Hintergrund
Die onkologische Rehabilitation
zielt darauf ab, körperliche und psychosoziale Belastungen sowie Einschränkungen der Funktionalität infolge der Krebserkrankung und ihrer Behandlung zu identifizieren und, sofern möglich, gezielt zu behandeln. Übergeordnetes Ziel ist es dabei, den Patienten eine psychosoziale Reintegration und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Aufgrund steigender Inzidenzraten und sinkender Mortalitätsraten (
Robert Koch-Institut 2016) gewinnt die onkologische Rehabilitation zunehmend an Bedeutung. Konzeptionelle Basis für die Rehabilitation ist die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF), die auch für die onkologische Rehabilitation ein hilfreiches Modell zum Verständnis von somatischen und psychischen Folgeproblemen darstellt (Bornbaum et al.
2013; Becker et al.
2010).
Psychosoziale Belastungen in Folge der Krebserkrankung
Eine Krebserkrankung bedeutet für viele Patienten eine schwere seelische Krise, die die Existenz tief erschüttert und zahlreiche Veränderungen im persönlichen und sozialen Leben nach sich zieht. Im Verlauf der Erkrankung (von der Diagnosestellung, Primärbehandlung, Rehabilitation bis zur Nachsorge) können je nach Schweregrad der Erkrankung vielfältige
psychosoziale Belastungen auftreten, die in den folgenden Bereichen zusammengefasst werden können:
-
Emotionale Belastungen: Ängste, Depression,
Aggression, Hoffnungslosigkeit, Sinnverlust, Sinnfindung, Spiritualität, Selbstwert- und Identitätsprobleme etc.
-
Probleme in Partnerschaft und Familie: Kommunikations- und Beziehungsprobleme, Rollenveränderungen, Sexualität etc.
-
Berufliche Probleme: Einschränkung und Veränderung der beruflichen Situation, Frühberentung etc.
-
Soziale Probleme: Isolation, Unsicherheit im Umgang mit Freunden und Bekannten, Veränderung von Freizeitverhalten etc.
Viele psychosoziale Belastungen, insbesondere die mittel- und langfristigen Auswirkungen der Krebserkrankung und -behandlung, werden den Betroffenen häufig erst in der Phase der Rehabilitation und Nachsorge bewusst. Deshalb empfiehlt die S3-Leitlinie Psychoonkologie (AWMF
2014) auch in der Rehabilitation den Einsatz von
Screening-Instrumenten zur Erfassung der psychosozialen Belastung sowie des psychoonkologischen Beratungs- und Behandlungsbedarfs, um individuell und bedarfsgerecht psychoonkologische Hilfestellungen anbieten zu können.
Ziele und Konzepte psychosozialer Rehabilitation in der Onkologie
Die
psychosoziale Rehabilitation ist ein integrativer Bestandteil der medizinischen Rehabilitation und verfolgt das Ziel, neben Informationsvermittlung und psychosozialer Beratung die Krankheitsverarbeitung zu verbessern und die
Lebensqualität sowie die Anpassung an die durch die Krankheit veränderte Lebenssituation zu fördern. Psychosoziale Rehabilitation ist eine
interdisziplinäre Aufgabe, bei der verschiedene Berufsgruppen und Fachdisziplinen zusammenarbeiten.
Die
Ziele der psychosozialen Rehabilitation von Krebspatienten fasst die nachfolgende Übersicht zusammen. Neben den spezifisch psychoonkologischen Zielen der Verbesserung der psychischen Befindlichkeit, Krankheitsverarbeitung und
Lebensqualität stehen auch die Diagnostik und die Behandlung von Funktionsstörungen (etwa im Bereich der neuropsychologischen Leistungseinschränkungen, bei Fatigue oder bei einer Schmerzproblematik) im Mittelpunkt psychosozialer Rehabilitationsbemühungen. Entsprechend der übergeordneten Definition der Rehabilitation soll dadurch die Teilhabe am öffentlichen und sozialen Leben in den verschiedenen Lebensbereichen Familie, Freizeit, Beruf und soziales Umfeld ermöglicht werden.
Im Hinblick auf die oben genannten Zielsetzungen sollten die Partner und Angehörigen je nach Setting und Rahmenbedingungen mit in die psychosoziale Rehabilitation einbezogen werden.
Versorgungsstrukturen psychosozialer Rehabilitation
Entsprechend den vorliegenden Behandlungsleitlinien und Therapiestandards in der Rehabilitation sind psychosoziale Interventionen integraler Bestandteil medizinischer Rehabilitationsprogramme (DRV
2016; Reese et al.
2017). Im Sinne der
Frührehabilitation beginnt die psychosoziale Rehabilitation schon während der
Akutbehandlung (s. folgende Übersicht), in der eine frühzeitige Information und Beratung über psychosoziale Angebote erfolgt sowie mögliche Probleme der Krankheitsverarbeitung sowie psychische Komorbidität bereits nach Diagnosestellung und während der laufenden Primärbehandlung diagnostisch abgeklärt werden. Durch die Verkürzung der stationären Liegezeiten ist es erforderlich, möglichst frühzeitig entsprechende psychosoziale Beratungen und Interventionen anzubahnen und die Patienten in entsprechende rehabilitative oder nachsorgende psychosoziale Angebote zu vermitteln. Diese Aufgaben werden in der Regel durch die psychoonkologischen Dienste in den Akutkrankenhäusern übernommen. Durch die zunehmende Etablierung von
zertifizierten Behandlungszentren (Organkrebszentren oder onkologische Zentren), in denen eine fachlich qualifizierte psychoonkologische Versorgung gewährleistet werden muss, haben sich gerade in den letzten Jahren die Rahmenbedingungen deutlich verbessert (Bergelt und Welk
2007).
In Deutschland liegt der Schwerpunkt der onkologischen Rehabilitation im Bereich der
stationären Versorgung durch spezialisierte Rehabilitationskliniken (Koch et al.
2006; Bergelt und Welk
2007; Gerdes et al.
2006; Hellbom et al.
2011), während die
ambulante Rehabilitation, die sowohl von Rehabilitationskliniken als auch von ambulanten Rehabilitationszentren angeboten werden kann, von geringerer Bedeutung ist (Koch und Morfeld
2004; Deutsche Rentenversicherung Bund
2018a). Die
ambulante psychoonkologische und psychosoziale Beratung (s. vorhergehende Übersicht) wird in der Regel über psychosoziale Krebsberatungsstellen, ambulante Rehabilitationseinrichtungen sowie vereinzelt auch über Ambulanzen von Akut- oder Rehabilitationskliniken geleistet, die jedoch hinsichtlich der Versorgungsdichte starke regionale Unterschiede aufweisen. Durch ein Förderprogramm der Deutschen Krebshilfe konnte für die
psychosozialen Krebsberatungsstellen eine deutliche Strukturverbesserung erreicht werden (Giesler et al.
2015).
Eine ambulante psychotherapeutische Betreuung ist nur für einen Teil der Patienten erforderlich; hier besteht je nach Versorgungsstruktur das Problem, zeitnah einen Therapieplatz für den Patienten zu finden, da sich nur wenige niedergelassene Psychotherapeuten auf diese Klientel spezialisiert haben. Selbsthilfegruppen übernehmen Aufgaben der nicht professionellen psychosozialen Betreuung in der Phase der Rehabilitation und Nachsorge, sind jedoch im Falle von komplexeren psychosozialen Problemstellungen überfordert. Gesundheitsförderungsprogramme von Krankenkassen oder Volkshochschulen ergänzen das ambulante psychosoziale Nachsorgeangebot.
Psychoonkologische Interventionen in der Rehabilitation
Im Rahmen
der
Qualitätssicherung wurden von der Deutschen Rentenversicherung modellhaft für Brustkrebspatientinnen als Hauptzielgruppe der stationären onkologischen Rehabilitation
evidenzbasierte Therapiestandards für die stationäre Rehabilitation definiert (DRV
2016). Hier sind auch psychoonkologische Maßnahmen wie psychoonkologische Einzeltherapie, Patientenschulung, Entspannungstherapie sowie künstlerische Therapien integriert. Wenngleich diese Therapiestandards primär für Brustkrebspatientinnen erstellt wurden, haben sie auch für andere onkologische Diagnosegruppen in der Rehabilitation Relevanz.
Ein Fokus der
psychosozialen Rehabilitation von Krebspatienten allgemein liegt heute in der Behandlung
Hier werden neben Einzelberatung und -behandlung auch Gruppeninterventionen und Trainingsgruppen durchgeführt, im Bereich der Fatigue auch interdisziplinär ausgerichtet und kombiniert mit Elementen der Sport- und
Bewegungstherapie (Du et al.
2015; deVries et al.
2011).
Innerhalb der letzten 20 Jahre wurden in der Psychoonkologie
eine Vielzahl von Interventionen entwickelt, die auch in der psychosozialen Rehabilitation Anwendung finden (AWMF
2014). Als
psychoonkologische Interventionen stehen neben psychologischen Einzelgesprächen, themenzentrierte oder psychoedukative Gruppenangebote, unterschiedliche Entspannungstechniken (u. a.
autogenes Training, Imaginationsverfahren) (Faller et al.
2013) sowie künstlerische Therapien (Musik-, Kunst-, Tanz- oder Maltherapie) (Weis und Gruber
2021) zur Verfügung.
Psychoonkologische Gruppenangebote haben im Rahmen der Stärkung der Patientenkompetenz und als Angebot zur Patientenschulung in der psychosozialen Rehabilitation einen hohen Stellenwert. Erste
manualisierte Programme für eine auf die spezifischen psychosozialen Belange von Krebspatienten ausgerichtete Schulung wurden vorgelegt und können sowohl in der stationären als auch in der ambulanten Rehabilitation eingesetzt werden (Weis et al.
2021). Angebote zur Förderung des Gesundheitsverhaltens und bei Bedarf der Änderung des Lebensstils (Ernährung, Bewegung, Umgang mit Suchtmitteln wie
Rauchen und Alkohol) sind wichtige Bausteine rehabilitativer Programme. Die folgende Übersicht zeigt die wesentlichen
Dimensionen einer spezifischen Schulung für Krebspatienten.
Für die noch im Erwerbsleben stehenden Krebspatienten ist die
Förderung der beruflichen Integration eine wichtige Teilaufgabe der psychosozialen Rehabilitation (Böttcher et al.
2012). Eine erfolgreiche berufliche Reintegration
wirkt sich positiv auf die
Lebensqualität der Patienten aus und ist auch im Hinblick auf die Krankheitsverarbeitung von großer Bedeutung (Mehnert
2010). Unter dem Konzept der
medizinisch beruflich orientierten Rehabilitation
(MBOR) hat sie auch Eingang in die stationäre onkologische Rehabilitation gefunden (Fauser et al.
2019), wird jedoch in der Onkologie im Vergleich zu anderen Indikationsgruppen eher vernachlässigt (Rick et al.
2012). Die Entscheidung, inwieweit eine Teilzeit- oder Vollzeiterwerbstätigkeit wieder aufgenommen werden kann, ist durch eine gezielte Sozialberatung, sozialmedizinische Begutachtung und ggf. psychologische Beratung gemeinsam mit den Patienten zu treffen. Die
Aufgaben der psychoonkologischen Beratung liegen hierbei vorrangig in
-
der Stärkung der Motivation,
-
der Bearbeitung von individuellen und sozialen Konfliktsituationen am Arbeitsplatz,
-
der Stärkung der kommunikativen Kompetenz im Umgang mit Kollegen und Vorgesetzten sowie
-
der Überwindung von Barrieren aufgrund krankheitsbedingter Abwesenheitszeiten.
Forschung in der psychosozialen Rehabilitation und zukünftiger Forschungsbedarf
Die Bemühungen um eine
Qualitätssicherung und Evaluation rehabilitativer Maßnahmen auch im Bereich der onkologischen Rehabilitation haben dazu beigetragen, dass sich der wissenschaftliche Kenntnisstand der Rehabilitationsforschung in den letzten Jahren deutlich erweitert hat (Weis und Giesler
2018) und die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der Rehabilitation insgesamt deutlich verbessert werden konnte (Bonn et al.
2017; Deutsche Rentenversicherung Bund
2018b).
Die für die psychosoziale Rehabilitation von Krebskranken wichtigsten
Forschungsinhalte lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
-
Entwicklung, Erprobung und Evaluation psychoonkologischer Interventionen
-
Analyse des Bedarfs, der Inanspruchnahme, des Prozesses und der Struktur von Rehabilitationsmaßnahmen
-
Integration und Vernetzung der verschiedenen Versorgungseinrichtungen und Rehabilitationskonzepte (stationär und ambulant)
-
Auswirkungen der Rehabilitationsmaßnahme auf die Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit und soziale Integration
Evaluationsstudien im Bereich der onkologischen Rehabilitation zeigen, dass durch entsprechende Angebote Effekte im Bereich der
Lebensqualität und Krankheitsverarbeitung erzielt werden, die jedoch in Abhängigkeit von der weiteren Entwicklung der Erkrankung in Katamneseuntersuchungen nur teilweise stabil bleiben (Weis et al.
2006). Zugleich machen derartige Studien deutlich, wie wichtig die
ambulante psychosoziale Nachsorge für Krebspatienten ist.
Eine vordringliche Aufgabe der onkologischen Rehabilitationsforschung ist die Weiterentwicklung und differenzielle Indikationsstellung rehabilitativer Interventionen und deren Anpassung an sich fortlaufend verändernde Krankheitsverläufe, die sich verändernden Möglichkeiten der Akutbehandlung und die unterschiedlichen Formen der krankheits- und behandlungsbedingten Einschränkungen. Die Klärung der differenziellen Indikationsstellung von verschiedenen psychosozialen Interventionen ist eine wichtige Zukunftsaufgabe der Rehabilitationsforschung in diesem Bereich. Wenn psychoonkologische Interventionen gezielt helfen sollen, ist die individuelle Abklärung des Bedarfs und der Indikationsstellung von zentraler Bedeutung, denn nicht jede Form der Intervention ist für alle Patienten gleichermaßen geeignet.
Für die wachsende Gruppe der Überlebenden einer Krebserkrankung, die trotz erfolgreicher Behandlung unter psychosozialen Langzeitfolgen leiden, ist zu klären, inwieweit die onkologische Rehabilitation auch für diese Zielgruppe Versorgungsaufgaben übernehmen kann (Alfano et al.
2012).
Ausblick
Psychoonkologische Beratungs- und Behandlungsangebote für Krebspatienten stellen heute einen wichtigen Teil der onkologischen Rehabilitation dar. Aufgrund von Veränderungen im Versorgungssystem beginnt die psychosoziale Rehabilitation bereits in der Phase der Akutbehandlung, wobei der Schwerpunkt der psychoonkologischen Behandlung in nachstationärer rehabilitativen Betreuung liegt. Inzwischen steht eine Vielzahl spezifischer psychosozialer Interventionen in der Rehabilitation zur Verfügung. Durch zunehmende Anforderungen der Flexibilisierung werden neben stationären Rehabilitationsangeboten auch ambulante Angebote umgesetzt und Überlegungen angestellt, inwieweit die in stationären Rehabilitationsprogrammen erreichten Erfolge hinsichtlich Gesundheitsförderung und Krankheitsverarbeitung durch nachbetreuende Schulungsprogramme sicherzustellen oder zu verstetigen sind.
Wichtigste Aufgabe für die Zukunft wird es sein, für die Zielgruppe der Langzeitüberlebenden rehabilitative Programme zu konzipieren und die psychosozialen, medizinischen und beruflichen Teilaspekte in ihrer wechselseitigen Abstimmung zu verbessern. Die zukünftige Forschung muss sich verstärkt Fragen der Wirkmechanismen einzelner Interventionen zuwenden, damit im Bereich Rehabilitation und Nachsorge bedarfsgerechte Interventionsangebote vorgehalten werden können, die durch eine entsprechende Kostenübernahme im Gesundheitswesen auch finanziell abgesichert sind.