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Alkoholmissbrauchskenngrößen

Verfasst von: T. Arndt
Alkoholmissbrauchskenngrößen
Synonym(e)
Alkoholismusmarker; Kenngrößen Alkoholabusus
Englischer Begriff
alcohol abuse marker; markers of alcohol abuse
Definition
Klinische oder klinisch-chemische Kenngrößen, die in direktem oder indirektem Zusammenhang mit Alkoholkonsum bzw. einem akuten oder chronischen Alkoholmissbrauch stehen und diesen anzeigen.
Beschreibung
Verbreiteter Alkoholmissbrauch und die daraus resultierenden individuellen und gesellschaftlichen Belastungen führ(t)en zu einer anhaltenden Suche nach aussagekräftigen Kenngrößen des Alkoholmissbrauchs. Hierzu wurde eine Vielzahl von Parametern vorgeschlagen, die sich zumeist wegen mangelnder diagnostischer Aussagekraft und/oder komplexer Analytik nicht durchsetzten (Tab. 1).
Tab. 1
Labordiagnostische Kenngrößen des Alkoholmissbrauchs, die sich aufgrund unzureichender analytischer Validierung und/oder mangelnder diagnostischer Aussagekraft im Allgemeinen nicht durchsetzen konnten und als obsolet gelten
Kenngröße Anstieg bei Alkoholmissbrauch
Pathobiochemischer Mechanismus
Bewertung der diagnostischen Aussagekraft
Mittleres Erythrozytenvolumen (MCV)
Anstieg durch Ethanoltoxizität und durch Vitaminmangel (Folsäure, Vitamin B12)
Oft zur Diagnose herangezogen, obwohl vielfältige Zustände zu falsch-positiven Diagnosen führen können, z. B. Vitaminmangel, Retikulozytosen und hämatologische Tumoren, nicht alkoholische Lebererkrankungen, Rauchen und Drogenmissbrauch
Diagnostische Aussagekraft zusätzlich reduziert durch verzögerte Ansprechzeit aufgrund der Erythrozytenlebensdauer von ca. 120 Tagen
Aspartat-Aminotransaminase-(AST-)/Alanin-Aminotransaminase-(ALT-)Aktivitäten im Serum und AST/ALT-Quotient
Schädigung der Hepatozyten durch Ethanol und seine Metabolite, Mangel an Pyridoxalphosphat als Coenzym von AST und ALT hemmt ALT stärker als AST, Abnahme der ALT-Aktivität in ethanolgeschädigten Hepatozyten
Anstiege über den Referenzbereich für die einzelnen Enzyme und AST/ALT-Quotienten >2
Einzelenzyme zu unempfindlich und unspezifisch, wenn überhaupt sollte der Quotient betrachtet werden, dennoch zu viele Ursachen für falsch-positive Befunde, z. B. Skelett-und Myokardmuskelerkrankungen, nicht alkoholische Lebererkrankungen
Glutamatdehydrogenase-(GLDH-)Aktivität im Serum
Bevorzugte Schädigung der GLDH-reichen Hepatozyten der perivenösen Zone
Diagnostische Sensitivität und Spezifität zu gering, stark beeinflusst durch nicht alkoholische Lebererkrankungen
Acetaldehydkonzentration in Serum oder Plasma
Acetaldehyd ist Zwischenprodukt des Ethanolabbaus, Abnahme der Aldehyddehydrogenase-Aktivität durch Acetaldehyd-induzierte Mitochondrienschädigung und damit Akkumulation von Acetaldehyd im Blutkreislauf
Geringe diagnostische Wertigkeit aufgrund der raschen Metabolisierung innerhalb weniger Stunden, verbessert bei Betrachtung der Acetaldehydkonzentration in den Erythrozyten
Acetaldehyd-Amin-Addukte
Bildung von Kondensationsprodukten von Acetaldehyd mit Katecholaminen (Tetrahydroisochinoline) und Tryptamin/Serotonin (Tetrahydro-β-Carbolin)
Geringe diagnostische Spezifität
Acetaldehyd-Amin-Addukte sind Bestandteil vieler Nahrungsmittel
Antikörper gegen Acetaldehyd-Addukte
Im Tiermodell wirken die Addukte antigen
Unzureichend untersucht, erhöhte Titer bei alkoholischen und nicht alkoholischen Lebererkrankungen
Acetatkonzentration in Serum oder Plasma
Verstärkter Anfall durch Ethanolabbau
Induktion der ethanolabbauenden Enzyme durch frequenten Alkoholkonsum mit schnellerem und stärkerem Anstieg des Acetats
Nicht erhöht bei Normalkonsum, noch nicht hinreichend klinisch validiert
α-Amino-n-Buttersäure und α-Amino-n-Buttersäure/Leucin-Quotient im Plasma
Nutritive und metabolische Einflüsse wirken gleichsinnig auf beide Aminosäuren, während chronischer Alkoholkonsum eher die α-Amino-n-Buttersäure-Konzentration beeinflusst
2- bis 3-fach erhöhte α-Amino-n-Buttersäure-Konzentration bei Alkoholikern, Anstieg des Quotienten unter Alkoholmissbrauch, falsch-positive Befunde bei Ketoazidose und nicht alkoholischen Lebererkrankungen, reagiert schnell auf Abstinenz und Rückfall, deshalb für Verlaufskontrolle und nicht für Screening propagiert, analytisch aufwendig
Apolipoproteine AI und AII und HDL-Cholesterin im Serum
Induktion mikrosomaler Enzyme mit gesteigerter AI-, AII- und HDL-Synthese, erhöhter VLDL-Umsatz durch stimulierte Lipoproteinlipase
Können in Kombination mit anderen Kenngrößen diagnostisch wertvoll sein, insgesamt jedoch zu unempfindlich und unspezifisch, Anstieg auch schon bei normalem Alkoholkonsum
Mitochondriales Isoenzym der AST (mAST)
Weitgehend selektive Schädigung der Hepatozytenmitochondrien durch Ethanol mit Austritt der mAST
Vor allem bei Alkoholikern, aber auch bei nicht alkoholischen Lebererkrankungen erhöht
Aldehyddehydrogenase-Aktivität der Erythrozytenaktivität
Ethanolinduzierte Enzymschädigung
Schwache Überschneidung zwischen Alkoholikern und Gesunden, deshalb recht spezifisch, zu träge in Bezug auf Abstinenz- und Rückfalldiagnostik
β-Hexosaminidase-Aktivität im Serum
Unbekannt
Erhöhte Aktivitäten auch bei Schwangerschaft und nicht alkoholischen Lebererkrankungen, erhöhte Aktivität nach 10-tägigem Ethanolkonsum von 60 g Ethanol/Tag
5-Hydroxytryptophol (5-HTOL) und 5-HTOL/5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIES)-Quotient im Urin
Beides Metabolite des Serotonins, verstärkte Bildung von 5-HTOL durch ehanolbedingte Hemmung der Aldehyddehydrogenase bzw. Anstieg des NADH/NAD+-Quotienten
Stark von Serotoninaufnahme beeinflusst (viele Südfrüchte sind serotoninreich), Spezifität des 5-HTOL/5-HIES-Quotienten relativ hoch, gute Ergänzung zum CDT, da kurzfristigerer Alkoholkonsum erkannt wird
Dolichole im Urin
Unbekannt
Unzureichend
Begleitsubstanz vieler Spirituosen, verzögerter Abbau in Gegenwart von Ethanol
Wichtig für die sog. Begleitstoffanalytik in forensischen Fragestellungen, wird schnell metabolisiert, für Routineanalytik kaum geeignet
Der Nachweis akuten Alkoholmissbrauchs erfolgt derzeit über die Blutalkoholkonzentration (Ethanol), ein Stunden bis wenige Tage zurückliegender Alkoholkonsum über Ethylglukuronid (EtG) und Ethylsulfat (EtS) im Urin. Allgemein akzeptierte Kenngrößen für chronischen Alkoholmissbrauch sind Carbohydrate-deficient transferrin (CDT; derzeit höchste diagnostische Spezifität) und die γ-Glutamyltransferase-Aktivität im Serum (GGT; derzeit höchste diagnostische Sensitivität).
Neuere vor allem in der forensischen Toxikologie propagierte Parameter sind EtG und Fettsäureethylester (FAEE) in den Haaren, Phoshatidylethanol (Peth) im Blut sowie N-Acetyltaurin (NacT) im Urin.
Literatur
Arndt T (2011) Biomarker des Alkoholkonsums – Eine Übersicht. Toxichem Krimtech 78:419–430
Arndt T, Gressner AM, Kropf J (1994) Labordiagnostik und Kontrolle des Alkoholabusus – ein Plädoyer für Carbohydrate-Deficient-Transferrin (CDT). medwelt 45:247–257
Dasgupta A (2015) Alcohol and its biomarkers – clinical aspects and laboratory determination. Elsevier, Amsterdam/Heidelberg/New York