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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 14.10.2020

Kinderorthopädische Untersuchung der Wirbelsäule

Verfasst von: Stefan Wilke und Beate Rothermel
Die Untersuchung der Wirbelsäule stellt in allen Altersabschnitten eine besondere Herausforderung dar. Das frontale wie das sagittale Profil unterliegen vom Zeitpunkt der Geburt bis zum Greisenalter einem stetigen Wandel. Der Untersucher darf sich deshalb nicht mit der Beschreibung des vorhandenen Erscheinungsbildes zufriedengeben, vielmehr muss durch Beurteilung des Bewegungsmusters und der Beweglichkeit der Befund orientierend eingeordnet und zwischen entwicklungsbedingter und habitueller Fehlhaltung oder „echter“ Deformität unterschieden werden. Unerlässlich ist daher die Kenntnis über die Wachstumskinetik und die Entwicklung der Wirbelsäule sowie der daran angrenzenden beteiligten Extremitäten, was zwangsläufig Verständnis für die funktionelle Anatomie erfordert. Anschließend muss der klinisch erhobene Befund, falls nötig auch radiologisch, weiter abgeklärt und korreliert werden.

Einleitung

Die Untersuchung der Wirbelsäule stellt in allen Altersabschnitten eine besondere Herausforderung dar. Das frontale wie das sagittale Profil unterliegen vom Zeitpunkt der Geburt bis zum Greisenalter einem stetigen Wandel, wie das Rätsel der Sphinx schon so wunderbar zeigte (Abb. 1).
Der Untersucher darf sich deshalb nicht mit der Beschreibung des vorhandenen Erscheinungsbildes zufriedengeben, vielmehr muss durch Beurteilung des Bewegungsmusters und der Beweglichkeit der Befund orientierend eingeordnet und zwischen entwicklungsbedingter und habitueller Fehlhaltung oder „echter“ Deformität unterschieden werden. Unerlässlich ist daher die Kenntnis über die Wachstumskinetik und die Entwicklung der Wirbelsäule sowie der daran angrenzenden beteiligten Extremitäten, was zwangsläufig das Verständnis für die funktionelle Anatomie erfordert.
Anschließend muss der klinisch erhobene Befund, falls nötig auch radiologisch, weiter abgeklärt und korreliert werden.

Wachstum der Wirbelsäule

Entwicklung des frontalen Profils

Das gesamte Wachstum der Wirbelsäule beträgt von Th1-SWK1 insgesamt ca. 25 cm. Es verläuft aber nicht linear, sondern in den verschiedenen Altersperioden unterschiedlich schnell.
In den ersten 5 Lebensjahren wächst die Wirbelsäule ca. 10 cm, wobei sie vor allem in den ersten beiden Lebensjahren eine sehr schnelle Wachstumsgeschwindigkeit zeigt, die dann bis zum 5. Lebensjahr abnimmt (Stücker 2016). Ab dem 5. Lebensjahr beginnt sich die Relation dann deutlich zu verschieben, und das Wachstum der Wirbelsäule reduziert sich auf 4 cm bis zum 10. Lebensjahr und beträgt damit nur noch knapp 1 cm pro Jahr. Der Anteil der Wirbelsäule am Gesamtwachstum liegt in dieser Phase bei nur noch einem Drittel. Nach Stücker (2016) ist in dieser Phase die Gefahr der Entstehung und Progredienz von Wirbelsäulenerkrankungen (Kyphose, Skoliose) deutlich geringer als in den anderen Wachstumsphasen.
Mit Beginn der Pubertät kommt es zu einem starken Wachstumsschub, der innerhalb der ersten 6 Monate mehr als 6 cm betragen kann. Bis zum Wachstumsende beträgt das Wirbelsäulenwachstum 12–15 cm (Dimeglio et al. 2011). Das Wachstum in dieser Phase wird in die zweijährige Akzelerationsphase und der dann folgenden dreijährigen Dezelerationsphase unterteilt.
Für das Wachstum der Wirbelsäule ist auch die abschließende Dezelerationsphase von Bedeutung, da in dieser Phase immer noch ein signifikantes Längenwachstum der Wirbelsäule und ein erhebliches Thoraxwachstum stattfinden. Insgesamt beträgt der Anteil des Wirbelsäulenwachstums am Gesamtwachstum in dieser abschließenden Wachstumsphase etwa zwei Drittel.
Als Orientierung kann dafür bei den Mädchen der Zeitpunkt der Menarche dienen. Die Menarche tritt meist auf dem Höhepunkt des Wachstumsschubes ein, danach verflacht das Wachstum deutlich, setzt sich aber in der Regel noch 2–2,5 Jahre fort. Bei den Jungen gibt es kein ähnliches Orientierungsmerkmal mit dem gleichen Aussagewert (Hefti 2006; Stücker 2016).
Zur Beurteilung der Skelettreife existieren aber mehrere andere radiologische Verfahren, wie das Risser Zeichen, die Bestimmung des Skelettalters nach Greulich und Pyle, die Olekranon-Methode und die Klassifikation nach Sanders. Diese werden im Abschn. 6.4 erläutert.

Entwicklung des sagittalen Profils

Die Entwicklung des sagittalen Profils umfasst die während des Wachstums eintretenden Veränderungen der Wirbelsäule und des Beckens. Wie oben beschrieben, findet das Wachstum der Wirbelsäule nicht gleichmäßig statt (Stücker 2016), was für die Entstehung des sagittalen Profils eine wichtige Rolle spielt.
Anhand von In-vivo-MRT-Untersuchungen konnte das Vorhandensein einer lumbosakralen Lordose bereits in utero nachgewiesen werden. Im Rahmen des weiteren Wachstums und der Entwicklung des aufrechten Gangs findet eine fortlaufende Anpassung und Veränderung statt (Schenk 2016). Durch das im frühen Kindesalter vermehrte dorsale Wachstum der Wirbelkörper der Brustwirbelsäule (BWS) kommt es zur Ausbildung eines Kyphosemusters (Stücker 2016). Das Wachstumsverhalten der Lendenwirbelsäule (LWS) verhält sich dazu genau umgekehrt, der ventrale Anteil wächst stärker als der dorsale Anteil (Abb. 2).
Im Laufe der weiteren Ontogenese (individuellen Reifung) entwickelt sich die spezifische Anatomie des Beckens aus der Formgebung des Kreuzbeins, das ähnlich wie ein Keil zwischen die Darmbeinschaufeln einsinkt und damit die „pelvic incidence“ (PI) maßgeblich verändert.
Unter anderem durch diese Veränderungen kommt es zur Verschiebung des Körperschwerpunkts nach dorsal, der „sacral slope“, das Maß für die Beckenstellung im Raum, bleibt aber weitgehend unverändert (Schenk 2016).
Pelvic incidence (PI): Inzidenzwinkel; sagittaler Ab stand zwischen Hüftpfanne und Kreuzbein
Sacral slope (SS): Sakrumkippung; Maß für die Beckenstellung im Raum
Pelvic tilt (PT): Beckenrotation
Mit Abschluss des Wachstums bleiben die Parameter des Beckens weitestgehend unverändert, und das Becken – mit diesen Parametern aus Form und Stellung – bestimmt als Fundament maßgeblich das sagittale Profil der Wirbelsäule (Schenk 2016). Dies findet klinisch und radiologisch Ausdruck in der sagittalen und spinopelvinen Balance.

Sagittale und spinopelvine Balance

Die Grundlage für die radiologische Diagnostik des sagittalen Profils basiert auf der seitlichen Wirbelsäulenganzaufnahme. Anhand des Verlaufs des radiologischen C7-Lots wird die globale sagittale Balance beurteilt:
  • Positive sagittale Imbalance: C7-Lotverlagerung ventral der Hinterkante von S1 um >+5 cm
  • Dekompensierte sagittale Imbalance: C7-Lot fällt ventral der Hüftgelenksachse
Die Ursachen dafür können sowohl funktioneller (muskulärer) als auch struktureller Genese sein. Das Röntgenbild spiegelt dabei nur die aktuelle Situation wider. Voraussetzung für die Beurteilung der sagittalen Balance ist aber eine seitliche Wirbelsäulenganzaufnahme, auf der die Hüftgelenke miterfasst sind.
Zur Erklärung und zum Verständnis der Diagnostik und Therapie sagittaler Deformitäten reicht die sagittale Balance allein nicht aus. Die Positionierung einzelner Wirbelsäulenabschnitte in der Sagittalebene folgt dem Konzept der spinopelvinen Balance, die ein physiologisches Abhängigkeitsverhältnis einzelner Wirbelsäulenabschnitte und dem Becken untereinander beschreibt (Abb. 3) (Ferraris et al. 2012).
Zielsetzung ist bei der Inspektion, das Verständnis zwischen der wahrgenommenen Haltung der Wirbelsäule (als Summe der positionellen, spinalen und morphologischen Parameter) und dem Spannungsphänomen der unteren Extremität zu wecken. Für einen möglichen Leitfaden zur funktionellen Beschreibung kann man sich zum Beispiel an den Muskelfunktionsketten nach Myers (2008) orientieren. Es muss aber betont werden, dass es eine Vielzahl solcher Modelle gibt (s. Übersicht) und es sich nur um einen funktionellen Erklärungsversuch und nicht um eine ausgewiesene anatomische Struktur handelt.
Modelle myofaszialer Ketten
  • Herrman Kabat (1950) beschrieb das Prinzip der propriozeptiven neuromuskulären Fazilitation.
  • Godelieve Struyf-Denys sprach als erste von Muskelketten; Kyphosen, Lordosen und Skoliosen sind Folge von Spannungen der dorsalen Muskelkette und nicht von Muskelinsuffizienzen. Sie beschreibt 10 Muskelketten: 5 an jeder Körperhälfte (3 vertikale, 2 horizontale Muskelketten), die in einer koordinierten Art funktionieren, um spiralförmige Bewegungen auszuführen.
  • Thomas Myers (Rolfer) benützt für die Darstellung der Ketten Metaphern wie Schienen, Gleise, Expresszüge, um die recht komplexen Ketten greifbarer und plastischer zu machen. Er beschreibt 7 myofasciale Meridiane: oberflächliche Frontallinie, oberflächliche Dorsallinie, Laterallinie, Spirallinie, Armlinie, funktionelle Linien, tiefe Frontallinie.
  • Leopold Busquet beschreibt 5 Ketten am Rumpf, die in die Extremitäten übergehen: statisch posteriore Kette, Flexionskette, Extensionskette, diagonale posteriore Kette (Öffnungskette), diagonale anteriore Kette (Schließkette).
Myers beschreibt in seinem Modell funktionelle Zusammenhänge, die sich bewegungs- und spannungsbedingt über den ganzen Körper im Verlauf von Muskeln, Faszien und Bändern fortsetzen. Er bezeichnet diese als Funktionsketten, die vereinfacht gesagt wie ein Segel beim Boot arbeiten (Abb. 4) und wechselseitige Spannungsphänomene erzeugen. Wird durch eine funktionelle Störung eines Teils eine Spannung vermehrt, muss die Gegenlinie mit Abschwächung reagieren (z. B. gekreuztes Syndrom nach Janda).
Unter der Annahme, dass
  • positionelle Parameter
    • „Sacral slope“
    • „Pelvic tilt“
  • sowie spinale Parameter
    • Lumbale Lordose
    • Thorakale Kyphose
unterschieden werden und diese durch Körperhaltung, Muskeltonus und Statik der unteren Extremitäten beeinflussbar sind, kann man sich zum besseren Verständnis der Wechselwirkung an den beiden oberflächlichen Funktionsketten nach Myers (oberflächliche Frontallinie [OFL] und oberflächliche Dorsallinie [ODL]) orientieren. Das Becken unterliegt dabei unter anderem den Kräften dieses Wechselspiels, wie bereits schematisch in Abb. 3 gezeigt wurde.
Schenk (2016) hatte diesen funktionellen Zusammenhang am Beispiel struktureller Veränderungen wie der thorakalen Hyperkyphose bzw. der lumbalen Hyperlordose wie folgt beschrieben (Abb. 5):
Bei der strukturellen Kyphose der BWS wird der Körper initial mit einer Hyperlordosierung der angrenzenden Wirbelsäulenabschnitte reagieren (Verkürzung der ORL nach Myers). Im aufrechten Stand wird dann die Hüfte gestreckt mit der Folge einer Beckenretroversion. Die ischiocrurale Muskulatur, der Hüftbeuger und der OSG-Strecker (OSG = oberes Sprunggelenk) reagieren mit Tonuserhöhung. Kompensatorisch kommt es zur Kniebeugung und Dorsalextension im OSG (Überdehnung der OFL nach Myers).
Bei der strukturellen LWS Lordose funktioniert der Mechanismus genau anders herum, der Körper reagiert mit einer Verkürzung der OFL und einer Überdehnung der ORL. Durch die Hyperlordose der LWS geht das Becken durch die vermehrte Hüftbeugung in Anteversion, dadurch müssen die Kniegelenke überstreckt werden. Der Hüftbeuger, der Kniestrecker und die OSG-Beugemuskulatur verkürzen infolge der Dauerbelastung.
Die Funktionsketten der Oberfläche kommunizieren und verändern auch Spannungen der tiefen Ketten und führen letztlich zu morphologisch wahrgenommenen Befunden (Schenk 2016). Dies lässt sich am M. iliopsoas, einem der Hauptakteure im gesamten myofascialen Apparat, verdeutlichen. Er kann maßgeblich durch seine Ansätze und seinen Verlauf die Stellung der Hüfte, des Beckens und der LWS aufeinander abstimmen. Für Basmajian ist er der wichtigste Muskel des ganzen Körpers für die Statik; er ist in der Lage, das Becken sowohl in der frontalen als auch in der sagittalen Ebene anzupassen (Richter und Hebgen 2015). Bei Schmerzen im thorakolumbalen Übergang muss daher immer eine Kontraktur des M. psoas ausgeschlossen werden. Da die Kinder in zunehmendem Maße vermehrt sitzen, ist bei einer Fehlhaltung in der körperlichen Untersuchung immer auch auf den Ausschluss einer pathologischen Psoasspannung zu achten.
Generell gilt, dass unabhängig von der Art der Fehlstellung diese immer durch vermehrte muskuläre Arbeit kompensiert werden muss, was zu einer schmerzhaften Dysbalance und Verspannung führen kann.
Wie bereits oben beschrieben, kann es aber auch auf dem umgekehrten Weg zu einer Fehlstatik der Wirbelsäule kommen. Besteht eine Fehlhaltung über einen längeren Zeitraum, kann aus der Fehlhaltung eine Fehlform werden (Hepp und Debrunner 2004).
Gleichzeitig existieren morphologische Parameter in der sagittalen Ebene:
  • Angeborene Beckenform und Sakrumkrümmung
  • „Pelvic incidence“
Die „pelvic incidence“ (PI) reguliert das sagittale Wirbelsäulenprofil. Im Normalfall (beim Gesunden) ergibt sich eine Lordose der LWS durch den „sacral slope“ (SS) und dieser durch die PI. Zielsetzung ist immer, den Rumpf über dem Becken zu halten. Mögliche Kompensationsmechanismen sind Abflachung der thorakalen Kyphose bzw. Steigerung der lumbalen Lordose und der Beckeninklination, soweit dies die Beweglichkeit der einzelnen Wirbelsäulensegmente und der PI zulassen. Andernfalls kommt es zur Entwicklung einer sagittalen Imbalance mit ventralem Rumpfüberhang (Ferraris et al. 2012).
Da auch Erkrankungen des frontalen Profils (z. B. Skoliose) primär mit einer Störung des sagittalen Profils vor dem Auftreten einer strukturellen Deformierung in der frontalen und horizontalen Ebene beginnen (Tomaschewski 1987, 1992), kommt dem sagittalen Profil gerade während des Wachstums eine entscheidende Bedeutung zu. Das ist der Grund, warum wahrscheinlich konservative Bemühungen, die hauptsächlich in frontaler oder horizontaler Ebene versuchen zu korrigieren, relativ uneffektiv bleiben. Patienten mit einer idiopathischen Skoliose weisen häufig eine vergrößerte PI auf. (Lonner et al. 2010)

Fehlhaltung

Es ist schwierig, eine normale Haltung bei Kindern und Jugendlichen zu definieren, zumal es sich bei der Untersuchung ja immer um eine Momentaufnahme handelt, die als Summe aus den in den verschiedenen Wachstumsphasen neu auszubildenden, räumlichen Beziehungen von Wirbelsäule, Becken und Bein zueinander entsteht.
Neben diesen zwangsläufig auftretenden, muskulären Dysbalancen kommen die individuelle Athletik und die Psyche (in Form des Typs und/oder der Untersuchungssituation) hinzu. Das Untersuchungsergebnis ist somit nur als momentane Aufnahme zu werten und muss im Zweifelsfall in Abhängigkeit vom weiteren Wachstum neu beurteilt werden (Schenk 2016). Auch Stand und Gang bedürfen eines dynamischen Gleichgewichts der Körperhaltung.
Legt man das Funktionskettenmodell nach Myers zugrunde, wird verständlich, dass eine Deformität oder Fehlhaltung der Wirbelsäule immer einen Ausgleich im Bereich der Extremitäten verursachen wird. Umgekehrt werden eine Deformität bzw. Funktionsstörung in den Extremitäten einen Ausgleich im Bereich der Wirbelsäule erwirken. Bei der Untersuchung der Wirbelsäule muss dies immer berücksichtigt werden.

Fehlhaltungen und Fehlformen der Wirbelsäule

Für die Diagnosestellung und der daraus resultierenden Therapie wird aus morphologisch-statischer Sicht folgende Unterteilung vorgenommen (Hepp und Debrunner 2004):
  • Normale oder physiologische Haltung
  • Fehlhaltung (strukturell nicht fixierte Abweichung)
  • Fehlform der Wirbelsäule (morphologisch fixiert, aktiv wie passiv nicht ausgleichbar)
Eine Unterscheidung zwischen der Fehlform und der Fehlhaltung ist in der Regel nur mit Funktionstests möglich (Tab. 1).
Tab. 1
Fehlhaltungen und Fehlformen der Wirbelsäule. (Modifiziert nach Hepp und Debrunner 2004)
Fehlhaltung der Wirbelsäule
Fehlformen der Wirbelsäule
Rundrücken mit einer Totalkyphose
Hohlrundrücken mit einer vermehrten Brustkyphose und einer Lendenlordose
Flachrücken mit einer verminderten Brustkyphose und Lendenlordose
Skoliotische Fehlhaltung mit einer nicht fixierten Wirbelsäulenseitverbiegung
Kyphose (Hyperkyphose): über das normale (physiologische) Maß hinausgehende dorsal-konvexe Verkrümmung der Wirbelsäule
Lordose (Hyperlordose): über das normale (physiologische) Maß hinausgehende ventral-konvexe Verkrümmung der Wirbelsäule
Flachrücken: fixierte Geradhaltung der Wirbelsäule mit vollständiger Entkyphosierung der BWS, z. T. kombiniert mit einer Entlordosierung der LWS
Skoliose: strukturell fixierte Wirbelsäulenverkrümmung
- mit Verschiebung zur Seite und
- Verdrehung der Wirbelsäule in der Wirbelsäulenlängsachse (Rotation)
- Kombination mit einer verstärkten Kyphose der BWS wird als Kyphoskoliose bezeichnet

Klinische Untersuchung

Anamnese

Den Eingang der Untersuchung stellt die Anamnese dar. Wichtige Parameter, die dabei erfragt werden sollten, sind die Frage nach einem möglichen Trauma, die Schmerzanamnese sowie eine Sport- und soweit vorhanden Behandlungsanamnese. Ein Überblick findet sich in Tab. 2.
Tab. 2
Während der Anamnese abzuklärende Parameter
Fragenkomplex
Parameter
Beschwerde-/Schmerzanamnese
• Wo sind die Beschwerden lokalisiert (Hals-, Brust-, Lendenwirbelsäule)?
• Strahlen die Beschwerden weiter in Arme oder Beine aus?
• Bisherige Therapie?
• Zeitpunkt der Beschwerden (tags, nachts, in Ruhe oder während oder nach Belastung)?
• Sind die Schmerzen aktiv auslösbar (Bewegungen, Lagewechsel im Liegen)?
• Gibt es Möglichkeiten, die Beschwerden zu reduzieren (Bewegung, Medikamente [z. B. Salizylate beim Osteoidosteom])?
• Werden die Beschwerden durch Husten oder Pressen verstärkt?
• Bei neurologischen Symptomen Frage nach Miktions- und Defäkationsproblemen
Traumaanamnese
• Zeitpunkt des Traumas?
• Vorgang des Traumas (im Rahmen welcher Tätigkeit)?
• Handelte es sich um ein direktes oder indirektes Trauma?
(Bisherige) Therapie
• Hilfsmittel?
• Therapeutische Verfahren (z. B. Physiotherapie, Ergotherapie, operative Eingriffe)?
Sportanamnese
• Wird neben dem Schulsport eine Sportart betrieben?
• Wenn ja, wie oft und wie lange?

Körperliche Untersuchung

Die körperliche Untersuchung erfolgt am, bis auf die Unterwäsche, entkleideten Patienten.

Körpermaße

Stücker empfiehlt, die Körpergröße in den ersten 5 Lebensjahren im Liegen und danach im Stehen zu messen (Stücker 2016).
Als ein weiterer wichtiger Parameter kann die Messung der Sitzgröße wertvolle Hinweise auf das Wirbelsäulenwachstum liefern. Nach Stücker betreffen rund 60 % der Sitzgröße die Wirbelsäule, 20 % das Becken und 20 % den Kopf. Diese Relationen bleiben im Wachstum weitestgehend unverändert. Als Orientierung gibt er außerdem an, dass die Pubertät durchschnittlich bei einer Sitzgröße von 75 cm bei Mädchen und 78 cm bei Jungen beginnt.
Bei Patienten mit einer Wirbelsäulendeformität (Skoliose, Kyphose) kann es zusätzlich Sinn machen, die Armspanne zu messen, da diese mit der Stehgröße korreliert und die Stehgröße ca. 97 % der Armspanne ausmacht (Stücker 2016).

Inspektion

Auf die Bestimmung der Körpermaße folgt die Inspektion des Körpers. Je nach Größe des Patienten muss sich der Untersucher hinter dem Patienten hinknien oder auf einen Hocker setzen (Hefti 2006). Es empfiehlt sich, die folgenden Untersuchungsschritte ineinander übergreifend bzw. gleichzeitig durchzuführen, um den Zeitaufwand für Patient und Untersucher möglichst effizient zu gestalten. Trotzdem ist ein mehrstufiger Untersuchungsgang nötig, um aktive (muskuläre) wie passive Elemente und die übergreifenden vasalen und nervalen Steuerungsmechanismen zu beurteilen (Rompe 1998).
Inspektion im Gehen
Es erfolgt die Inspektion im Gehen (s. Abschn. 6.3) und anschließend im Stehen von allen 4 Seiten. Knie- und Hüftgelenke beidseits müssen gestreckt sein, und im Idealfall sind die beiden Füße des Patienten so positioniert, dass dazwischen gut eine Fußbreite Platz ist.
Bei der Inspektion sollte auf mögliche Veränderungen der Haut wie Café-au-lait-Flecken, Fibrome der Subkutis und Neurofibrome als Hinweis auf eine Neurofibromatose sowie auf Naevi, atypische Behaarung oder ein Pterygoideum colli geachtet werden (Kafchitas et al. 2010).
Zusätzlich wird die Rumpfsymmetrie in der Frontal- und Sagittalebene beurteilt (Stücker 2010).
Inspektion von hinten
Beurteilt werden (Myers 2008):
  • Position des Kopfes (mittig, ventral, dorsal)
  • Schulterstand und Stand der Skapula in Bezug auf Höhe und eine mögliche Protraktion
  • Symmetrie der Taillendreiecke
  • Stellung des Beckens in Bezug auf
    • Beckenstand (einseitiger Hochstand oder Beckenverwringung)
    • Beckentorsion
    • Beckenverwringung
  • Körperlot: Verlauf sollte sich vom Dornfortsatz des HWK7 über die Dornfortsätze bis zur Rima ani erstrecken (Überhang nach links oder rechts)
Inspektion von vorne
Beurteilt werden (Rompe 1998):
  • Schulterstand
  • Thoraxform: unter anderem Stand der Brustwarzen und Verlauf der Rippenbögen (Symmetrie des Angulus costae)
  • Taillensymmetrie
  • Ventrales Körperlot: Orientierung von der Nasenspitze zum Bauchnabel (Seitabweichung), ggf. wird dabei die Abweichung unter Atemexkursion beurteilt
Um die Untersuchung zu vereinfachen, kann der Patient vor einem großen Spiegel platziert und so die Inspektion von dorsal ausgeführt werden. Nur im Falle von Asymmetrien ist eine genauere Untersuchung indiziert. Außerdem sieht der Patient den Untersucher und bei kleinen Kindern ggf. die Eltern, die hinter dem Untersucher stehen können, was die Untersuchung deutlich erleichtern kann.
Inspektion von der Seite
Beurteilt werden:
  • Krümmungen in der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule
  • Körperlot: Verlauf sollte sich vom Mastoid über die Mitte der Schultern, Hüft- und Kniegelenk bis zum Sprunggelenk erstrecken (Überhang nach ventral oder dorsal)
  • Beckenkippung (ventral, dorsal): Hefti (2006) beschreibt eine Kippung von 30° gegenüber der Horizontalen als physiologisch
Nach der Inspektion sollte es möglich sein, sich auf einen Haltungstyp festzulegen (Abb. 6).

Funktions- und Beweglichkeitstests

Matthias-Test

Mit dem Vorhaltetest nach Matthias kann die muskuläre Halteleistung beurteilt werden. Manche Autoren verweisen aber auf die wenig spezifischen Aussagen dieses Tests, sodass die Ergebnisse nicht überbewertet werden sollten (u. a. Stücker 2010).
Für diesen Test soll der Patient bei möglichst aufrechtem Stand die Arme 30 Sekunden horizontal nach vorne halten. Ist dies nicht möglich, liegt eine Haltungsschwäche vor.
Mithilfe des Tests kann eine grobe Einteilung in 3 Typen erfolgen (Hefti 2006):
1.
Gesundes Kind ohne Haltungsverfall
 
2.
Haltungsschwaches Kind mit Haltungsverfall
 
3.
Extrem haltungsschwaches Kind, das die physiologische Haltung nicht einnehmen kann
 

Finger-Boden-Abstand (FBA)

Zur Ermittlung des FBA muss sich der Patient mit gestreckten Knien maximal nach vorne neigen. Im Idealfall wird der Boden dabei mit den Fingerspitzen erreicht. Ist dies nicht möglich, wird die Distanz bis zum Boden in Zentimeter gemessen und dokumentiert.
Eine bestehende Distanz wird als Hinweis auf eine Verkürzung der ischiocruralen Muskulatur angesehen (Hefti 2006). Dieses Detail sollte immer beachtet werden, da es durch eine Verkürzung der ischiocruralen Muskelgruppe zu einer Ventralkippung des Beckens und damit Ausbildung einer Haltungskyphose kommen kann (Wilke und Nahr 2016).
Bei der weiteren Untersuchung können der Ausgleich einer Lordose der LWS und die bewegungsbedingte Entwicklung der Kyphosierung der BWS lokalisiert und kontrolliert werden.
Aus der maximalen Neigung nach vorne folgt anschließend die Befundung der Mobilität der Kyphose, indem bei weiterhin flektiertem Hüftgelenk der Patient nun aufgefordert wird, mit im Nacken verschränkten Armen mit den Augen zur Decke zu schauen. Alternativ kann auch der Apex der Kyphosekrümmung mit der Hand fixiert werden.
Bei einer mangelnden Aufrichtung einer thorakalen Kyphose muss die ventralseitige Muskulatur (Differenzialdiagnose: Verkürzung der Pectoralis-Muskulatur) in die Untersuchung mit einbezogen werden (Hefti 2006). Alternativ kann dies auch in der Knie-Ellbogen-Lage untersucht werden, indem man den Patient die BWS und LWS maximal lordosieren lässt.

Beurteilung des Beckenstands

Zur Beurteilung des Beckenstands muss bei einem Schiefstand zwischen einem einseitigen Hochstand (z. B. infolge einer Beinlängendifferenz), einer Beckenverwringung (Sakroiliakalverschiebung) und einer Beckentorsion unterschieden werden (Sachse und Schildt-Rutloff 2000).
Bei der Untersuchung wird zunächst das Os ilium auf beiden Seiten auf eine Asymmetrie hin inspiziert und palpiert. Im Falle einer Seitendifferenz wird auf der ipsilateralen Seite die Position der anterioren und posterioren Spina iliaca superior ertastet und beurteilt. Es ist also eine Untersuchung von hinten und von vorne notwendig.
Steht die ventrale und die posteriore Spina iliaca höher oder tiefer, muss eine Beinlängendifferenz vermutet und weiter untersucht werden. Steht nur die ventrale oder nur die posteriore Spina iliaca höher, muss von einer Beckenverwringung ausgegangen werden. Das Becken wirkt damit in dreidimensionaler Betrachtung verwrungen.
Die Torsion des Beckens führt dazu, dass das nach ventral rotierte Ilium höher steht bzw. das dorsal stehende Ilium der Gegenseite tiefer steht. Es kommt dabei zur Rotation um die Sakrumachse.
Die Indikation für die Versorgung mit einem Beinlängenausgleich kann daher nicht aus der rein dorsalen Palpation des Beckenkamms gestellt werden. Vor allem aber ist ein Beinlängenausgleich nur dann indiziert, wenn sowohl die ventrale als auch die posteriore Spina gemeinsam höher oder tiefer stehen und der Befund sich im Röntgenbild durch ein schräg stehendes Sakrum bestätigt (Coenen 2010). Differenzialdiagnostisch muss eine Blockierung des Sakroiliakalgelenks ausgeschlossen werden.
Nur in drei Fünftel der Fälle handelt es sich bei Vorliegen eines Beckenschiefstandes um eine tatsächliche Beinlängen Differenz (Rompe 1998).

Beinlängenmessung

Im Falle einer wirklichen Beinlängendifferenz bei ventral und dorsal höher oder tiefer stehender Spina iliaca kann diese mit der direkten oder der indirekten Beinlängenmessung bestimmt werden.
Direkte Beinlängenmessung
Bei dieser Methode wird die Strecke von der Spina iliaca anterior superior zur Spitze des Malleolus lateralis mit einem Maßband gemessen. Der Beinlängenunterschied ergibt sich aus der Differenz der gemessenen Beinlängen (Ambrose 1973).
Ein Nachteil dieses Verfahren ist, das das Hüftgelenk der Palpation nicht zugänglich ist und Flexionskontrakturen der Hüft- oder Kniegelenke zu falschen Ergebnissen führen kann. Daher wird immer wieder die Messungenauigkeit dieses Verfahrens betont (u. a. Hefti 2006).
Indirekte Beinlängenmessung
Der Patient wird von hinten betrachtet und der Beckenkamm palpiert. Auf der tieferstehenden Seite des Beckens werden Brettchen unter den Fuß des kürzeren Beines gelegt, bis das Becken gerade steht (Hefti 2006). Aus der Höhe der unterlegten Brettchen ergibt sich der Beinlängenunterschied. Hefti (2006) verweist aber hier auf die notwendige Kontrolle der maximal möglichen Streckung der Hüft- und Kniegelenke während der Messung.
Zusammenfassend muss betont werden, dass sowohl bei der direkten wie auch bei der indirekten Beinlängenmessung eine Messungenauigkeit in der Größenordnung von 0,5–1 cm besteht (Eichler 1972; Franzreb et al. 1995).

Untersuchung der Beweglichkeit

Seitneigung und Rotation
Im Anschluss an die Beinlängenmessung werden die Seitneigung und die Rotation des Rumpfes im Seitenvergleich untersucht. Die Messung erfolgt nach der Neutral-Null-Methode. Das Becken sollte fixiert werden, um eine Mitbewegung auszuschließen. Gemessen wird die quere Schulterachse zur queren Beckenachse. Ist dies nicht möglich, empfiehlt sich die Untersuchung im Sitzen mit überkreuzten Füßen.
Rumpfbeweglichkeit:
  • Rechts-/Linksneigung:40°–0°–40°
  • Rechts-/Linksrotation: 40°–0°–40°
Vor- und Rückbeuge
Nun wird die Vor- und Rückbeuge des Rumpfes untersucht (Rompe 1998; Hefti 2006).
Adams-Test
Beim Adams-Test neigt sich der Patient nach Ausgleich einer eventuell diagnostizierten Beinlängendifferenz mit beidseits gestreckten Beinen nach vorne. Bei Vorliegen einer Skoliose zeigt sich dann eine thorakaler Rippenbuckel und/oder eine lumbale Lendenwulst, die dann mit einem Skoliometer quantifiziert werden kann (Abschn. 6.1).
Wichtig ist aber, die Wirkung eines ggf. verwendeten Beinlängenausgleichs zu überprüfen. Nach Meinung der Autoren muss es das Ziel des Beinlängenausgleichs sein, beim Adams-Test unter Verwendung des Skoliometers auf Höhe der Beckenkämme eine Einstellung auf 0° zu erreichen, da man sonst Gefahr läuft, eine Beckenverwringung und nicht eine echte Beinlängendifferenz ausgleichen zu wollen. Gelingt dies nicht oder kommt es bei der Untersuchung mit dem Skoliometer mit Beinlängenausgleich sogar zu einer Zunahme der zuvor gemessenen Skoliometerwerte (im Vergleich zur Messung ohne Beinlängenausgleich), ist die Verwendung und Höhe des Beinlängenausgleichs erneut zu prüfen.
Untersuchung der Halswirbelsäule
Untersucht werden die global mögliche Re- und Inklination sowie die Rotation aus der Neutralstellung, der maximalen Vorbeugung sowie der maximalen Rückwärtsneigung.
Dokumentiert wird nach der Neutral-Null-Methode. Die Untersuchung kann aktiv oder passiv erfolgen. Besonderes Augenmerk sollte auf Seitendifferenzen gelegt werden, da hier muskuläre Erkrankungen (z. B. kongenitaler Schiefhals) vorliegen können.
Aus der Neutralstellung:
  • Re-/Inklination: 45°–0°–45°
  • Rechts-/Linksneigung: 45°–0°–45°
  • Rechts-/Linksrotation: 80°–0°–80°
Aus maximaler Inklination:
  • Rechts-/Linksrotation: 45°–0°–45°
Aus maximaler Reklination:
  • Rechts-/Linksrotation: 60°–0°–60°
Ergänzend wird der Kinn-Sternum-Abstand in Inklination gemessen. Wird aus dieser Position die Drehung getestet, wird infolge der Bandstraffung vor allem das Segment C1/C2 und bei starker Kopfrotation mit Nickbewegung das Segment C0/C1 untersucht. Die Untersuchung kann orientierend im Stehen erfolgen. Allerdings empfiehlt es sich, die Untersuchungsbefunde im Liegen zu kontrollieren (Rompe 1998; Hefti 2006).
Zeichen nach Schober und Ott
Der oben beschriebene FBA-Test gilt als orientierendes Maß für eine Verkürzung der ischiocruralen Muskulatur. Er liefert aber keine Aussage über das Ausmaß der Beweglichkeit der Wirbelsäule in der Sagittalebene. Dafür werden die Zeichen nach Schober und Ott untersucht.
Schober-Zeichen: Unter Zuhilfenahme eines Maßbandes wird am gerade stehenden Patienten zunächst der Dornfortsatz des SWK1 markiert und von ihm ausgehend 10 cm oberhalb eine zweite Markierung gesetzt. In Vornüberneigung wird nun die Distanz erneut gemessen, wobei eine physiologische Zunahme auf 15 cm in Vorneigung bzw. eine Reduktion auf 8 cm in Rückneigung erwartet wird (Rompe 1998).
Ott-Zeichen: Analog dazu erfolgt die Untersuchung der Beweglichkeit in der Brustwirbelsäule mit der Messung nach Ott. Nach Markierung des Dornfortsatzes des HWK7 wird 30 cm weiter distal eine zweite Markierung gesetzt. In der Brustwirbelsäule sollte sich dabei ein Bewegungsausmaß von 3 cm (Inklination) bzw. 2 cm (Reklination) zeigen (Rompe 1998).

Palpation

Die Palpation soll Auskunft über den Zustand der Haut, des Bindegewebes, der Muskulatur, der Dorn- und Querfortsätze und der Iliosakralgelenke geben.

Haut

Die Untersuchung der Haut umfasst die Beurteilung der Temperatur, der Feuchtigkeit, des Dermografismus, der Elastizität und Mobilität auch in Bezug auf Schmerzhaftigkeit beim Abheben von Hautfalten.
Wie im Abschn. 4.2.2 bereits beschrieben, sollte auch auf mögliche Veränderungen der Haut wie Café-au-lait-Flecken, Fibrome der Subkutis und Neurofibrome als Hinweis auf eine Neurofibromatose sowie auf Naevi, atypische Behaarung oder ein Pterygoideum colli geachtet werden (Kafchitas et al. 2010).

Bindegewebe

Das Bindegewebe wird auf seine Verschieblichkeit durch Bildung der Kibler-Hautfalte untersucht. Bei diesem „diagnostischen Bindegewebsstrich“, wie ihn Hepp und Debrunner (2004) bezeichnen, wird eine Hautfalte zwischen Zeigefinger und Mittelfinger neben der Wirbelsäule von kaudal nach kranial verschoben. Untersucht werden Beweglichkeit, Konsistenz und Schmerzhaftigkeit in Kutis und Subkutis sowie ein im Bereich hyperalgischer Zonen verstärkt auftretender Dermografismus.

Muskulatur

Die Muskulatur wird zuerst orientierend in Bezug auf Tonus, Druckschmerz, paravertebralen Hartspann bzw. Kontrakturen palpiert. Anschließend erfolgt die segmentale Untersuchung im Seitenvergleich in Bezug auf Druckschmerzhaftigkeit, Muskelhartspann, mögliche Myogelosen und Triggerpunkte sowie falls vorhanden Periostschmerz.

Dornfortsätze

Die Untersuchung der Dornfortsätze umfasst die Prüfung auf Klopf- oder Druckschmerzhaftigkeit sowie Schmerzen bei seitlichen Schüttelbewegungen.

Querfortsätze und Kostotransversalgelenke

Die Palpation erfolgt analog zur Untersuchung der Dornfortsätze. Besonders geprüft werden die Querfortsätze der HWS, da die hier ansetzenden Muskelgruppen häufig einseitig und segmentweise schmerzhaft und verspannt sein können.

Iliosakralgelenke (ISG)

Die ISG werden durch Provokationstest von ventral, dorsal sowie sagittal in Bezug auf Druck-, Klopf- und Kompressionsschmerzen untersucht. Wichtig ist vor allem die Unterscheidung zwischen einer Hyper- und Hypomobilität. Hepp und Debrunner (2004) betonen die Vielfalt der möglichen Testverfahren, Hefti (2006) hebt unter anderem das Zeichen nach Mennell hervor, bei dem eine Überstreckung im Hüftgelenk zur Schmerzprovokation des ISG der ipsilateralen Seite führt.

Fersenfallschmerz

Ergänzend zu diesen Untersuchungen kann noch als weiterer Provokationstest der Fersenfallschmerz untersucht werden. Der Patient steht dabei auf die Zehenspitzen und lässt sich auf Aufforderung auf die Ferse fallen, wobei der Untersucher durch gleichzeitigen Druck auf die Schulter die Erschütterung bzw. den Erschütterungsschmerz noch verstärkt, um druckdolente Pathologien der Wirbelsäule wie Tumoren, Spondylitiden oder Bandscheibenvorfälle aufzufinden. (Hepp und Debrunner 2004)

Neurologische Untersuchung

Neben der obligatorischen Überprüfung der Motorik, der Sensibilität und dem (altersabhängigen) Reflexstatus sollten das Babinski-Zeichen sowie der Pedal- und Patellaklonus geprüft werden. Weitergehende Untersuchungen sind der Romberg-Tretversuch sowie die Testung der Bauchhautreflexe, insbesondere wenn der Verdacht auf eine neurologische Störung vorliegt (Kafchitas et al. 2010). Bei der Überprüfung der Motorik muss auf eine verminderte Muskelaktivität und -kraft, vermehrte Muskelaktivität sowie Veränderungen der unwillkürlichen Muskelaktivität geachtet werden (Hefti 2006). Weitere Informationen finden sich in Tab. 3.
Tab. 3
Neurologische Befunde und deren Ursache. (Modifiziert nach Hefti 2006)
Form der Störung
Hinweis auf
Verminderte Muskelaktivität und -kraft
• Schlaffe Lähmung (z. B. infolge peripherer Nervenläsion wie bei Poliomyelitis)
• Muskelschädigung (z. B. infolge einer Muskeldystrophie oder Myopathie)
Vermehrte Muskelaktivität
• Muskuläre Hypertonie (Gelenksteifigkeit)
• Spastizität (erhöhter Muskeltonus bei gesteigertem Muskeleigenreflex)
Veränderung der unwillkürlichen Muskelaktivität
• Athetose
• Ataxie

Apparative Untersuchung

Skoliometer

Die Anwendung des Skoliometers basiert auf dem bereits von Adams 1865 beschriebenen gleichnamigen Adams-Test, bei dem sich der Patient nach Ausgleich einer eventuell vorhandenen Beinlängendifferenz mit beidseits gestreckten Beinen nach vornüber neigt. Bei Vorliegen einer Skoliose zeigen sich dann ein thorakaler Rippenbuckel und/oder eine lumbale Lendenwulst. 1984 entwickelte Bunnell darauf aufbauend das Skoliometer zur Messung der dabei sichtbaren Asymmetrien in der Brust- bzw. Lendenwirbelsäule (Bunnell 1984). Die ermittelten Werte können entsprechend auf die im Röntgenbild zu erwartenden Skoliosekrümmungen umgerechnet werden (Amendt et al. 1990). Die ermittelten Skoliometerwerte müssen mit dem Faktor 2,5–3 multipliziert werden, um den korrelierenden Krümmungswinkel im Röntgenbild zu ermitteln (Bunnell 1984). Ab Bunnell-Werten von 5° ist eine Röntgenuntersuchung indiziert (Hefti 2006).
Beispiel: Skoliometerwert von 8° × 3= radiologische Krümmung von ca. 24° nach Cobb

Plurimeter

Analog zur Messung einer Skoliosekrümmung kann zur Ermittlung einer Kyphose- oder Lordosekrümmung in der Eingangs- und/oder Verlaufsuntersuchung auch ein Inklinometer bzw. Pluri-/Kyphometer genutzt werden. Dabei wird das Inklinometer auf den Apex der Krümmung aufgesetzt und die Skala kalibriert, bis diese Stellung als Nullwert eingestellt ist. Das Ausmaß der Bewegung in Re- und Inklination kann jetzt direkt abgelesen und dokumentiert werden (Hepp und Debrunner 2004).

Ganganalyse

Die Ganganalyse stellt den dynamischen Teil der Untersuchung dar. Manchmal kann es gerade bei kleineren Kindern sinnvoll sein, diesen als ersten Teil der Untersuchung durchzuführen.
Ziel der Ganguntersuchung ist es, dass Ausmaß einer Störungen unter dynamischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Störungen, die in der statischen Untersuchung unbemerkt geblieben sind, können so häufig aufgedeckt werden. Richtungsweisend können dabei ein Verkürzungs-, Schmerz- oder Lähmungshinken, eine mangelnde Hüftstabilisierung oder spastische Gangbewegungen sein (Kafchitas et al. 2010).
Bei der Untersuchung des Gangbilds sollte jeweils ein kompletter Gangzyklus beider Extremitäten beobachtet werden. Er wird dabei in eine Stand- und eine Schwungphase unterteilt (Abb. 7). Die Standphase nimmt ca. 60 % und die Schwungphase etwa 40 % der Zeit ein. Ein Gangzyklus beginnt mit dem Bodenkontakt des Fußes und endet mit dem erneuten Bodenkontakt des gleichen Fußes.
Es mag verwundern, dass im Rahmen der Untersuchung der Wirbelsäule die Ganganalyse so ausführlich beschrieben wird. Mehrere Studien in den letzten Jahren spiegeln aber ihre zunehmende Bedeutung bei der Diagnostik und Therapie von Erkrankungen der Wirbelsäule wider. So verweisen verschiedene Autoren im Rahmen von Gangstörungen auf die Bedeutung der Rotationsfehlstellung der Beine im Wechselspiel mit der Fehlrotation des Beckens und Störung der spinopelvinen Balance (Kramers-de Quervain et al. 2004).
Um dieser Problematik (der Gangstörungen) gerecht zu werden, fordert Matussek in ausgewählten Fällen von vierbogigen und lumbalen Skoliosen eine Ganganalyse am Beginn einer Therapie, um dadurch eine fehlerhafte Interaktion zwischen lumbaler Wirbelsäule und Becken aufzuzeigen und daraus wichtige Information für den Bau des Korsetts und die begleitende physiotherapeutische Behandlung abzuleiten. Er bezog sich dabei vor allem auf die asymmetrische Hyperlordose des konkavseitigen Beckens und die asymmetrische Beininnenrotation (Matussek et al. 2015).
Kranzl und Schenk beschrieben im Rahmen einer Posterpublikation bei 14 Patienten mit einer idiopathischen Skoliose einen verminderten Fußöffnungswinkel der rechten Seite bei starker ventraler Beckenkippung und Oberkörperneigung nach links (Kranzl und Schenk 2016).
Studien mit größeren Patientenkollektiven stehen aktuell leider nicht zur Verfügung, sodass Aussagen über die diagnostische und therapeutische Wertigkeit aktuell noch nicht möglich sind.
Unabhängig von diesen strukturellen Erkrankungen können auch im Rahmen einfacher Muskeldysfunktionen einfach zu erkennende Veränderungen im Gangbild entstehen, die die Ursachensuche einer Fehlhaltung der Wirbelsäule vereinfachen und beschleunigen können.
So kommt es beispielsweise durch eine Dysbalance zwischen Hüftbeugern und Streckern zur Schrittverkürzung mit vermehrter Beckenrotation durch Überaktivität des M. iliopsoas und des M. quadratus lumborum (Vleeming et al. 1999). Ursächlich kann eine gestörte Beweglichkeit im Sprunggelenk bzw. Fußgewölbe vorliegen. Als Kompensation kommt es zur gesteigerten Dorsalextension des Fußes sowie zur vermehrte Knie- und Hüftflexion. Daraus resultiert eine Dysbalance zwischen Hüftbeugern und Streckern mit konsekutiver Schrittverkürzung.
Zum Beispiel wird eine Fußläsion durch eine Muskelkette kompensiert und hat so eine vorhersehbare Dysfunktion der Statik zur Folge.
Die Fascia plantaris bedingt bei einer eingeschränkten Beweglichkeit kompensatorisch eine Verkürzung der ischiocruralen Muskulatur, eine vermehrte Lumballordose und eine behandlungsresistente Hyperextension in der oberen Halswirbelsäule. Fällt bei der körperlichen Untersuchung des Kindes also eine vermehrte Lordosierung der LWS auf, sollte das Kind auch im Bereich der ischiocruralen Muskulatur sowie im Fußbereich untersucht werden, um Fehldiagnosen zu vermeiden.
Vereinfacht könnte man auch hier als Orientierung wieder das Modell der Funktionsketten nach Myers verwenden, um die Funktionsstörung gesteigerte Dorsalextension des Fußes (OFL) sowie vermehrte Knie- (OFL) und Hüftflexion (TFL, tiefe Frontallinie) vollumfänglich zu erfassen und damit die nachfolgende radiologische Abklärung befundtechnisch richtig zu werten.

Radiologische Bildgebung

Trotz aller Fortschritte im Bereich der Magnetresonanztomografie (MRT) stellt in der Bildgebung am stehenden Patienten die Wirbelsäulenganzaufnahme in 2 Ebenen immer noch den Goldstandard in der Röntgenbildgebung dar.
Gemessen wird dabei das Ausmaß der skoliotischen Seitverbiegung mit dem Winkel nach Cobb bzw. im seitlichen Strahlengang die totale BWS-Kyphose von Th1–Th12 und die totale Lendenlordose von LWK1–SWK1 mit entsprechender Winkelangabe nach Cobb. Die Rotation des Wirbelkörpers kann zum Beispiel nach Nash und Moe in 4 Grade eingeteilt werden. Ergänzend kommen MRT- und CT-Untersuchungen bzw. wahrscheinlich zunehmend die Bildgebung mit dem EOS-System hinzu.
Im seitlichen Strahlengang der Wirbelsäulenganzaufnahmen (Abb. 8) werden am stehenden Patienten die in Tab. 4 zusammengefassten seitlichen radiologischen Parameter ermittelt, wobei das proximale Femur mit abgebildet sein muss. Tab. 5 gibt eine Übersicht der üblichen Bildgebungen.
Tab. 4
Parameter im sagittalen Strahlengang. (Modifiziert nach Schenk 2016)
Parameter
Beschreibung
C7-Lot („C7 plumb line“)
(Physiologischer) Lotverlauf von der Mitte des Wirbelkörpers von C7 bis hinter die Deckplatte von S1
Spinosakraler Winkel (SSA)
Maß für die Gesamtkyphose der Wirbelsäule; er beträgt beim Gesunden 135 ± 8° und wird durch eine Deckplattenparallele zum SWK1 und einer Verbindungslinie von der Mitte der Deckplatte des SWK1 zur Mitte des HWK7 ermittelt
„Pelvic incidence“ (PI)
Strukturell vorgegebenes Maß für die Form und die sagittale Ausdehnung des Beckens; es handelt sich um einen individuellen morphologischen Parameter, der nach Wachstumsabschluss unverändert bleibt
Der Winkel zwischen der Verbindungslinie Mitte Deckplatte S1 zum Zentrum der Hüftköpfe und einer rechtwinkeligen Linie auf die Deckplatte S1 ergibt den PI
„Pelvic tilt“ (PT) und „sacral slope“ (SS)
Funktionelle, veränderliche Parameter, die die Haltung des Beckens beschreiben und kompensatorisch abhängig von der Hüftstellung sind; aus der gemeinsamen Summe wird der PI ermittelt
PT = Winkel zwischen lotrechter Linie und Verbindungslinie Mitte Deckplatte S1 und Zentrum der Hüftköpfe
SS = Winkel zwischen einer waagerechten Linie und einer Linie parallel zur Deckplatte S1
Lendenlordose (LL)
Winkel zwischen der Deckplatte des SWK1 und in der Regel dem LWK1 bzw. der Deckplatte des Wirbels des thorakolumbalen Übergangs, der am meisten nach dorsal geneigt steht
Die Lendenlordose hat den Wert des PI +9°
Brustkyphose (TK)
Winkel zwischen der Deckplatte des BWK1 und der Grundplatte des zur Messung der Lendenlordose ermittelten Wirbels und damit dem Wendepunkt zwischen Lendenlordose und Brustkyphose („inflection point“)
Tab. 5
Bildgebung bei der Untersuchung der Wirbelsäule. (Modifiziert nach DGOU Leitlinie Skoliose 1999 in Wilke und Nahr 2016)
Methode
Anwendung
Röntgenuntersuchung
• Wirbelsäulenganzaufnahmen im posterior-anterioren Strahlengang sowie lateral im Stand zur Bestimmung
- der Cobb-Winkel
- des Krümmungsverlaufs (rechtskonvex, linkskonvex)
- der Wirbelkörperrotation (Nash und Moe)
- der Einteilung des Skoliosetyps
- des RVAD (Rippen-Wirbelkörper-Abgangswinkel) nach Metha (bei infantiler Skoliose)
- des Risser-Zeichens am Beckenkamm
• Bending-Aufnahmen zur Bestimmung der Flexibilität und möglicher Biegekorrektur (v. a. im Rahmen der Operationsplanung bei Skoliosen)
• Funktionsaufnahmen in Re-/Inklination (Beurteilung der Mobilität) z. B. bei der Spondylolisthesis
• TRUGBA („traction under anesthesia“) bei neuromuskulären Skoliosen
• Röntgenbild der Hand a.p. (nicht dominante Seite) zur Ermittlung des Knochenalters
• Röntgenaufnahme des Ellbogens (Olekranon-Methode) und der Daumenphalanx zur Statusbestimmung des Wachstums
EOS
• Strahlungsärmere Alternative für Wirbelsäulenganzaufnahme und dreidimensionaler Bildrekonstruktion
MRT
• Dreidimensionale Abklärung von Tumoren, (insbesondere intraspinalen) Fehlbildungen, Entzündungen
• Weiterführende Diagnostik bei neurologischer Symptomatik
• Sonderform: MRT im Stehen als möglicherweise bald führender Standard in Kombination mit dem EOS-System
CT
(mit dreidimensionaler Rekonstruktion)
• Erweiterte diagnostische Abklärung z. B. bei knöchernen Fehlbildungen bzw. im Rahmen der präoperativen Planung
Eine Alternative zu den Wirbelsäulenganzaufnahmen mit geringerer Strahlenbelastung könnte dabei das EOS-System darstellen. Zahlreiche Studien, unter anderem von Zarghooni et al. (2011) sowie von Hui (2016), zeigten, neben der Möglichkeit zur dreidimensionalen Bilderfassung und Darstellung, einen deutlichen Vorteil hinsichtlich der anzuwendenden Dosis gegenüber den aktuellen Wirbelsäulenganzaufnahmen.

Skelettalter und Skelettreife

Wie zu Anfang schon beschrieben, kommen bei der Beurteilung der Skelettreife verschiedene radiologische Verfahren zur Anwendung. Das häufig verwendete Risser-Zeichen (Stücker 2016) ist dabei aber recht ungenau, da es in der Phase des schnellen Wirbelsäulenwachstums erst nach der Akzelerationsphase positiv wird. In der Regel sind dann noch ca. 5 cm Restwachstum vorhanden.
Risser-Zeichen + Restwachstum (in cm) = 5 (Stücker + 13)
Da die gängige Bestimmung des Skelettalters nach Greulich und Pyle (Stücker 2016) vor allem bei jungen Kindern mit großen Unsicherheiten verbunden ist (Cundy et al. 1988), hatte sich als eine gerade in der Akzelerationsphase der Pubertät wesentlich genauere Verfahren die Olekranon-Methode zunehmend durchgesetzt (Stücker 2016; Charles et al. 2007).
Aktuell wird aber vor allem die Einteilung nach Sanders (Sanders et al. 2008) in diesem Bereich stark favorisiert (Abb. 9). In einer Einteilung in 8 Stadien wird anhand von Röntgenbildern der Epiphysenfugen der linken Hand und des Handgelenks das Restwachstum beurteilt.

Lichtoptische Verfahren

Durch die radiologische Diagnostik kommt es wie beschrieben im Verlauf zu einer nicht unerheblichen Strahlenbelastung, auch wenn diese in den letzten Jahren durch die Einführung digitaler Röntgenverfahren und Anwendung des p.a. Strahlengangs deutlich reduziert werden konnte (Betsch et al. 2015). Ronckers et al. (2010) verwies im Rahmen einer Studie auf etwa durchschnittlich 23 Röntgenkontrollen im Rahmen einer Skoliose-Behandlung. Verschiedene Studien sehen darin den Grund für das erhöhte Brustkrebsrisiko (Faktor 2,7) bei Skoliose-Patientinnen (Doody et al. 2000).
Neben der radiologischen Belastung wurden aber auch die Reliabilität der gemessenen Cobb-Winkel und die fehlende dreidimensionale Darstellung kritisiert. He und Mitarbeiter (2009) verwiesen auf Messdifferenzen von bis zu 6,5°.
Seit den 1980er-Jahren wurden daher verschiedene lichtoptische System entwickelt. Es handelt sich um Systeme zur Oberflächenmessung, wobei das Linien-Scanningverfahren und das multiple Linien-Projektionsverfahren unterschieden werden. Letzteres, das auch als Videorasterstereografie bezeichnet wird, findet beispielsweise beim Formetric-System Anwendung. Bei einer durchschnittlichen Untersuchungszeit von 40 ms pro Bild sind auch dreidimensionale Rekonstruktionen möglich. Die neuesten Systeme der dynamischen Rasterstereografie erlauben sogar dynamische Bilder, was Gang- und Haltungsanalysen ermöglicht.
Andere Systeme sind beispielsweise das Isis-System (Linien-Scanningverfahren) mit einer Untersuchungszeit von 750 ms und einer Genauigkeit von +/−1 mm (Wilke et al. 2012), das Zebris-System (Ultraschallanalyseverfahren) und das Backmapper-System in Verbindung mit einer Thermobildkamera (Wilke und Nahr 2016). Diese Systeme sind zur Verlaufskontrolle, nicht aber zur Primärdiagnostik geeignet, da sie im Gegensatz zur radiologischen Diagnostik nicht in der Lage sind, Fehlbildungen, Frakturen, Tumoren und Spondylolisthesen nachzuweisen bzw. auszuschließen (Tarhan et al. 2015).
Eine 2017 durchgeführte Literaturstudie des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zur Nutzung der Videorasterstereografie (methodisch Recherche und Rechercheauswertung) (Themencheckmedizin 2018) ergab ein hohes Verzerrungspotenzial für alle 4 analysierten Studien. Die Messergebnisse der Videorasterstereografie wichen in allen 3 Raumebenen (Frontal-, Sagittal- und Transversalebene) vom Standardverfahren (Röntgenuntersuchung) um mehrere Grade ab, am stärksten bezüglich Lordose und Kyphose der einzelnen Wirbelsäulenabschnitte. Die Autoren kamen zusammenfassend zu dem Schluss, die Videorasterstereografie habe das Potenzial zum Ersatz der Röntgenuntersuchung in der Nachsorge, was unter Zugrundelegung des Methodenpapiers des IQWiG nachvollziehbar ist, aus Sicht der Autoren aber unter der Einschränkung für die oben genannte Primärdiagnostik gelten sollte.

Fotodokumentation

Eine einfache Verlaufsdokumentation stellt immer noch die Fotodokumentation dar. Im Rahmen von Verlaufskontrollen lassen sich die Zu- oder Abnahme von Rumpfdeformitäten und Fehlhaltungen gut dokumentieren und beurteilen (Abb. 10).

Abschluss der Untersuchung

Den Abschluss der Untersuchung bildet die Wertung der erhobenen klinischen und apparativen Befunde untereinander. Dabei werden altersspezifische Besonderheiten nach statischen und dynamischen Gesichtspunkten und die zu erwartenden wachstumsbedingten und ggf. krankheitsspezifischen Veränderungen berücksichtigt.
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