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Niacin

Verfasst von: H. Jomaa
Niacin
Synonym(e)
NAD; Vitamin PP; Vitamin B3
Englischer Begriff
niacin
Definition
Niacin ist ein Oberbegriff für die beiden wasserlöslichen Verbindungen Nicotinsäure (Molmasse 123,11 g) und Nicotinamid (Molmasse 122,11 g), die zu den B-Vitaminen gehören. Beide zeigen identische Vitamineigenschaften.
Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination
Niacin kommt in vielen Lebensmitteln vor, wobei Fleisch, Getreide und Milch die wichtigsten Quellen bilden. Mit der Nahrung zugeführtes Niacin wird mit einer Resorptionsquote von 23–70 % aufgenommen. Die Resorption im Darm erfolgt über einen pH-abhängigen, carriervermittelten Mechanismus. Die Resorptionsquote aus tierischen Nahrungsmitteln ist höher als aus Getreide.
Der Mensch kann Niacin aus der essenziellen Aminosäure Tryptophan in der Leberzelle herstellen. Ca. 60 mg Tryptophan ergeben 1 mg Niacin und sind als Niacinäquivalent definiert. Die Niacinsynthese aus Trytophan ist abhängig von der aufgenommenen Tryptophanmenge und nicht vom Niacinversorgungsstatus. Die Einschränkung der Versorgung mit Tryptophan führt zu einer Abnahme der Niacinsynthese aus Tryptophan, da die Proteinbiosynthese bevorzugt bedient wird.
Der Niacinbedarf ist abhängig vom Energieumsatz. Die empfohlene tägliche Aufnahmemenge beträgt 6,6 mg Niacinäquivalent/1000 kcal für alle Altersgruppen sowie für Schwangere und stillende Frauen. Niacin ist in der Muttermilch mit einer Konzentration um 2,1 mg/L nachweisbar.
Niacin zirkuliert im Plasma als Nicotinamid oder Nicotinsäure, deren Aufnahme in die Zelle über Diffusion erfolgt. In die Tubuluszellen der Niere und in die Erythrozyten ist diese carrierabhängig. Nicotinsäure und Nicotinamid können ineinander überführt werden. Im Menschen werden Nicotinsäure und Nicotinamid über verschiedene Reaktionswege in Nikotinamidadenindinukleotid (NAD) umgewandelt. Durch ATP-abhängige Phosphorylierung entsteht Nikotinamidadenindinukleotidphosphat (NADP) aus NAD. Die intrazelluläre NAD-Konzentration ist im Allgemeinen höher als die von NADP. NAD und NADP können die Zellmembran nicht passieren.
Der Abbau der Nicotinsäure und Nicotinamid erfolgt in der Leber durch Methylierung zu N1-Methyl-Nicotinamid (NMN) und anschließender Oxidation zu den Abbauprodukten N1-Methyl-2-Pyridon-5-Carboxamid (2-Pyr) und N1-Methyl-4-Pyridon-3-Carboxamid (4-Pyr), die im Plasma und Urin nachgewiesen werden können. Im Menschen stellen NMN und 2-Pyr die wichtigsten Ausscheidungsmetabolite des Niacin im Urin dar. Nur kleine 4-Pyr-Mengen werden auch im Urin ausgeschieden. Die Summe der Metaboliten im Urin korreliert signifikant linear mit der aufgenommenen bzw. synthetisierten Niacinmenge. Die Mangelversorgung mit Tryptophan oder mit Niacin führt zu einer Abnahme der Metaboliten im Urin.
Funktion – Pathophysiologie
Nicotinsäure und Nicotinamid werden in die Koenzyme NAD und NADP umgewandelt, die an vielen energieliefernden und anabolen Prozessen beteiligt sind. Sie können als Koenzyme 1 Wasserstoffproton (H+) und 2 Elektronen aufnehmen, wobei NADH oder NADPH entstehen. Diese Verbindungen sind an Reduktions-/Oxidationsreaktionen als Elektronenakzeptoren (NAD und NADP) oder -donoren (NADH und NADPH) beteiligt. Viele Dehydrogenase-Reaktionen sind NAD- oder NADP-abhängig. NAD-abhängige Dehydrogenasen katalysieren energieliefernde Oxidationen in der Glykolyse, im Zitratzyklus und in der Atmungskette in den Mitochondrien. NADP-abhängige Dehydrogenasen sind an anabolen Reduktionsschritten in der Fettsäure- und Steroidsynthese sowie im Pentosephosphatzyklus beteiligt. NAD ist unabhängig von seiner Redoxfunktion auch an der ADP-Ribosylierung von Proteinen beteiligt. Diese posttranslationale Modifikation spielt eine wichtige Rolle bei Prozessen wie Zellsignalübertragung, Apoptose, Proteinabbau und DNA-Reparatur.
Ein Niacinmangel kann durch eine gleichzeitige Mangelversorgung mit Tryptophan und Niacin entstehen und führt zum Krankheitsbild Pellagra. Frühe Symptome wie Schwäche, Appetitlosigkeit, Müdigkeit und Bauchschmerzen sind unspezifisch. Patienten entwickeln im Verlauf eine photosensitive Dermatitis, Hautläsionen, Mundsoor, Erbrechen, Diarrhoe, Depression und Demenz. Die unbehandelte Pellagra führt zum Tod durch Multiorganversagen. Die Pellagra kommt in den Industrienationen selten vor. Hier sind Patienten mit chronischer Alkoholkrankheit, schweren gastrointestinalen Erkrankungen, Tryptophanmetabolismusstörungen (Hartnup-Syndrom) oder Karzinoidsyndrom betroffen. Beim Karzinoidsyndrom werden bis zu 60 % des Tryptophans in 5-Hydroxytryptophan oder in Serotonin umgewandelt, was zu einer Abnahme der Niacinsynthese aus Tryptophan führt. Die Niacinsynthese aus Tryptophan kann auch durch eine Mangelversorgung mit Eisen, Riboflavin oder Vitamin B6 beeinträchtigt werden.
Niacin (Nicotinsäure) wird seit mehr als 60 Jahren als Lipidsenker eingesetzt. Unter Nikotinsäuretherapie nimmt die Konzentration des LDL-Cholesterin und der Triglyceride im Blut ab, die des HDL-Cholesterins zu. Eine aktuelle Cochrane-Metaanalyse zeigt keine Reduktion des Myokardinfarkt- oder Schlaganfallrisikos unter Nicotinsäuretherapie.
Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen
24-Stunden-Sammelurin.
Analytik
HPLC-basierte Bestimmung der Tagesausscheidung der Abbauprodukte N1-Methyl-Nicotinamid und N1-Methyl-2-Pyridon-5-Carboxamid im Sammelurin.
Referenzbereich – Erwachsene
N1-Methyl-Nicotinamid: 2,4–6,4 mg/Tag (17,5–46,7 μmol/Tag).
N1-Methyl-2-Pyridon-5-Carboxamid: 2–20 mg/Tag (13–132 μmol/Tag).
Referenzbereich – Kinder
Nicht verfügbar.
Indikation
Mangel- und Fehlernährung, Malabsorption, z. B. gastrointestinale Erkrankungen, Tryptophanstoffwechselstörungen, z. B. Hartnup-Syndrom, Karzinoidsyndrom.
Interpretation
Abfall der N1-Methyl-Nicotinamid-Tagesausscheidung im Urin unter 0,7 mg/Tag in Pellagra-Patienten.
Diagnostische Wertigkeit
Die Tagesausscheidung der Niacinmetaboliten N1-Methyl-Nicotinamid und N1-Methyl-2-Pyridon-5-Carboxamid, insbesondere deren Summe, korreliert mit dem Niacinstatus.
Literatur
EFSA NDA Panel (EFSA Panel on Dietetic Products, Nutrition and Allergies) (2014) Scientific opinion on dietary reference values for niacin. EFSA J 12(7):3759CrossRef
Schandelmaier et al (2017) Niacin for primary and secondary prevention of cardiovascular events. Cochrane Database Syst Rev. epub 2017 Jun 14
Tietz clinical guide to laboratory tests (2006) 4. Aufl. W.B. Saunders Company, Philadelphia