Klinische Symptome und Differenzialdiagnose
Die Klinik des ANV ist von der zugrunde liegenden Erkrankung geprägt und dadurch entsprechend vielfältig. So können primär unspezifische Symptome auftreten, wie Abdominalschmerzen oder „Nierenschmerzen“ bei obstruktiven oder infektiösen Ursachen für das ANV, aber auch Müdigkeit, Übelkeit und Erbrechen.
Das klassische Leitsymptom für ANV ist die akute Verminderung der Harnausscheidung mit
Oligurie oder
Anurie, die jedoch nicht bei jeder Form des ANV vorliegen muss. Bei renalen Ursachen des ANV kann es zusätzlich zu einer auffallenden Verfärbung des Harns kommen (Pyurie, Hämaturie).
Zumeist wird die Diagnose des ANV jedoch im Rahmen der Bestimmung von Laborwerten gestellt. Bei den Laborbefunden finden sich zusätzlich zum Anstieg der harnpflichtigen Substanzen im
Serum wie
Kreatinin und Harnstoff-Stickstoff (Urämie) auch Elektrolytentgleisungen im Sinne einer reduzierten Ausscheidung (
Hyperkaliämie,
Hyperphosphatämie, metabolische Azidose), aber auch der Überwässerung (
Hyponatriämie).
Anamnese, Untersuchung des Harns sowie bildgebende Verfahren (insbesondere Sonografie) erlauben zumeist rasch die Differenzierung zwischen prärenalem bzw. renalem ANV oder postrenalem ANV.
Die Unterscheidung zwischen prärenalem und renalem ANV ist durch das Ansprechen auf die Behandlung der zugrunde liegenden Ursache (vor allem
Hypovolämie, s. unten) gegeben. Im Rahmen einer Ultraschalluntersuchung kann als prärenale Ursache z. B. eine Verminderung der Nierendurchblutung dargestellt werden.
Hinweise auf eine primär renale Ursache für das ANV ergeben sich meist aus der Anamnese, Harnverfärbungen, erhöhtem Blutdruck und speziellen immunologischen oder infektiösen Laborparametern. Des Weiteren spielt hier die Harndiagnostik zur Unterscheidung zwischen prärenalem und renalem ANV eine wesentliche Rolle (siehe Kapitel zu den jeweiligen Nierenerkrankungen). Bei entsprechenden Hinweisen auf renales ANV ist oft eine rasche
Nierenbiopsie indiziert, sofern diese den Behandlungsbeginn nicht kritisch verzögert. Typischerweise ist bei einem postrenalen
Nierenversagen eine Erweiterung der Harnwege zu sehen, eventuell kann auch die primäre Ursache (z. B. Nierenstein, Tumor) dargestellt werden.
Wichtig ist auch zu bedenken, dass ein ANV bei einer (evtl. undiagnostizierten) chronischen Nierenerkrankung vorkommen kann. Zur Erkennung eines ANV bei einer bereits vorbestehenden chronischen Nierenerkrankung hilft die Suche nach spezifischen Befunden (z. B. kleine dichte Niere in Sonografie, Hinweise auf renale Osteopathie, Kap. „Chronische
Niereninsuffizienz bei Kindern und Jugendlichen“).
Klinische Zeichen wie Überwässerung (
Ödeme inklusive Lungenödem bei einer Überwässerung von über 6–8 % des Körpergewichts) sowie
arterielle Hypertonie mit den Folgen von
Herzinsuffizienz, Enzephalopathie (Übelkeit, Erbrechen,
Kopfschmerzen und Krampfanfälle) sind bereits als Komplikationen der reduzierten Nierenfunktion einzuschätzen und treten oft erst bei fortgeschrittenem ANV auf.
Therapie
Die Therapie richtet sich nach der Schwere der Erkrankung. Sollten bereits potenziell lebensbedrohliche Komplikationen des ANV eingetreten sein, ist mit einer unverzüglichen
Dialyse zu beginnen, ansonsten sind zunächst konservative Maßnahmen zu wählen. Bei vielen Kindern ist die Stabilisierung auf einer Intensiv- oder Überwachungsstation indiziert.
Oberstes Prinzip sollte die Therapie der Ursache für das
Nierenversagen sein. Bei Vorliegen eines prärenalen ANV entspricht nach Identifikation des behandlungsbedürftigen Problems (z. B.
Hypovolämie) dessen Beseitigung bereits der Therapie der Wahl. Ebenso ist bei Vorliegen einer postrenalen Ursache des ANV die Harnableitung bzw. die Beseitigung der Obstruktion die Behandlung der Wahl. Kann beim ANV durch Gabe eines ausreichenden Volumenbolus von 10–20 ml/kg KG die Diurese wieder in Gang gesetzt werden, so ist die Diagnose des prärenalen ANV bestätigt, und es folgt die adäquate Flüssigkeits- und Elektrolytbilanzierung unter sorgfältigem Monitoring von
Elektrolyten, Gewicht und Kreislauf. Sollte eine Volumenzufuhr jedoch zu keiner Verbesserung der Diurese führen, so ist die Diagnose eines renalen ANV zu stellen.
Generell gilt bei der Behandlung des renalen ANV, dass die Zufuhr von Volumen und
Elektrolyten der reduzierten renalen Ausscheidung anzupassen ist. Unter engmaschiger Bilanzierung und Gewichtskontrolle sollte sich die Flüssigkeitszufuhr am insensiblen Wasserverlust (400 ml/m
2 KOF) plus renaler Ausfuhr plus anderer Verluste orientieren. Kalium- und Phosphatzufuhr sind zu streichen, eine Azidose muss entsprechend gepuffert werden. Eine behandlungsbedürftige
arterielle Hypertonie kann meist, vor allem mit peripher vasodilatierenden Substanzen, kontrolliert werden. Nephrotoxische Medikamente sind abzusetzen, und die restlichen Medikamente müssen an die abnorme Nierenfunktion angepasst werden.
Erreicht man durch diese konservativen Maßnahmen eine klinische Stabilisierung, wird wertvolle Zeit für evtl. weitere notwendige Maßnahmen (z. B. Transferierung an ein pädiatrisch-nephrologisches Zentrum, Biopsie bei primärer Glomerulonephritis, Dialysekatheterimplantation) gewonnen.
Bei ausreichender Harnausscheidung kann beim klinisch stabilen Patienten eine Remission des ANV oft auch ohne
Dialyse unter konservativen Maßnahmen abgewartet werden.
Beim oligoanurischen ANV ist die Indikation zur
Dialyse besonders sorgfältig gegen den zu erwartenden Verlauf unter konservativer Therapie abzuschätzen. Vor allem beim kleinen und kritisch kranken Kind ist eine ausreichende Kalorienzufuhr häufig ohne Flüssigkeitsentzug durch Dialyse nicht möglich.
Kann man mittels konservativer Maßnahmen keine Stabilisierung erreichen, ist die Indikation zur
Dialyse gegeben, bestimmt durch Beurteilung des klinischen Zustands des Patienten und der Laborparameter. Insbesondere eine lebensbedrohliche
Hyperkaliämie (<7 mmol) oder Hypervolämie (mit Lungenödem,
hypertensiver Krise) sind Indikationen zur raschen Dialysetherapie. Um Zeit bis zum Dialysebeginn zu gewinnen, kann versucht werden, durch Pufferung (Natriumbikarbonatgabe) sowie Infusionen von
Glukose/Insulin-Kombinationen,
Kalium nach intrazellulär zu verschieben sowie durch orale und rektale Zufuhr von Ionenaustauschharzen eine extrarenale Entfernung von Kalium durchzuführen.
Als Dialyseverfahren kommen
Hämodialyse,
Peritonealdialyse sowie kontinuierliche Hämofiltrationsverfahren zum Einsatz. Die derzeitige Datenlage erlaubt keinen Vergleich zwischen diesen drei
Nierenersatztherapien. Zumeist erfolgt bei primär renalem ANV bei größeren Kindern die Hämo- und bei kleineren die Peritonealdialyse. An Intensivstationen kommen zunehmend die kontinuierlichen Filtrationsverfahren zum Einsatz, die an vielen Zentren auch bereits bei sehr kleinen Kindern angewendet werden. Neben der Erfahrung der einzelnen Zentren spielt für die Auswahl des Verfahrens somit das Alter des Kindes, aber auch die Dringlichkeit des Therapiebeginns, die allgemeinen Kreislauf- und Gerinnungsverhältnisse sowie die voraussichtliche Dauer dieses Verfahrens eine Rolle. Der Einsatz der
Dialyse beim ANV des Frühgeborenen mit extrem niedrigem Geburtsgewicht ist derzeit Gegenstand aktueller Forschung.