Der vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktor (VEGF oder auch VEGF-A) gehört zur „Platelet-derived growth factor“-Familie (mit einem Zystinknoten) und zusammen mit dem plazentaren Wachstumsfaktor (Plazentarer Wachstumsfaktor) und VEGF-B, VEGF-C und VEGF-D zu einer eigenen Subfamilie. VEGF(-A) existiert in 5 Splicevarianten, wovon VEGF121 und VEGF165 zirkulierende Formen sind. Andere Isoformen (145, 189 und 219 Aminosäuren) sind gebunden an Heparansulfat-Proteoglykane und an Korezeptoren, wie Neuropilin. VEGF-C und VEGF-D sind über die VEGF-Rezeptoren-2 und -3 an der Lymphangiogenese beteiligt (Mutationen führen zu Lymphangiomyomatose mit Lymphödem).
Beschreibung
VEGF(-A) wird in fast allen Organen, besonders auch in Tumorzellen, sowie besonders unter dem Einfluss von Hypoxie (stimuliert durch den „hypoxia-inducible factor-1“) und von Entzündungen exprimiert. Es bindet mit hoher Affinität an 2 Rezeptortyrosinkinasen: VEGFR-1 (Flt-1) und den funktionell wichtigeren Kinasedomänrezeptor (KDR, Flk-1, CD309 oder VEGFR-2). Die extrazelluläre Spliceform von VEGFR-1 wird als sFlt-1 (Fms-like tyrosine kinase 1, lösliche) sezerniert und blockiert als Decoy-Rezeptor die Funktionen von VEGF-A.
Neben antiapoptotischen, mitogenen und permeabilitätserhöhenden Aktivitäten, wirkend auf das vaskuläre Endothel, fördert VEGF die embryonale Vaskulogenese und später die adulte Angiogenese unter physiologischen und pathophysiologischen (Sauerstoffmangel, paraneoplastische Syndrome) Bedingungen: Proliferative und Neugeborenenretinopathie nach Absetzen der Sauerstoffbeatmung, diabetische Retinopathie, feuchte Altersmakuladegeneration, rheumatoide Arthritis, Tumoren und deren Metastasen. Erhöhte Konzentrationen sollen beim Mammakarzinom und Nierenzellkarzinom für eine schlechtere Prognose sprechen. Das seltene POEMS-Syndrom mit erhöhtem VEGF umfasst Polyradikuloneuropathie, Plasmazellenneoplasie, Sklerose der Knochen und Megalie von Organen. In der Schwangerschaft wird VEGF durch sFlt-1 gebunden, wodurch es zu Schwellungen der Endothelzellen im Glomerulum kommt und die Entwicklung einer Präeklampsie begünstigt wird. Da vor und während einer Präeklampsie sFlt-1 stark ansteigt, werden durch die Bindung von VEGF und PlGF deren ungebundenen Konzentrationen reduziert. In der Gefäßwand fördert VEGF die Produktion von Stickstoffmonoxid und damit die Vasodilatation.
Die Messsung der Konzentration von zirkulierendem VEGF ist bisher nicht standardisiert und stark abhängig von Präanalytik und vom verwendeten Test wegen Antikörperspezifität, Isoformen von VEGF und Interferenz mit VEGF-bindenden Molekülen (sFlt-1, Heparin, α2-Makroglobulin). Konzentrationen im Serum sind wesentlich höher als im Plasma, weil bei der Gerinnung VEGF freigesetzt wird. Zur Vermeidung der Sekretion von VEGF aus Thrombozyten, Granulozyten und Monozyten sollte CTAD-Lösung bei der Blutentnahme eingesetzt werden. Neben RIA und ELISA für Gesamt-VEGF kann mit Capture-Assays das freie VEGF bestimmt werden: Gesamt-Plasma-VEGF etwa 3–25 μg/L, freies VEGF 9–15 ng/L, Urin Median ca. 2,0 ng/mg Kreatinin. Rezeptorbindungsassays und Bioassays (Wachstum endothelialer Zellen in vitro) sind auf die Forschung begrenzt.
Monoklonale Antikörper (Bevacizumab, Avastin) gegen VEGF wurden seit 2004 für die antiangiogenetische Behandlung von Metastasen bei Kolon-, Lungen- und Brustkrebs zugelassen und in abgewandelter Form (Lucentis) bei der feuchten Makuladegeneration angewendet. Andere Therapiemöglichkeiten sind Inhibitoren von Tyrosinkinasen (Axitinib, Sunitinib).
Proangiogenetische Therapien mit VEGF, „fibroblast growth factor“ und PDGF („platelet-derived growth factor“) werden zur Behandlung der koronaren Herzkrankheit und der peripheren Verschlusskrankheit erprobt.
Literatur
Jelkmann W (2001) Pitfalls in the measurement of circulating vascular endothelial growth factor. Clin Chem 47:617–623PubMed
Meo S, Dittadi R, Gion M (2005) Biological variation of vascular endothelial growth factor. Clin Chem Lab Med 43:342–343CrossRef
Okamoto Y, Nagai T, Nakajo I et al (2008) Determination of age-related changes in human vascular endothelial growth factor in the serum and urine of healthy subjects. Clin Lab 54:173–177PubMed
Shibuga M (2013) Vascular endothelial growth factor and its receptor system: physiological functions and pathological roles in various diseases. J Biochem 153:13–19CrossRef