Zentralvenöse Katheter
(ZVK, „central venous catheter“, CVC)
spielen in der Versorgung von Tumorpatienten eine wesentliche Rolle. Da BSI bei Tumorpatienten in bis zur Hälfte der Fälle mit ZVK assoziiert sind, bezieht sich der vorliegende Textabschnitt im Wesentlichen auf ZVK-Infektionen (Raad et al.
2007; Zakhour et al.
2016). Hierbei stehen BSI bei ZVK, die für den Kurzeitgebrauch gedacht sind, wie z. B. einzelne Therapiezyklen bei akuten
Leukämien, im Vordergrund (Mermel et al.
2009; O’Grady et al.
2011). Die Definitionen und die Diagnostik von Infektionen unterscheiden sich nicht grundlegend zwischen diesen Kurzzeit-ZVK-Systemen und getunnelten oder chirurgisch implantierten Kathetern (z. B. Hickman-Kathetern, Portkathetern), jedoch die Epidemiologie der Erreger und das Management von Infektionen.
Epidemiologie
Bei Patienten mit FN stellen BSI mit 15–20 % einen relevanten Anteil der dokumentierten Infektionen dar, wobei die Inzidenz jedoch wesentlich von dem Vorliegen individueller Risikofaktoren bedingt wird (Marchetti und Calandra
2002; Maschmeyer und Rolston
2015). Die in der Literatur angegebenen Häufigkeiten von ZVK-Infektionen variieren zudem in Abhängigkeit der angewandten Definition, den diagnostischen Methoden und der ZVK-Liegedauer (Chaftari et al.
2016; Schalk und Fischer
2016). Hierdurch wird die Vergleichbarkeit epidemiologischer Daten erschwert. Bei Patienten mit soliden Tumoren sind BSI und Infektionen bedingt durch Kurzzeit-ZVK deutlich seltener als bei Patienten mit hämatologischen Neoplasien. Unter letzteren kommt es bei Patienten mit
Leukämien häufiger zu ZVK-Infektionen als bei Patienten mit anderen hämatologischen Neoplasien, wie z. B.
Lymphomen oder dem Multiplem Myelom (Zakhour et al.
2016).
Bei Anwendung der in Tab.
7 genannten diagnostischen Kriterien liegt die Rate für
definitive CRBSI bei Patienten mit größtenteils hämatologischen Neoplasien bei 4,6 %, entsprechend einer Inzidenz von 2,7/1000 ZVK-Tagen (Schalk et al.
2017). Werden
definitive und
wahrscheinliche CRBSI berücksichtigt, beträgt die CRBSI-Rate bei diesen Patienten 11,2 % und die CRBSI-Inzidenz 6,8/1000 ZVK-Tage. Im Median treten ZVK-Infektionen am 14. ZVK-Liegetag auf (Schalk et al.
2020).
Typische Erreger von BSI bei Tumorpatienten sind in Tab.
8 dargestellt.
Tab. 8
Typisches Erregerspektrum von BSI bei Tumorpatienten. (Conn et al.
2017; Heinz et al.
2017)
| Koagulase-negative Staphylococcus spp. |
α-hämolysierende („vergrünende“) Streptococcus spp. |
Enterococcus spp. |
Staphylococcus aureus |
Gramnegative Bakterien (ca. 20–30 %) | Escherichia coli |
Klebsiella spp. |
Pseudomonas aeruginosa |
Enterobacter-cloacae-Komplex |
Hefepilze (ca. 1–5 %) | Candida albicans |
Candida glabrata |
Diagnostik
Zur Diagnosestellung einer BSI müssen vor Beginn einer Antibiotikatherapie
mindestens 2 Blutkultursets (Aerobier, Anaerobier) von
verschiedenen Stellen entnommen werden. Bei Vorhandensein eines ZVK müssen
Blutkulturen aus einer peripheren Vene
und aus dem Katheter entnommen werden (Bouza et al.
2007)
. Da zumeist Multilumen-ZVK verwendet werden, sollten aus
allen ZVK-Schenkeln Blutkulturen entnommen werden, da ansonsten bis zu einem Drittel ZVK-Infektionen nicht diagnostiziert werden (Planes et al.
2016). Nach Einleitung einer Antibiotikatherapie nimmt die Kulturpositivität signifikant ab (Ritchie et al.
2007; Feld
2008).
Der diagnostische Nutzen von
wiederholten Blutkulturen bei Patienten mit persistierender FN ist meist gering. Jedoch sollten bei anhaltender FN und Verdacht auf eine neu aufgetretene BSI wiederholt
Blutkulturen entnommen werden (Kimura et al.
2017; Heriot et al.
2018).
Trotz der Fortschritte in der Molekulardiagnostik sind
Blutkulturen immer noch der
Goldstandard in der Diagnose von BSI bei Tumorpatienten (Heinz et al.
2017; Greco et al.
2018; Idelevich et al.
2018; Kochanek et al.
2019). Mittelfristig ist jedoch davon auszugehen, dass innovative diagnostische Ansätze, z. B. mittels der kompletten Sequenzierung freier DNA aus dem peripheren Blut, klassische mikrobiologische Verfahren in der Diagnostik von
Sepsis und BSI ergänzen und ggf. ersetzen werden (Grumaz et al.
2016,
2019).
Da
Candida-BSI bei Patienten mit hämatologischen Neoplasien häufiger als bei anderen Patientengruppen auftreten und hier auch zu einer höheren Sterblichkeit führen, kann bei diesen Patienten eine zusätzliche
Blutkultur mit einem speziellen Pilzmedium abgenommen werden (Miller et al.
2018).
Für die
Diagnose einer definitiven CRBSI ist allgemein akzeptiert, dass die Zeit-zur-Positivität („differential-time-to-positivity“, DTP) für die ZVK-Blutkulturen mindestens 2 Stunden beträgt, d. h., die zentralvenös entnommenen
Blutkulturen werden mindestens 2 Stunden vor den peripheren Blutkulturen positiv (Tab.
7). Diese Methode weist eine
Sensitivität von 81 % und eine
Spezifität von 92 % auf und ist für verschiedene Patientengruppen, wie z. B. für neutropenische Tumorpatienten oder für Patienten nach HSZT, validiert (Seifert et al.
2003; Raad et al.
2004; Abdelkefi et al.
2005). Dieser DTP-Grenzwert von 2 Stunden gilt nicht für
Candida spp. (≥2,5 Stunden für Non-glabrata-
Candida spp. bzw. ≥6 Stunden für
Candida glabrata) (Park et al.
2014). Zudem ist die DTP-Methode aufgrund der niedrigen Testgüte als alleiniges Diagnosekriterium für ZVK-Infektionen durch
S. aureus nicht ausreichend (Kaasch et al.
2014). Bei Nachweis von
Candida spp. oder
S. aureus in Blutkulturen, und Vorhandensein eines ZVK, spielt die DTP keine wesentliche Rolle, da der ZVK in jeden Fall entfernt werden sollte (Jung und Rieg
2018; Mellinghoff et al.
2018). Weitere Diagnosekriterien für die verschiedenen ZVK-Infektionen sind in Tab.
7 dargestellt.
Therapie
Die
initiale empirische antimikrobielle Therapie der BSI sollte den Grundzügen der Therapie der FN bzw. der
Sepsis folgen (Abb.
1,
2,
3) (Heinz et al.
2017; Kochanek et al.
2019). Trotz der Tatsache, dass BSI zumeist durch grampositive Erreger verursacht werden, zeigte sich, dass eine Vancomycin-basierte empirische Antibiotikatherapie
gegenüber einer β-Lactam-Monotherapie keinen Vorteil aufweist (EORTC
1991; Cometta et al.
2003; Beyar-Katz et al.
2017).
Bei
Nachweis eines verursachenden Erregers sollte die
antimikrobielle Therapie resistenzgerecht angepasst werden. Bei Patienten mit ZVK-Infektion, die nach ZVK-Entfernung und adäquater antimikrobieller Antibiotikatherapie zeitgerecht entfiebern, kann auf eine Anpassung der Therapie nach Erhalt des Resistogramms verzichtet werden (Hentrich et al.
2014).
Auch bei neutropenischen Patienten kann die
antimikrobielle Therapie meist nach 7 Tagen beendet werden, falls keine Bakteriämie und keine klinische Infektionszeichen mehr vorliegen und der Patient mindestens 4 Tage lang fieberfrei ist (Tab.
4) (Schmidt-Hieber et al.
2019a). Manche Autoren empfehlen eine wiederholte Abnahme von
Blutkulturen und bestimmen die Dauer der antimikrobiellen Therapie von dem Zeitpunkt, wenn die Blutkulturen erstmals negativ sind (Mermel et al.
2009).
Kontrollblutkulturen bis zur Sterilität sind essenziell bei BSI durch
S. aureus und
Candida spp. (Jung und Rieg
2018; Mellinghoff et al.
2018). Da Koagulase-negative
Staphylokokken oft eine niedrige Virulenz aufweisen oder Kontaminanten sind, ist eine Therapiedauer von 5–7 Tagen hier ausreichend (Zakhour et al.
2016). Eine längere Therapiedauer von mindestens 14 Tagen ab Sterilität der
Blutkultur ist für
S. aureus- und
Candida-BSI erforderlich (Raad und Sabbagh
1992). Dies trifft auch zu, wenn bei Vorliegen einer ZVK-Infektion der Katheter entfernt wurde (Hentrich et al.
2014; Zakhour et al.
2016).
BSI durch Methicillin-sensible S. aureus werden meist mit Flucloxacillin behandelt, alternativ kann bei Penicillin-Unverträglichkeit Cefazolin eingesetzt werden.
Eine Blutstrominfektion durch Methicillin-sensible Staphylococcus aureus wird mit Flucloxacillin behandelt und erfordert eine Therapiedauer von mindestens 14 Tagen.
Bei
MRSA-BSI oder
Anaphylaxie auf Penicilline stellen Daptomycin und
Vancomycin therapeutische Optionen dar. Sollte bei grampositiven
Bakterien ein Glykopeptid erforderlich sein, so erwies sich Daptomycin gegenüber Vancomycin
hinsichtlich dem klinischen und dem mikrobiologischen Therapieansprechen als vorteilhafter (Chaftari et al.
2010).
Bei BSI durch gramnegative
Bakterien ist eine Therapiedauer von 7–14 Tagen empfohlen (Hentrich et al.
2014; Zakhour et al.
2016). BSI durch
S. maltophilia sollten mindestens 14 Tage mit Cotrimoxazol behandelt werden (Hentrich et al.
2014).
BSI durch ESBL-produzierende Erreger können ebenfalls gehäuft bei Patienten mit Tumorerkrankungen auftreten und sind oft mit einer schlechten Prognose assoziiert (Ng et al.
2016). Gudiol et al. verglichen verschiedene Nicht-Carbapenem-β-Lactam-Antibiotika (teils kombiniert mit einem β-Lactamase-Inhibitor) mit Carbapenem
-Antibiotika zur Therapie von Infektionen bei Patienten mit ESBL-Bildnern (Gudiol et al.
2017). Hier zeigte sich kein signifikanter Unterschied in der Sterblichkeit. Somit könnten Nicht-Carbapenem-β-Lactam-Antibiotika (ggf. kombiniert mit einem β-Lactamase-Inhibitor) eine wirksame Carbapenem-sparende Alternative zur Therapie von Infektionen durch ESBL-produzierende Erreger darstellen (Benanti et al.
2019).
Eine weitere retrospektive Studie verglich Carbapeneme mit verschiedenen anderen
Antibiotika (v. a. Fluorchinolone und Aminoglykosid
e) zur Therapie von Infektionen durch ESBL-Bildner. Auch hier zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Therapieansätzen, wobei der Anteil der Patienten mit Neutropenie in dieser Studie nicht angeben war (Palacios-Baena et al.
2017).
Eine kürzlich veröffentlichte Studie legt nahe, dass Piperacillin/Tazobactam gegenüber Meropenem
für die gezielte Behandlung von Patienten mit BSI durch
E. coli oder
Klebsiella pneumoniae, die resistent gegen Ceftriaxon sind, unterlegen sein könnte (Harris et al.
2018). Somit könnte eine Meropenem-basierte antibiotische Behandlung über 7 Tage in dieser Situation die beste Option sein. Echinocandine sind die Antimykotika der Wahl bei
Candida-ZVK-Infektionen (Reboli et al.
2007; Mellinghoff et al.
2018).
Bei Patienten mit klinischer Verschlechterung,
Sepsis/septischem Schock, schweren Komplikationen (z. B.
Endokarditis, septische Thrombose,
Abszess,
Osteomyelitis) oder bei Nachweis von MDR-Erregern als Ursache der ZVK-Infektion sollte der ZVK grundsätzlich entfernt werden (Hentrich et al.
2014; Burnham et al.
2018). Der ZVK sollte ebenfalls umgehend entfernt werden bei ZVK-Infektionen durch
S. aureus oder
Candida spp.
, da sich die Sterblichkeit ansonsten signifikant erhöht (Fowler et al.
1998,
2005; Nucci et al.
1998; Liu et al.
2009; El Zakhem et al.
2014).
Die Entfernung eines zentralvenösen Katheters ist bei Patienten mit Blutstrominfektionen durch S. aureus oder Candida spp. erforderlich.
Auch wenn in einer Cochrane-Analyse mit 73 Studien nicht alle Untersuchungen einen Vorteil für das
Entfernen des ZVK bei Insolation von
Candida spp. zeigten, wies keine der untersuchten Studien einen Vorteil für das Belassen des ZVK nach (Janum und Afshari
2016). Auch bei ZVK-Infektionen durch gramnegative
Bakterien kann ein frühzeitiges Entfernen des ZVK die 30-Tage-Mortalität verringern, insbesondere wenn MDR-Erreger
die Ursache sind (Lee et al.
2018). Die Entfernung des ZVK innerhalb von 3 Tagen ist in dieser Situation der entscheidende protektive Faktor gegen Infektionsrezidive (Hanna et al.
2004). Neben den genannten Erregern sollte der ZVK auch bei Nachweis von
S. maltophilia entfernt werden (Hentrich et al.
2014; Zakhour et al.
2016).
Bei klinisch stabilen Patienten mit unkomplizierter ZVK-Infektion (Therapieansprechen innerhalb von 3 Tagen) ohne Nachweis einer der o. g. Erreger (d. h. z. B. Patienten mit BSI durch Koagulase-negative
Staphylokokken) muss der ZVK nicht zwingend entfernt werden (Hentrich et al.
2014). Dennoch reduziert eine ZVK-Entfernung auch hier die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs der Infektion (Coyle et al.
2004; Raad et al.
2009). Wird der ZVK belassen, sollten serielle
Blutkulturen entnommen und der ZVK entfernt werden, wenn die Blutkulturen
trotz adäquater
antimikrobieller Therapie nicht innerhalb von 3 Tagen steril geworden sind (Zakhour et al.
2016).
Falls das Risiko für eine ZVK-Neuanlage zu hoch eingeschätzt wird (z. B. bei transfusionsrefraktärer
Thrombozytopenie), kann im Einzelfall ein ZVK-Wechsel über einen Führungsdraht erwogen werden. Neben der adäquaten systemischen
antimikrobiellen Therapie sollten dann jedoch antimikrobiell beschichtete ZVK verwendet werden (Hentrich et al.
2014; Zakhour et al.
2016).