des Schädels und die anschließende Ganzkörperbestrahlung sind Risikofaktoren, aber schwere Veränderungen mit
Demenz traten auch bei Patienten auf, die nie bestrahlt worden waren, aber chronische GVHD hatten.
Die
Ganzkörperbestrahlung führt zu einer Übersterblichkeit infolge vermehrter chronischer GVHD, die auch die Entwicklung von sekundären Malignomen begünstigt. Direkte Folgen der Ganzkörperbestrahlung sind
Störungen des Wachstums und der Pubertätsentwicklung von Kindern, Katarakta, Infertilität mit Oligospermie und sekundärer Amenorrhoe und
Hypothyreose. Der Infertilität kann durch
Kryokonservierung von Sperma und Ovarialgewebe bzw. Eizellen vorgebeugt werden. Bei den meisten Kindern tritt ein pubertärer Wachstumsschub verzögert auf, die Größe ihrer Geschwister erreichen sie aber nicht. Hypothyreose sollte rechtzeitig festgestellt und behandelt werden.
Sekundärkarzinome
Schilddrüsenkarzinome sind relativ häufig und auch von Strahlenunfällen her bekannt, sie treten aber auch bei Konditionierung mit Chemotherapie auf. Besonders häufig sind Neoplasien der Haut in Form von
Basalzellkarzinomen und Plattenepithelkarzinomen, ebenso Mund-Rachen-Ösophagus- sowie
Zervixkarzinome. Eine regelmäßige Kontrolle ist angezeigt. Die kumulative Inzidenz neuer Tumoren beträgt 4 % nach 10 Jahren und 14 % nach 20 Jahren und steigt weiter an; sie ist etwa 6-mal höher als in der Normalbevölkerung. Auch die Inzidenz von Brustkrebs ist bei längerer Beobachtung erhöht.
Insgesamt waren aber Gesundheit und Perfomance sowie soziale Reintegration in eine multizentrische EBMT-Studie recht gut. Nach mehr als 5 Jahren hatten 93 % einen Karnofsky-Index von 90–100 %, und 87,5 % waren wieder sozial reintegriert, d. h. in Beruf, Schule oder Familie. Demgegenüber ergab eine Studie in Deutschland eine Frühberentung von etwa 30 % der Patienten.
Weitere Spätschäden
Bei allogen wie bei autolog transplantierten Patienten waren kardiovaskuläre Spätschäden vermehrt, insbesondere in Zusammenhang mit einem metabolischen Syndrom und De-novo-Diabetes. Dyslipidämie und
Hypertonie war häufiger bei allogen transplantierten Patienten, was vermutlich mit der Calcineurininhibitor-Therapie zusammenhängt. Avaskuläre Nekrosen von Knochen und Gelenken sind leider häufig nach langer und hoch dosierter Kortikosteroidtherapie und müssen oft operativ behandelt werden.
Langzeitfolgen sollten wie in der Chemotherapie maligner Tumoren berücksichtigt werden und den Überlebenschancen angepasst werden.
Transplantation in Remission
In den 1980er-Jahren wurde die Transplantation in Remission eingeführt, die im Vergleich zur Chemotherapie deutlich bessere Heilungschancen versprach. Transplantationszentren eröffneten in vielen Universitätskrankenhäusern und großen kommunalen Krankenhäusern. Dennoch waren die Nebenwirkungen erheblich und nur im Hinblick auf die anderweitig schlechte Prognose vertretbar. Eine Vorbehandlung mit reduzierter Intensität oder sogar ohne dauerhafte Unterdrückung der Hämatopoese des Patienten, „nichtmyeloablativ“, eingesetzt, nachdem die Rolle der Graft-versus-Leukämie-Reaktion des Transplantats besser verstanden wurde. Die reduzierte Konditionierung ermöglicht auch die Transplantation bei älteren Patienten, das mittlere Alter stieg von 21 Jahren auf etwa 50 Jahre; limitierend ist nicht das Alter, sondern die Komorbidität.
Während die Stammzelltransplantation bei nichtmalignen hämatologischen Krankheiten dauerhafte Heilungsraten von 90 % aufzuweisen hat, ist die Transplantation bei malignen Erkrankungen der Hämatopoese noch mit schweren Komplikationen und Verlusten bei 10–30 % der Patienten verbunden. Die Verluste sind vorwiegend bei Patienten zu beklagen, die nicht frühzeitig transplantiert wurden, also erst in zweiter oder späterer Remission oder mit refraktärer oder rezidivierter Leukämie. Es ist also ganz entscheidend, die Transplantation in erster Remission oder frühzeitig in chronischer Phase durchzuführen.
Insofern müssen auch langfristige Ergebnisse neben der akuten Rettung aus einer ausweglosen Situation berücksichtigt werden. Gerade bei chronischen Krankheiten chronischer myeloischer oder lymphatischer Leukämie, myeloischen proliferative Neoplasien (MPN), niedrigmalignen
Lymphomen, multiplen Myelomen müssen neben akuten Gefahren auch chronische Beschwerden bedacht werden, die auf die Behandlung zurückzuführen sind.