Einführung
Patienten mit bösartigen Erkrankungen im Bronchialsystem oder des Rippenfells leiden nach ihrer Therapie unter Symptomen, funktionellen Einschränkungen und damit an Teilhabestörungen (Lübbe
2017). Die
Lebensqualität ist reduziert, die Patienten sind in der Regel schwerbehindert und unter Umständen nicht mehr in der Lage, ihrem Beruf nachzugehen. Eventuell droht die
Pflegebedürftigkeit. Die Rehabilitation nimmt sich der Gesamtproblematik an und initiiert bei Bedarf medizinisch-beruflich orientierte
Rehabilitationsmaßnahmen (MBOR) (Rick
2011). Aufgabe der Rehabilitation
ist es, im Berufsleben gefährdete Arbeitnehmer mit präventiven Angeboten zu versorgen, um eine solche Situation erst gar nicht entstehen zu lassen. Kostenträger für die Rehabilitation ist in der Regel die Rentenversicherung, liegen die versicherungsrechtlichen Voraussetzung nicht vor, tritt die Krankenversicherung oder die Berufsgenossenschaft ein.
Bedeutung der ICF
Operation, Bestrahlung, Chemo- und Immuntherapie hinterlassen beim Patienten Strukturdefekte und funktionelle Störungen. Patienten leiden an Luftnot in Ruhe oder unter Belastung sowie an Schwäche, kognitiven Dysfunktionen, peripherer
Polyneuropathie, seelischen Belastungen etc. Diese komplexen Gesundheitsstörungen haben Auswirkungen und Folgen für viele Lebensbereiche des Patienten. Aus diesem Grunde arbeitet die Rehabilitation nach dem Konzept der
ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderungen und Gesundheit
). Diese dient dazu, das Krankheitskonzept und den Begriff der funktionalen Gesundheit zu erweitern (Lübbe et al.
2017; ICF
2001). Sie dient als Grundlage der Rehabilitation und betrachtet den Menschen in seiner Lebenswirklichkeit. Übergeordnetes Ansinnen ist die
Wiederbefähigung zur Teilhabe am sozialen und beruflichen Leben. Eine Person gilt als funktional gesund, wenn, vor ihrem gesamten Lebenshintergrund (
Konzept der Kontextfaktoren) ihre körperliche Funktion (einschließlich des geistigen und seelischen Bereichs) und ihre Körperstrukturen allgemein anerkannten Normen entsprechen (
Konzept der Körperfunktionen und -strukturen), sie all das tut oder tun kann, was von einem Menschen ohne Gesundheitsproblem erwartet wird (Konzept der Aktivitäten) und wie sie ihr Dasein in allen wichtigen Lebensbereichen in der Art und in dem Umfang entfalten kann, wie es von einem Menschen ohne Beeinträchtigung erwartet werden kann (
Konzept der Teilhabe an Lebensbereichen).
Während es sich in der Welt der ICF um Störungen, Normabweichungen und Erkrankungen handelt, trifft die ICF den Menschen in seiner Lebenswirklichkeit.
Reha-Planung
Reha-Fähigkeit
Die Voraussetzung zur erfolgreichen ambulanten, teilstationären oder stationären Rehabilitation ist ein Mindestmaß an Mobilität und Eigenständigkeit. Der Barthel-Index sollte über 80 und der Karnofsky-Index über 60 liegen, der Patient sollte motiviert sein und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (z. B. 6 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen in die
gesetzliche Rentenversicherung in den letzten 2 Jahren [diese klärt im Zweifel der Kostenträger der den Rehabilitationsantrag erhält]) erfüllen.
Reha-Bedürftigkeit
Wie jede medizinische Therapie benötigt auch eine Rehabilitationsmaßnahme eine Indikation bzw. Zielstellung. Diese sollte sowohl vom Arzt bzw. Patient klar benannt werden. Dies können z. B. ein reduzierter Allgemeinzustand, Belastungs- oder Ruhedyspnoe, eine
Polyneuropathie, eine psychische Belastung, aber auch Probleme am Arbeitsplatz sein.
Typische Folgestörungen nach Eingriffen im Lungen- und Bronchialsystem bei bösartigen Tumoren (Riesenberg und Lübbe 2010; Lübbe et al. 2008)
Symptome
Schmerzen, Luftnot, Kraftlosigkeit, Tagesmüdigkeit,
Husten, Heiserkeit, Spannungsgefühl im Behandlungsfeld, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Taubheitsgefühl, Hyperästhesien oder Allodynien in den Extremitäten,
Gangunsicherheit, Geschmackstörungen nach Chemotherapie, Depressionen, Palpitationen, Diarrhö und Schilddrüsenfunktionsstörungen nach Immuntherapie sowie andere symptomatische Entzündungsreaktionen im Organismus.
Befunde
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Defekte und/oder
Wundheilungsstörungen im Bereich der Operationsnarbe, im Bestrahlungsfeld sowie im Körperinneren, etwa im Bereich der Luftröhre und des Bronchialsystems sowie des Lungengewebes nach Bestrahlung (Pneumonitis)
-
Typische neurologische und motorische Befunde bei
Polyneuropathie infolge Chemotherapie
-
Autoimmunologische Reaktionen prinzipiell an nahezu allen Organen, jedoch in unterschiedlicher Häufigkeit, infolge molekular gezielter Therapie (TKI, ALK, BRAF etc.), aber auch immunonkologischer Therapien
Funktionelle Beeinträchtigungen
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Reduktionen der Gehstrecke und der körperlichen Belastbarkeit
-
-
Beeinträchtigung der Schulter-Arm-Beweglichkeit und der Kopfdrehung
-
Störungen der Sinnesorgane
Reha-relevante Diagnostik und Planung (Lübbe 2017; Rick und Stachow 2011)
Bei der Anamneseerhebung und vor Beginn eines Rehabilitationsverfahrens sollten Ausmaß der Erkrankung, Folgen und Prognose der Behandlung sowie die Therapiefolgestörungen und deren Auswirkungen auf die Lebensführung des Patienten im Vordergrund stehen und gezielt verfolgt werden.
Der Anamnese schließt sich eine zielgerichtete
körperliche Untersuchung an, der obligatorisch innerhalb von 24 Stunden eine
pneumologisch/onkologisch-fachärztliche Eingangsuntersuchung folgt. Sie wird ergänzt durch
Diese Untersuchungen werden am Ende des Aufenthalts, bei Bedarf häufiger, wiederholt, um den Leistungszuwachs zu bestimmen.
Je nach Konstellation müssen die verschiedenen Befunde im Zusammenhang bewertet werden, um eine individuelle Vorgehensweise zu rechtfertigen. So müssen bei der Kombination von Ruhetachykardie,
Anämie und grenzwertig niedrigen pO2-Werten individuelle Lösungen gefunden werden; ebenso kann bei geringer Muskelmasse (BIA-Messung) und Schluckstörung ohne PEG nur ein individuelles Ernährungskonzept helfen. Je nach Konstellation sind die Konsultation eines HNO-Arztes für logopädische Ansätze oder Tests zur Evaluation von Angst, Depression und
Lebensqualität als Voraussetzung für eine psychoonkologische Betreuung sinnvoll.
Ziel der Untersuchungen ist die Evaluation der Leistungsfähigkeit und der sozialmedizinischen Einschätzung des Patienten, um, wie oben dargestellt, gezielt Hilfe- und Unterstützungsmaßnahmen einzuleiten bzw. zu empfehlen.
Therapieziele
Die für jeden Patienten individuell neu zusammengestellten Behandlungsziele, die sich an der Konstellation von Symptomen, Befunden und funktionellen Einschränkungen orientieren, münden in einen Behandlungsplan, der die entsprechenden Berufsgruppen einbezieht. Traditionell werden sie in somatische, funktionsbezogene, psychosoziale und edukative Therapieziele unterteilt, wobei zu letzterem die Vermittlung von Kenntnissen zu ausgewählten Themen und die Schulung von krankheitsgerechtem Verhalten gehören. Parallel zu den therapeutischen Anwendungen erfolgen im Fortgang der 3 Wochen (Regelaufenthaltsdauer) Kontrolluntersuchungen sowie ärztliche Visiten.
Durch die praktische Anwendung der ICF in entsprechenden Schwerpunktkliniken kann es gelingen, dass sich der Patient in seiner
Selbstwahrnehmung besser kennen- und einzuschätzen lernt (Lübbe et al.
2017). Die Therapieziele können realistischer definiert werden als ohne Berücksichtigung der ICF-basierten Erkenntnisse. Der Therapieerfolg kann im zeitlichen Prozess besser objektiviert werden, und die weiterbehandelnden Ärzte können erkennen, inwiefern die Selbsteinschätzung des Patienten unter Umständen von der Fremdeinschätzung abweicht, weil sie im zeitlichen Verlauf einander gegenübergestellt werden.
Im Entlassungsbericht erhalten die weiterverhandelnden Ärzte, der Kostenträger der Rehabilitationsmaßnahme, bei Bedarf aber auch Sozialgerichte oder Verwaltungsfachangestellte einen zusammenfassenden Bericht. Die Vielzahl und unterschiedliche Profession der Adressaten erklärt den etwas ungewöhnlichen Aufbau des Entlassungsbriefes, der immer auch ein sozialmedizinisches Gutachten darstellt.
Behandlungsempfehlungen bei häufigen Störungen
Bei
Appetitlosigkeit und
Gewichtsverlust:
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Abklärung möglicher Ursachen
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Anregung des Appetits durch Dexamethason, Cyproheptadin oder Megestrolacetat, evtl.
Cannabinoide
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Hochkalorische Kost (1,5 g Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag) in Kombination mit Muskelaufbautraining
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Kontrolle durch eine BIA-Messung sollte erfolgen
Zentraler Therapieansatz ist die
Optimierung der häufig bestehenden Ruhe- bzw. Belastungsdyspnoe:
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Dies besteht – wenn indiziert – in der Optimierung der Therapie weiterer Komorbiditäten wie z. B.
COPD, KHK
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Der Schwerpunkt liegt im Behandlungsangebot von atemgymnastischen Therapien zur Verbesserung von Lungenvolumen, Atemtechniken, Hustentechniken
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Tägliches
Ergometertraining soll die aerobe Ausdauerleistungsfähigkeit verbessern; das Belastungsniveau orientiert sich an der submaximalen Ausdauerherzfrequenz (180 minus Lebensalter bzw. 170 minus Lebensalter bei Therapie mit
Betablockern oder Digitalispräparaten); ist das Sitzen auf einem Fahrradsattel nicht möglich, sind Handkurbelergometriegeräte eine Alternative
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Ergänzt wird das Trainingsprogramm durch ein Geh- oder Terraintraining, Muskelaufbautraining mit und ohne Geräte, mit und ohne Anleitung sowie durch die Möglichkeit, an der Wassergymnastik oder am freien Schwimmen teilzunehmen
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Um in dem meist 1,35 m tiefen, 31 Grad warmen Wasser Übungen verrichten zu können, sollte eine Mindestleistungsfähigkeit von 75 Watt durch den Patienten erzielbar sein; durch den erhöhten Wasserdruck wird der Thorax komprimiert und der venöse Rückfluss sowie der periphere Widerstand erhöht, was im Einzelfall (z. B. bei Z. n. Pneumektomie) zu Beschwerden führen und kontraindiziert sein kann
Bei
kognitiven Defiziten:
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Initialisierung eines Hirnleistungstrainingsprogramms
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Bei dem V. a. ein
Fatigue-Syndrom erfolgt vor einer symptomatischen Therapie eine Abklärung möglicher Ursachen (
Anämie,
Hypothyreose, Ernährungsprobleme, Hypokortisolismus,
schlaf bezogene Atemstörungen etc.); bei Bedarf Substitution und ggf. Einleitung einer Therapie
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Der therapeutische Ansatz besteht regelhaft aus einer individuelle Gestaltung des Tagesplans, regelmäßiges Ausdauertraining, einem Gedächtnistraining, aber auch gezielten psychologischen und ergotherapeutischen Therapien
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Ein neurologisches Funktionstraining erscheint nach neueren Daten effektiv und sollte im Einzelfall geprüft werden
Bei
seelischen Belastungen:
Sozialmedizinische Konsequenzen der Erkrankung und/oder der Therapie
Aufgrund immer besserer Therapieoptionen überleben immer mehr Patienten ihre Erkrankung, d. h. die Zahl sogenannter „long-term survivors“ bzw. chronisch erkrankten Patienten nimmt stetig zu (DeSantis et al.
2014). Bei diesen Patienten („long-term survivors“) stehen zu Beginn der Erkrankung bzw. Behandlung die körperlichen und seelischen Leiden im Mittelpunkt. Mit der Zeit gewinnen jedoch auch die
finanziellen Sorgen häufig an Bedeutung, die vorwiegend durch den Verlust des Arbeitsplatzes, eine gezwungene Reduzierung der Arbeitszeit oder eine vorzeitige Berentung verursacht werden.
Um besonderen beruflichen Problemlagen zu begegnen, werden innerhalb von 48 Stunden nach Aufnahme, teilweise bereits vor der Aufnahme, des noch erwerbsfähigen Patienten durch den Sozialdienst und den Psychologen sowie den behandelnden Arzt Screeningverfahren (etwa der SIMBO-C-Fragebogen) eingesetzt.
Bei Bedarf erfolgt eine individuelle Unterstützung in Hinblick auf besondere berufliche Problemlagen. Diese Programme (
MBOR,
medizinisch berufliche Orientierung in der Rehabilitation) haben zum Ziel, Patienten wieder in den beruflichen Alltag zu reintegrieren oder berufliche Alternativen aufzuzeigen. Wenn möglich soll daher der Patient im Erwerbsleben belassen werden, da dies neben der Verbesserung der
Lebensqualität auch finanzielle Notsituationen oder gar eine Verarmung des Patienten verhindert.
Zur
Einschätzung der somatischen Leistungsfähigkeit kann auch auf die Leitlinie zur Leistungsbeurteilung bei Patienten mit einer
COPD, zurückgegriffen werden, wobei weitere individuelle Aspekt d. Pat. immer mit zu berücksichtigen sind.
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Eine
schwere körperliche Tätigkeit kann zugemutet werden, wenn die FEV1 noch normal (ab 80 % vom Soll) bei einer relativen 1-Sekunden-Kapazität (FEV1/VK) ab 90 %, einer Resistance (Raw) bis 0,35 kPa/l s sowie einer ergometrischen Belastbarkeit (Ergebnis eines
Belastungs-EKG) von 125 Watt und mehr (>1,5 Watt/kg KG) ist.
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Eine leichte körperliche Tätigkeit kann zugemutet werden bei einer ergometrischen Belastbarkeit von 50–75 Watt (ca. 1 Watt/kg KG), mittelgradigen Funktionsstörungen der 1-Sekunden-Kapazität zwischen 50–70 % vom Soll, einer relativen 1-Sekunden-Kapazität von 40–70 % bzw. einer Resistance von 0,5–1,0 kPa/l s.
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Ein aufgehobenes Leistungsvermögen besteht bei einer schweren Dyspnoe schon bei geringer Belastung, einer maximalen ergometrischen Belastbarkeit unter 50 Watt, einer 1-Sekunden-Kapazität unter 50 % vom Soll oder <1,0 l, einer relativen 1-Sekunden-Kapazität unter 40 %, einer Resistance von über 1,0 kPa/l s oder einer Minderung des Transferfaktors unter 50 % vom Soll.
Patienten mit lokal fortgeschrittenen Tumoren sowie metastasierten Tumoren, die keiner kurativen Therapie mehr unterzogen werden können, ist eine Arbeit von wirtschaftlichem Wert zumeist nicht mehr zumutbar. Liegt die Lebenserwartung noch bei >6 Monate und ist die
Lebensqualität noch akzeptabel, sollte bei Arbeitnehmern im Einzelfall geprüft werden, welche Möglichkeiten sich am Arbeitsplatz ergeben, zumal wenn Patienten hoch motiviert sind, im Arbeitsprozess zu verbleiben.
Selbsthilfegruppen
Während sich in anderen Tumorentitäten große nationale Selbsthilfeverbände etabliert haben, wie z. B. Frauenselbsthilfe nach Krebs, hat sich aus verschiedenen Gründen für den Bereich der Lungenkrebspatienten auf Bundesebene noch keine Selbsthilfegruppe
etablieren lassen. Die Krebsselbsthilfegruppen haben sich im Haus der Selbsthilfe (Thomas-Mann-Straße 40, 53111 Bonn), mit Förderung durch die Deutsche Krebshilfe, unter einem Dach zusammengefunden (Lübbe
2017). Bei Bedarf empfiehlt es sich, dort nachzufragen. Ansonsten besteht die Möglichkeit, Kontakt über die Krebsberatungsstellen der Länder aufzunehmen.