Qualitätsmanagement und Zertifizierung in der Onkologie
Verfasst von: Harald Schmalenberg und Simone Wesselmann
Qualitätsmanagement wurde in den letzten Jahren in vielen Einrichtungen des Gesundheitswesens eingeführt. Alle Qualitätsmanagementsysteme folgen ähnlichen Grundsätzen und vereinigen alle Aktivitäten zur Qualitätssicherung innerhalb einer Struktur. Qualitätsmanagementsysteme können eine externe Überprüfung durch dafür zugelassene Dienstleister durchlaufen, was im Erfolgsfall mit der Verleihung eines Zertifikats dokumentiert wird. Im Rahmen des Nationalen Krebsplans wurden durch die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) und die Deutsche Krebshilfe (DKH) fachspezifische Zertifizierungssysteme für Organkrebszentren und Onkologische Zentren sowie Begutachtungen Onkologischer Spitzenzentren umgesetzt. Diese Aktivität wurde mit dem ebenfalls im Nationalen Krebsplan verankerten Leitlinienprogramm Onkologie und der gesetzlichen Krebsregistrierung nach § 65c SGB V sinnvoll in eine Struktur, den sogenannten Qualitätszyklus Onkologie, integriert. Mit dem Aufbau dieses umfassenden, freiwilligen und gut angenommenen Systems wurde in Deutschland ein für Europa beispielhaftes Qualitätssicherungssystem in der Onkologie geschaffen.
Für viele Menschen ist „Qualität“ ein Begriff, der subjektiv geprägt ist, der nicht messbare Eigenschaften eines Produkts oder einer Dienstleistung beschreibt, der unteilbar ist und einen positiven Anklang besitzt. Jeder sieht sich in der Lage, „Qualität“ zuzuordnen und wird dabei häufig von der Reputation eines Produkts, einer Einrichtung oder einer Dienstleistung beeinflusst, die durch Werbung noch verstärkt werden kann.
Diesem populären Verständnis steht ein wertneutraler Begriff der Qualität gegenüber, der im Qualitätsmanagement (QM) verwendet wird. Hier spricht man von dem „Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale eines Objekts Anforderungen erfüllt“ (DIN EN ISO 9001: 2015-11 (D/E), S. 39). Diese schwer verständliche Definition beschreibt 2 Anteile, die in diesem Qualitätsbegriff enthalten sind:
Zum einen Eigenschaften, die in dem Produkt oder der Dienstleistung („Objekt“) enthalten sind und die sie kennzeichnen („inhärent“ sind), also einzigartige Charakteristika darstellen
Zum anderen geht es um die Sichtweise von außen: Die Eigenschaften des Produkts oder der Dienstleistung müssen Anforderungen, d. h. Erwartungen, die an sie gerichtet werden, erfüllen
Erst wenn die „inneren“ Eigenschaften des Produkts mit den „äußeren“ Erwartungen zusammenkommen, kann man von einer mess- und damit vergleichbaren „Qualität“ in einem wertneutralen Sinne sprechen.
Überträgt man diesen Qualitätsbegriff auf Dienstleistungen im Gesundheitswesen, wie z. B. Diagnostik oder Therapie, wird deutlich, dass es keine absolute Qualität geben kann, sondern die Qualität von den Erwartungen abhängt, die die Akteure des Gesundheitswesens an die Dienstleistung haben. So kann eine leitliniengerechte, komplikationslose Therapie im Krankenhaus hohe Qualitätsanforderungen der agierenden Mediziner erfüllen und trotzdem die Erwartungen des Patienten an Kommunikation oder Hotelcharakter des Krankenhauses enttäuschen. Die gleiche Therapie wird u. U. vom Hausarzt als hochwertig angesehen, da ein aussagekräftiger, kurzfristig zur Verfügung gestellter Arztbrief übersandt wird, und von der Krankenkasse als minderwertig betrachtet, da z. B. die obere Grenzverweildauer überschritten wurde. Das Ausmaß der Qualität der gleichen Dienstleistung hängt also von den jeweiligen Qualitätskriterien, d. h. von den Erwartungen, ab (Schmalenberg et al. 2010, S. 2 ff.).
Bereits vor über 50 Jahren untersuchte Avedis Donabedian (1919–2000) den Qualitätsbegriff im Gesundheitswesen und schaffte eine auch heute noch viel zitierte Systematik. Donabedian unterschied dabei zwischen der Struktur-, der Prozess- und der Ergebnisqualität, die sich gegenseitig bedingen. Eine hohe Strukturqualität (z. B. hohe technische Ausstattung, hoher Ausbildungsgrad des Personals) und eine gute Prozessqualität (alle Tätigkeiten werden nach bestimmten Vorgaben geplant, sind definiert und reproduzierbar) sind Voraussetzungen für eine gute Ergebnisqualität (Summer aller durch definierte Parameter messbaren Ergebnisse). Dabei wurde der Begriff der Ergebnisqualität von ihm sehr weit gefasst und beinhaltete auch die Zufriedenheit des Patienten, nicht nur mit seiner physischen, sondern auch mit seiner psychischen und sozialen Situation (Donabedian 1966).
Qualitätsmanagementsysteme gehen von der Messbarkeit der Qualität im o. g. Sinne aus. Sie versuchen durch umfassende Festlegung und Steuerung der Struktur- und Prozessqualität zu einer möglichst optimalen Ergebnisqualität zu kommen, die einem ständigen Kontroll- und Verbesserungsprozess unterworfen wird.
Qualitätsmanagementsysteme im Gesundheitswesen
Grundsätze des Qualitätsmanagements
Es gibt viele traditionelle Maßnahmen der Qualitätssicherung im Gesundheitswesen, die jeder Arzt anwendet, ohne sich dessen bewusst zu sein. Jede Visite stellt z. B. eine qualitätssichernde Maßnahme dar:
Der bisherige Krankheitsverlauf wird betrachtet,
die Ergebnisse der Diagnostik und Therapie analysiert
und sich daraus ergebende Korrekturmaßnahmen abgeleitet bzw. die Indikation zu einer apparativen Untersuchung oder einer Operation gestellt.
Das Vorgehen kann dabei wie folgt abstrahiert werden:
Eine Diagnostik oder Therapie wird festgelegt (Planung, „plan“).
Es erfolgt die Umsetzung (Durchführung, „do“).
Eine „Re-Visite“ findet statt, z. B. am nächsten Tag.
Man analysiert das Ergebnis (Überprüfung, „check“).
Und es werden weiterführende Maßnahmen festgelegt (Korrektur, „act“), um das gewünschte Ergebnis zu erreichen.
Dieser Ablauf von „plan“, „do“, „check“, „act“, auch PDCA-Zyklus genannt, ist ein wichtiges Prinzip des Qualitätsmanagements und geht auf William Edwards Deming, einen amerikanischen Wirtschaftstheoretiker, zurück, der sich insbesondere mit einer prozessorientierten Sichtweise des Qualitätsmanagements beschäftigt hat (Deming 1946). Er wird daher auch Deming-Zyklus genannt (Abb. 1) (Schmalenberg et al. 2010, S. 12 ff.).
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Die Visite ist nur ein Beispiel von traditionellen Maßnahmen im Gesundheitswesen, die auf eine Verbesserung der Qualität abzielen. Qualitätsmanagement bedeutet eine Zusammenfassung aller dieser Maßnahmen, eine Koordinierung der Aktivitäten zur Qualitätssteigerung. Es erfolgt dabei eine Ausrichtung der gesamten Organisation auf selbst gesetzte Qualitätsziele, die einer definierten Qualitätspolitik folgen.
Krankenhäuser ohne Qualitätsmanagement folgen in der Regel keinen einheitlichen strategischen Zielen, u. U. behindern sich unterschiedliche Interessen gegenseitig.
Die Einführung von Qualitätsmanagement hat zum Ziel, ein umfassendes System zu schaffen, das alle Bereiche durchdringt und alle für die Qualität relevanten Aktivitäten zur Erreichung selbst definierter Ziele zu bündeln. Ein Qualitätsmanagementsystem ändert nichts an den in der Klinik eingesetzten medizinischen Methoden und macht keine medizinisch-inhaltlichen Vorgaben.
Alle Qualitätsmanagementsysteme beruhen auf sehr ähnlichen Grundsätzen. Dazu gehört die Kunden- oderPatientenorientierung, d. h., da jede Einrichtung des Gesundheitswesens von seinen Patienten abhängt, muss sie sich auf deren Bedürfnisse einstellen. Ein weiteres wichtiges Prinzip stellt der prozessorientierte Ansatz dar. Damit ist gemeint, dass die wichtigsten Abläufe in der Organisation definiert, dokumentiert und aufeinander abgestimmt werden. Tritt ein Fehler auf, lautet die Frage nicht „Wer hat den Fehler begangen?“, sondern „Wie kann der Prozess optimiert werden, damit der Fehler (unabhängig von der Person) nicht wieder auftreten kann?“. Dieses Vorgehen unterscheidet sich wesentlich von der tradierten Vorgehensweise der zum Teil noch streng hierarchischen Führungsstrukturen im Gesundheitswesen.
Jedes Qualitätsmanagementsystem soll einen ständigen Verbesserungsprozess implementieren, damit die Organisation sich auf Veränderungen der Rahmenbedingungen einstellen kann. Das bedeutet, dass Qualitätsmanagementsysteme nicht statisch sind, sondern kontinuierlich angepasst werden.
Ein weiterer Grundsatz besteht in der Einbeziehung der Personen (Mitarbeiter, Lieferanten, Patienten). Die Hauptaufgabe bei der Implementierung eines Qualitätsmanagementsystems besteht nicht darin, alle Anforderungen einer Norm zu erfüllen, sondern darin, die ganz überwiegende Mehrheit der Mitarbeiter in das System mit einzubeziehen, vom einheitlichen Ablauf der definierten Prozesse bis zur Transparenz von Entscheidungen und der Kommunikation der Unternehmensziele. Die Einbeziehung der handelnden Personen ist dafür entscheidend, ob ein Qualitätsmanagementsystem für die Organisation einen Nutzen erbringt oder nicht.
Qualitätsmanagementsysteme konzentrieren sich außerdem auf die Rolle der Führung in einer Organisation, die für die Ausrichtung z. B. auf die Qualitätsziele verantwortlich ist, und fordern einen sachbezogenen Ansatz zur Entscheidungsfindung, d. h., die Analyse von Daten und Fakten führt zu Entscheidungen. Schließlich betonen Qualitätsmanagementsysteme die Lieferantenbeziehungen, die zum gegenseitigen Nutzen etabliert werden sollten (Schrappe 2001).
Die verschiedenen Normen, die Qualitätsmanagement beschreiben, berücksichtigen die genannten 7 Grundsätze in unterschiedlicher Weise. Trotzdem wird eine Organisation, die egal welche Art von Qualitätsmanagement sie implementiert hat, den gleichen o. g. Grundsätzen folgen.
Der Gesetzgeber schreibt seit 2005 Qualitätsmanagementsysteme in allen Einrichtungen des Gesundheitswesens vor, allerdings ist im Sozialgesetzbuch nicht festgelegt, dass das Qualitätsmanagementsystem extern zertifiziert sein muss (§ 135a SGB V, http://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbv/135a.html (2018)).
Normen für Qualitätsmanagementsysteme
Eine QM-Norm beschreibt, welche Anforderungen erfüllt sein müssen, damit ein Qualitätsmanagementsystem überprüft werden kann. Die Erfüllung der Anforderungen kann dann in einem Überprüfungsprozess (auch Audit oder Visitation genannt) betrachtet werden. Werden die Anforderungen von der Organisation erfüllt, wird ein Zertifikat verliehen, mit dem, z. B. für Geldgeber, nach außen sichtbar dokumentiert wird, dass das Qualitätsmanagementsystem erfolgreich implementiert wurde bzw. weiterhin funktionsfähig ist.
Die Überprüfung der Anforderungen mit den Gegebenheiten vor Ort erfolgt durch eine Zertifizierungsgesellschaft (z. B. TÜV, ClarZert, EQZert). Die Zertifizierungsgesellschaft muss dafür von der Trägergemeinschaft für Akkreditierung (TGA) in Deutschland zugelassen werden. Dabei werden verschiedene Branchen der Wirtschaft, für die die Zulassung, Akkreditierung genannt, erteilt wird, unterschieden. Nur eine für den Bereich des Gesundheitswesens zugelassene Zertifizierungsgesellschaft kann z. B. ein Krankenhaus überprüfen.
Die in Deutschland am häufigsten angewandten Normen sind die
Dabei unterscheidet man zwischen prozessorientierten Systemen (z. B. ISO 9001) und Selbstbewertungssystemen (z. B. KTQ).
DIN EN ISO 9001
Bei der Norm DIN EN ISO 9001 (DIN: Deutsches Institut für Normung; EN: Europäische Norm; ISO: International Organisation for Standardization) handelt es sich um die am weitesten verbreitete Norm in der Wirtschaft und im Gesundheitswesen. Sie ist Teil der sogenannten ISO-9000-Reihe, einer Sammlung von Normen für Qualitätsmanagementsysteme, die für verschiedene Wirtschaftsbereiche angewandt werden können. Sie ist universell anwendbar und macht keine Vorgaben für die Größe der Organisation, nicht einmal ein gemeinsamer Träger ist gefordert. Sie ist damit auch auf einen Zusammenschluss mehrerer Institutionen, wie es häufig bei Tumorzentren der Fall ist, anwendbar. Ihr großer Nachteil besteht in der sich daraus ergebenden, sehr abstrakten und für den Laien unverständlichen Sprache. Sie wurde daher in der Vergangenheit vielfach für den Einsatz im Gesundheitswesen abgelehnt. Sie erfordert die „Übersetzung“ durch einen Fachkundigen, denn aus der Norm selbst ergibt sich nicht unmittelbar, was für die Einführung des Systems erforderlich ist.
Der Vorteil dieser Norm besteht aber darin, dass, einmal für den Alltag und die Organisation „übersetzt“, sehr konkrete und überschaubare Anforderungen gestellt werden, die „abgearbeitet“ werden können. In einer internen Begehung (internes Audit) wird die Umsetzung der Anforderungen zunächst intern überprüft, bevor es zu einem externen Audit und, bei erfolgreicher Begehung, zur Zertifikatsvergabe kommt. Das Verfahren sieht eine jährliche Überprüfung vor Ort vor. Das Verfahren nach DIN EN ISO 9001 hat den Vorteil, dass zunächst kleinere Organisationseinheiten eines Krankenhauses als Pilotprojekte zertifiziert werden können, bevor man das Qualitätsmanagementsystem auf weitere Bereiche ausdehnt.
KTQ-Verfahren
Bei dem KTQ-Verfahren handelt es sich um ein Qualitätsmanagementsystem, das speziell für das deutsche Gesundheitswesen entwickelt wurde. Die Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen (KTQ) wurde 1997 vom Verband der Angestellten-Krankenkassen, der Bundesärztekammer und dem Verband der Arbeiter-Ersatzkassen gegründet. Später kamen weitere Kooperationspartner, u. a. alle Spitzenverbände der Krankenkassen, hinzu. Das KTQ-Verfahren, das seit 2001 von der KTQ GmbH angeboten wird, wurde auf das deutsche Gesundheitssystem ausgerichtet und verlangte zunächst immer die Einbeziehung des gesamten Krankenhauses. Mittlerweile sind aber auch Verbundzertifizierungen (Einbeziehung verschiedener Standorte der gleichen Versorgungsform), Vernetzte Zertifizierungen (Einbeziehung verschiedener Einrichtungen unterschiedlicher Versorgungsformen) und Zertifizierungen einzelner Organisationseinheiten möglich. Auch auf Praxen, Rehabilitationseinrichtungen und Rettungsdienste ist das Verfahren ausgedehnt worden.
Beim KTQ-Verfahren handelt es sich um ein Selbstbewertungsverfahren, das den KTQ-Katalogen folgt, die 6 Kategorien umfassen:
Die Kategorien sind in Subkategorien unterteilt, die Kriterien enthalten, wobei die Kriterien auf einzelne Fragen heruntergebrochen werden, die die Organisation zunächst in einem Selbstbewertungsprozess für seine Einrichtung beantworten muss. Dabei soll jede Frage im Sinne des bereits beschriebenen PDCA-Zyklus beantwortet werden. Die Zertifizierung erfolgt durch eine Kommission aus sogenannten Visitoren, die eine Fremdbewertung vornehmen. Eine Vor-Ort-Überprüfung findet alle 3 Jahre statt (https://www.ktq.de (2018)).
Die beiden beschriebenen und am häufigsten in Deutschland angewandten Systeme beruhen auf den gleichen Grundsätzen, folgen aber einer sehr unterschiedlichen Systematik. Beide Systeme können den Organisationsgrad der Einrichtung, die Effektivität der medizinischen Abläufe, die Patientenzufriedenheit und nicht zuletzt auch die Rechtssicherheit der Einrichtung spürbar erhöhen. Die Einführung und Aufrechterhaltung eines Qualitätsmanagementsystems erfordert professionelle Unterstützung und in der Regel eigene personelle Ressourcen.
Zertifizierung in der Onkologie
Einleitung
Fachspezifische Zertifizierungen in der Onkologie haben die Strukturen der onkologischen Versorgung verändert und die interdisziplinäre, multiprofessionelle und leitlinienbasierte Betreuung der Patienten in zertifizierten Netzwerken zum Behandlungsstandard gemacht. Seit 2003, mit der Zertifizierung der ersten Brustkrebszentren durch die Deutsche Krebsgesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für Senologie, hat sich das Zertifizierungssystem stetig weiterentwickelt und die fachlichen, aber auch die gesundheitspolitischen Entwicklungen aufgegriffen und integriert. Damit wurde erreicht, dass das primär aus einer sehr praktischen Initiative der Fachgesellschaften, also der Behandler, entstandene Qualitätssystem im weiteren Verlauf Schnittstellen zu den Akteuren aus allen Bereichen der onkologischen Versorgung und auch der Versorgungsplanung bzw. Vergütung ausgebildet hat.
Qualitätszyklus für die Onkologie
Ein wichtiger Schritt in dieser Entwicklung war die Initiierung des Nationalen Krebsplans durch das Bundesministerium für Gesundheit, die Deutsche Krebsgesellschaft, die Deutsche Krebshilfe und die Arbeitsgemeinschaft der Tumorzentren im Jahr 2008 (Bundesministerium für Gesundheit 2017).
Der Nationale Krebsplan hat erstmals alle Verantwortlichen an einen Tisch geholt und in den verschiedenen Arbeitsgruppen einen Qualitätszyklus für die Onkologie definiert.
Der Qualitätszyklus beginnt mit der Übertragung des Wissens in Leitlinieninhalte und damit Qualitätsstandards (Abb. 2).
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Die Inhalte der Leitlinien sind, vermittelt über Qualitätsindikatoren und Anforderungen in Erhebungsbögen, Grundlage der Zertifizierung von Zentren und gelangen damit in den Versorgungsalltag der Behandler. Die Ergebnisse der Zentren, also die Qualität der Versorgung, werden über Jahresberichte mit Unterstützung der klinischen Krebsregister transparent gemacht und zum Schließen des Kreises wieder an die Ersteller des Leitlinienupdates zurückgemeldet.
Das Zertifizierungssystem als zentraler Bestandteil des Qualitätszyklus hat somit neben der Bedeutung für das einzelne Zentrum vor allem als Instrument für die Organisation und Steuerung onkologischer Versorgungstrukturen an Bedeutung gewonnen.
Zertifizierung der Netzwerke
In der Arbeitsgruppe des Ziels 5 des Nationalen Krebsplans wurde ein einheitliches Konzept für onkologische Versorgungsstrukturen erarbeitet, das sich an den unterschiedlichen Aufgaben der Behandlungseinrichtungen orientiert. Dieses 3-Stufen-Modell der onkologischen Versorgung, bestehend aus
Organkrebszentren,
Onkologischen Zentren und
Onkologischen Spitzenzentren,
spiegelt sehr gut die Anforderungen an die onkologische Versorgung der Patienten wider: Häufige Tumorentitäten wie Brust- und Darmkrebs werden in Organkrebszentren behandelt, die eine möglichst wohnortnahe Versorgung ermöglichen.
Die weniger häufigen bzw. seltenen Tumoren und die komplexen Verläufe von Tumorerkrankungen werden in Onkologischen Zentren und Onkologischen Spitzenzentren betreut, die einen höheren Grad an Spezialisierung vorhalten und vor allem mehrere Tumorentitäten unter einem Dach betreuen.
Die Onkologischen Spitzenzentren haben darüber hinaus Forschungs- und Lehraufgaben und fördern die Entwicklung neuer Standards in der Onkologie.
Die Organkrebszentren und Onkologischen Zentren werden durch die Deutsche Krebsgesellschaft zertifiziert, während die Begutachtung der Onkologischen Spitzenzentren über die Deutsche Krebshilfe erfolgt. Für alle Zentrumsarten gilt jedoch, dass die Versorgung der Patienten beispielsweise mit einem Darmkrebs in allen 3 Stufen des Systems auf Basis der gleichen qualitativen Vorgaben erfolgt.
Anforderungen für eine Zertifizierung
Die Anforderungen für eine Zertifizierung sind in Erhebungsbögen und Datenblättern zusammengefasst. Die Anforderungen sind vor allem tumorspezifisch, um bei der Analyse der Ergebnisse relevante Aussagen über die Versorgung einer speziellen Tumorerkrankung treffen zu können. Darüber hinaus gibt es Anforderungen an Querschnittfächer wie z. B. die Psychoonkologie, Pflege oder Sozialarbeit, die in der Regel nicht tumorspezifisch sind. Des Weiteren gibt es Anforderungen, die die Zusammenarbeit innerhalb der Netzwerke betreffen, also Leitungsstrukturen, Inhalte von Kooperationsvereinbarungen und ähnliches mehr.
Diese Verbindung aus tumorspezifischen und -übergreifenden Anforderungen ist eine wesentliche Voraussetzung für die Akzeptanz und den Erfolg des Zertifizierungssystems:
Zum einen, weil alle Partner, die onkologische Patienten betreuen, fachlich in die Zertifizierung einbezogen werden, fachdisziplinen- und berufsgruppenübergreifend.
Zum anderen, weil die Zertifizierung ein Organisationsinstrument ist, das auf Ebene des einzelnen, ambulant und stationär tätigen Netzwerks, aber auch auf Ebene der Region bzw. des Landes onkologische Versorgung strukturiert und einen Rahmen vorgibt.
Mehrwert und Auswirkungen der Zertifizierung
Damit ein Mehrwert für das zertifizierte Netzwerk vor Ort erreicht wird, ist es notwendig, mit den Anforderungen und Qualitätsindikatoren, die die Grundlage für die Zertifizierung darstellen, vor allem tumorspezifisch zu sein und damit die Realität der Versorgung, also die tagtägliche Arbeit zu adressieren.
Mit der Zertifizierung und den dazugehörigen Datenauswertungen werden die eigenen Strukturen und Ergebnisse für die gesamte tumorspezifische Versorgungskette sichtbar und damit Informationen, die ohne Zertifizierung nicht zur Verfügung stehen würden.
Verschiedene gesundheitspolitische Institutionen berichten Einzelergebnisse, wie z. B. die externe stationäre Qualitätssicherung, aber die umfassende Darstellung der Daten aus der Versorgung ist nur mit der Zertifizierung gegeben. Das Zentrum sieht somit seine eigenen Ergebnisse und kann sie mit den Ergebnissen aller anderen Zentren – nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus anderen Ländern – vergleichen.
Ein weiterer Mehrwert ist die Diskussion dieser Ergebnisse mit Auditoren, also Fachärzten, die selbst in dem Feld praktisch tätig sind, das sie auditieren. Aus diesem Grund werden z. B. Gynäkologische Krebszentren u. a. durch Gynäkologen auditiert und nicht durch beispielsweise Viszeralchirurgen. Die Auditoren benötigen unabdingbar das tumorspezifische Wissen, um kompetente Gesprächspartner für die Behandler vor Ort zu sein und mit diesen bei Bedarf Maßnahmen für die Verbesserung einzelner Bereiche erarbeiten zu können. Die Arbeitsverdichtung aller Beteiligten in der Medizin ist so bestimmend, dass nur noch Maßnahmen akzeptiert werden, die einen Mehrwert für die eigene Arbeit darstellen. Behandler haben deutlich eingeschränktes Interesse an Initiativen, deren Nutzen für ihre eigene Arbeit nicht ersichtlich oder spürbar ist.
Neben den beschriebenen, sehr praktischen Auswirkungen hat das Zertifizierungssystem auch einen Einfluss auf die übergeordnete Organisationsebene eines Zentrums oder auch einer Region. Das freiwillige Zertifizierungssystem mit seinem Fokus auf der zentralisierten Behandlung der Patienten in Netzwerken, die quantitative und qualitative Vorgaben erfüllen, hat zu einer Neuordnung der onkologischen Versorgungsstrukturen geführt.
Mit Stand Mai 2018 gibt es 1368 zertifizierte Standorte in Deutschland und 87 Standorte in 4 weiteren europäischen Mitgliedsstaaten (http://www.oncomap.de). In diesen Zentren wurden 2016 über 241.000 Patienten mit der Erstdiagnose einer malignen Erkrankung behandelt. Das bedeutet, dass in Abhängigkeit von der Tumorentität und damit der Laufzeit des jeweiligen Zertifizierungsprogramms ein erheblicher Anteil der Neuerkrankungen bereits in zertifizierten Zentren betreut wird.
Ein Abgleich mit der Krankenhausstatistik zeigt, dass bei einzelnen Tumorentitäten, wie z. B. dem Rektum- oder Lungenkarzinom, bereits annähernd alle Netzwerke zertifiziert sind, die sich auch zertifizieren lassen könnten, weil sie die quantitativen Vorgaben an die Mindestzahl der zu behandelnden Patienten erfüllen. Eine weitere Zunahme der in Zentren behandelten Patienten ist somit bei einigen Tumorentitäten nur noch eingeschränkt über eine Zunahme der Zahl zertifizierter Zentren zu erreichen. Andere Steuerungsinstrumente wie die Einführung von Mindestmengen oder Zentrumszuschläge nach § 9 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) sind hier mögliche ordnungspolitische Initiativen.
In diesem Zusammenhang sind die Auswirkungen der Zertifizierung auf, unter anderem, patientenrelevante Endpunkte von Bedeutung, da diese Ergebnisse die Entscheidung für die Anwendung von Steuerungsinstrumenten unterstützen. Die Ergebnisse der Zentren sind, wie berichtet, in den Jahresberichten veröffentlicht, zusätzlich gibt es jedoch auch zunehmend mehr Publikationen, die die Ergebnisse der Zentren mit den Ergebnissen der nicht zertifizierten Einrichtungen vergleichen. So konnten Auswertungen der Daten von Krebsregistern und Krankenkassen zeigen, dass das Gesamtüberleben der Patienten in Darmkrebs-, Brustkrebs- und Neuroonkologischen Zentren verbessert ist im Vergleich zur Behandlung in nicht zertifizierten Einrichtungen (Völkel et al. 2018; Trautmann et al. 2018; Beckmann et al. 2011; Haj et al. 2017).
Darüber hinaus ist die 30-Tage-Sterblichkeit nach Operation in Darmkrebszentren bzw. die postoperative Mortalität der Lungenkrebspatienten, die in hochvolumigen Einrichtungen operiert wurden, reduziert (Trautmann et al. 2018; Hoffmann et al. 2018).
Für die Patienten mit Prostatakarzinom zeigt die Auswertung der frühfunktionellen Outcomeparameter, wie z. B. der Miktionsfrequenz und der Uroflowmetrie, während der Rehabilitation signifikant bessere Ergebnisse, wenn die Patienten in zertifizierten Prostatakrebszentren prostatektomiert wurden (Butea-Bocu et al. 2018).
Insgesamt belegen die Publikationen die Verbesserung der patientenrelevanten Outcomes, wenn die Patienten in zertifizierten Einrichtungen behandelt wurden. Damit unterstützen die Auswertungen die Grundannahme, dass die Patienten dann besser behandelt werden,
wenn die Behandlung mit der gesammelten Expertise der zertifizierten Behandler erfolgt,
auf Grundlage der evidenzbasierten Leitlinienempfehlungen,
mit klar definierten Prozessen
und mit der kontinuierlichen Analyse und Diskussion der Behandlungsqualität auf Basis der für das Audit gewonnen Daten.
Die Auswertungen legen jedoch auch nahe, dass es im Sinne des Krankenhausstrukturgesetzes an der Zeit ist, Qualität mit Vergütungsinstrumenten zu verbinden und die nachgewiesen gute Qualität der Behandler in den zertifizierten Zentren entsprechend zu honorieren. Der umgesetzte Zentrumszuschlag für Onkologische Zentren und Mindestmengenregelungen für zunehmend mehr Tumorentitäten sind erste Schritte, um die Behandlung der Patienten in zertifizierten Netzwerken weiter zu fördern und zu fordern. Dabei sind die Deutsche Krebshilfe und die Deutsche Krebsgesellschaft vertrauensvolle Partner im Austausch mit den gesundheitspolitischen Entscheidungsgremien.
Aufbau des Zertifizierungssystems
Der klare Aufbau des Zertifizierungssystems in 3 voneinander unabhängig agierende Bereiche stellt eine Grundvoraussetzung für diesen Austausch dar:
Die Zertifizierungskommissionen, in denen durch multidisziplinäre und -professionelle Experten die Anforderungen für die Zertifizierung erarbeitet werden (Legislative)
Die Überprüfung der Erfüllung der Anforderungen durch die Auditoren vor Ort (Exekutive)
Die Vergabe des Zertifikats durch den Ausschuss Zertifikaterteilung mit jeweils 3 erfahrenen Auditoren für jedes Verfahren (Judikative)
Damit wird, nicht nur im Interesse der gesundheitspolitischen Entscheider, eine potenzielle Einflussnahme einzelner Fachdisziplinen wirkungsvoll verhindert.
Zertifizierung im europäischen Kontext
Interessanterweise sind in keinem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union ähnlich komplexe und gut miteinander verzahnte Instrumente für die Qualitätssicherung onkologischer Versorgung implementiert. Es gibt Mitgliedstaaten, die einen zentralistischen Ansatz onkologischer Versorgung als Bottom-down-Initiative mit legislativer Entscheidung durchsetzen und auch nur in diesen Einrichtungen vergüten. Die Fachgesellschaften und damit die Behandler, die Leitlinienersteller und auch die Patientenvertreter haben in diesen Ländern natürlich kaum Möglichkeiten, quantitative und qualitative Vorgaben mit zu gestalten.
Damit ist es ein Alleinstellungsmerkmal Deutschlands, dass wir in der Onkologie eine Qualitätsinitiative realisiert haben,
die von den Fachgesellschaften ausging,
mit dem Nationalen Krebsplan weiter geformt wurde
und zunehmend auch die gesundheitspolitischen Entscheider einbinden kann.
Dieser erfolgreiche Ansatz ist auch für anderen Mitgliedsstaaten in Europa interessant, was sich z. B. daran zeigt, dass der Kanton Zürich in seine Spitallisten, die die Voraussetzungen für eine Abrechnung der Leistung definieren, das Zertifikat der Deutschen Krebsgesellschaft als ein Kriterium für den Nachweis der Befähigung zur Behandlung onkologischer Erkrankungen zulassen (Zürcher Spitallisten 2018).
Das Interesse zeigt sich aber auch in der stetig zunehmenden Zahl an Zertifikaten im europäischen Ausland. Das aus dem deutschen Zertifizierungssystem hervorgegangene Projekt der European Cancer Centres entwickelt sich sehr gut, auch im nicht deutschsprachigen europäischen und internationalen Ausland (European Cancer Centres 2018). Unterstützung erfährt das Programm durch die Teilnahme der Experten der Deutschen Krebsgesellschaft an den Initiativen der Europäischen Union, den sogenannten Joint Actions.
Für den Bereich Onkologie gab es in den letzten Jahren 3 maßgebliche Projekte, an denen Deutschland bzw. die Deutsche Krebsgesellschaft auch intensiv beteiligt waren und sind.
Joint Action für seltene Tumoren (JARC)
Joint Action on Cancer Control (CanCon), in der das in Deutschland implementierte 3-Stufen-Modell der onkologischen Versorgung als Ausgangpunkt für die Definition von Comprehensive Cancer Care Networks (CCCNs) genommen wurde (Kiasuwa Mbengi et al. 2017)
Die neue Joint Action innovative Partnership Action Against Cancer (iPAAC) ist die Fortführung von CanCon und wird u. a. die Zertifizierung der onkologischen Versorgungstrukturen zum Ziel haben (http://www.ipaac.eu)
Zertifizierung als Instrument für Versorgungsforschung
Zusätzlich zu den aufgeführten Aufgaben hat sich das Zertifizierungssystem zunehmend zu einem Instrument der Versorgungsforschung entwickelt. Die Ergebnisse der zertifizierten Zentren bezogen auf die Qualitätsindikatoren der Leitlinie sind sehr gut über die Jahresberichte abgebildet und ausgewertet (Deutsche Krebsgesellschaft 2018; Kowalski et al. 2017; Wolff et al. 2017).
Darüber hinaus sind jedoch Analysen der patientenberichteten Ergebnisqualität und die daraus abgeleiteten Maßnahmen wichtig für die Verbesserung von Versorgungsstrukturen und -prozessen (Basch et al. 2016) und können zur Ableitung von individuellen patientenrelevanten Maßnahmen oder dem Vergleich von Leistungserbringern dienen. Zudem helfen sie gerade in der Verbindung mit den Struktur- und Prozessdaten der Zertifizierung, Ursachen für Qualitätsunterschiede zu identifizieren (Talcott et al. 2014).
Aus diesem Grund hat die Deutsche Krebsgesellschaft die „Prostate Cancer Outcomes“-(PCO-)Studie initiiert, die die Wechselwirkungen zwischen patientenberichteter und klinisch erfasster Ergebnisqualität bei Patienten mit lokalisiertem Prostatakarzinom untersucht, die in zertifizierten Zentren ihre Erstbehandlung erhalten (Deutsche Krebsgesellschaft 2018). Dabei werden Daten zur Lebensqualität, Funktion, Soziodemografie und Behandlungsart erfasst und miteinander verknüpft. Die Erfahrungen der PCO-Studie werden im Rahmen der durch den Innovationsfond geförderten EDIUM-Studie ab 2018 auch für die Patienten in den zertifizierten Darmkrebszentren übertragen (Gemeinsamer Bundesausschuss 2018).
Zertifizierung wird also nicht nur als Instrument zur Qualitätssicherung und -verbesserung verstanden, sondern auch als wissengenerierende onkologische Versorgungsstruktur aufgefasst und gefördert. Die so entstehenden Synergieeffekte tragen über das Zertifizierungssystem hinaus zur Verbesserung der flächendeckenden, patientennahen onkologischen Versorgung bei.
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