Granulozyten werden durch Entzündungsmediatoren zu Entzündungsherden geleitet. Als physiologische Stimuli können Interleukin-8, der Komplementfaktor C5a (Komplement-Spaltprodukte), bakterielle Peptide, Leukotrien B4, Transforming Growth Factor β u. a. fungieren.
Funktion – Pathophysiologie
Endothelzellen exprimieren durch die Entzündungsmediatoren Adhäsionsproteine (Selektine) auf ihrer Zelloberfläche, an denen Granulozyten binden können. Durch diese zelluläre Bindung werden in den Granulozyten andere Adhäsionsproteine (β2-Integrine) induziert. Für die Adhärenz an Endothelien sind vor allem β2-Integrine mit einer gemeinsamen α-Kette CD18 wichtig: CD11a/CD18, CD11b/CD18, CD11c/CD18. Der entstehende Kontakt zwischen Endothel und Granulozyt führt schließlich zur aktiven Auswanderung des Granulozyten. Diese gerichtete Bewegung wird als Chemotaxis bezeichnet.
Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen
Heparinblut.
Probenstabilität
24 Stunden bei Raumtemperatur.
Analytik
Test mit Boyden-Kammer: Eine Kammer, die durch einen Filter mit 3 3 μm mu;m Porengröße waagerecht in 2 Bereiche unterteilt ist, dient als Inkubationskammer (= Boyden-Kammer). Der obere Teil der Kammer enthält die isolierten Granulozyten des Patienten, im unteren Teil befindet sich ein chemotaktischer Stimulus, wie z. B. eine C5a-Quelle oder ein bakterielles Peptid. Bei einer Temperatur von 37 °C inkubiert man den Ansatz. Die Granulozyten werden in dieser Zeit von der oberen Kammer in den unteren Bereich migrieren. Nach Ablauf der Inkubationszeit werden die Zellen fixiert, gefärbt und gezählt. In einem ähnlichen Testansatz kann ohne den Einsatz eines chemotaktischen Stimulus die Spontanbeweglichkeit der Granulozyten getestet werden.
Agarmigrationstest: Der Test wird in Zellkulturschalen durchgeführt, die ein Gemisch aus Zellkulturmedium, Gelatine und Agarose enthalten. Aus dem Zentrum der Platte mit dem gelierten Medium wird ein kreisrundes Loch gestanzt, in das eine C5a-Quelle oder ein anderer chemotaktischer Stimulus gefüllt wird. In gewissem Abstand zu dieser Ausstanzung werden andere Löcher gestanzt, in die die zu testenden Granulozyten gegeben werden. Nach 3-stündiger Inkubation bei 37 °C wird der Ansatz über Nacht z. B. mit Paraformaldehyd fixiert, das Medium abgenommen und die Granulozyten gefärbt und gezählt. Die Strecke, die die Granulozyten entlang des Konzentrationsgefälles des chemotaktischen Stimulus migriert sind, wird unter dem Mikroskop ausgemessen.
Da für diese funktionellen Tests keine kommerziellen Kontrollen zur Verfügung stehen, sollten die Granulozyten eines Normalspenders mitgeführt werden.
Referenzbereich
Die Angaben eines gültigen Referenzbereichs sollte im individuellen Ergebnisbericht enthalten sein.
Indikation
Erhöhte Anfälligkeit für bakterielle Infektionen besonders von Haut und Schleimhäuten
Rezidivierende Infekte mit apathogenen oder opportunistischen Erregern
Der Test dient als funktioneller Screeningtest bei o. g. klinischem Bild. Er sollte im symptomfreien Intervall durchgeführt werden. Bei pathologischem Testergebnis sollte eine Untersuchung der Integrine CD11a/CD18 und CD11b/CD18 zur Bestätigung eines Leukozytenadhäsionsdefekt-Syndroms (LAD) mittels Durchflusszytometrie durchgeführt werden.
Literatur
Peter H-H, Pichler WJ (Hrsg) (1996) Klinische Immunologie. 2. Aufl. Urban & Schwarzenberger, München, S 116 f
Rich R (1996) Clinical immunology principles and practice. Mosby Inc, New York, S 615