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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 12.06.2024

Amputationen im Unterarmbereich

Verfasst von: Patrick Schröter
Amputationen im Unterarmbereich stellen ein seltenes, aber mit erheblichen Einschränkungen der Selbstständigkeit vergesellschaftetes Ereignis dar. Der Verlust der Hand ist ein die Lebensqualität stark einschränkendes Ereignis. Durch die Funktionsverluste resultiert unter Umständen ein erheblicher Unterstützungsbedarf bei den Aktivitäten des täglichen Lebens. Stellenweise droht sogar der Verlust der Selbstständigkeit. Im Folgenden werden Operationstechniken der Handgelenksexartikulation bis hin zu verschiedenen Höhen der transradialen Amputation vorgestellt. Dabei werden wertvolle Hinweise auf Fallstricke der Operation und Probleme einer möglichen späteren Exoprothesenversorgung gegeben.

Einleitung

Amputationen der oberen Extremität sind etwa 10–20-mal seltener im Vergleich zur Amputationshäufigkeit an der unteren Extremität. Dabei stehen in Zentraleuropa die traumatischen Amputationsursachen im Gegensatz zu den meist komorbiditätsbedingten Gründen der Amputation an den Beinen im Vordergrund. Seltener führen die Thromboangiitis obliterans (von-Winiwarter-Buerger-Syndrom), Tumoren oder Komplikationen bei Diabetes mellitus zur Amputation. Von den traumatischen Ursachen sind Quetsch- und Schnittverletzungen der Finger oder Hand die häufigsten Gründe für Amputationen. In den Vereinigten Staaten sind etwa 15 Fingeramputationen auf 100.000 Einwohner pro Jahr zu verzeichnen (Kurucan et al. 2020). Amputationen proximal der Handwurzel sind deutlich seltener und meist auf hochenergetische traumatische Verletzungen zurückzuführen. Das Statistische Bundesamt berichtete im Jahr 2019 von 225 Amputationen proximal des Handgelenkes, aber etwa 5650 Amputationen an der Hand bzw. den Fingern (Tintle et al. 2010; Atroshi und Rosberg 2001; Statistisches Bundesamt (Destatis) 2020).
Unfälle, welche zu primären Amputationen führen, weisen häufig eine unübersichtliche Anatomie auf. Insbesondere zeitgleiche proximale Verletzungen der Weichteile und Knochen stellen im Rahmen der Behandlung eine besondere Herausforderung dar. Dabei sollte im Rahmen der Stumpfbildung grundsätzlich am Unterarm versucht werden, möglichst viele Hebellängen zu erhalten (Abb. 1).
Die Grundprinzipien der Unterarmamputationen unterscheiden sich nicht wesentlich von denen der Amputationen an der unteren Extremität. Ziel ist es, die ausreichend belastbare Weichteildeckung des knöchernen Amputationsstumpfes zu erreichen. Nur so ist eine unproblematische Prothesenschaftführung möglich. Schmerz- und Infektfreiheit sind weitere essenzielle Eigenschaften des Stumpfs. Bei Amputationen am Unterarm steht jedoch insbesondere die Funktionalität im Vordergrund. Die wesentliche Aufgabe der Prothese ist nicht das Tragen der Körperlast, sondern die Greif- und Haltefunktion. Eine frühzeitige interdisziplinäre Betreuung aus den chirurgischen Fächern, der Rehabilitationsmedizin und insbesondere der Orthopädietechnik ist anzustreben. Werden frühelektive oder sekundäre Amputationen durchgeführt, sollte die Verlegung des Patienten in eine Einrichtung mit dieser interdisziplinären Versorgungsmöglichkeiten erwogen werden.

Historie

Neben Unfällen wurden Amputationen im Unterarmbereich in den vergangenen Jahrhunderten vorwiegend durch Kriege bedingt. Ein Beispiel zeigt das deutsche Militär mit seiner akribischen Dokumentation von Kriegsversehrten im deutsch-französischen Krieg 1870/71 auf. Es wurden insgesamt 3031 Amputationen aufgeführt. Dabei sind etwa die Hälfte der Soldaten unmittelbar an den Amputationsfolgen verstorben. Es wurden bei diesen Patienten 1233 Oberarmamputationen durchgeführt oder komplettiert. Auch bei diesen Soldaten fand sich eine hohe Sterblichkeit von über 30 %. Letztendlich resultierten aus diesen kriegerischen Handlungen hunderte Armamputationen, welche einer prothetischen Versorgung bedurften. Der damalige Stand der Technik gegen Ende des 19. Jahrhunderts gestattete im Wesentlichen die sogenannte „Schmuckprothese“. Diese „staatlich gelieferten Glieder“ waren der natürlichen Form des Armes nachempfunden und konnten von der gesunden Hand aus passiv in entsprechende Funktionsstellungen gebracht werden. (H. Schwiening 1919)
Der einsetzende erste Weltkrieg führte, auch aufgrund der veränderten Kriegstechnologie, bedauerlicherweise wiederum zu einem deutlichen Anstieg der Amputationsversehrten und sorgte für einen weiteren Prothesenversorgungsbedarf. Über Seilzugsysteme an einen Schultergurt war technisch bereits eine Lösung für das aktive Öffnen und Schließen von Prothesenhänden möglich. Damit startete die Entwicklung der Eigenkraftprothesen. 1916 veröffentlichte Ferdinand Sauerbruch eine neue Idee zur aktiven Prothesenansteuerung. In Zusammenarbeit mit Aurel Stodola, Professor für Maschinenbau in Zürich, entwickelte er das Konzept einer von der Muskulatur des Unterarmstumpfes gesteuerten Prothesenhand. Diese bezeichnete er als „willkürlich bewegbare künstliche Hand“. Hierzu wurden in die Restmuskulatur des Unterarmes, Oberarmes und sogar die Brustmuskulatur mit Epithel ausgekleidete Kanäle chirurgisch angelegt. Es wurden Agonisten und Antagonisten auf diese Art und Weise versorgt, um damit ein intuitives Bewegen der Prothesenhand zu ermöglicht. In diese verheilten Kanäle wurden Elfenbeinstifte eingebracht. Über ein raffiniertes Seilzugsystem konnte so eine Prothesenhand gesteuert werden. Ohne die Leistung des Uhrmachers Jakob Hüfner, welcher die nach ihm benannte Hand entwickelte und sich 1922 auch patentierte, wäre zur damaligen Zeit der „Sauerbrucharm“ wahrscheinlich nicht zu so einem Erfolgt gekommen. Auch in seinen Folgeschriften erwähnte Sauerbruch, dass er die „gut bewährte Hüfnersche Zweizughand“ für die nach seiner Technik operierten Patienten verwende. Letztendlich bekannt wurde diese OP als Sauerbruch-Lebsche-Kineplastik und trägt damit sowohl den Namen Sauerbruchs als auch den seines Schülers Lebsche, welcher im Raum München bis weit in die fünfziger Jahre auch bei Kriegsversehrten des zweiten Weltkrieges diese Operationen durchführte (Karpa 2004; Kessler und Gelb 1954; F. Sauerbruch 1916; Jacob Hüfner 1922).
Die letzten bekannten Kineplastiken in Deutschland wurden durch Herrn PD. Lutz Brückner vor über dreißig Jahren durchgeführt (Abb. 2). Ein enormer Vorteil dieser Technik war das resultierende sensorische Feedback, welches bei der Anspannung des Muskels eine Rückkopplung über die Kraft des Handverschlusses vermittelte. Nachteilig sind aus heutiger Sicht die geringeren möglichen Kräfte bei dieser eigenkraftgesteuerten Prothesenversorgung. Auch wenn die Videoaufnahmen Sauerbruchs aus den Jahr 1938 eine beeindruckende feingliedrige Prothesenansteuerung zeigen, hatte sich dieses Vorgehen außerhalb Europas nicht wirklich verbreitet. Durch die heutzutage technisch deutlich weiterentwickelte, myoelektrische Steuerbarkeit der Prothesenhände hat diese Operationstechnik keinen praktischen Stellenwert mehr (Sauerbruch 1938; Brückner 1991).
Ebenfalls durch den Wunsch getrieben, unterarmamputierten Patienten mehr Selbstständigkeit zu ermöglichten, berichtete Hermann Krukenberg 1917 von einer plastischen Rekonstruktion des Unterarmes. Krukenberg wandelte den Unterarm durch chirurgische Separierung von Radius und Ulna in eine aktiv steuerbare zangenartige Greifhand um. Bei diesem Eingriff handelt es sich ebenso wie bei der Sauerbruch-Lebsche-Kineplastik um einen sekundär durchzuführenden rekonstruktiven Eingriff und erfolgt nicht im Rahmen der primären Amputation, da das kumulative Gewebetrauma zu groß wäre. Vorteile des Krukenbergarmes waren eine deutlicher kräftigere Greifkraft und die vollständig erhaltene Sensibilität im Bereich der zueinander zugewendeten „Scheren“. Dadurch ist ein exzellentes sensorisches Feedback möglich. Baumgartner sah die Indikation zur Bildung von „Krukenberghänden“ aus heutiger Sicht bei Patienten, welche beidhändig amputiert und zudem blind sind. Bei diesen Patienten sah er die „gewöhnungsbedürftige“ Erscheinung als in den Hintergrund tretend und einen erheblichen funktionellen Gewinn. Auch wurde die Kombination der Sauerbruch-Lebsche-Kineplastik für das feingliedrige Arbeiten mit der kontralateralen Krukenberghand für einen kräftigeren Greifpartner in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts angelegt. Die Krukenberghand spielt aufgrund der technischen Entwicklungen der myoelektrischen Armprothetik innerhalb Europas ebenso praktisch keine Rolle mehr. Indikationen können unter Umständen bei Patienten aus den Entwicklungsländern gesehen werden, welche aufgrund der mangelnden orthopädietechnischen heimatsnahen Versorgung von der Greiffunktion profitieren können. Für eine detaillierte Darstellung der Operationstechniken sowohl für den Sauerbrucharm als auch die Krukenberghand ist auf die Autoren Baumgartner, Brückner und Greitemann verwiesen (Krukenberg 1917; Greitemann et al. 2016).

Chirurgische Anatomie

Die Unterarmmuskulatur besteht volar- als auch dorsalseitig aus einer oberflächlichen, mittleren tiefen Muskelschicht. Dabei besteht eine komplexe Anatomie, welche sowohl ellenbogengelenks- als auch handgelenksüberbrückende Funktionen aufweist. Nicht nur die Umwendebewegung, sondern auch die Feinmotorik der Finger als auch die simultane Handgelenksbewegung ist zu koordinieren. Aus chirurgischer Sicht ist es einfacher, die Muskeln zusammenfassend zu betrachten. Für die Amputationstechniken relevant gliedert sich die Unterarmmuskulatur in die volarseitige Flektorengruppe und dorsalseitig gelegenen Extensoren (Abb. 3). Im Gegensatz zu den Amputationstechniken des Unterschenkels besteht keine Indikation, einzelne Muskeln zu entfernen. Die Muskelgruppen sollten als Einheit betrachtet und wenn möglich nicht separiert werden. Damit ist eine gute Myoplastie der antagonisierenden Muskelgruppen möglich.
Wichtig ist es, den Verlauf der Hauptnerven zu kennen. Ausgehend vom Plexus brachialis über die Axilla gehend entwickeln sich der Nervus medianus, Nervus ulnaris und Nervus radialis. Diese sind am proximalen Unterarm volarseitig in den Beugemuskeln zu finden. Dabei findet sich der Nervus medianus zentral in der Muskulatur und bleibt bis zum Handgelenk etwa mittig des volaren Unterarmes. Unmittelbar proximal des Handgelenkes ist er unterhalb und etwa ulnar der Sehne des Musculus flexor carpis radialis zu finden. Der Nervus radialis liegt am proximalen Unterarm unterhalb des Musculus brachioradialis, durchstößt in seinem weiteren Verlauf mit seinem tiefen Ast die Fasern der proximalen Extensorenmuskulatur und befindet sich letztendlich am Unterarm dorsoradial. Der Nervus ulnaris verläuft ebenfalls vom Ellenbogengelenk ausgehend nach Verlassen des Sulcus ulnaris recht oberflächlich. Zu finden ist der unter dem Musculus flexor carpi ulnaris und verfolgt in einem recht geraden Verlauf den lateralen Aspekt der Ulna.
Durch die genaue Kenntnis der Nervenpositionen sind die großen Unterarmgefäße am proximalen Unterarm gut zu identifizieren. Aus der Arterie brachialis entspringen die beiden Hauptgefäße, Arteria radiales und Arteria ulnaris. Nach ihrer Aufgabelung in der Ellenbeuge am volaren Unterarm verlaufen beide Gefäße volar nach distal. Dabei folgt die Arteria radiales dem Verlauf des Musculus brachioradialis und die Arteria ulnaris dem Verlauf des Musculus flexor carpi ulnaris. Dadurch sind beide Hauptgefäße auch bei Nutzung einer Blutsperre in der Regel gut identifizierbar (Schiebler und Schmidt 1991; Sobotta et al. 2010).

Amputationstechniken

Handgelenksexartikulation

Vorüberlegungen

Der Vorteil der Handgelenksexartikulation neben dem sehr langen Hebelarm ist die konstante distale Stumpfform. Wichtig ist der Erhalt des distalen Radioulnargelenkes (DRUG). Dadurch ergibt sich ein stabiles Zusammenspiel zwischen Radius und Ulna. Schmerzhafte radioulnare mechanische Irritationen bei Instabilitäten sind somit zu verhindern. Zudem gestattet diese Amputationsform den bestmöglichen Erhalt der Supination und Pronation, da die Unterarmanatomie im Wesentlichen unverändert bleibt. Nachteilig wurde viele Jahre, analog zur Knieexartikulation, der limitierte Platz distal des ehemaligen Handgelenkes bezüglich des Prothesenaufbaus gesehen. Die resultierende Überlänge nach prothetischer Versorgung im Vergleich zur kontralateralen Extremität wurde als kosmetisch ungünstig angesehen. Mittlerweile sind aufgrund der Weiterentwicklungen der Orthopädietechnik akzeptable Versorgungen möglich. Zudem kann die Muskelfixierung nach Durchtrennung der Sehnen im Handgelenk gut durchgeführt werden und erhält das gesamte Spektrum der Unterarmmuskeln für die myoelektrische Prothesenversorgung (Lake und Dodson 2006; Täger und Nast-Kolb 2002).

Operationstechnik

Wenn möglich, sollte die palmare Haut und Unterhaut für die Stumpfdeckung genutzt werden. Es ergibt sich eine sehr gute Belastbarkeit, da diese Hautbereiche auch durch die natürliche Greiffunktion der Hand mechanisch gut belastbarer sind. Beim Präparieren der stumpfdeckenden Hautlappen müssen die sie versorgenden Hautnerven geschont werden, damit keine asensiblen Areale entstehen. Bei einer Deckung durch die Handflächenhaut sind dabei die kutanen Äste des Nervus medianus zu schonen. Dorsalseitig sind die Nervenäste des Nervus ulnaris bedeutsam sowie ebenso radialseitig die Hautäste des Nervus radialis superficialis. Die übrigen Nerven werden proximal der Handgelenkslinie gekürzt, sodass sie innerhalb der verbleibenden Unterarmmuskulatur zu liegen kommen. Dies kann sich unter Berücksichtigung der zu erhaltenen Hautnervenäste und der häufig veränderten Anatomie als anspruchsvoll erweisen. Die Verlagerung in der Muskulatur soll schmerzhaften Neuromen vorbeugen. Alle palmaren und dorsalen Sehen werden scharf durchtrennt. Die Sehnen sollten mittels Myodese am knöchernen Stumpf fixiert werden. Hierzu bietet sich der Rand des volaren und dorsalen distalen Radius aufgrund seiner breiten Fläche an. Dadurch kann eine gute muskuläre Substanz am proximalen und mittleren Unterarm erhalten werden. Es verbleibt eine Muskelkonfiguration, welche fast der normalen Anatomie entspricht. Es ist damit zu rechnen, dass in den nächsten Jahren zunehmend mehrkanalige Prothesensteuerungssystem zum Einsatz kommen werden. Beispielsweise verwendet die „Myo Plus Handprothesensteuerung“ der Firma Otto Bock acht simultane Elektroden zur perkutanen Myosignalerfassung. Es sind somit deutlich komplexere Signale erfassbar und gestatten damit auch komplexere Bewegungsmuster. Je weniger verändert die Anatomie des proximalen Unterarmes durch die Operation ist, desto besser lassen sich diese Bewegungsmuster erfassen.
Beim Absetzten der Hand im Handgelenk sollten die radioulnaren Bänder, welche das DRUG dorsal und volar umspannen, erhalten werden. Nur so ist die Stabilität im distalen Stumpfbereich gegeben. George Nanos beschreibt in seinem Vorgehen zudem den Erhalt des triangulären fibrokartilaginären Komplex (TFCC). Die Prozessus ulnae et radii werden gekürzt und abgerundet. Dabei sollte die Integrität des TFCC beim Einkürzen des Prozessus styloideus ulnae beachtet werden (Abb. 4). Das Einkürzen ist notwendig, um keine punktförmige Hautirritationen am Stumpfende zu verursachen (Abb. 5). Nach Konturierung des knöchernen Stumpfendes erfolgt nun die bereits beschriebene Fixierung der Sehnen. Die Deckung der erhaltenen proximalen Gelenkfläche erfolgt nur mit Haut und Unterhaut und sollte spannungsfrei sein. Das Verwenden von Drainagen oder epicutanen Vakuumversiegelungssystemen zur postoperativen Stumpfödemkontrolle obliegt den Vorlieben des Operateurs. Eigene Erfahrungen mit einer ausschließlich auf die Hautnaht angelegten feinporigen Vakuumversiegelung sind bei problematischen Wundverschlüssen sind sehr gut (J. Ivan Krajbich et al. 2018b; Greitemann et al. 2016; Baumgartner 2007).

Transradiale Amputation

Vorüberlegungen

Baumgartner sieht bei der transradialen Amputation verschiedene Amputationslängen (Baumgartner 2007). Dabei unterscheidet er Amputationen im distalen, mittleren und proximalen Drittel und bezeichnet diese als lange, mittellange und kurze Stümpfe. Zudem beschreibt er den ultrakurzen Stumpf, bei welchem der Radius vollständig entfernt wird und nur eine Artikulation zwischen der Ulna und der Trochlea stattfindet. Nanos/Tintle berichten von einer Mindestlänge von 5 cm der Ulna, um ein Ellenbogengelenk zu erhalten (Tintle et al. 2010). Die Prothesenversorgung bei einem knöchernen Stumpf mit etwa zwei Daumendurchmessern Länge ist allerdings eine orthopädietechnische Herausforderung. Die Hauptunterschiede zwischen den von Baumgartner unterschiedenen Stumpflängen sind in der Hebellänge und in der Ausprägung der Supination und Pronation zu suchen. Lange Stümpfe können auch analog zur Handgelenksexartikulation ohne große stützende Einbindung des Ellenbogengelenkes prothetisch versorgt werden und beeinträchtigen dadurch die Supination und Pronation weniger. So sind bei einer Exartikulation die Supination und Pronation nahezu ungestört. Je weiter proximal amputiert wird, desto weniger ist die Unterarmumwendbewegung möglich. Bei den kurzen Stümpfen, welche etwa ein Drittel der Unterarmlänge aufweisen, ist sie kaum noch vorhanden und bei den ultrakurzen aufgrund des fehlenden Radius naturgemäß nicht mehr möglich. Zu beachten ist: Wenn bei den ultrakurzen Stümpfen der Radius entfernt wird, verliert die Bizepssehne ihren Ansatz. Während Rene Baumgartner und Lutz Brückner die Reinsertion der Bizepssehne für nicht notwendig erachten, wird dieses Vorgehen in der angloamerikanischen Literatur empfohlen. Da bei vollständigem Entfernen des Radius jedoch auch wesentliche Teile der die Beugung unterstützende Muskulatur verloren gehen, sollte aus Sicht des Autors eine Reinsertion der Bizepssehne in den noch vorhandenen knöchernen Ulnastumpf erwogen werden, damit am Oberarm keine konsekutive Muskelatrophie eintritt (J. Ivan Krajbich et al. 2018a; Baumgartner 2007; Greitemann et al. 2016). Abb. 6 zeigt ein Beispiel einer Unterarmamputation, bei der Ulna und Radius auf etwa gleicher Höhe abgesetzt sind.
Im Gegensatz zur unteren Extremität muss der Unterarmstumpfes nicht das Körpergewicht des Amputierten tragen. Die Funktionalität der späteren Prothese hängt deutlich von der Formgebung und Länge des Stumpfes ab. Aus diesem Grund sind auch plastische Weichteildeckung bzw. Spalthaut gedeckte Areale, mit dem Ziel der Erhaltung der Stumpflänge wichtige Elemente, welche bei der Wahl der Amputationshöhe in die Entscheidung einfließen müssen (Baas et al. 2009) (Abb. 7).

Operationstechnik

Die Grundprinzipien der Amputation am Unterarm unterscheiden sich im Wesentlichen nicht durch die gewählte Amputationshöhe. Aus diesem Grund wird das operative Vorgehen sowohl für die langen, mittellangen als auch kurzen Unterarmamputationen gemeinsam beschrieben.
Die Operation wird in der Regel in Rückenlage unter Auslagerung des Arms auf dem Armtisch durchgeführt. Bestehen keine Kontraindikationen für eine Oberarmblutsperre, sollte diese zur besseren Übersicht verwendet werden. Unmittelbar proximal des Handgelenkes findet sich ein großer knöcherner Querschnitt für Radius und Ulna. Besteht die Indikation zur transradialen Amputation, sollte aufgrund der sonst schlecht möglichen myoplastischen Deckung am Stumpfende die knöcherne Amputationshöhe nicht distal der Mitte des Musculus pronator quadratus erfolgen. In der angloamerikanischen Literatur wird bei einer langen Unterarmamputation die knöcherne Resektionsgrenze etwa 6–8 cm proximal des Handgelenkes angegeben. Da häufig traumatische Ursachen die Amputation bedingen, sollte jeder vorhandene Hautlappen für die Stumpfdeckung in Betracht gezogen werden. Auf ein Separieren der einzelnen Muskelkompartimente sollte verzichtet werden. Nach Festlegung der knöchernen Resektionsgrenze wird idealerweise sowohl volar als auch dorsalseitig ein durchgehender myofasziokutaner Lappen gebildet. In der so gut einsehbaren Resektionsfläche sind die Nervi ulnaris, radialis und medianus aufzusuchen. Diese werden ohne stärkere mechanische Manipulationen so weit gekürzt, dass die Nervenenden in der Muskulatur zu liegen kommen. Radius und Ulna sind, um späteren knöchernen Irritationen am Stumpfende vorzubeugen, auf gleicher Höhe abzusetzen. Baumgartner empfiehlt allerdings bei onkologischen Indikationen zu überdenken, ob unter Berücksichtigung einer möglichen Kompartmentresektion entweder Ulna oder Radius deutlich länger gelassen werden können. Es wird jedoch bei diesem Vorgehen der Querschnitt des Unterarmstumpfes verschmälert und die Gesamtstabilität durch Resektion eines der Unterarmknochen auf längerer Strecke vermindert.
Die knöchernen Kanten, welche sehr spitzkantig sein können, werden mit der Feile geglättet. Anschließend wird die Muskulatur rekonstruiert. Es empfiehlt sich, die Myoplastie der antagonisierenden Muskulatur zu unterstützen, indem in den tiefen Muskelschichten eine stabilisierende Myodese durchgeführt wird. Dies kann sowohl durch transossäre Bohrkanäle als auch durch kräftige Periostnähte nahe dem Übergang der Membrana interossärer zu den einzelnen Knochen geschehen. Es ist beim Fixieren der Muskulatur analog wie bei Amputationen der unteren Extremität auf eine muskuläre Vorspannung zu achten, damit keine übermäßige Atrophie entsteht. Diese würde im Versorgungsverlauf schlechtere myoelektrischen Signale bedingen. Nach Formung des muskulären Stumpfendes erfolgt der spannungsfreie Wundverschluss. Wenn möglich sollte die Hautnaht nicht unmittelbar am Stumpfende zu liegen kommen, sondern vorzugsweise am distalen dorsalen Unterarmstumpf (Abb. 8).
Literatur
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