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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 23.10.2019

Lappenplastik: ALT

Verfasst von: Khosrow Siamak Houschyar und Marcus Lehnhardt
Der anterolaterale Oberschenkellappen (ALT) hat sich in den letzten Jahren als ein Standardverfahren in der rekonstruktiven Mikrochirurgie etabliert. Der ALT ist ein vielseitiger Lappen, mit dessen Hilfe eine zuverlässige Rekonstruktion komplexer Defekte möglich ist. Die Lappenhebung und Präparation der Empfängergefäße lassen sich in der Regel simultan durchführen. Weitere Vorteile sind eine niedrige Hebedefektmorbidität, der kaliberstarke und lange Gefäßstiel sowie die verschiedenen Möglichkeiten der Gewebekomposition.

Einleitung und Anatomie

Im Jahre 1984 beschreiben Song et al. zum ersten Mal den ALT-Flap. Es handelt sich um einen freien fasziokutanen Lappen des lateralen Oberschenkels. Lokalisiert ist er zwischen dem lateralen Rand des Musculus vastus lateralis und dem medialen Rand des Musculus rectus femoris mit einer maximalen Lappengröße bis zu 40 cm x 20 cm. Die arterielle Versorgung des Lappens erfolgt in den meisten Fällen durch den absteigenden Ast (Ramus descendens) der Arteria circumflexa femoris lateralis (LCFA). Die LCFA geht im Trigonum femorale aus der Arteria femoralis hervor und verläuft posterolateral zum Nervus femoralis, hinter dem Musculus sartorius und dem Musculus rectus femoris. Sie teilt sich anschließend in 3 Äste, den Ramus ascendens, den Ramus transversus und den Ramus descendens. Der Ramus descendens ist mit einer Gefäßstiellänge von 8–12 cm und einem Durchmesser von 2 mm der längste und dickste Ast. Er verläuft in einer gemeinsamen Bindegewebsscheide mit 2 Venae concomitantes und einem kleinen Nervenast nach kaudolateral. Dabei ist er vor dem Musculus vastus lateralis und hinter dem Musculus rectus femoris lokalisiert. Bei dem Nerven handelt es sich um den Ramus muscularis des Nervus femoralis zur motorischen Innervation des Musculus vastus lateralis. Auf dem Weg gibt der Ramus descendens mehrere Äste zur arteriellen Versorgung des Musculus rectus femoris, Musculus vastus intermedius und des Musculus vastus lateralis ab und endet schließlich im Rete articulare genus. Aus dem absteigenden Ast der LCFA gehen schließlich Perforansgefäße ab, die als Gefäßstiel bzw. Perforatorgefäß präpariert werden können.
Dabei unterscheidet man abhängig von der anatomischen Lage muskulokutane und septokutane Perforatoren. Die septokutanen Perforatoren verlaufen im Septum intermusculare zwischen dem Musculus rectus femoris und dem Musculus vastus lateralis, durchdringen die tiefe Oberschenkelfaszie (Fascia lata) und versorgen direkt das subdermale Gewebe und die Haut des lateralen Oberschenkels. Die muskulokutanen Perforatoren durchdringen zunächst den Musculus vastus lateralis und gelangen dann durch die Fascia lata zur Haut. In einigen Fällen gehen die Perforatoren auch aus dem horizontalen Ast (Ramus transversus) der LCFA hervor.
Nach dem Abgang aus der LCFA verläuft der Ramus transversus anterolateral zum Musculus vastus intermedius und versorgt schließlich den Musculus tensor fasciae latae. Nach ihrem Durchtritt aus der Faszie geben die Perforatoren viele kleine Äste ab und bilden so einen Gefäßplexus auf der Faszie (epifaszialer Plexus); anschließend gehen sie in den subdermalen Plexus über. Der ALT-Lappen kann zusammen mit dem Nervus cutaneus femoris lateralis gehoben werden. Dieser sensorische Nerv stammt aus dem Plexus lumbalis und gelangt durch die Lacuna musculorum zum lateralen Teil des Oberschenkels. Er durchbricht die Fascia lata 7–10 cm unterhalb der Spina iliaca anterior superior im Bereich des medialen Musculus tensor fasciae latae. Er teilt sich anschließend in einen anterioren und einen posterioren Ast. Der stärkere Ramus anterior verläuft nach kaudal entlang einer gedachten Linie zwischen Spina iliaca anterior superior und Patellaaußenkante. Auf der Höhe des Linienmittelpunkts beträgt der transversale Durchmesser etwa 1,0–1,5 cm.

Durchführung eines freien mikrochirurgischen ALT-Lappentransfers

Präoperatives Management

Allgemein gilt für die präoperative Planung einer freien Perforatorlappenplastik, sich eine Übersicht über die exakte Größe und die in den Defekt involvierten Strukturen zu machen. Hierbei gilt es, gegebenenfalls vor Defektdeckung ein erneutes Wunddebridement mit einzuplanen. Weiter sollte der Durchblutungszustand des benachbarten Gewebes beurteilt werden. Es sollten genaue Kenntnisse über die Gefäßanatomie der Extremität vorliegen sowie eine exakte Ausmessung der benötigten Gefäßstiellänge gemacht werden. Zu einer Operationsplanung gehört die Inspektion der Lappenhebestelle am ventrolateralen Oberschenkel.
Als absolute Kontraindikation für die Entnahme eines ALT-Lappens gelten eine hochgradige Arteriosklerose (pAVK), eine akute Infektion und vorherige größere Operationen mit ausgeprägter Narbenbildung. An relativen Kontraindikationen kann Adipositas und eine Hypertrichose genannt werden.
Im Bereich der Empfängerregion sollte in Abhängigkeit von der Operationsindikation eine umfangreiche Diagnostik durchgeführt werden. Dabei sind insbesondere die bildgebende Diagnostik zur Beurteilung der Weichteildefektgröße als auch die histologische Diagnosesicherung von entscheidender Bedeutung. Des Weiteren sollte bei jedem Patienten eine Beurteilung der Durchblutungssituation erfolgen.
Die Operation kann in Abhängigkeit von der Defektlokalisation sowohl in Intubationsnarkose als auch in Spinalanästhesie durchgeführt werden. Für die Operation wird der Patient in die Rückenlage gebracht. Präoperativ wird die Anzeichnung einer Linie von der Spina iliaca anterior superior zum lateralen Rand der Patella als Orientierung für die Entnahme des Lappen empfohlen sowie eine dopplersonographische Detektion der Perforatoren durchgeführt (Abb. 1). Dazu wird zunächst eine Linie von der Spina iliaca anterior superior bis zur Patellaaußenkante gezogen. Im Bereich des Linienmittelpunkts werden die Perforatorgefäße mit einem Gefäßdoppler aufgesucht und auf dem Oberschenkel markiert. Diese Markierungen entsprechen etwa den Austrittsstellen der Perforatoren aus der Fascia lata.

Operationstechnik

Zunächst erfolgt eine Zuwendung zum Weichteildefekt im Bereich der unteren oder oberen Extremität. Abhängig von der Operationsindikation können verschiedene operative Verfahren angewandt werden, wie Debridements, onkologische Resektionen oder Osteosyntheseverfahren. Anschließend werden für die mikrochirurgischen Anastomosen geeignete Arterien und Begleitvenen unter Lupenbrillensicht dargestellt und die Größe des Defekts ausgemessen.
Nun erfolgt die Zuwendung zum Lappenentnahmebereich am rechten oder linken ventrolateralen Oberschenkel. Entsprechend der zuvor ausgemessenen Defektgröße wird ein ausreichend großer Lappen eingezeichnet. Die Lappenmitte befindet sich dabei etwa im Bereich der zuvor dopplersonographisch festgestellten Perforatorgefäße. Die Inzision wird am lateralen Lappenrand geführt. Anschließend Präparation und Durchtrennung der Fascia lata unter Darstellung der dominanten Perforatoren. Abhängig von dem Perforatorverlauf (septokutan, muskulokutan) werden diese in die Tiefe verfolgt. Hat der Perforator eine ausreichende Stiellänge, werden weitere Seitenabgänge geklippt und der Gefäßstiel des Ramus descendens der Arteria circumflexa femoris lateralis abgesetzt (Abb. 2).
Der Lappenentnahmebereich wird nun nach Einlage einer Redon-Drainage schichtweise verschlossen. Der ALT-Lappen wird in den Weichteildefekt positioniert und anastomosenfern unter dem Operationsmikroskop eingenäht (Abb. 3). Unter dem Operationsmikroskop erfolgt zunächst die arterielle Anastomose in Einzelknopftechnik oder fortlaufender Nahttechnik (End zu Seit oder End zu End). Anschließend werden ein bis zwei geeignete Venen des ALT-Lappens präpariert und an die zuvor freipräparierten Venen des Weichteildefekts anastomosiert. Bei einigen Patienten muss dabei ein Veneninterponat verwendet werden. Nach Freigabe des Blutstroms kann nun die Lappenperfusion und der venöse Abfluss beurteilt werden; die Anastomosen werden nochmals mit dem Operationsmikroskop kontrolliert. Schließlich wird der restliche Lappen eingenäht. In Fällen größerer Lappenplastiken, bei denen der Hebedefekt nicht spannungsfrei zu verschließen ist, muss zusätzlich Spalthaut entnommen werden, um den Hebedefekt zu decken.

Postoperatives Management

Der ALT-Lappen muss in den ersten 48 Stunden stündlich kontrolliert werden, um mögliche postoperative Komplikationen zu eruieren und entsprechend schnell therapieren zu können. Es werden Fettgaze und Polsterdruckverbände aufgelegt und anschließend ein steriler Wundverband mit Fenster zur Lappenkontrolle angelegt. Das postoperative Lappenmonitoring ist entscheidend für den Erfolg eines mikrovaskulären Lappentransfers. In den ersten 3 Tagen nach Lappentransplantation muss eine intensive Überwachung des ALT-Lappens durchgeführt werden. In Abb. 4 zeigt sich die Entnahmestelle des ALT-Lappens 1 Jahr postoperativ.