Epidemiologie
Knochen ist nach Lunge und Leber das am häufigsten von Metastasen befallene Organ im Verlauf einer Tumorerkrankung. Eine Metastasierung in den Knochen tritt bei den meisten Tumorarten auf, wobei das
Mammakarzinom, das Bronchialkarzinom und das
Prostatakarzinom für mindestens 80 % der Knochenmetastasen verantwortlich sind (Tab.
1). Dagegen zeigen die gastrointestinalen Tumoren in weniger als 20 % eine Knochenmetastasierung. Bei den hämatologischen Erkrankungen sind im Speziellen das multiple Myelom und andere
Lymphome am häufigsten primär oder sekundär Ausgangspunkt für einen Befall des Knochens. Die Metastasen präsentieren sich im Knochen als osteolytische Läsionen, als osteoblastische Läsionen oder als gemischte Läsionen (Guise et al.
2006; Buckwalterr und Brandser
1997).
Tab. 1
Häufigkeit von Knochenmetastasen nach Primärtumor
Mamma | 70–90 | 40 | 46 | 14 |
Prostata | 60–80 | 65 | 18 | 17 |
Lunge | 40–60 | 37 | 58 | 7 |
Niere | 40–60 | 26 | 70 | 4 |
Schilddrüse | 40–50 | – | – | – |
Leber | 5–10 | 10 | 90 | – |
Pankreas | 5–10 | 47 | 47 | 6 |
Gallenblase | 5–10 | 29 | 59 | 12 |
Magen | 5–10 | 45 | 46 | 9 |
Uterus | 5–10 | – | – | – |
Blase | 5–10 | – | – | – |
Ovar | 5–10 | 25 | 75 | – |
Die Knochenmetastasen
des
Mammakarzinoms werden als Prototyen der osteolytischen Läsionen beschrieben, während das
Prostatakarzinom typischerweise mit osteoblastischen Knochenmetastasen assoziiert ist. In beiden Fällen resultiert eine fragile Knochenstruktur. Das Metastasierungsmuster im Knochen ist nicht gleichförmig verteilt.
Häufige Lokalisationen der Knochenmetastasen sind die Wirbelsäule, die Rippen, der proximale Femur, das Becken und der Schädel. Selten sind akrale Skelettanteile z. B. in den Händen oder Füßen betroffen, dann fast immer mit einem Bronchialkarzinom assoziiert (Libson et al.
1987).
Klinik
Knochenmetastasen können asymptomatisch sein und im Rahmen einer initialen Staging- oder Verlaufsuntersuchung entdeckt werden. In 75 % der Fälle führen jedoch Schmerzen zu gezielten diagnostischen Untersuchungen und folglich zur Diagnose von Knochenmetastasen. Dies gilt insbesondere bei statisch beanspruchten Knochen wie Hüfte, Femur und Wirbelsäule (Coleman
2006). Mehr als die Hälfte der Patienten mit Knochenmetastasen erleiden
skelettale Komplikationen („skeletal-related events
“, SRE).
Zu den SRE werden 4 Komplikationen gezählt:
-
Pathologische Fraktur
-
Spinalkanalkompression
-
Bestrahlung des Knochens
-
Operation des Knochens
Die häufigsten SRE sind pathologische Frakturen und Bestrahlungen des Knochens aufgrund von Schmerzereignissen. Sie sind auch maßgeblich für die skelettale Morbidität und Immobilität der Patienten verantwortlich und spiegeln das Ausmaß der Knochenzerstörung und die Schmerzintensität, die mit Knochenmetastasen assoziiert sind, wider (Ford et al.
2012). In 10 % der Fälle tritt bei einer Knochenmetastasierung eine
Hyperkalzämie auf. Sie ist häufig paraneoplastischen Ursprungs und durch das Hormon PTHrP induziert, meist als Ausdruck einer weit fortgeschrittenen Tumorerkrankung. Eine Hyperkalziämie
ist mit einer schlechten Prognose assoziiert. Eine Knochenmetastasierung muss dabei nicht vorliegen (Lumachi
2008).
Raumfordernde vertebrale Tumormassen oder frakturierte osteolytische Läsionen können zu einer Kompression des Spinalkanals und des Myelons führen. Neurologische Ausfallerscheinungen und starke Schmerzen sind häufige Folgen. Mehr als die Hälfte der Patienten erhält eine unzureichende
Schmerztherapie. Diese Schmerzen können erheblichen psychologischen Stress verursachen, der sich nicht selten in Depression und Angsterkrankungen manifestiert (Weinfurt et al.
2005).
Neben der Einschränkung in der
Lebensqualität können SRE auch die Mortalität beeinflussen.
Ohne osteoprotektive Therapie erleiden Patientinnen mit metastasiertem
Mammakarzinom und Knochenmetastasen durchschnittlich 3 SRE pro Jahr (Domchek et al.
2000; Oster et al.
2013).
Eine
Knochenmarkmetastasierung ist Ausdruck einer systemischen Erkrankung und sollte deshalb in einem interdisziplinären Setting beurteilt und therapiert werden. Disziplinen wie die chirurgische Orthopädie, die
Strahlentherapie, die Onkologie, die Radiologie und die Anästhesie (
Schmerztherapie) müssen in den Behandlungsplan integriert werden. Die Grundlage des Handelns sollten dabei evidenzbasierte diagnostische und therapeutische Maßnahmen sein. Bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen müssen aber auch immer individuelle Situationen der Patienten berücksichtigt werden.
Medikamentöse Osteoprotektion
Neben effektiven systemischen Tumortherapien konnten
osteoprotektive Substanzen wie die Bisphosphonate und Denosumab eine erhebliche Reduktion der skelettalen Morbidität erreichen. Beide Substanzgruppen erhöhen die Stabilität des Knochens in Verbindung mit supplementärer Gabe von Kalzium und Vitamin D
3 (Tab.
2).
Tab. 2
Osteoprotektive Substanzen
Clodronat | 1600 mg peroral | QD | • Aufrechterhaltung klinisch akzeptabler Serumkalziumspiegel bei Patienten mit HCM, die initial mit einem intravenösen Bisphosphonat behandelt wurden |
Ibandronat | 6 mg intravenös | QM5 | • Prävention von SRE (pathologische Frakturen, Knochenkomplikationen, die eine Bestrahlung oder Chirurgie erfordern) bei Patientinnen mit Mammakarzinom und Knochenmetastasen • Behandlung der TIH mit oder ohne Metastasen |
Pamidronat | 90 mg intravenös | Q3−4W | • Behandlung von Ursachen einer verstärkten Osteoklastenaktivität (TIH, Osteolysen und Knochenschmerzen bei Patienten mit Knochenmetastasen bei Mammakarzinom oder multiplem Myelom) |
Zoledronat | 4 mg intravenös | Q3−4W und QM3 | • Prävention von SRE (pathologische Frakturen, spinale Kompression, Bestrahlung oder chirurgische Therapie des Knochens, TIH) bei Erwachsenen mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen unter Einschluss des Knochens • Erwachsene mit TIH |
Radium-223 | Intravenös | 1000 kBq/ml | • Erwachsene mit Prostatakarzinom, das nicht auf eine Kastrationstherapie anschlägt und bereits zu symptomatischen Knochenmetastasen, aber nicht zu viszeralen Metastasen geführt hat |
Denosumab | 120 mg subkutan | Q4W | • Prävention von SRE bei Erwachsenen mit Knochenmetastasen solider Tumoren • Behandlung von Erwachsenen und ausgewachsenen Jugendlichen mit einem Riesenzelltumor, der nicht resezierbar ist oder dessen Resektion wahrscheinlich schwerwiegende Folgen hätte |
Therapieziel der osteoprotektiven Behandlung ist die Verhinderung und Reduktion skelettaler Komplikationen.
Die Effektivität der osteoprotektiven Behandlung wird oft in Form einer First-Event-Analyse beurteilt, wie die Zeit bis zum ersten SRE oder der Anteil an Patienten mit mindestens einem SRE. Nachfolgende SRE werden darin nicht abgebildet. Die Multiple-Event-Analyse dagegen beschreibt die kumulative Anzahl von SRE pro Patient und die Zeit dazwischen in Form eines relativen Risikos, ein SRE zu erleiden. Die Multiple-Event-Analyse spiegelt somit die skelettale Morbidität im kumulativen klinischen Kontext wider und wird oft zu Kosten-Nutzen-Analysen herangezogen.
Clodronat, Ibandronat, Pamidronat und Zoledronat sind in den USA und in Europa zur Behandlung von Knochenmetastasen und deren Komplikationen zugelassen (Hortobagyi et al.
1998).
Bisphosphonate lagern sich im Hydroxylapatit des Knochens an und werden von den phagozytierenden
Osteoklasten aufgenommen und führen zur
Apoptose. Durch die Inhibition der Osteoklasten wird die Knochenresorption reduziert und die Mineralisierung gefördert (Coleman et al.
2011).
Pamidronat und
Zoledronat werden am häufigsten im klinischen Alltag eingesetzt. Beide Bisphosphonate reduzieren die skelettale Morbidität um 30 %, halbieren die Inzidenz von SRE und verlängern signifikant die Zeit bis zum Auftreten des ersten SRE.
Zoledronat konnte in der Post-hoc-Multiple-Event-Analyse im Vergleich zu Pamidronat eine zusätzliche 20 %ige Risikoreduktion, ein SRE zu erleiden erreichen. Zusammen mit dem Komfort einer deutlich kürzeren Infusionszeit hat Zoledronat sich schnell als Behandlungsoption etabliert (Rosen et al.
2003).
Zoledronat wurde auch mit oralem Ibandronat in einer randomisierten Phase-III-Studie verglichen.
Ibandronat zeigte sich in dem Endpunkt Zeit bis zum ersten SRE dem Zoledronat nicht unterlegen, war jedoch mit einer signifikant geringeren Risikoreduktion, SRE zu erleiden, assoziiert (Barrett-Lee et al.
2014).
Der RANKL-Antikörper
Denosumab ist ein humaner monoklonaler
Antikörper, der ähnlich wie der endogene Inhibitor
Osteoprotegerin an RANKL bindet, um die Interaktion mit RANK zu verhindern. Dabei wird die Aktivität der
Osteoklasten reduziert und die Mineralisation des Knochens gefördert. Denosumab wurde beim ossär metastasierten
Mammakarzinom und beim kastrationsresistenten ossär metastasierten
Prostatakarzinom direkt in randomisierten Phase-III-Studien mit Zoledronat verglichen: Sowohl im primären Endpunkt (Zeit bis zum ersten SRE) als auch in der Prävention nachfolgender SRE und einer generellen Reduktion des Risikos skelettaler Komplikationen zeigt der Denosumab signifikante Vorteile (Stopeck et al.
2010; Fizazi et al.
2011).
Sowohl die Bisphosphonate als auch Denosumab werden in der Regel gut vertragen. Klinisch häufige
Toxizitäten der Bisphosphonate sind die Nephrotoxizität und grippeähnliche Symptome nach der Infusion. Denosumab ist öfter mit einer symptomatischen
Hypokalzämie assoziiert, zeigt dagegen kaum nephrotoxische Eigenschaften.
Patienten, die mit osteoprotektiven Substanzen behandelt werden, sollten zusätzlich Kalzium und Vitamin D3 supplementär einnehmen und Elektrolytkontrollen unterliegen.
Die
Osteonekrosen des Kieferknochens (ONJ) sind eine schwerwiegende Nebenwirkung nach prolongierter Therapie mit sowohl Bisphosphonaten als auch Denosumab. Die Inzidenz von ONJ unterscheidet sich zwischen Denosumab und Zoledronat nicht signifikant (1,8 % vs. 1,3 %). Die Rate an ONJ kann durch Applikation von oralen Bisphosphonaten oder verlängerte Therapieintervalle (alle 6 Monate) der intravenösen Bisphosphonate und Denosumab verringert werden. Es wird vor Einleitung einer Therapie mit Bisphosphonaten oder Denosumab eine Zahnsanierung empfohlen. Kieferchirurgische Eingriffe während der Therapie mit Bisphosphonaten oder Denosumab können zu
Osteonekrosen des Kieferknochens führen. Mehrere Studien weisen darauf hin, dass Strecken der Therapieintervalle von 4 Wochen auf alle 12 Wochen zu keiner Erhöhung der SRE-Rate führen und mit einer geringeren Toxizität verbunden sind (Himelstein et al.
2017; Hortobagyi et al.
2017).
Es wird ein frühzeitiger Einsatz der osteoprotektiven Substanzen empfohlen, um die Zeit bis zum ersten SRE hinauszuzögern und die skelettale Morbidität zu reduzieren. Dies ist unabhängig davon, ob symptomatische Knochenmetastasen vorliegen oder nicht. Der inkrementelle Zeitgewinn bis zum ersten SRE spiegelt sich in
Lebensqualität wider, da die Konsequenzen eines SRE den weiteren Erkrankungsverlauf entscheidend beeinflussen können. Die Kosten einer frühen SRE-Behandlung übersteigen die einer präventiven osteoprotektiven Therapie bei Knochenmetastasierung deutlich.