Der Nachweis von Protein (Proteinuriediagnostik) im Urin basiert auf der Beobachtung einer weißlichen Trübung beim Erhitzen des Urins, die mit dem Eiweiß des Hühnereis Ähnlichkeiten zeigt (albam massam = weiße Substanz, Albumin im Urin). Darunter versteht man heute die mit chemischen Methoden bestimmte Menge von Proteinen im Urin oberhalb der normalen Ausscheidung von ca. 100–150 mg/L.
Struktur
Die Zusammensetzung des Proteins im Urin ist heterogen.
Funktion – Pathophysiologie
Die Natur der Proteinurie, d. h. der erhöhten Ausscheidung von Protein im Urin, basiert auf vielen Mechanismen, die in der Differenzialdiagnostik zu unterscheiden sind:
Proteine aus dem Plasma bei normaler Nierenfunktion: Hierzu zählen vor allem pathologisch im Plasma vorkommende Proteine eines niedrigen Molekulargewichts, die glomerulär frei filtriert werden und trotz tubulärer Resorption vermehrt im Harn erscheinen: Hämoglobin, Myoglobin, Immunglobulin-Leichtketten und infundierte Peptide. Diese Form der Proteinausscheidung wird als prärenal definiert.
Proteine, die durch vermehrte glomeruläre Filtration im Urin erscheinen, sind entweder durch Verlust der negativen Ladung der Basalmembran und der sie umgebenden Zellen (z. B. bei Glomerulonephritis, diabetische Nephropathie, Minimal-change-Nephropathie) oder bei Verlust der Größenselektivität der glomerulären Basalmembran vermehrt im Urin. Ist die Proteingröße auf Moleküle <80 kDa beschränkt, spricht man von selektiver, bei Vermehrung von Proteinen >150 kDa von unselektiver glomerulärer Proteinurie. Albumin, IgG, Transferrin wurden als Marker empfohlen.
Wird die Proteinausscheidung aufgrund von tubulären Schädigungen durch verminderte Rückresorption verursacht, spricht man von tubulärer Proteinurie. Als Marker wurden sog. Mikroproteine empfohlen.
Wird die Proteinausscheidung durch Erkrankungen entlang der Harnwege durch Sekretion, Blutungen oder Beimengung aus postrenalen Drüsen erzeugt, spricht man von postrenaler Proteinurie. Sie ist durch die Anwesenheit plasmaähnlicher Proteinmuster charakterisiert (bei Blutungen als Ursache) oder enthält Proteine, die nicht durch glomeruläre Filtration in den Urin gelangen.
Schließlich können Proteine auch durch Verunreinigung in den Urin gelangen. Die Messung des Gesamtproteins im Urin erlaubt keine Rückschlüsse auf die Natur der Proteinurie.
Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen
Zum Nachweis einer Proteinurie mit qualitativen Teststreifen genügt ein Spontanurin. Empfohlen wird der erste Morgenurin, der mindestens 8 Stunden nach dem letzten Urinieren gewonnen wird, da hier die höchste Konzentration zu erwarten ist.
Die quantitative Messung der Proteine im Urin wurde traditionell ein 24-Stunden-Sammelurin empfohlen. Bei Bezug des Messergebnisses auf Kreatinin im Urin kann mit gleicher Aussage auch ein Spontanurin am Vormittag verwendet werden.
Probenstabilität
Die meisten Proteine im Urin sind bei physiologischem Urin-pH über einen Tag stabil, im Kühlschrank ist die Stabilität über 7 Tage, eingefroren über 1 Monat gemessen worden. Dabei ist zu beachten, dass manche Proteine nach dem Einfrieren nicht mehr in Lösung gehen. Auch sollte die Ausfällung von Proteinen bei saurem pH-Wert in Betracht gezogen werden. Nach längerer Lagerung ist der Urin daher gut zu mischen, bevor die analytische Probe entnommen wird.
Präanalytik
Bei der Gewinnung des Urins ist wegen der Kontamination darauf zu achten, dass Spontanurine als Mittelstrahlurine gewonnen werden. Sammelurine sind in Sammelbehälter zu gießen und unter Lichtschutz (braune Färbung des Behälters) kühl aufzubewahren. „Glasvasen“, wie sie früher üblich waren, sind durch Einmalbehälter zu ersetzen, da manche Proteine an den Glaswänden adsorbieren und dadurch ein falsch negatives Ergebnis verursachen können. Sammelzeit und Sammelmenge ist zu dokumentieren und eine Probe nach gründlichem Mischen für die Bestimmung mit den Angaben zur Sammelmenge und Sammelzeit abzusenden.
Analytik
Aus den historischen Beobachtungen eines weißlichen Niederschlags beim Erhitzen des Urins entwickelten sich die verschiedenen Kochproben mit und ohne Zusatz einer Säure. Sie sind durch Teststreifen abgelöst, die auf dem Prinzip der pH-Verschiebung eines Indikators beruhen. Moderne Teststreifen haben eine Empfindlichkeit, ab ca. 150 mg/L Protein positiv zu reagieren. Da Albumin das Hauptprotein renaler Proteinurien darstellt, wurden die Teststreifen mit Albumin kalibriert, reagieren aber auf andere physiologische (Tamm-Horsefall-Protein) und pathologische (Bence-Jones-Protein, Mikroproteine) negativ. Daher ist das Teststreifenergebnis nicht geeignet, eine bis zu 10-fache Erhöhung des Albumins sowie alle Formen tubulärer und prärenaler Proteinurien zu erkennen.
Eine quantitative Bestimmung des Proteins wurde mit Esbachs Reagenz (Esbach-Probe) ermöglicht und später mit der Biuret-Methode nach Fällung der Proteine zu einer Standardmethode entwickelt. In jüngerer Zeit wurde das Armatorium zur Bestimmung der Gesamtproteine erweitert durch die Anwendung von Coomassie-Brillant-Blau, Benzethoniumchlorid, Pyrogallolrot oder Bromphenolblau. Mithilfe der Fällung durch Trichloressigsäure, die auf dem ursprünglichen qualitativen Verfahren beruht, kann Gesamtprotein turbidimetrisch und nephelometrisch erfasst werden. Da keine der Methoden alle im Urin vorkommenden Proteine in gleicher Empfindlichkeit erfasst, sind methodenabhängige Ergebnisse zu erwarten. Eine Referenzmethode ist bisher nicht definiert.
Eine Differenzierung der Proteine ist durch elektrophoretische Methoden (SDS-Polyacrylamid-Gel-Elektrophorese [PAGE]) möglich. Daneben wird zunehmend die Quantifizierung definierter Einzelproteine mit bekanntem Molekulargewicht zur Differenzierung der verschiedenen Ursachen der Proteinurie eingesetzt und empfohlen (Albumin im Urin, α1-Mikroglobulin im Urin, Bence-Jones-Protein im Urin, Myoglobin im Urin, Proteinuriediagnostik).
Die Bestimmung von Protein im Urin mit Teststreifen gehört zum Basisprogramm jeder klinischen Untersuchung. Jeder positive Befund sollte durch eine quantitative Untersuchung im 24-Stunden-Sammelurin oder im Spontanurin, wenn bezogen auf Kreatinin, bestätigt und im positiven Fall differenziert werden.
Für die Früherkennung der diabetischen Nephropathie und der Nephrosklerose bei Hypertonikern reicht die Empfindlichkeit traditioneller Teststreifen nicht aus. Hier sind sensitivere und albuminspezifischere Teststreifen oder quantitative Bestimmungen auf der Basis der Immunnephelo- oder Tubidimetrie einzusetzen.
Interpretation
Ein positives Teststreifenergebnis auf Protein ist so lange als Hinweis auf eine klinisch relevante Proteinurie zu deuten, bis das Gegenteil gezeigt wurde. Bei quantitativer Messung von Gesamtprotein im Urin unterscheidet man nach Menge zwischen 100–300 mg/L als Spur, <3,5 g/24 h (< etwa 3 g/L) als nephritische und über 3,5 g/2 h oder >3 g/L als nephrotische Proteinurie. Während die nephrotische Proteinurie fast immer glomeruläre Ursachen hat, ist bei einer Proteinurie zwischen 300 und 3000 mg/L zu differenzieren zwischen prärenaler, renal glomerulärer und tubulärer sowie postrenaler Proteinurie.
Diagnostische Wertigkeit
Die Bestimmung von Gesamteiweiß ist, wie Ergebnisse von Ringversuchen zeigen, wegen der verschiedenen Methoden eine nicht standardisierte Methode, die bestenfalls als Abschätzung gelten kann. Da verschiedene Formen der Proteinurie methodenabhängig verschieden empfindlich erfasst werden, ist eine spezifischere Messung in jedem Falle zusätzlich durchzuführen. So ist Albumin als wesentlicher Marker der glomerulären Proteinurie eingeführt, α1-Mikroglobulin als tubulärer Marker empfohlen und freie Leichtketten als spezifische Marker der Bence-Jones-Proteinurie der unspezifischen Bence-Jones-Probe vorzuziehen.
Literatur
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