Schluckstörungen
Der Schluckakt ist ein komplexer Vorgang, der dazu dient, Nahrung und Speichel aus der Mundhöhle in den Magen zu befördern, ohne dass dabei Nahrung in die Atemwege gelangt. Er wird willkürlich vorbereitet; dann wird durch die Berührung von Triggerpunkten im Rachen der Schluckreflex ausgelöst.
In der oralen Vorbereitungsphase wird die Nahrung aufgenommen und zerkleinert, dann wird ein Bolus geformt und in der oralen Transportphase nach hinten transportiert. Die orale Transportphase, also die Bolusbeförderung in den Pharynx, dauert 0,9–1,5 Sekunden. Der Schluckreflex wird ausgelöst, der Nasopharynx verschließt sich. In der sich anschließenden pharyngealen Phase (0,7 Sekunden) spielt sich eine reflektorische Bewegungskette zum Ösophagus hin ab, der Larynx bewegt sich nach vorne und oben, die Stimmlippen schließen, der oberer Ösophagussphinkter öffnet sich. Die danach folgende ösophageale Phase ist therapeutisch kaum zu beeinflussen.
Aufbauend auf dem Ergebnis der Schluckuntersuchung werden verschiedene therapeutische Ansätze kombiniert, deren Wirksamkeit nachgewiesen wurde (Govender et al.
2017). Es werden
kausale Therapieformen durch Inhibition oder Fazilitation motorischer Funktionen und zur Normalisierung der taktilen Sensibilität eingesetzt. Dazu zählen Berührung, Pinselung, thermische, olfaktorische, gustatorische Reize. Wichtig sind auch Mobilitationsübungen, z. B. Widerstandsübungen und autonome Bewegungsübungen.
Als
kompensatorische Therapien durch Haltungsänderung, insbesondere der Kopfposition, werden mit dem Patienten
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das Vorbeugen des Kopfes (verengt den Eingang der Luftwege, Zungengrund und Epiglottis werden nach hinten gedrängt, dies verhindert ein zu frühes Nach-hinten-Gleiten des Bolus),
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die Kopfneigung nach hinten (fördert den Bolustransport),
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die Kopfrotation zur kranken Seite (verschließt den Recessus piriformis dieser Seite, die Nahrung wird über die andere Seite transportiert) oder
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die Kopfkippung (bewirkt durch die Schwerkraft einen bevorzugten Transport auf der unten liegenden Seite) erarbeitet.
Von zentraler Bedeutung sind
Kompensationsmanöver, u. a.
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„effortful swallow“ (kraftvolles Schlucken, das die posteriore Zungenbewegung verstärkt),
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das Medelsohn-Manöver (willkürlich lange Hebung des Zungenbeins),
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das supraglottische Schlucken (Larynxverschluss auf Glottisebene vor und während des Schluckens, willkürliches Atemanhalten, Nachräuspern und Nachschlucken vor dem nächsten Weiteratmen) und
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das supersupraglottische Schlucken (zusätzlicher supraglottischer Verschluss durch Pressen).
Gerade in der Anfangsphase sind die meisten Patienten auch auf
Kompensation durch diätetische Maßnahmen angewiesen:
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Flüssigere Nahrung eignet sich gut bei Störungen der Kaubewegung, der lingualen Funktion, der pharyngealen Peristaltik und des pharyngoösophagealen Sphinkters.
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Breiigere Nahrung eignet sich eher bei verspäteter Auslösung des Schluckreflexes und bei unvollständigem Larynxverschluss.
Wichtig sind auch die Bolusgröße, Temperatur, Geschmack/Geruch. Durch Platzierung der Nahrung auf die Seite mit erhaltener Sensibilität oder weit nach hinten bei postoperativen Defekten der Zunge ist ebenfalls eine Kompensation möglich. Manche Patienten profitieren von Hilfsmitteln wie einem Becher mit Nasenkerbe zum Schlucken in Anteflexion, einer Schnabeltasse, Besteck mit dicken Griffen oder Teller mit rutschfestem Boden.
Rehabilitation von Stimmstörungen
Beim Gesunden
strömt zur
Stimmgebung Luft mit angepasstem Druck aus der Lunge durch die Luftröhre in den Kehlkopf. Zur Stimmgebung (
Phonation) werden die Stimmlippen im Kehlkopf einander genähert und in Schwingung versetzt. Oberhalb der Stimmlippen liegen die Taschenfalten, darüber die Epiglottis, die aryepiglottischen Falten und die akzessorischen Knorpel über den Stellknorpeln. All diese supraglottischen Strukturen werden zur physiologischen Stimmgebung nicht bewegt. Sie nähern sich beim Schlucken,
Husten oder zur Bauchpresse.
Stimmstörungen nach der operativen Behandlung kleiner Kehlkopftumoren sind in der Regel durch Substanzdefekte bedingt. Viele Tumoren entwickeln sich auf der Stimmlippe. Abhängig von der genauen Lokalisation und der Ausdehnung wird eine Resektion mit dem
Laser auf transoralem Weg vorgenommen. Gegenüber einer Operation mit kalten Instrumenten führt die Laserresektion zu strafferen Narben und durchschnittlich zu günstigeren stimmlichen Ergebnissen.
Für die Stimmbildung nach einer Operation kann dann häufig die verbliebene Stimmlippe der Narbe angenähert werden. Direkt postoperativ gelingt dies oft nicht, die meisten Patienten sind stimmlos (aphon). Direkt postoperativ sollte die Stimmbildung nicht forciert werden, sondern eine Abheilung auf Schleimhautniveau abgewartet werden. Unter klinischen Kontrolluntersuchungen sollte dann der geeignete Zeitpunkt zum Beginn der Stimmübungen (z. B. nach 2 oder 4 Wochen) festgelegt werden. In dieser Zeit sollte der Patient keinesfalls sich selbst überlassen werden, da die Gefahr droht, dass der Patient ungünstige Kompensationsversuche unternimmt, damit Gewebe schädigt oder sich Stimmmechanismen angewöhnt, die er sich später kaum noch abgewöhnen kann. Eine den morphologischen Bedingungen Rechnung tragende Technik trägt hingegen zur optimalen Narbenbildung bei.
Wenn die Verhältnisse es erlauben, sollte nach Stimmlippen(-teil-)resektion (Chordektomie) eine Stimmbildung auf Stimmlippenniveau angestrebt werden. Zu Beginn der Stimmrehabilitation lernt der Patient, die Strukturen auf Stimmlippenniveau einander zu nähern, ohne Druck auf anderen Ebenen zu erzeugen. Dies kann nur teilweise auditiv durch den Logopäden kontrolliert werden. Daher sind regelmäßige phoniatrische Untersuchungen des Stimmbildungsmechanismus mittels Stroboskopie notwendig. Im Verlauf der Therapie soll auch der Patient ein Gefühl dafür entwickeln, ob die Stimmgebung wie angestrebt erfolgt. Meist ist die narbige Ersatzstimmlippe nicht schwingungsfähig. Trotzdem kann ein schöner Stimmklang erreicht werden, wenn die gesunde Stimmlippe der Narbe über die ganze Länge des ligamentären Anteils der Narbe genähert werden kann. Wenn nur wenig Gewebe reseziert werden musste, stellt sich im Verlauf in günstigen Fällen auch auf der operierten Seite eine Schwingung ein.
Stellt sich hingegen im Verlauf der Wundheilung und der Stimmtherapie heraus, dass eine Stimmgebung auf Stimmlippenniveau nicht möglich ist, kommt eine Stimmgebung auf Taschenfaltenebene oder noch weiter kranial, also auf der Ebene der Arysuprastruktur und des Petiolus der Epiglottis, infrage. Auch letztere Strukturen sind von Schleimhaut überzogen, die zur Schwingung gebracht und damit zur Stimmgebung genutzt werden kann. Gegenüber der Taschenfaltenstimme ist die Stimmbildung auf der dritten Ebene jedoch im Durchschnitt weniger leistungsfähig und bedarf größerer Drücke.
Auch Patienten, die wegen eines
Larynxkarzinoms bestrahlt wurden, erreichen durch eine Stimmtherapie eine Besserung der Stimme und der gesundheitsbezogenen
Lebensqualität (Karlsson et al.
2015).
Insgesamt hat die Zahl der
kompletten Kehlkopfentfernungen in den vergangenen 20 Jahren deutlich abgenommen. Gegenwärtig leben in Deutschland über 20.000 Menschen ohne Kehlkopf (Gollnik
2013). Nach der vollständigen Entfernung des Kehlkopfes erlernt der Patient eine Ersatzstimmgebung (Lorenz
2017). Am häufigsten wird dazu operativ eine
Ventilprothese (Stimmprothese
) zwischen Luft- und Speiseröhre eingesetzt. Bei
Verschluss des Tracheostomas mit dem Finger oder über ein Ventil, auf das der Patient mit dem Finger drückt, wird die Ausatemluft in die Speiseröhre umgelenkt und führt zu einer Schwingung der Schleimhaut am oberen Ösophagussphinkter, der „Pseudoglottis“. Der so erzeugte Ton ist vor allem am Anfang tief und rau. Der Patient muss die richtige Koordination und den richtig dosierten Aufpressdruck lernen. Ein wesentlicher
Nachteil dieser Ersatzstimme ist, dass immer eine Hand zum Zuhalten des Tracheostomas gebraucht wird und die Hand durch das Zuhalten oft mit Schleim benetzt wird, also z. B. nicht mehr zum Gruß genutzt werden kann. Dies ist durch den Einsatz eines
„Freehands“-Ventils vermeidbar. Hier steuert der Patient über den Anblasedruck ein Ventil am Tracheostoma und kann so auch unauffälliger sprechen. Diese Art der Stimmrehabilitation gelingt leider nur wenigen Kehlkopflosen.
Manchen Patienten setzt man aus unterschiedlichen Gründen keine Stimmprothese ein. Sie lernen dann die Ruktus- oder Ösophagusstimme. Bei dieser Technik wird am Ende der Einatmung (durch die Halsöffnung) Luft aus der Mundhöhle durch die Speiseröhre in Richtung Magen gedrückt oder eingesogen, die dann kontrolliert zur Stimmgebung am Ösophaguseingang abgegeben wird. Bei diesem Prozess wird also wie beim Einsatz einer Ventilprothese der Ersatzstimmklang mit einem „kultivierten Rülpsen“ gebildet. Für viele Patienten ist genau das das Problem. Sie scheuen sich, auf diese Weise Töne zu erzeugen. Außerdem ist diese Stimmgebung schwierig zu erlernen. Dementsprechend muss der anleitende Logopäde viel Einfühlungsvermögen mitbringen und die Atmosphäre möglichst entspannt sein. Während mittels Ventilprothese fast alle Patienten lernen, Töne zu bilden, gelingt dies einem Drittel der Laryngektomierten ohne Ventilprothese mittels Ruktus gar nicht, einem Drittel nur eingeschränkt. Einzelne Patienten eignen sich diese Stimmbildung jedoch so perfekt an, dass es Laien nicht merken.
Eine weitere Möglichkeit der Stimmrehabilitation nach Laryngektomie ist das Pseudoflüstern. Der Laryngektomierte kann keine Luft in den Mund befördern und so z. B. kein „h“ und keine Verschlusslaute wie „b“ bilden. Daher ist Pseudoflüstern nur sehr eingeschränkt zu verstehen. Deshalb weichen viele Patienten in dieser Situation auf Aufschreiben aus.
Besser zu verstehen sind dagegen Patienten, die einen
Elektrolarynx, z. B. ein Servox®, einsetzen. Ein Elektrolarynx ist ein Apparat von der Größe einer Taschenlampe, den der Patient auf die Haut drückt und über einen Knopf aktiviert. Dazu muss der Patient eine geeignete Anpressstelle finden, häufig am Hals, manchmal auch an der Wange. Der Ton sollte in den Pausen zwischen den Wörtern unterbrochen werden, um die Verständlichkeit zu erhöhen. Manche Produkte erlauben auch eine Veränderung des Grundtons durch den Patienten, z. B. eine Erhöhung des Tons am Ende eines Fragesatzes. Auch bei Patienten, die diese Technik gut beherrschen, klingt diese Stimme künstlich und wird von der Umgebung als fremdartig wahrgenommen werden (Marx
2002).
Rehabilitation des Riechens nach Laryngektomie
Patienten nach Laryngektomie
können nicht mehr durch die Nase oder den Mund Luft holen, da sie über das Tracheostoma atmen. Das sogenannte
höfliche Gähnen erlaubt Halsatmern jedoch unabhängig von der Atemtätigkeit Luft durch den Nasen-Rachen-Raum einzusaugen und wieder abzugeben. Hierbei wird der Patient aufgefordert, den Mund zu schließen und die Zunge, aber auch den Unterkiefer in einer koordinierten Aktion nach unten zu bewegen. Dadurch entsteht ein Unterdruck in der Mundhöhle und die Luft fließt durch die Nase ein. Dies entspricht der Bewegung, wenn man zu
gähnen gezwungen ist, aber gegenüber anderen Leuten dies nicht zu erkennen geben will. Laryngektomierte sollten das
Riechen trainieren, weil es die
Lebensqualität und Genussfreudigkeit fördert, beim Essen oder Wandern in der Natur, aber auch für die vielen anderen Situationen, in denen man gerne riechen möchte, was man sieht oder hört oder erlebt (Braun et al.
2006).
Dazu kann auch der
Riechtrainer Bad Lippspringe eingesetzt werden. Er besteht aus einem Kolben, dessen Aktivität je nach Luftmenge, die der Patient mit dem höflichen
Gähnen mobilisiert, auf und ab bewegt wird. Der Gebrauch wird in einem YouTube-Video (
https://www.youtube.com/watch?v=wr0SkPalUUA) plastisch demonstriert. Parallel zum Training wird das Riechen im Alltag geübt, wobei die Erinnerung und Vorstellung der Gerüche genutzt wird, um nicht nur die Riechzellen der Nase, sondern auch die neuronalen Verknüpfungen des Gehirns zu aktivieren.
Bestimmte Tätigkeiten können von Patienten ohne Kehlkopf nicht mehr ausgeführt werden. Sie müssen inhalative Belastungen vermeiden. Nur wenn sie stimmlich sehr gut rehabilitiert sind, können sie noch Berufe mit der Notwendigkeit der verbalen Kommunikation ausüben. Wegen der Riechstörung sind auch die Chemie- und Elektroindustrie ein eher ungünstiger Bereich. Durch den Verlust der Bauchpresse können keine schweren Gegenstände getragen werden. Hygienische Gesichtspunkte spielen auch eine Rolle, so ist mit einem Tracheostoma das Zubereiten von Nahrung für Gäste nicht denkbar.
Möchten Patienten nach einer Laryngektomie oder mit einem Tracheostoma schwimmen, dann muss hierzu ein Wassertherapiegerät (Larchel) angepasst werden, also eine blockbare Kanüle mit einem Schlauch bis zum Mund oder seitlich des Kopfes bis über die Wasseroberfläche. Der Gebrauch des Gerätes muss mit dem Patienten ausreichend geübt werden.