Einleitung
Die Rehabilitation schließt sich üblicherweise einer vorausgegangenen Tumorbehandlung mit neurochirurgischer Intervention und
Strahlentherapie bei primären und sekundären Tumoren des Zentralnervensystems (ZNS) an. Eine bereits begonnene Chemotherapie, auch als Radiochemotherapie eingeleitet, ist grundsätzlich kein Hinderungsgrund für die Durchführung der regulären neuroonkologischen Rehabilitation
und sollte fortgeführt werden können. Eine „Tumor Treating Fields“-Anwendung (Stupp et al.
2016) sollte ebenfalls kein Ausschlusskriterium sein.
Voraussetzung in der Antragsstellung
Als Voraussetzung in der Antragstellung bei den zuständigen Kostenträgern seien die folgenden Punkte für die neuroonkologische Rehabilitation genannt:
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Diagnose Hirntumorerkrankung/Tumorerkrankung des ZNS
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die Rehabilitation hat das Ziel der Konditionierung vor Radiatio, Chemotherapie oder einem Zweiteingriff
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Die körperlichen, sprachlichen, kognitiven und seelischen Beeinträchtigungen sind therapierbar bzw. positiv zu beeinflussen
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Die Teilhabe im sozialen oder beruflichen Umfeld kann verbessert werden
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Der Patient ist ausreichend belastbar
Durchführung der Rehabilitation
Die Rehabilitation wird entsprechend den konkreten Gegebenheiten stationär oder ganztägig ambulant durchgeführt, wobei neurologische Rehabilitationseinrichtungen durch spezifischere Angebote zu bevorzugen sind. In onkologischen Einrichtungen sollte eine fachärztlich neurologische Mitbehandlung gegeben sein. Inzidenzbedingt dominieren zahlenmäßig deutlich Hirntumorpatienten in der Rehabilitation von Tumorerkrankungen des ZNS, sodass im Weiteren auch die Ausführungen darauf gerichtet sind.
Die neuroonkologische Rehabilitation widmet sich
funktionellen neurologischen Defiziten und Störungen, die aus der Tumorerkrankung resultieren. Im Blickfeld stehen dabei die körperlichen, sprachlichen, neuropsychologischen und seelischen Folgen der Tumorerkrankung unter Berücksichtigung der
Lebensqualität.
Die wesentlichen
Beeinträchtigungen der Lebensqualität bei Hirntumorpatienten resultieren, nach anamnestischen Erhebungen, neben der hirntumorspezifischen Symptomatik im Wesentlichen aus
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den Einbußen der Alltags- und Berufskompetenz,
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eingeschränkter sozialer Aktivität,
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vermehrter Erschöpfbarkeit und Fatigue mit verminderter Leistungsfähigkeit.
Zur
Analyse der Lebensqualität bei Patienten mit
Hirntumoren bietet sich repräsentativ der in der Onkologie etablierte EORTC-Modulfragebogen QLQ – BN20 an (Bitterlich
2016). Im Rehabilitationskonzept sollte mit der Behandlung der tumorbedingen neurologischen Hirnfunktionsstörungen auch die Beachtung der
Lebensqualität gleichbedeutend im Zentrum stehen.
Neurologisch-funktionelle Befundaufnahme
Je nach Tumorart und Tumorlokalisation, Hirnödem- oder Hydrozephaluspräsenz, Komplikationen im postoperativen und postradiogenen Verlauf finden sich neurologische Störungsbilder, die jegliche Pathologien einschließen und variieren können.
Zu Beginn der Rehabilitation steht daher eine eingehende neurologisch-funktionelle Befundaufnahme. Davon ausgehend sind individuelle und mit dem Patienten abgestimmte, realistische Therapieziele zu vereinbaren. Das neurorehabilitative Grundkonzept wird sich pragmatisch auf den Ausbau von Mobilität und Selbstständigkeit des Patienten richten, auf die Teilhabe und den Erhalt der Selbstbestimmung.
Maßnahmen in der Rehabilitation
Innerhalb interdisziplinärer Behandlungsprogramme kann am besten auf funktionelle Ressourcen zurückgegriffen und diese aktiviert werden. Darum verbinden sich innerhalb eines
neuroonkologischen Rehabilitationsprogrammes-
physiotherapeutische,
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ergotherapeutische,
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physikalische sowie
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sporttherapeutische Maßnahmen
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neben psychoedukativen,
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ggf. logopädischen und
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neuropsychologischen sowie
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psychoonkologischen Interventionen.
Angepasst an die Schwere der Beeinträchtigungen und die individuelle Situation stehen innerhalb der
rehabilitativen sensomotorischen Behandlung-
die Vertikalisierung immobilisierter Patienten,
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deren Rumpfstabilisation,
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Rollstuhlmobilisation sowie
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Stand- und Ganganbahnung,
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das Training von Transferfähigkeiten,
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die Schulung von Gleichgewicht und Balance,
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die Sturzprophylaxe und
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die Wiederherstellung von Alltagskompetenz im Vordergrund.
Weitere Bemühungen richten sich auf die
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Minimierung trophisch schmerzhafter Veränderungen, z. B. Lymphödembehandlungen,
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Gelenkkorrekturen bei Fehlstellungen paretischer Extremitäten,
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Narben- und Gesichtsbehandlungen nach neurochirurgischen Eingriffen sowie
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die angemessene Hilfsmittelversorgung.
Kognitive und mnestische Defizite sind bei Hirntumorerkrankungen krankheitsimmanent und werden innerhalb einer geeigneten
neuropsychologischen Leistungsdiagnostik erfasst. Dabei sind
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Aufmerksamkeitsleistungen,
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Gedächtnisspannen,
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verbales Lernvermögen,
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Erinnern,
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Wiedererkennen,
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visuell räumliche Fähigkeiten und
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Aspekte der exekutiven Funktionen
zu untersuchen und innerhalb eines störungsspezifischen Trainings zu rekonditionieren. Gegebenenfalls sind auch Kompensationsstrategien zu vermitteln.
Das Spektrum an
kognitiven Einschränkungen reicht von leichten selektiven Hirnleistungsbeeinträchtigungen bis hin zu schweren Orientierungs- oder auch
Bewusstseinsstörungen. Bei Letzteren können die Voraussetzungen der Rehabilitationsfähigkeit limitiert oder auch nicht mehr gegeben sein.
Die
neuropsychologische Behandlung sollte auch das Angebot zur Unterstützung der Krankheitsverarbeitung und die
Angehörigenarbeit als festen Bestandteil mit beinhalten. Die Diagnose einer Tumorerkrankung bringt zwangsläufig einen bedeutenden Einschnitt im Lebensentwurf mit sich.
Anders als bei übrigen onkologischen Erkrankungen sind die
Hirnleistungsveränderungen im Krankheitsverlauf bei
Hirntumoren ein besonderer Aspekt, der die Krankheitsverarbeitung, Störungsreflexion und Krankheitsbewältigung beeinträchtigen kann und die selbstbestimmte Lebensführung und Leistungsfähigkeit begrenzt. Die Unterstützung durch Angehörige oder Bezugspersonen erhält dabei eine besondere Bedeutung.
Psychotherapeutische Verfahren im Rahmen der psychoonkologischen Therapie sind begleitend zu prüfen und sinnvoll einzusetzen (Broich
1998), gegebenenfalls auch unter Einbezug und Beratung von Angehörigen und Bezugspersonen (Wasner et al.
2006).
Im Rehabilitationsverlauf widmet sich die medizinische Behandlung bei
Hirntumoren besonders der Symptomkontrolle bei Tumorkopfschmerz, Hirnödem/Hirndruck sowie
Epilepsie.
Hirntumorkopfschmerz
Seltener
als isoliertes Erstsymptom, vielmehr im Erkrankungsverlauf, sind bis über 50 % der Hirntumorpatienten mit einer Kopfschmerzsymptomatik
auffällig (Busch und May
2002). Lokalisationsbedingt wirken besonders infratentorielle und sellanahe Tumoren kopfschmerzinduzierend (Harry et al.
1981). Auslösend sind auch Tumoren mit Infiltration schmerzsensibler Strukturen, der Meningen und Gefäße sowie bestimmter Hirnnerven. Für die Entwicklung von
Kopfschmerzen wesentlich ist neben den genannten Aspekten die Größe der Raumforderung, wobei neben der Tumorgröße ab 2 cm auch das Begleitödem Einfluss nimmt (Peter et al.
1993; Evers
2018). Die
Hirndrucksymptomatik ist dann meist von den weiteren typischen Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen,
Sehstörungen und
Schwindel begleitet.
Die
Kopfschmerzen folgen überwiegend einem Zeitmuster, das nicht ein konstanter Dauerschmerz sein muss, eher durch einen morgendlichen Kopfschmerz gekennzeichnet ist, der sich nach Vertikalisierung über den Tag verflüchtigt oder nachlässt (Russo et al.
2017). Der Kopfschmerz kann dabei vom Spannungstyp, migränoid oder neuralgieform sein (Kurth et al.
2015). Die Intensität des Kopfschmerzes sollte unter Beachtung der Begleitsymptomatik über einen Schmerzkalender, mit Gebrauch z. B. der visuellen Analogskala, lokalisiert und zur Optimierung der Behandlung abgebildet werden.
Soweit neurochirurgische Interventionen ein Angebot zur
Schmerzreduktion durch Tumorexstirpation oder Ableitung eines
Hydrozephalus über einen Shunt bieten, werden diese den Vorrang haben. Für die medikamentöse Kopfschmerzbehandlung sollte eine pragmatische Stufentherapie auch entsprechend dem Leitlinienprogramm der Onkologie folgend genutzt werden (Bender et al.
2015; S3-Leitlinie
2015).
Damit kommen
Paracetamol und
Metamizol als Behandlungsmöglichkeit bei leichten Schmerzen in Betracht, eskaliert bei zunehmenden Schmerzen mit
Tramadol- oder
Tilidin-Gaben bis hin zum Einsatz von
Opioiden.
Eine adjuvante Therapie mit den Antidepressiva Amitriptylin und Imipramin oder Doxepin, auch Duloxetin, bietet sich neben der positiven Schmerzschwellen-modulierenden Einflussnahme auch zur gleichzeitig antidepressiven, stimmungsstabilisierenden Therapie an.
Bei
neuralgieformen Schmerzen können Antikonvulsiva, wie
Carbamazepin, besser
Gabapentin oder
Pregabalin eingesetzt werden. Die nicht selten mit übrigen Hirndrucksymptomen, wie Übelkeit und Erbrechen, vergesellschafteten
Kopfschmerzen bedürfen häufig der nicht oralen Applikation, wobei transdermale und subkutane Verabreichungen sinnvoll sind.
Hirndrucksymptomatik
Im Krankheitsverlauf tritt die Hirndrucksymptomatik
sowohl als Resultat des vorhandenen soliden Tumors als auch des Begleitödems, gegebenenfalls auch von Einblutungen, auf. Die besonders
morgendlichen Beschwerden mit Kopfschmerz, Übelkeit, Erbrechen, psychomotorischer Verlangsamung,
Singultus,
Schwindel,
Sehstörungen, Inkontinenz und Gleichgewichtsstörungen sind zeitlich begrenzt, durchaus wirksam durch eine Hirnödemtherapie mit Kortikoiden zur reduzieren. Die
Behandlung mit Kortikoiden bedarf aber über den gesamten Behandlungsverlauf einer kritischen Indikations- und Dosisprüfung. Bei optimaler Beschwerdeminimierung ist ein sparsamer Einsatz infolge der nicht zu vernachlässigenden Nebenwirkungen sinnvoll.
Aus neurologischer Sicht erwähnenswert ist die
Kortikoid-induzierte Myopathie im Rahmen eines
Cushing-Syndroms in der Langzeitbehandlung, die besonders die proximale Oberschenkel- und Beckenmuskulatur, weniger den Schultergürtel und distale Extremitätenabschnitte trifft.
Hintergrund ist die katabole und antianabole Wirkung der Kortikoide mit Einfluss auf die Muskelproteine (Zierz und Jerusalem
2018). Dabei nehmen die fluorierten Steroide (Dexamethason) stärker Einfluss auf die Muskulatur als die nichtfluorierten
Glukokortikoide (Prednisolon und Methylprednisolon). Für Patienten, die infolge tumorbedingter Paresen beeinträchtigt sind, bedeutet die Myopathie eine zusätzliche,
additive motorische Beeinträchtigung und Verstärkung der Immobilität.
Tumorassoziierte Epilepsie
Etwa die Hälfte der Hirntumorerkrankten leidet an einer strukturellen, tumorassoziierten
Epilepsie. Nicht ungewöhnlich manifestiert sich die Erkrankung als Erstsymptom mit einem
epileptischen Anfall (Stefan
1999).
Einflussnehmend auf die Steigerung der epileptischen Erregbarkeitsbereitschaft ist wiederum die Tumorlokalisation, wobei temporale oder kortexnahe Lokalisationen stärker anfallsinduzierend wirken. Auch die Tumorhistologie, Begleiterkrankungen und metabolische Entgleisungen nehmen Einfluss.
Das Bild des epileptischen Anfalls, die
Symptomatik im Anfall, kann sehr unterschiedlich sein und reicht von einfachen fokalen Anfällen ohne Bewusstseinsstörung bis hin zu generalisierten Anfällen, dem typischen Grand-mal-Anfall, sowie Serien von Anfällen oder dem
Status epilepticus. Besonders generalisierte, lang anhaltende Anfälle, Serien von Anfällen oder der Status epilepticus können über eine Verstärkung des Hirnödems zu einer Verschlechterung der neurologischen Situation führen.
Bei der antiepileptischen Notfallmedikation ist daher die zusätzliche Kortikoidverabreichung zur Reduktion des Begleitödems zu prüfen.
Die EEG-Diagnostik wird zur Situationsbeurteilung und Einschätzung der epileptischen Erregbarkeitsbereitschaft nötig.
Die
Antiepileptika der neueren Generation sind bei der medikamentösen Einstellung zu bevorzugen. In Bezug auf die Verträglichkeit stellen die
Antiepileptika der neuen Generation (u. a.
Levetiracetam,
Gabapentin,
Lamotrigin,
Pregabalin) für Patienten mit
Hirntumoren eine wesentliche Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten dar. Sie werden den klinischen Anforderungen bezüglich zügiger Verfügbarkeit und Eindosierung, sicherer Wirksamkeit und damit Anfallsreduktion gerecht und generieren post- und interiktal weniger beeinträchtigende Nebenwirkungen. Dabei wäre die Verstärkung kognitiver Beeinträchtigungen hervorzuheben. Zudem kann gegebenenfalls eine Affekt stabilisierende Wirkung mit genutzt werden. Vorteile liegen auch in der günstigeren
Pharmakogenetik sowie reduzierten Wechselwirkungsmechanismen mit anderen Medikamenten/Chemotherapeutika.
Die Bewertung der Anfallsmanifestation und des
EEG, die Auswahl des Antiepileptikums als auch die Dosierung werden zwingend durch einen neurologischen Facharzt nötig sein. Eine mehrwöchige Rehabilitationsbehandlung bietet dabei auch für schwierige Konstellationen einen optimalen Zeitrahmen.