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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 24.12.2024

Kapsel- und Bandverletzungen am Kniegelenk

Verfasst von: Sarah Schröter, Amanda Magosch, Romain Seil, Casper Grim und Martin Engelhardt
Kapsel- und Bandverletzungen des Kniegelenkes sind häufige Verletzungen, die durch verschiedene Mechanismen verursacht werden, z. B. im Rahmen sportlicher Aktivität, bei Stürzen oder bei Verkehrsunfällen.
Es gibt verschiedene Arten von Bandverletzungen, die im Knie auftreten können, darunter Verstauchungen, Zerrungen und Rupturen. Die akute Behandlung von Bandverletzungen des Kniegelenkes umfasst in der Regel Ruhe, Eis, Kompression und Hochlagerung (RICE), um Schwellungen und Schmerzen zu reduzieren. Zur Wiederherstellung von Kraft und Beweglichkeit ist Physiotherapie empfohlen. Unter bestimmten Voraussetzungen ist eine operative Versorgung indiziert, um die beschädigten Bänder und Strukturen zu rekonstruieren.
Zur Vorbeugung von Bandverletzungen des Kniegelenkes gehören im Allgemeinen eine gute allgemeine Fitness, eine korrekte Technik bei sportlicher (und alltäglicher) Aktivität sowie das Tragen geeigneter Schutzkleidung.

Relevante Anatomie

Einleitungz

Das Kniegelenk ist ein Scharniergelenk, das den Oberschenkelknochen (Femur) mit dem Schienbein (Tibia) verbindet. Es ist das komplexeste Gelenk des Körpers und trägt den größten Teil des Körpergewichts. Das Kniegelenk wird durch eine Kombination aus knöchernen Strukturen, Bändern und Muskeln stabilisiert, die zusammenarbeiten, um eine reibungslose und kontrollierte Bewegung zu ermöglichen (Abb. 1). Um das Kniegelenk findet sich eine Gelenkkapsel aus faserigem Bindegewebe, die ebenfalls zur Stabilisierung beiträgt. Neben den im Folgenden genannten großen Bändern des Kniegelenkes gibt es weitere kleinere Bänder, die ebenfalls für die Stabilität und den Halt des Gelenks sorgen. Dazu gehören das Ligamentum arcuatum, das Ligamentum popliteale obliquum und das Ligamentum transversum. Alle diese Bänder sind wichtig für die ordnungsgemäße Funktion des Knies und anfällig für Verletzungen. Die Kapsel sowie die unterschiedlichen Bänder des Kniegelenkes können nicht isoliert voneinander betrachtet werden, da sie teilweise ineinander übergehen. Der Kapsel-Band-Apparat ist daher auch als funktionelle Einheit zu sehen. Häufig liegen Kombinationsverletzungen unterschiedlicher Strukturen des Kniegelenkes vor.

Kapsel

Die Kapsel besteht aus einer äußeren derben Faserschicht (Membrana fibrosa) und einer inneren Schicht (Membrana synovialis). Die äußere Schicht besteht aus dichten, kreisförmig angeordneten Kollagenfasern, welche zur Unterstützung und Stabilisierung des Gelenks beitragen. Die Dicke der Gelenkkapsel variiert. An den knöchernen Ansatzpunkten ist sie am dicksten und in der Mitte zwischen den Knochen, wo sie sich dehnen und der Bewegung anpassen muss, am dünnsten. Die Synovialmembran ist eine dünne, zarte Gewebeschicht, die die Innenseite der Kapsel auskleidet. Sie besteht aus einer einzigen Schicht von Zellen, den Synoviozyten, die für die Produktion und Absonderung der Synovialflüssigkeit verantwortlich sind. Diese gewährleistet die Ernährung der im Gelenk befindlichen Strukturen und verringert den Verschleiß. Die Synovialmembran enthält außerdem kleine Blutgefäße, Lymphgefäße und Nervenenden, die das Gelenk versorgen und innervieren.

Mediales Seitenband

Das mediale Kollateralband des Kniegelenkes ist eine wichtige Struktur zur Stabilisierung des Gelenks. Das mediale Band, das auch als tibiales Seitenband (Ligamentum collaterale mediale, MCL) bezeichnet wird, befindet sich an der Innenseite des Kniegelenks. Als verstärkter Faserzug der Gelenkkapsel verbindet das Innenband den medialen Femurepikondylus mit dem medialen Tibiaplateau und stabilisiert das Knie vor seitlich einwirkenden Kräften bei gestrecktem Kniegelenk. Der Ursprung befindet sich unterhalb des Tuberculum adductorium und der Ansatz findet sich etwa 7 cm distal des Tibiaplateuas an der Facies medialis der Tibia. Es bestehen Verbindungen des Innenbands zu den meniskofemoralen und meniskotibialen Fasern. Gemeinsam mit der Sehne des M. semimembranosus und den ansetzenden Muskeln am Pes anserinus stabilisiert das Innenband das Kniegelenk nach posteromedial. Zwischen dem Pes anserinus und dem MCL befindet sich die Bursa anserina. Das MCL setzt sich aus drei ligamentären Hauptsrukturen zusammen: das oberflächliche Innenband (superficial MCL, sMCL), das tiefe Innenband (deep MCL, dMCL) und das hintere Schrägband (POL). Typischerweise ist bei Verletzungen der proximale, oberflächliche Anteil des MCLs betroffen. Der separate hintere Anteil des MCLs bildet mit Einstrahlung der Semimembranosussehne eine zusätzliche posteromediale Kapselverstärkung, welche als hinteres Schrägband (posterior oblique ligament, POL) bezeichnet wird.
Bei vollständiger Extension im Kniegelenk ist das gesamte Innenband angespannt, ebenso wie bei tibialer Innenrotation. Während der tibialen Außenrotation werden insbesondere die Anteile des Innenbands angespannt, die eine Verbindung zum Meniskus besitzen.

Laterales Seitenband

Das Außenband, welches auch als fibulares Kollateralband (Ligamentum collaterale laterale, LCL) bezeichnet wird, befindet sich an der lateralen Seite des Kniegelenks. Es verbindet den lateralen Femurepikondylus mit der Fibulaspitze als eigenständiges, nicht mit der Gelenkkapsel verbundenes Band und sorgt, ebenso wie das Innenband, für eine seitliche Stabilität des Kniegelenks in Streckstellung. Zwischen dem LCL und der Gelenkkapsel ziehen die Vasa genus distalia fibularia und die Sehne des M. popliteus hindurch. Die posterolaterale Kapselverstärkung umfasst neben dem LCL und der Gelenkskapsel unter anderem auch die Popliteussehne, das popliteofibulare Ligament, die Sehne des M. biceps femoris und den Tractus iliotibialis. Ebenso wie das mediale Kollateralband ist in Extension und tibialer Innenrotation das Außenband gespannt.

Kreuzbänder

Die beiden Kreuzbänder, das vordere Kreuzband (VKB) und das hintere Kreuzband (HKB), werden nach ihrer Lage im Kniegelenk und ihrer Funktion zur Stabilisierung des Gelenks benannt. Beide Kreuzbänder liegen zwischen der Membrana synovialis und der Membrana fibrosa der Gelenkkapsel und sind somit intrakapsulär aber extrasynovial (Van Dommelen und Fowler 1989; Girgis et al. 1975). Beide Kreuzbänder bilden zentrale Pfeiler für die Kniegelenksstabilität. Das VKB befindet sich in der Mitte des Kniegelenks und verläuft von der Vorderseite der Tibia (mittlerer Anteil der Area intercondylaris) zur Innenseite des lateralen Femurcondylus an der Fossa intercondylaris. Histologisch handelt es sich um ein starkes Faserband. Das VKB besteht aus zwei Teilen: dem anteromedialen (AM) Bündel und dem posterolateralen (PL) Bündel. Das AM-Bündel befindet sich medial und spannt sich bei Einwärtsdrehung der Tibia an. Das PL-Bündel befindet sich lateral und spannt sich bei Auswärtsdrehung an (Mommersteeg et al. 1995; Hirschmann und Müller 2015). Im Zusammenspiel verhindert das VKB vor allem die femorotibiale Translation und anteilig auch die Rotation.
Das HKB befindet sich ebenfalls zentral im Kniegelenk und verläuft von der Area intercondylaris posterior des Tibiaplateus zum mittleren Bereich der Fossa intercondylaris am medialen Femurcondylus. Es verhindert die posteriore Bewegung der Tibia gegen das Femur. Das HKB ist kürzer als das VKB und verläuft steiler (Van Dommelen und Fowler 1989). Ebenso wie das VKB kann das HKB in ein anteriores und ein posteriores Bündel, benannt nach dem femoralen Ursprung, eingeteilt werden. Die zwei Anteile bilden eine funktionelle Einheit, die während unterschiedlicher Bewegungsausmaße die Stabilität sichern: das anteriore Bündel ist bei einer mittleren Knieflexion am straffsten, das posteriore Bündel ist sowohl bei vollständiger Extension als auch bei tiefer Beugung straff (Amis et al. 2006).

Meniskotibiale Bänder

Die meniskotibialen Bänder tragen entscheidend zur Stabilität der Menisken bei. Sie verbinden beide Menisken mit der Tibia und sichern so den Halt der Menisken im Kniegelenk. Es gibt zwei Arten von Meniskotibialbändern: das vordere und das hintere. Das vordere meniskotibiale Band verläuft von der vorderen Seite des Innen- bzw. des Außenmeniskus zur Tibia, während das hintere meniskotibiale Band von der Hinterseite des Innen- bzw. des Außenmeniskus zur Tibia verläuft. Diese Bänder wirken zusammen, um eine übermäßige Rotation und Verschiebung zu verhindern.

Meniskofemorale Bänder

Die meniskofemoralen Bänder sind Verbindungen zwischen dem medialen und lateralen Meniskus und dem Femur. Sie tragen entscheidend zur Stabilität des Kniegelenks und zur Kraftübertragung zwischen Femur und Tibia bei.
Es gibt zwei Arten von meniskofemoralen Bändern: das vordere meniskofemorale Ligament (AMFL), auch Ligamentum Humphrey genannt, und das hintere meniskofemorale Ligament (PMFL), auch Ligamentum Wrisberg. Das AMFL verläuft anterior des hinteren Kreuzbands und verbindet das Hinterhorn des Innenmeniskus mit der Vorderseite des lateralen Femurkondylus. Das PMFL verläuft hingegen posterior des hinteren Kreuzbands und stellt eine Verbindung zwischen dem Vorderhorn des Außenmeniskus und der Rückseite des medialen Femurkondylus dar. Durch den anatomisch ähnlichen Verlauf der meniskofemoralen Bänder und des hinteren Kreuzbands haben das AMFL und das PMFL eine ähnliche Funktion im Kniegelenk wie das hintere Kreuzband. Sie verhindern exzessive Translationen des Femurs gegen die Tibia und sichern zusätzlich die Position der Menisken im Kniegelenk.

Mediale Kollateralbandruptur

Epidemiologie

Das mediale Kollateralband ist das am häufigsten verletzte Band des Kniegelenks. Im Gegensatz zum intraartikulär gelegenen vorderen Kreuzband heilen letztere in den meisten Fällen ohne operative Versorgung aus. Verletzungen des medialen Kollateralbands kommen deutlich häufiger vor als Verletzungen des lateralen Kollateralbands. Betrachtet man alle Bandverletzungen am Kniegelenk, so ist das MCL in 42 % der Fälle betroffen, überwiegend bei multiligamentären Verletzungen. Am häufigsten ist die Assoziation von Verletzungen des MCL und des VKBs. Die spezifische Verletzungskonstellation im Rahmen der „unhappy triad“ wurde erstmals durch O’Donoghue beschrieben (O’Donoghue 1959). Die „unhappy triad“ besteht aus einer spezifischen Kombination von drei primären Verletzungen: einem Riss des VKBs, einem Riss des MCLs und einem Riss des Innenmeniskus. Isolierte Verletzungen liegen in lediglich 29 % der Fälle vor (Bollen 2000).

Pathogenese

Insbesondere seitliche Krafteinwirkungen wie exzessiver Valgusstress resultieren in isolierten Seitenbandverletzungen am Kniegelenk. Es gibt sowohl indirekte als auch direkte Traumen, wobei indirekte Krafteinwirkungen in leichter Knieflexion mit Rotationskomponente den Großteil der Verletzungsmechanismen ausmachen. Bei forcierten Rotationstraumata ist das POL betroffen. Eine Ruptur des POL erfordert eine Rekonstruktion, um die Stabilität der Innenrotation des Kniegelenks zu erhalten (Nelwan 2023).
Kontaktfreie Verletzungen des medialen Kollateralbandapparats treten häufig durch einen Außenrotations-Valgus-Mechanismus auf, bei dem zusätzlich das VKB und der Innenmeniskus im Rahmen der „unhappy triad“ betroffen sein kann. Hierbei resultier die VKB-Verletzung aus einer abrupten Verlagerung oder Überdehnung des Kniegelenks, insbesondere bei einer plötzlichen Rotationsbewegung oder einem abrupten Stopp mit anterior-posteriorer Stresseinwirkung. Der Riss des MCL ist das Resultat einer lateralen Krafteinwirkung auf das Knie, was zu einer Beeinträchtigung der medialen Stabilität führt. Gleichzeitig tritt der Meniskusriss aufgrund von Verdrehbewegungen oder übermäßigen axialen Belastungen auf, was zu einer Beeinträchtigung der Meniskusfunktion führt.

Diagnostik

Bei dem Verdacht auf eine Kollateralbandverletzung sollte nach der Anamneseerhebung eine standardisierte klinische Untersuchung folgen. Diese umfasst zunächst die Inspektion, wobei das Vorliegen eines lokalen Hämatoms von Bedeutung ist. Die Palpation ermöglicht die MCL-Verletzung je nach Schmerzpunkt zu lokalisieren (femoral vs tibial). Zur Überprüfung von medialen Instabilitäten dient der Valgusstresstest in 0° und 20–30° Knieflexion. Je nach Befund können die Kollateralbandverletzungen anhand eines Graduierungssystems in 3 unterschiedliche Grade eingeteilt werden (Tab. 1 und 2). Grad-3-Läsionen sind fast immer mit anderen Bandrupturen, insbesondere VKB-Läsionen vergesellschaftet. Ergänzend wird die konventionelle bildgebende Diagnostik mittels Röntgen in zwei Ebenen durchgeführt (z. B. zum Ausschluss eines Pellegrini-Stieda-Schattens als Hinweis auf eine stattgehabte Verletzung). Röntgenologische Stressaufnahmen sind zur Objektivierung chronischer Instabilitäten sinnvoll. Nichtsdestotrotz weist das MRT die höchste Sensitivität für die Detektion von ligamentären Verletzungen am Kniegelenk auf. In einigen Literaturquellen sind die Angaben der Sensitivität der MR-Tomografie mit 86 % für akute MCL-Rupturen angegeben (Halinen et al. 2009). Allerdings bewerten einige Studien die Übereinstimmung zwischen der MRT und der klinischen Einstufung von akuten MCL-Verletzungen kritischer, da die MRT den Grad der Verletzung fast immer überschätzte (Watura et al. 2022). Nichtsdestotrotz gibt es einige MR-tomografische Zeichen (Welligkeit des oberflächlichen MCL und Verletzungen des tiefen MCL, ACL und POL), welche mit einer klinischen Instabilität korrelieren (Sajjadi et al. 2023; Cristiani et al. 2024). Die klinische Instabilität im Sinne einer Aufklappbarkeit in Streckstellung bleibt das wichtigste Kriterium für die Therapieentscheidung.
Tab. 1
Graduierung der Verletzungen der Kollateralbänder des Kniegelenks nach Fetto und Marshall (1978)
Grad 1
Keine Instabilität, Dehnungsschmerz
Grad 2
Aufklappbarkeit in 30° Knieflexion, Dehnungsschmerz
Grad 3
Aufklappbarkeit in 0° und 30° Knieflexion, kein Dehnungsschmerz
Tab. 2
Graduierung der Verletzungen der Kollateralbänder des Kniegelenks nach der American Medical Association (AMA). (Rachun 1968)
Grad 1
Lokalisierter Schmerz entlang der medialen Strukturen des Kniegelenks, geringe klinische Aufklappbarkeit zwischen 0 und 5 mm
Grad 2
lokalisierte Schmerzen entlang der Strukturen des medialen Bandapparats, vermehrte Aufklappbarkeit zwischen 6 und 10 mm mit festem Anschlag
Grad 3
Aufklappbarkeit > 10 mm bei der Stresstestung in Streckstellung, fehlender fester Anschlag

Therapie – Akute Verletzungen

Konservative Therapie

Akute isolierte Kollateralbandverletzungen (Grad 1 und Grad 2) stellen eine Indikation zur konservativen Therapie dar. Sie besteht aus einer Ent- bzw. Teilbelastung, ggfs. einer schmerzlindernden Medikation, der Anlage einer beweglichen Hartrahmenorthese und frühfunktionellen Trainingstechniken. Im Durchschnitt beträgt die Therapiedauer 6 Wochen.
Verletzungen des Innenbands werden mittels Hartrahmenorthese (im Sinne eines External-Bracings) unter freiem Bewegungsumfang therapiert. Eine initial symptomadaptierte Entlastungsphase ist in einigen Fällen nötig. Patienten mit Grad-1-Verletzungen sind meist nach 2–4 Wochen, Patienten mit Grad-2-Verletzungen meist nach 4–6 Wochen wieder sportfähig.

Operative Therapie

Akute Grad-3-Läsionen am medialen Bandapparat sollten je nach individuellem OP-Risiko operativ versorgt werden (Abb. 2). Indikationen zur operativen Versorgung sind:
  • tibialer Abriss des medialen Seitenbandes mit Dislokation des Bandendes
  • „Stener-like“-Läsion (Dislokation des sMCL über den Pes anserinus superficialis)
  • intraligamentäre Ruptur des Kapsel-Band-Komplexes auf Höhe des Gelenkspalts mit gleichzeitiger Meniskusverletzung
  • Ruptur des POL, insbesondere bei Mehrfachverletzungen und Genu valgum
Die operativen Versorgungsmöglichkeiten am Innenband bestehen aus der offenen Bandnaht und der knöchernen Refixation mittels Fadenanker. Insbesondere tibiale Ausrisse mit Dislokationen des distalen Bandendes werden offen mittels Nahtankern refixiert. Interligamentäre Rupturen mit Desinsertionen des Innenmeniskus werden mittels Nähten (z. B. U-Nähte) und arthroskopisch-unterstützenden Verfahren zur Adressierung des Innenmeniskus (z. B. Inside-out- oder All-inside-Techniken) behandelt.
In den letzten Jahren hat die Häufigkeit von MCL-Rekonstruktionen mittels Bandplastiken signifikant zugenommen. Die operativen Verfahren reichen von anatomischen Rekonstruktionen durch die Verwendung von femoralen Tunneln über tibiale Einbringtechniken (Bonadio et al. 2017; Zhang et al. 2014). Die in einer zusammenfassenden Übersichtsarbeit analysierten Studien benutzten eine Vielzahl von Transplantaten, darunter Hamstring- und Quadrizepssehnen-Autotransplantate sowie Achillessehnen- und Hamstring-Allotransplantate (Varelas et al. 2017). Abb. 3 zeigte einen Algorithmus zur Behandlung von medialen Kollateralbandverletzungen.

Therapie – Chronische Verletzungen

Konservative Therapie

Bei isolierten medialen Instabilitäten ohne weitere Begleitpathologien kann die Indikation zur konservativen Therapie bestehen. Die Patienten können die Instabilität meist gut kompensieren. Falls weitere Risikofaktoren, wie das Genu valgum oder Kreuzbandinstabilitäten, vorliegen, sollten in erster Linie diese addressiert werden.

Operative Therapie

In der Vergangenheit wurden chronische Instabilitäten am Innenband durch raffenden Methoden (z. B. Raffung nach Hughston) angewandt. Dies wird heutzutage nicht mehr empfohlen.
Die Rekonstruktion des MCLs wird nach heutigem Standard mittels Bandplastiken (autologe oder allogene Sehnentransplantate) durchgeführt (LaPrade et al. 2007). Die heutzutage am häufigsten verwendeten Methoden sind die nach LaPrade, Wijdicks und Lind (Varelas et al. 2017; LaPrade et al. 2007; Lind et al. 2009). Die Indikation zur operativen Rekonstruktion ist bei höhergradigen (Grad 3) Insuffizienzen gegeben. Die Wahl des Innenband-Transplantats sollte patientenindividuell geprüft werden. Mögliche Transplantate sind laut einer systematischen Übersichtsarbeit (Varelas et al. 2017): Autologe Semitendinosus-Sehne (37,8 %), allogene Achillessehne (21,5 %), allogene Tibialis anterior Sehne (11,6 %), autologe kombinierte Sehnentransplantate mittels Semitendinosus- und Gracilis-Sehne (8,7 %) und allogene Sehnentransplantate (20,4). Es bleibt zu bemerken, dass eine mediale Kollateralbandplastik mittels autologer, ipsilateraler Semitendinosus-Gracilis-Sehne die mediale Stabilität zusätzlich schwächen kann(Domnick et al. 2016).

Laterale Kollateralbandruptur

Epidemiologie

Das laterale Kollateralband ist nur in ca. 2 % aller Bandverletzung am Kniegelenk betroffen. Typischerweise sind Verletzungen das LCLs mit schwerwiegenden Verletzungsmustern der posterolateralen Ecke assoziiert (Bollen 2000). Die Ruptur des lateralen Kollateralbands ist in 43–80 % der Fälle mit einer vorderen bzw. hinteren Kreuzbandruptur assoziiert.

Pathogenese

Insbesondere exzessiver Varusstress resultiert in isolierten Außenbandverletzungen am Kniegelenk. Es gibt sowohl indirekte als auch direkte Traumen, wobei indirekte Krafteinwirkungen in Rotationsstellung den Großteil der Verletzungsmechanismen ausmachen. Eine Kombination aus HKB-Ruptur und LCL-Ruptur ist z. B. im Rahmen von Kniegelenksluxationen wahrscheinlich.

Diagnostik

Bei dem Verdacht auf eine Kollateralbandinstabilität sollte nach der Anamneseerhebung eine standardisierte klinische Untersuchung folgen. Inspektorisch lassen sich gelegentlich, vor allem bei hochgradigen Verletzungen der antero-/posterolateralen Ecke, Schwellungen und Hämatomverfärbungen feststellen. Das LCL lässt sich am besten in der Viererposition palpieren. Laterale Instabilitäten werden mittels Varusstresstest ebenfalls in 0° und 20–30° Knieflexion geprüft, wobei diese Untersuchung immer im Seitvergleich durchgeführt werden sollte, da die laterale Öffnung des Gelenks erhebliche interindividuelle Unterschiede aufweisen kann. Der Dial-Test (tibialer Außenrotationstest in Bauchlage) kann bei Verdacht auf Verletzungen der posterolateralen Kniegelenksstrukturen hilfreich sein. Ebenso werden der posterolaterale Schubladentest, der Außenrotations-Asymmetrie-Test nach Cooper und der Außenrotations-Überstreck-Test nach Hughston und Norwood angewendet, um zielgerichtet posterolaterale Instabilitäten zu diagnostizieren.
Ergänzend werden ebenfalls die gleichen radiologischen Verfahren wie bei medialen Bandverletzungen empfohlen.

Therapie

Konservative Therapie

Die konservative Therapie ist bei Verletzungen des Außenbands nicht zu bevorzugen, da die muskuläre Kompensation eingeschränkt und die Heilungstendenz sich nicht so gut wie am medialen Bandkomplex zeigt (Ulmer und Imhoff 2006). Nichtsdestotrotz kann bei isolierten Varusinstabilitäten (Grad I – II nach Tab. 1) eine konservative Therapie begonnen werden. Der Bewegungsumfang ist zunächst unter 20 kg Teilbelastung für 2–4 Wochen limitiert. Generell kann ab der 3.–4. Woche eine funktionelle Beübung und Aufbelastung unter Anlage einer Hartrahmenorthese durchgeführt werden. Eine Beübung ohne Orthese ist frühestens ab der 7. posttraumatischen Woche empfohlen.

Operative Therapie

Die offene Bandnaht am lateralen Kapsel-Band-Komplex ist meist frustran, da sich die Bandenden häufig nicht rekonstruieren lassen. Regelmäßiger werden Bandplastiken (autolog oder allogen) nach Larson, Arciero oder LaPrade (Abb. 4) eingesetzt (LaPrade et al. 2007; Weiß et al. 2020). In den überwiegenden Fällen werden M. semitendinosus-Sehnentransplantate verwendet. Bei großen knöchernen Abrissfrakturen an der proximalen Fibula sind gelegentlich Refixationen mittels Verschraubungen bzw. Zuggurtungsosteosynthesen notwendig.

Knieluxation

Epidemiologie

Die Knieluxation ist eine seltene, aber schwerwiegende Verletzung, die weniger als 0,1 % aller muskuloskelettalen Verletzungen ausmacht. Zu einer Luxation des Kniegelenks kommt es meist im Rahmen von Hochrasanztraumen, wie z. B. bei Autounfällen oder Stürzen aus großer Höhe. Deutlich seltener kommt es bei (Ultra-)Niedrigrasanztraumen, z. B. im Sport oder bei starkem Übergewicht, zu Luxationen des Kniegelenks. Häufig kommt es dabei zu einer spontanen Reposition, weshalb ein Großteil der Knie(sub)luxationen primär übersehen wird. Im Allgemeinen sind beide zentralen Pfeiler (VKB und HKB) rupturiert. Im Rahmen von Luxationsereignissen besteht ein hohes Risiko für Verletzungen der Arteria poplitea (bei durchschnittlich 30 % aller Luxationen) und des Nervus peroneus (bei durchschnittlich 25 % aller Luxationen) (Robertson et al. 2006; Gray und Cindric 2011; Alberty et al. 1981).

Klassifikation

Kniegelenksluxationen werden nach der Anzahl beteiligter verletzter Strukturen und somit der Schwere der Verletzungen nach Schenk klassifiziert (Tab. 3) (Schenck 2003).
Tab. 3
Klassifikation der Knieluxation nach Schenck mit Modifikationen von Wascher und Stannard (Lind et al. 2009). Bei zusätzlicher Gefäßverletzung wird der Buchstabe „C“, bei Nervenverletzungen der Buchstabe „N“ angefügt
Kniedislokation (Schweregrad)
Beschreibung
KD-I
Isolierte Kreuzbandruptur (VKB oder HKB) kombiniert mit einer Seitenbandruptur
KD-II
Ruptur beider Kreuzbänder
KD-IIIM
Ruptur beider Kreuzbänder, Ruptur mediales Seitenband
KD-IIIL
Ruptur beider Kreuzbänder, Ruptur laterales Seitenband/posterolaterale Bandstrukturen
KD-IV
Ruptur beider Kreuzbänder, Ruptur mediales und laterales Seitenband/posterolaterale Bandstrukturen
KD-V.1
Isolierte Kreuzbandruptur kombiniert mit Seitenbandruptur und Gelenkfraktur
KD-V.2
Ruptur beider Kreuzbänder kombiniert mit Gelenkfraktur
KD-V.3M
Ruptur beider Kreuzbänder, mediale Seitenbandruptur und Gelenkfraktur
KD-V.3L
Ruptur beider Kreuzbänder, Ruptur laterales Seitenband/posterolaterale Bandstruktur, Gelenkfraktur
KD-V4
Ruptur beider Kreuzbänder, Ruptur mediales und laterales Seitenband/posterolaterale Bandstrukturen, Gelenkfraktur

Diagnostik

Bleibt die Spontanreposition aus, muss jede Kniegelenksluxation notfallmäßig schnellstmöglich reponiert werden, um das Risiko von Komplikationen zu reduzieren. Eine vorausgehende und nachfolgende Überprüfung der peripheren Sensibilität, Motorik und Durchblutung ist obligat. Diese sollte auch im Verlauf der weiteren Diagnostik rezidivierend geprüft werden, um Komplikationen rasch zu erkennen (z. B. sekundäre Gefäßverschlüsse bei Intimaverletzungen). Als hilfreich in der Notaufnahme hat sich der sog. „ankle-brachial“-Index erwiesen. Eine weiterführende gründliche körperliche Untersuchung (mit Prüfung der Bandstabilität) ist in der Akutsituation aufgrund starker Schmerzen häufig nicht möglich und muss daher ggf. im Verlauf nachgeholt werden. Neben der körperlichen Untersuchung ist eine ausgiebige bildgebende Diagnostik erforderlich, um das Ausmaß der Verletzung feststellen zu können. Projektionsradiografische native Röntgenbilder sollten zum Ausschluss einer Fraktur durchgeführt werden. Bei Vorliegen einer intraartikuläre Fraktur kann eine CT-Diagnostik zur Präzision der Lokalisation, des Dislokationsgrads und des Ausmaßes der Verletzung erfolgen. Eine Doppler-Sonografie der peripheren Gefäße ist heutzutage in der Erstdiagnostik obligat. In Abhängigkeit der Kapazitäten ist anschließend eine Angio-CT oder eine Angio-MRT-Untersuchung zwingend nötig, um Gefäßverletzungen adäquat einschätzen zu können. Zur Beurteilung des Ausmaßes der Bandverletzungen sollte nach der Akutdiagnostik eine MR-Bildgebung des Kniegelenks erfolgen.

Therapie

Die zeitnahe geschlossene Reposition ist das primäre Therapieziel. Gelegentlich lassen sich posterolaterale Luxationen durch Einklemmungen des medialen Kapselbandkomplexes bzw. des M. vastus medialis nicht geschlossen reponieren, was eine Indikation zur offenen Reposition darstellt. Bei dem Verdacht auf eine Gefäßverletzung (bei asymmetrischem Pulsstatus, einer verlängerten Rekapillarisierungszeit oder einer peripheren Zyanose) sollte frühzeitig der Entschluss zur operativen Therapie getroffen werden. Eine Ischämiezeit von über 7 h ist mit einer signifikant erhöhten Amputationsrate assoziiert (Banderker et al. 2012).

Operative Therapie

Indikationen für eine notfallmäßige operative Versorgung sind arterielle Gefäßverletzungen, nicht reponierbare Gelenke, reluxierende Gelenke, ein bestehendes oder drohendes Kompartmentsyndrom oder offene Verletzungen. Die notfallmäßige operative Versorgung besteht aus der Anlage eines Fixateur externe, Vakuumverbänden und Gefäßnähten/-rekonstruktionen.
Um Instabilitäten des Kniegelenks auszugleichen bzw. zu vermeiden, müssen verletzte Bandstrukturen meist operativ rekonstruiert werden. Die operative Herangehensweise ist dabei stark von der Verletzungskombination abhängig. Wenn möglich, sollte eine einzeitige Reparation oder Rekonstruktion der Kollateralbänder und des zentralen Pfeilers (VKB und HKB) angestrebt werden. Bei einer minimalinvasiven arthroskopischen Operation sollte nicht innerhalb der ersten posttraumatischen Woche operiert werden, um den Flüssigkeitsaustritt in das umliegende Gewebe durch die Kapselverletzung zu minimieren. Eine Reparation der Kollateralbänder ist in einem Zeitraum von 2–3 Wochen ideal, danach verhindert die Vernarbung eine anatomische Reparation der Bänder. Ein zweizeitiges Vorgehen, bei dem zunächst die Rekonstruktion der Kollateralbänder und erst im Verlauf die Rekonstruktion des zentralen Pfeilers stattfindet ist allerdings auch möglich. Auch bei assoziierten Meniskusverletzungen werden frühzeitige operative Versorgungen empfohlen (bis zu 3 Wochen nach dem Trauma). Bei ausgiebigen Bandrekonstruktionen sollte die limitierte Anzahl der zur Verfügung stehenden autologen Sehnentransplantate berücksichtigt werden. Bei Bedarf kann hier auch auf das unverletzte Kniegelenk der Gegenseite zurückgegriffen werden. Alternativ sollten allogene Sehnentransplantate organisiert werden.

Nachbehandlung

Nach einer Kniegelenksluxation besteht ein erhöhtes Risiko für ein Kompartmentsyndrom, weshalb die betroffenen Patienten dahingehend überwacht werden müssen. Nach Reposition beinhaltet die Akuttherapie die Immobilisation der Extremität (z. B. in einer Orthese) sowie die adäquate Analgesie und die Anwendung lokal abschwellender Maßnahmen wie Hochlagerung und lokale Kryotherapie. Bis das volle Verletzungsausmaß eingeschätzt werden kann, empfiehlt sich eine Entlastung unter leitliniengerechter Thromboseprophylaxe.
Nach operativer Versorgung hängt die Nachbehandlung in punkto Belastung und Mobilisation des Kniegelenks in erster Linie von den rekonstruierten Bändern ab. Bei begleitender HKB-Rekonstruktion hat sich die Verwendung einer dynamischen HKB-Orthesenversorgung bewährt, deren Verwendung über mehrere Monate empfohlen wird.

Chronische Knieinstabilität

Die chronischen Instabilitäten des Kniegelenks unterscheiden sich je nach Richtung der Instabilität in sagittale Instabilitäten (anterior-posterior) und frontale Valgus-Varus-Instabilitäten (medial bzw. lateral). Kombinierte Rotationsinstabilitäten (posteromedial, posterolateral) sind keine Seltenheit bei Multiligamentverletzungen (Multiligament-Knee Injury, MLKI).

Epidemiologie

Chronische Knieinstabilitäten unterscheiden sich hinsichtlich der Epidemiologie nicht von den akuten Instabilitäten nach Bandverletzungen. Rupturen der zentralen Pfeiler (des vorderen und des hinteren Kreuzbands) sind die häufigsten traumatischen Bandverletzungen und die häufigsten Ursachen für chronische Instabilitäten. Circa 70 % aller Kreuzbandverletzungen entstehen als kontaktfreie Verletzungen in Sportarten mit raschen Richtungswechseln (z. B. Handball, Fußball, Basketball) (Kohn 2016).

Pathomechanik

Durch chronische VKB-Insuffizienzen entstehen anteriore Instabilitäten, bei denen die Reduktion der anterioren Tibiaverschiebung sowie die tibiale Rotationsstabilität nicht weiter durch das insuffiziente Kreuzband gewährleistet werden kann. Es kommt in der Folge zu einer Überanspruchung bestimmter Knorpelareale (durch eine Medialisierung des Rotationszentrums) und einer vermehrten Belastung der Meniskushinterhörner. Posteriore Instabilitäten werden durch HKB-Rupturen oder Verletzungen der posteromedialen bzw. posterolateralen Ecke verursacht. Eine erhöhte posteriore Translation ist assoziiert mit hohen Inzidenzen von medialen Knorpelschäden. Zusätzlich sind die posteromediale und posterolaterale Ecke wichtige sekundäre Stabilisatoren, die während der Knieflexion gegen die posteriore tibiale Translation stabilisieren. Vergleichend mit der chronischen anterioren Instabilität ist die posteriore Instabilität nicht so schwerwiegend, da Instabilitäten häufig nur in 90° Flexion auftreten. Zusätzlich wird die posteriore Instabilität zum Teil durch den tibialen Slope verhindert, der in Extensionsstellung einen stabilisierenden Effekt hat.

Diagnostik

Die Diagnostik von chronischen Instabilitäten begründet sich hauptsächlich auf der Anamnese, der Inspektion und der körperlichen Untersuchung der Patienten. Während der Anamnese ist es entscheidend, Coper und Non-Coper zu unterscheiden, je nachdem ob der Patient die Instabilität kompensieren kann (Coper) oder nicht (Non-Coper). Zusätzlich gibt es sogenannte „Avoider“, welche ihre sportliche Aktivität angepasst haben und dadurch bei sportlicher Aktivität nur geringe Symptome verspüren. Diese Patientengruppe ist besonders gefährdet, schwerwiegende Langzeitfolgen zu entwickeln, da die Fehlbelastung im Kniegelenk degenerative Schäden verursacht. Ein Hauptsymptom der chronischen posterioren Instabilität ist der mediale Gelenkschmerz, weshalb dieses Krankheitsbild klinisch häufig fälschlicherweise als Meniskusverletzung eingeordnet wird. Bei der Inspektion sollten die Beinachse sowie das Gangbild des Patienten untersucht werden. Typisch für chronische posterolaterale Instabilitäten ist das sogenannte „Varus-thrust“-Phänomen, bei dem das Kniegelenk bei Belastung temporär nach lateral wegklappt. Im Endstadium entwickelt der Patient eine chronische Varus- bzw. Hyperextensions-Varusdeformität (sog. „double“- oder „triple-Varusdeformitäten“ n. Noyes). Während der körperlichen Untersuchung sind Stabilitätsstests bedeutend. Diese werden in der Frontalebene (Varus-/Valgusstresstest), in der Sagittalebene (Lachman-/Schubladentest) und als Kombinationsbewegungen (Pivot-Shift-Test bzw. inverser Pivot-shift Test) ausgeführt. Bei der Durchführung der Tests ist auf eine entspannte Atmosphäre zu achten, damit Fehlerquellen wie z. B. die muskuläre Anspannung vermieden werden. Tab. 4 listet Empfehlungen zur grundlegenden klinischen und radiologischen Diagnostik.
Tab. 4
Empfehlungen zur grundlegenden klinischen und radiologischen Diagnostik der MLKI, basierend auf aktuellen Konsensusprojekten. (Chahla et al. 2019; Posterolaterale Instabilität des Kniegelenks o. J.)
Klinische Diagnostik
Radiologische Diagnostik
1. Allgemeine klinische Untersuchung des Kniegelenks,
2. Stabilität LCL und MCL in 0° Streckung und 20° Beugung,
3. Hintere Schublade (90° in Innen/Aussen und Neutralrotation),
4. Femorotibiale Aussenrotationsinstabilität (Dial-Test) im Sitz in 30° und 90° Flexion im Seitenvergleich
5. Godfrey-Test & Step-off-sign
6. Hyperextensionstest & Reversed-Pivot-Shift-Test
7. Gangbild & 4 Evaluation des Varus-Thrust
1. Kniegelenk streng seitlich in 30°
2. Slope-Assessment proximale Tibia seitlich (20 cm)
3. Ganzbeinaufnahme frontal im Stand
4. Stressaufnahmen HKB + Kollateralbänder im Seitenvergleich
5. Stressaufnahmen VKB im Seitenvergleich (Ausschluss fixierte hintere Schublade)
6. ggf. Durchleuchtung bei V. a. posterolaterale oder posteromediale RI
7. aktuelles MRT
8. Posttraumatisches MRT (wenn möglich)
9. ggf. CT bei Fraktursituation und zum Bohrkanal-Assessment
10. Angiografie bei ABI < 0,9

Therapie

Die Therapie der chronischen Kniegelenksinstabilität richtet sich nach dem Insuffizienzmuster und der Schwere der Instabilität. Die Entscheidung zwischen einer konservativen und einer operativen Therapie wird patientenindividuell und anforderungsspezifisch durchgeführt. Die Prävention der instabilitätsbedingten Osteoarthrose rückt mit zunehmendem Alter in den Hintergrund, sodass insbesondere Instabilitätssymptome ausschlaggebend für die Entscheidung zur operativen Therapie sind (Moksnes et al. 2008).

Konservative Therapie

Die konservative Therapie bei chronischen Kniegelenksinstabilitäten stützt sich auf die physiotherapeutische Beübung sowie ein gezieltes Koordinations- und Kräftigungsprogramm. Im Vordergrund steht ein propriozeptives Training mit Anpassung der sportlichen Aktivität. Eine evidenzbasierte zusätzliche Orthesenversorgungen ist bislang nur für chronische hintere Instabilitäten beschrieben (z. B. PCL Brace). Hartrahmenorthesen, wie die Unloader Brace (z. B. Don Joy®), können bei posteromedialen oder posterolateralen Instabilitäten hilfreich sein, um das subjektive Instabilitätsgefühl zu vermindern.

Operative Therapie

Bei chronischen multiligamentären Kniegelenksinstabilitäten mit oder ohne Deformitäten der betroffenen Beinachse handelt es sich, sowohl was die präoperative Planung, die technische Durchführung des Eingriffes als auch die postoperative Versorgung angeht, um sehr komplexe Eingriffe, die erfahrenen Operateuren und Zentren vorbehalten werden sollten. Die klinischen Umstände sind hierbei häufig selten und sehr vielfältig, sodass sich oft nur schwer allgemeingültige Kriterien oder Behandlungsrichtlinien ableiten lassen.
Grundsätzlich gilt, dass verschiedene operative Strategien zur Behandlung dieser komplexen Fälle existieren: arthroskopische Versorgungen von Begleitschäden, komplexe ligamentäre Rekonstruktionen, Beinachsenverlagerungen (Osteotomien mit Korrekturen in der frontalen und/oder sagittalen Ebene) und Oberflächenersatzeingriffe (Prothesenversorgungen).
Die alleinige arthroskopisch-gestützte Behandlung von Begleitschäden wie Knorpel- und Meniskusläsionen kann eine oft nur vorübergehende Linderung der Symptomatik erzeugen, da sie die Ursache der Verletzung und die Instabilität des Kniegelenks selbst nicht versorgt.
Von den kausalen Operationsmethoden kommen ligamentäre Rekonstruktionen am häufigsten zur Anwendung. In erster Linie kommen hierbei Kreuzbandplastiken zur Verwendung, wobei es sich nicht selten um Revisionseingriffe handelt, bei denen wiederum gesonderte Kriterien berücksichtigt werden müssen (Tischer et al. 2023; Condello et al. 2023). Da es sich häufig um multiligamentäre Bandrekonstruktionen handelt muss, die Transplantatauswahl streng überdacht werden (s. oben). Anterolaterale Instabilitäten können durch Operationstechniken wie die modifizierte Lemaire-Technik oder einer anterolateralen Bandplastik behandelt werden. Zur Versorgung der medialen Begleitinstabilitäten stehen ebenfalls mehrere Bandersatzplastiken zur Verfügung (s. MCL Instabilitäten). Gleiches gilt für die posterolateralen Instabilitäten (AGA-Komitee-Knie-Ligament 2020).
Beinachsenkorrekturen werden in Abhängigkeit der vorliegenden Deformität bzw. Instabilität in Betracht gezogen. Sie können entweder vor oder gleichzeitig zu ligamentären Rekonstruktionen durchgeführt werden. Bei chronischen anterioren Instabilitäten sollte die Notwendigkeit einer Reduktion der Dorsalneigung des Tibiaplateaus (engl.: slope) überprüft werden. Der Grenzwert liegt hier bei einer kaukasischen Bevölkerung bei 12°, gemessen nach der Methode n. Dejour (Tischer et al. 2023; Dejour 2018). Bei hochgradigen bzw. in der hinteren Schublade fixierten chronischen posterioren Instabilitäten ist eine Erhöhung der Neigung des Tibiaplateaus anzustreben. Es gibt verschiedene Operationsmethoden, um diese Ziele zu erreichen. Die Überlegenheit einer bestimmten Methode über eine andere konnte noch nicht abschließend geklärt werden. Diese ist deutlich präziser als eine lateral schließende Osteotomie. Bei Deformitäten in der frontalen Ebene können valgisierende oder varisierende Osteotomien erfolgen, wobei Letztere weitaus häufiger vorkommen. Zur Vermeidung von Über- bzw. Unterkorrekturen sollten die Prinzipien der Deformitätenkorrekturen nach Paley (2002) angewendet werden. Zur präzisen Korrektur muss neben dem gewünschten Ergebnis der Ganzbeinachse in der Frontalabene sowohl die Gelenkkongruenz als auch der Gelenkwinkel in Betracht gezogen werden. Bei Letzterem sollte die Lateralneigung des Tibiaplateaus die 4–5°-Grad-Grenze nicht übersteigen. Bei ausgeprägten Korrekturen haben sich deswegen auch sogenannte Doppelosteotomien bewährt, d. h. gleichzeitige Korrekturen am distalen Femur und der proximalen Tibia. Deformitäten in der sagittalen und frontalen Ebene können seit Neuestem dreidimensional mithilfe von CT-Untersuchungen der unteren Extremitäten und anhand von individuellen, patientenspezifischen Implantaten (PSI) durchgeführt werden (Chaouche et al. 2019; Tampere et al. 2020).
Oberflächenersatz-Operationen sind lediglich im Endstadium einer begleitenden Gonarthrose oder bei unkontrollierbarer Instabilität in Erwägung zu ziehen. In diesen seltenen Fällen muss nicht selten auf stabilisierende, teilweise auch achsgeführte Implantate zurückgegriffen werden.
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