Epileptische Anfälle, Epilepsien und Epilepsiesyndrome
Prinzipiell bedient sich die Klassifikation der
Epilepsiesyndrome der Ätiologie, der Anfallssymptomatik und z. T. des
EEG. Klassifiziert werden die einzelnen Anfallstypen, aus denen sich dann – zusammen mit der vermuteten Ätiologie – die Diagnose des Epilepsiesyndroms zusammensetzt.
Als genetisch werden alle
Epilepsien bezeichnet, die genetischen Ursprunges sind.
Als strukturell, infektiös, metabolisch oder immunologisch bezeichnet man
Epilepsien mit belegbarer Ursache.
Die Begriffe können kombiniert werden. Eine durch die
tuberöse Sklerose (TSC) ausgelöste
Epilepsie hätte daher eine strukturell-genetische Ursache. Als unbekannt (früher: kryptogen) werden Epilepsien bezeichnet, bei denen ein Auslöser wahrscheinlich erscheint, aber nicht sicher bewiesen werden kann.
Die Benutzung der Begriffe Krampf oder Krampfanfall sollte aus Gründen der Deutlichkeit zugunsten des Begriffs epileptischer Anfall vermieden werden. Prinzipiell werden die
epileptischen Anfälle unterteilt in fokale und generalisierte Formen. Fokale Anfälle können sekundär generalisieren. Generalisierte Anfälle können somit generalisierten als auch fokalen Ursprungs sein. Fokale Anfälle können mit oder ohne Bewusstseinseinschränkung einhergehen. Die Symptomatik der Anfälle hängt von ihrem Entstehungsort und ihrer Ausbreitungsregion ab (z. B. temporal, frontal oder okzipital). Als elementare Symptomatik wird eine gleichbleibende sensorische Wahrnehmung einer einzelnen Sinnesmodalität bezeichnet (z. B. Wahrnehmung eines leuchtenden Punkts im Blickfeld bei Okzipitallappenanfällen).
Epilepsien und Epilepsiesyndrome mit Beginn im 1. Lebensjahr
In dieser Altersgruppe zeigen
epileptische Anfälle oft eine weitgehend andere Morphe als im späteren Kindesalter. Einige, für Neu- und Frühgeborene typische Bewegungsmuster können sowohl ein epileptisches Anfallskorrelat als auch harmloser Automatismus sein. Sie werden von vielen Autoren nur dann als epileptisch klassifiziert, wenn zusätzlich gleichzeitig ein entsprechendes EEG-Korrelat nachgewiesen ist. Dies trifft vor allem auf Bewegungsmuster zu, die sich durch Stimulation verstärken lassen bzw. aktiv reproduzierbar bzw. unterbrechbar sind. Es kann sich hierbei um Bulbusbewegungen, kurze tonische Versteifungen des Körpers oder rhythmisches Strampeln handeln. Viele Autoren folgen jedoch der Auffassung, dass in dieser Altersgruppe epileptische Anfälle auch ohne iktale EEG-Veränderungen vorkommen. Sicher ist umgekehrt, dass Anfallsentladungen im
EEG häufig auch ohne klinisches Korrelat bleiben. Berücksichtigt werden in den meisten Studien daher vorwiegend klinische Anfälle mit EEG Korrelat und subklinische Anfälle (Anfallsentladung im EEG ohne klinisches Korrelat). Die Verfügbarkeit des amplitudenintegrierten EEG als Möglichkeit des Langzeit-EEG Monitorings macht diesen pragmatischen Ansatz möglich.
Der häufigste Anfallstyp (ca. 40 %) im Neugeborenenalter sind die klinisch leider wenig charakteristischen subtilen Anfälle. Die häufigsten Symptome eines subtilen Anfalls betreffen die Augen (Bulbusbewegungen horizontal oder vertikal, Nystagmus, Lidkloni, starrer Blick). Apnoen oder Hyperpnoen kommen vor. Typisch sind auch orale Symptome mit Schmatzen, Saugen oder Protrusion der Zunge sowie Ruder- und Strampelbewegungen der Extremitäten. Von den im höheren Alter üblichen Anfallssymptomen kommen im Neugeborenenalter myoklonische, klonische und tonische Anfälle sowie Flexor- und Extensor-Spasmen vor. Die Anfälle können fokal, multifokal oder generalisiert auftreten.
Im Neugeborenenalter und Säuglingsalter werden u. a. folgende
Epilepsiesyndrome unterschieden.
Selbst-limitierende nichtfamiliäre Anfälle des Neugeborenen
Man beobachtet sie meist zwischen dem 1. und 7. Lebenstag bei ansonsten gesunden Reifgeborenen. Oft handelt es sich um fokale Anfälle. Die Diagnose muss retrospektiv über den Verlauf gestellt werden.
Bei den benignen, familiären, autosomal-dominanten Neugeborenenanfällen kommt es zu fokalen oder generalisierten Anfällen zwischen dem 2. und 3. Lebenstag, die meist nach 2–6 Wochen persistieren.
Selbst-limitierende infantile Partialepilepsie
Sie manifestiert sich zwischen dem 3. und 20. Lebensmonat. Sie kann sporadisch und familiär auftreten. Es kommt zum Innehalten der Bewegungen, Augenverdrehen und fokalen Kloni, evtl. mit sekundärer Generalisation. Dieses Epilepsiesyndrom ist recht häufig. Erkrankt ein Kind nach der 4. Lebenswoche (trotz unauffälliger Anamnese) an fokalen Anfällen, so ist, bei gleichzeitig normalem Untersuchungsbefund, normaler Entwicklung, normalem
EEG und normaler Bildgebung, die Prognose in 75 % der Fälle gut.
Frühinfantile myoklonische/epileptische Enzephalopathie
Die frühinfantile myoklonische Enzephalopathie und die frühinfantile
epileptische Enzephalopathie (Otahara-Syndrom) beginnen meist in den ersten 3 Lebensmonaten, zeigen im
EEG ein sog. Burst-suppression-Muster und sind schwer behandelbar. Beim Ohtahara-Syndrom dominieren tonische und fokale Anfälle. Man findet oft strukturelle ZNS-Anomalien. Bei der frühinfantilen myoklonischen Enzephalopathie kommen, neben den myoklonischen Anfällen, auch fokale Anfälle vor. Ursächlich sind meist metabolische Störungen (z. B.
nichtketotische Hyperglycinämie u. a.). Beide Enzephalopathien können in ein
West-Syndrom und später in ein
Lennox-Gastaut-Syndrom übergehen.
Dravet-Syndrom
Die
schwere myoklonische Epilepsie des Säuglingsalters beginnt im 1. Lebensjahr bei bis dahin normal entwickelten Kindern mit febrilen und afebrilen
generalisierten tonisch-klonischen Anfällen und Halbseitenanfällen (meist wechselnder Körperseite!). In der Folge kommt es in ca. 70 % der Fälle zu massiven myoklonischen Anfällen und Staten. Falls myoklonische Anfälle nicht im Vordergrund stehen, wird die
Epilepsie im deutschen Sprachgebrauch als frühkindliche Grand-Mal-Epilepsie mit alternierenden Hemi-Grand-Mal bezeichnet. Typisch ist die ausgeprägte Temperatur- bzw. Infektabhängigkeit der Anfälle beider
Epilepsiesyndrome. Die Behandlung ist schwierig.
West-Syndrom
Betroffen sind meist Säuglinge zwischen dem 2. und 8. Lebensmonat, dabei Jungen häufiger als Mädchen. In ca. 2/3 der Fälle lässt sich letztlich eine Ätiologie nachweisen. Häufige Ursachen sind pränatal angelegte oder erworbene kortikale Anomalien, hypoxisch-ischämische Insulte, konnatale und neonatale ZNS-Infektionen und die
tuberöse Sklerose (mit Hautdepigmentierungen, die in diesem Alter nur unter Wood-Licht zu erkennen sind (Kap. „Neurokutane Syndrome bei Kindern und Jugendlichen“).
Klinisch charakterisiert ist das
West-Syndrom durch die Trias Blitz-Nick-Salaam-Anfälle (engl. „spasm“), Hypsarrhythmie im
EEG und durch die Entwicklungsregression. Je nachdem, wie schnell die
Epilepsie diagnostiziert wird, kann die
Regression (noch) fehlen. Die Anfälle treten häufig bei Müdigkeit und in Serien auf und können anfangs nur aus Lidflattern oder Blinzeln bestehen. Die häufigste Anfallsform sind symmetrische Beuge- und Streckkrämpfe der Extremitäten, die an den Armen am deutlichsten zu sehen sind. Blitzanfälle bestehen aus heftigen myoklonischen Stößen, bei denen Arme und Beine nach vorne geschleudert werden. Kopf und Rumpf werden dabei gebeugt. Die Kinder scheinen zu erschrecken oder Schmerzen zu empfinden und weinen dabei oft. Nickanfälle sind kurze, oft diskrete (myoklonische) Beugungen des Kopfes. Treten eindeutige epileptische Spasmen (BNS-Anfälle) auf, liegt auch bei Fehlen einer vollständig ausgeprägten Hypsarrhythmie ein West-Syndrom vor. Die Prognose, vor allem eines symptomatischen West-Syndroms, ist ungünstig, aber in der Hand des Erfahrenen keineswegs aussichtslos.
Die Behandlung mit Steroiden oder ACTH (
adrenokortikotropes Hormon, sog. ACTH-Kur) führt zu den besten Ansprechraten (ca. 70 %). Die Rückfallrate nach Reduktion ist jedoch hoch (ca. 30 %). Durch eine Kombination von ACTH und
Vigabatrin können noch bessere Ergebnisse erzielt werden. In letzter Zeit haben sich kurze Behandlungsdauern etabliert, die deutlich besser verträglich sind als dies früher bei langdauernden ACTH-Therapien der Fall war. Vigabatrin gilt ebenso als Mittel der 1. Wahl zur Therapie des
West-Syndroms (vor allem bei
tuberöser Sklerose!), obwohl vor einigen Jahren irreversible partielle Gesichtsfeldausfälle bei ca. 20 % der Fälle beschrieben wurden. Man versucht, diese Komplikation durch kurze Anwendung des Präparats (max. 4 Monate) zu vermeiden. Ob dies so gelingt, kann derzeit allerdings noch nicht sicher beantwortet werden. Hoch dosiertes Valproat oder
Benzodiazepine sind weniger wirksam.
Epilepsien und Epilepsiesyndrome mit Beginn im frühen Kindesalter
Doose-Syndrom
Die myoklonisch-astatische
Epilepsie (
Doose-Syndrom) gehört zu den idiopathischen generalisierten Epilepsien und tritt zwischen dem 2. und 5. Lebensjahr auf. Meist beginnt die Epilepsie mit febrilen oder afebrilen
generalisierten tonisch-klonischen Anfällen. Wenige Wochen später setzen dann oft explosionsartig myoklonisch-astatische Anfälle ein, die von da an den Verlauf dominieren.
Absencen, myoklonische Anfälle und nächtliche tonische Anfälle (seltener) kommen auch vor. Ein nichtkonvulsiver Status, der wie ein
Stupor manifestiert, ist möglich. Lässt sich die Epilepsie schnell und nachhaltig beherrschen, ist die Prognose gut (ca. 60 % der Fälle). Gelingt dies nicht, droht demenzieller Abbau. Die Therapie kann sehr schwierig sein. Zum Einsatz kommen u. a. Valproat,
Ethosuximid,
Benzodiazepine, ACTH, die ketogene Diät und evtl. auch Topiramat.
Lennox-Gastaut-Syndrom
Das
Lennox-Gastaut-Syndrom wird zu den
epileptischen Enzephalopathien gezählt. In 2/3 der Fälle lässt sich eine ZNS-Fehlbildung oder kortikale Läsion nachweisen. Die meisten Fälle manifestieren sich zwischen dem 2. und 6. Lebensjahr. Die Diagnose basiert auf dem Auftreten von tonischen Anfällen, atypischen
Absencen und Sturzanfällen, denen eine Myoklonie vorausgehen kann. Die Mehrzahl der Patienten (ca. 90%) ist intellektuell beeinträchtigt. Die tonischen Anfälle bestehen meist in einer axialen Beugung des Rumpfes und treten bevorzugt im
Schlaf auf. Im
EEG zeigen sich hierbei ca. 10- bis 20-Hz-Spike-Entladungen (sog. tonische Muster). Tonische Anfälle oder zumindest der Nachweis der tonischen EEG-Muster werden zur Diagnosestellung gefordert. Im interiktalen EEG dominiert das klassische Muster langsamer Spikes mit langsamer Nachschwankung (sog. Slow-Spike-Wave oder Spike-Wave-Varianten) von ca. 2 Hz. In der Therapie kommen Valproat,
Benzodiazepine (Clobazam bis 1 mg/kg/Tag), Felbamat, Lamotrigen, Topiramat u. a. zum Einsatz. Die Prognose des Lennox-Gastaut-Syndroms bleibt auch mit den neuen Präparaten schlecht. Das Syndrom wird in den technisierten Ländern immer seltener, was vermutlich auf den frühzeitigen und konsequenten Einsatz der (neuen)
Antiepileptika zurückzuführen ist.
Frühkindliche Absenceepilepsie
Im deutschen Sprachgebrauch wird zwischen der frühkindlichen Absenceepilepsie der ersten 4 Lebensjahre und der Absenceepilepsie des Kindesalters (
Pyknolepsie) sowie der juvenilen Absenceepilepsie unterschieden. Die internationale Klassifikation folgt dieser Einteilung nicht und subsumiert die frühkindliche Absenceepilepsie und die Absenceepilepsie des Kindesalters unter den Überbegriff der Absenceepilepsie des Kindesalters (Abschn.
2). Betroffen sind vorwiegend Jungen im Alter zwischen 2 und 4 Jahren. Gelegentlich besteht bereits initial eine leichte Entwicklungsretardierung. In etwa der Hälfte der Fälle gehen den
Absencen generalisierte tonisch-klonische Anfälle voraus oder folgen kurz nach Beginn der
Epilepsie. Eine myoklonisch-astatische Epilepsie kann mit Absencen beginnen, was im Verlauf zu einer wichtigen Differenzialdiagnose werden kann. Das Ansprechen auf die Medikamente der Wahl,
Ethosuximid, Valproat und
Lamotrigin ist etwas schlechter als bei der Pyknolepsie. Das Risiko für generalisierte tonisch-klonische Anfälle liegt bei mindestens 60 %, und die Prognose bezüglich Epilepsie und
kognitiver Entwicklung ist zurückhaltender zu stellen als bei der klassischen Pyknolepsie. Ein Glukosetransporter-Mangel (Glut1) sollte ausgeschlossen werden.
Epilepsien und Epilepsiesyndrome mit Beginn im Kindesalter
Absenceepilepsie des Kindesalters (Pyknolepsie)
Die Erkrankung tritt meistens im Alter zwischen 5 und 8 Jahren auf. Mädchen sind häufiger betroffen als Jungen (Abschn.
2). Ganz überwiegend handelt es sich um normal intelligente Kinder.
Absencen selbst sind kurz und dauern im Mittel zwischen 5 und 30 s an. Bei der
Pyknolepsie häufen sich Absencen auf täglich manchmal über 100. Man beobachtet eine Zunahme der Absencen in Phasen nervöser Aufmerksamkeit (Prüfungssituationen) und bei Müdigkeit. In Phasen entspannter Wachheit (z. B. angeregtes Gespräch etc.) lassen sich die Absencen hingegen nicht provozieren, sondern scheinen eher unterdrückt zu werden. Video-EEG-Untersuchungen konnten zeigen, dass Absenceentladungen von bis zu 3 s Dauer für den Beobachter klinisch nicht zu erkennen sind. Die meisten Absencen dauern länger und es zeigte sich, dass nur etwa 10 % aller Absencen völlig frei von Begleitphänomenen sind (sog. einfache Absence). Je länger die Zeitdauer der einzelnen Absencen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit motorischer oder vegetativer Symptomatik einhergehen (sog. komplexe Absencen). Man unterscheidet vorwiegend klonische, tonische, atone und autonome Phänomene. Klonische Phänomene, z. B. ein Blinzeln der Lider im 3-Hz-Rhythmus werden in fast der Hälfte der Fälle beobachtet. Eine tonische Kontraktion der Gesichtsmuskulatur, meist im Augenbereich mit Blickwendung nach oben, manchmal auch mit Reklination des Kopfes kann ebenso als typisch gelten. An autonomen bzw. vegetativen Phänomenen kann eine Dilatation der Pupillen, eine Tachykardie oder Blässe bzw. Rötung des Gesichts auftreten. In einem geringen Prozentsatz kommt es zur Erstmanifestation der Absenceepilepsie in Form eines nichtkonvulsiven
Status epilepticus (früher Petit-Mal-Status genannt). Die Patienten reagieren dabei extrem verlangsamt, sind desorientiert, vermindert ansprechbar und führen unsinnige (manchmal aber noch sehr komplexe) Handlungen durch.
Zur Abgrenzung von komplexen Partialanfällen ist die Beachtung folgender Parameter nützlich:
Absencen sind kurz (meist unter 30 s), beginnen und enden plötzlich, das Bewusstsein wird sofort wiedererlangt und die Patienten sind anschließend unbeeinträchtigt. Auren fehlen und im
EEG zeigen sich die typischen ca. 3-Hz-Spike-Waves.
Ethosuximid und Valproat sind gleich effektiv. Ethosuximid ist aber besser verträglich als Valproat.
Lamotrigin ist weniger wirksam, aber gut verträglich. Das Ansprechen auf Lamotrigin erfolgt oft erst allmählich.
Carbamazepin führt regelhaft zu einer Provokation der Absencen. Die Prognose ist meist gut (in ca. 85 % der Fälle).
Epilepsie mit myoklonischen Absencen
Die
Epilepsie mit myoklonischen
Absencen (Tassinari-Syndrom) ist ein seltenes Krankheitsbild. Die Absencen werden durchgehend von zeitgleich auftretenden rhythmischen Myoklonien der Schultern und der oberen Extremitäten, manchmal auch der Beine, begleitet. Es gibt Patienten, bei denen Augenlidmyoklonien mit und ohne Absencen den dominierenden Anfallstyp repräsentieren, sodass die ILAE die Augenlidmyoklonien mit Absencen als eigenes Epilepsiesyndrom definiert (Jeavons-Syndrom).
Selbst-limitierende idiopathische Partialepilepsien
Rolando-Epilepsie (idiopathische Partialepilepsie mit zentrotemporalen Spikes)
Die Rolando-Epilepsie (RE) gehört zu den idiopathischen, fokalen
Epilepsien und ist neben der Absenceepilepsie die häufigste Epilepsie im Kindesalter (10–15 %). Die meisten Fälle manifestieren sich zwischen dem 6. und 9. Lebensjahr. Als charakteristisch gelten sensomotorische Herdanfälle der Perioralregion. Diese bestehen aus seitenbetonten Parästhesien der Lippe, der Zunge und des Gaumens sowie aus perioralen myoklonischen, klonischen und tonischen Anfällen. Die Kinder können im Anfall nicht schlucken und sprechen. Es kommt zu Speichelfluss. Nach dem Anfall ist die Sprache oft noch für eine kurze Zeit undeutlich, was diagnostisch genutzt werden kann. In mindestens der Hälfte der Fälle kommt es zu einer sekundären Generalisation. Die meisten der Anfälle treten nachts auf, sodass die Mehrzahl der Kinder wegen nächtlicher Grand-Mal-Anfälle vorgestellt wird. Im
EEG der klinisch unauffälligen, normal entwickelten Kinder zeigen sich dann die typisch geformten (5-phasigen) zentrotemporalen Spikes und Sharp-Waves mit deutlicher Schlafaktivierung, die zur Diagnose führen. Etwa 1/3 der Kinder erlebt nur einen Anfall. Im Alter von 12–14 Jahren sind praktisch alle Betroffenen (auch ohne Therapie) anfallsfrei. Die Epilepsie beeinträchtigt bei typischem Verlauf die langfristige
kognitive Entwicklung nicht. Vermutlich zeigen einige Kinder aber assoziierte Teilleistungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten (vor allem in Phasen mit ausgeprägter EEG-Pathologie). Bei typischem, also benignem Verlauf kann die Therapieindikation zurückhaltend gestellt werden. Die Therapie der Wahl ist
Sultiam oder
Gabapentin (vermutlich weniger wirksam).
Carbamazepin und
Oxcarbazepin können ebenfalls wirksam sein. Eine Verschlechterung (bis zum Status) unter diesen beiden Präparaten ist aber möglich.
Bei einem kleinen Anteil der Patienten (evtl. 2–3 %) steigert sich die nächtliche Aktivierung des EEG-Merkmals bis hin zum bioelektrischen Status (sog. ESES). Die Kinder entwickeln das Bild einer atypischen idiopathischen Partialepilepsie (sog. Pseudo-Lennox-Syndrom) mit Rolando-Anfällen, atypischen
Absencen und myoklonischen und astatischen Anfällen oder das eines Landau-Kleffner-Syndroms mit erworbener Aphasie. Die Prognose der
Epilepsie bleibt gut, die Entwicklungsprognose ist zurückhaltend zu stellen. Die atypische benigne Partialepilepsie, ESES oder Landau-Kleffner-Syndrom haben zum Teil eine idiopathische, aber zum Teil auch eine symptomatische Genese. Es muss daher eine sehr präzise Darstellung der perisylvischen Region mittels MRT erfolgen.
Selbst-limitierende Epilepsie mit okzipitalen Paroxysmen und frühem Beginn (Panayiotopoulus-Syndrom)
Sie tritt meist zwischen dem 4. und 5. Lebensjahr auf und ist durch okzipitale Anfallssymptome mit Übelkeit, Erbrechen und tonischer Augendeviation gekennzeichnet. Die Anfälle können generalisieren. Die Anfallsdauer ist ungewöhnlich lang (z. T. über 20 Minuten). Die Hälfte der Anfälle ist schlafgebunden. Die Prognose ist günstig.
Selbst-limitierende Epilepsie mit okzipitalen Paroxysmen vom Gastaut-Typ
Diese Form beginnt etwas später (5–7 Jahre) und manifestiert sich mit Sehverlust, einfachen
Halluzinationen (oft farbige zirkuläre Muster im peripheren Gesichtsfeld), Halbseitenanfällen und postiktalen
Kopfschmerzen. Die Prognose ist günstig. Beide Syndrome sind nicht immer leicht von der Rolando-Epilepsie abzugrenzen.
Epilepsien und Epilepsiesyndrome mit Beginn im Jugendlichenalter
Juvenile Absenceepilepsie
Die juvenile Absenceepilepsie (JAE) manifestiert sich mit einem Altersmaximum von 9–12 Jahren (Abschn.
2). Das Geschlechtsverhältnis ist ausgeglichen und wie bei der
Pyknolepsie ist die vorausgehende Entwicklung der Kinder normal. Die Abgrenzung der juvenilen Absenceepilepsie zu anderen
Epilepsiesyndromen, wie z. B. der Aufwach-Grand-Mal-Epilepsie oder der
juvenilen myoklonischen Epilepsie, kann in einigen Fällen schwierig sein, da bei diesen Epilepsiesyndromen
Absencen vorkommen. Die juvenile Absenceepilepsie ist in ca. 70 % der Fälle von
generalisierten tonisch-klonischen Anfällen begleitet ist. Die Absencen gleichen denen der Absenceepilepsie des Kindesalters, treten aber meist seltener auf. Blinzeln und Lidflattern sind häufig beobachtete motorische Phänomene. Je länger die Absence andauert und je tiefer die Bewusstseinseinschränkung, umso häufiger treten Automatismen weiter in den Vordergrund. Tonische, klonische und autonome Phänomene kommen, genauso wie bei der kindlichen Absenceepilepsie, vor. Generalisierte tonisch-klonische Anfälle sind deutlich häufiger. Die generalisierten tonisch-klonischen Anfälle treten oft in Form von Aufwach-Grand-Mal auf. Es wurde gezeigt, dass in etwa 5–10 % der Fälle nach einer Latenz von über 1 Jahr Myoklonien ohne begleitende Absencen hinzukommen. Diese treten bei Müdigkeit, oft in den Nachmittagsstunden auf.
Psychischer Stress kann die Absencefrequenz anheben. Die begleitenden
generalisierten tonisch-klonischen Anfälle werden lediglich durch die üblichen Provokationsfaktoren wie
Schlafentzug, Alkoholkonsum oder, bei bestehender Fotosensibilität, durch Fotostimulation ausgelöst. Im
EEG zeigen sich 3- bis 4-Hz-Spike-Wave-Paroxysmen, die zu Beginn der
Absencen etwas schneller sind als zum Ende hin. Der Beginn ist abrupt. Am Ende des Paroxysmus verlieren sich als Erstes die Spikes und dann meist schnell auch die langsamen Wellen. Die Absencen können frontal betont sein. Oftmals findet sich auch eine gewisse Asymmetrie, was nicht zur Fehldiagnose einer fokalen
Epilepsie verleiten darf. In mindestens 1/3 der Fälle besteht eine Fotosensibilität. Therapeutische Prinzipien wie bei der Absenceepilepsie des Kindesalters, Abschn.
1.3.
Genetische (idiopathische) generalisierte Epilepsie mit isolierten, generalisierten tonisch-klonischen Anfällen
Die Betroffenen zeigen nur
generalisierte tonisch-klonische Anfälle (ohne fokale Symptomatik). Im deutschen Sprachraum ist die Aufwach-Grand-Mal-Epilepsie nach Janz die bekannteste Bezeichnung. Die Patienten erleiden ihre Anfälle meist innerhalb der ersten 2 h nach dem Erwachen (Nacht- oder Mittagsschlaf). Die Erkrankung tritt mit einem
Maximum um das 16. Lebensjahr auf (Spanne: ca. 10–25 Jahre). Die Anfallsfrequenz ist oft gering, Provokationsfaktoren wie
Schlafentzug, Alkoholkonsum oder starke seelische Belastung sind häufig. Bei Frauen können die Anfälle auch katamenial gehäuft auftreten. Eine besonders unangenehme Variante ist die Anfallsprovokation durch Entspannung (Feierabend, Wochenende, Urlaub). Bei vielen Patienten lässt sich die
Epilepsie bereits durch geeignete Lebensführung gut beherrschen. Regelmäßige Schlafphasen sind wichtig. Vor- oder Nachschlafen bietet keinen (verlässlichen) Schutz. Im
EEG findet man eine normale Grundaktivität, die typischen Zeichen der idiopathisch generalisierten Erregbarkeitssteigerung mit irregulären generalisierten Spike-Waves und häufig eine Fotosensibilität. Valproat,
Lamotrigin und
Levetiracetam sind wirksam.
Juvenil myoklonische Epilepsie (Janz-Syndrom)
Diese
Epilepsie ist häufig (5–10 % aller Epilepsien) und betrifft normal intelligente Kinder und Jugendliche (Abschn.
2). Der Beginn liegt meist zwischen 13 und 18 Jahren, mit weiter Spanne (ca. 10–25 Jahre). Das Kardinalsymptom sind morgendliche, oft innerhalb der ersten 30 min nach dem Erwachen auftretende, kurze Myoklonien der Schultern und der Arme. Das „Zucken“ führt zum Verschütten von Getränken, Wegschleudern der Zahnbürste oder einfach zum Fallenlassen von Gegenständen. Die Myoklonien verängstigen die Patienten und sind ihnen peinlich. Für Monate können diese Myoklonien das einzige Symptom sein. In ca. 90 % der Fälle treten im Verlauf
generalisierte tonisch-klonische Anfälle hinzu, die sich manchmal aus den Myoklonien entwickeln. In etwa 30 % der Fälle kommen
Absencen vor. Die Anfälle lassen sich durch
Schlafentzug, Alkohol etc. provozieren. Die Epilepsie spricht sehr gut auf Valproat,
Lamotrigin, Levitirazetam und Topiramat an. In der Regel gelingt es mit gut verträglichen Medikamenten komplette Anfallsfreiheit zu erzielen. Die Therapie ist in den meisten Fällen vermutlich lebenslang nötig. Im
EEG zeigen sich eine normale Grundaktivität, generalisierte Spikes und Polyspikes, die in ca. 30 % der Fälle frontal und deutlich seitenbetont auftreten. Eine Fotosensibilität ist ebenfalls häufig.
Symptomatische fokale Epilepsien
Diese
Epilepsien treten nicht streng altersgebunden auf und werden durch fokale kortikale Affektionen unterschiedlicher Genese ausgelöst (Abschn.
2). Migrationsstörungen, dysontogenetische Tumoren, postentzündliche Sklerosen und, seltener, vaskuläre Prozesse sind übliche Ursachen.
Banale
Schädel-Hirn-Traumata (ohne Bewusstlosigkeit und
Amnesie etc.) sind nicht mit einem signifikanten Risiko für
epileptische Anfälle oder
posttraumatische Epilepsien assoziiert. Bei schwereren Schädel-Hirn-Traumata steigt das Risiko mit zunehmendem Schweregrad. Unterschieden werden Sofortanfälle, die unmittelbar nach Gewalteinwirkung auftreten. Diese sind nicht mit einem erhöhten Risiko für eine spätere
Epilepsie assoziiert. Frühanfälle treten innerhalb 1 Woche nach dem Trauma auf und sind mit dem erhöhten Risiko einer Folgeepilepsie assoziiert. Die genauen Risikozahlen sind von verschiedenen Einflussfaktoren (Schweregrad des Traumas, Art und Lokalisation der Läsion, Alter des Patienten etc.) abhängig. Spätanfälle treten nach mehr als 1 Woche Latenz auf. Zwei Spätanfälle definieren eine posttraumatische Epilepsie. Posttraumatische Epilepsien beginnen meist innerhalb von 2 Jahren nach dem Trauma. Eine prophylaktische antiepileptische Therapie kann das Auftreten einer posttraumatischen Epilepsie nicht verhindern und ist daher nicht indiziert.
Fokale Anfälle, die über dem primär motorischen, dem primär sensorischen und dem visuellen Kortex entstehen, erlauben es oft, allein durch Anamnese oder Beobachtung der initialen klinischen Symptomatik, den Ursprungsort des Anfalls zu identifizieren. Dies gelingt nur, falls sich diese nicht zu schnell ausbreiten und somit nicht – für den Beobachter zeitgleich – mehrere Kortexareale erfassen. Bei anderen Ursprungsorten ist dies oft schlecht möglich, da sich die Anfallsentladungen erst bemerkbar machen, wenn sie benachbarte Regionen (sog. symptomatogene Zone) erreichen. Die typische Anfallssemiologie verschiedener Hirnregionen ist sehr variabel. Die wichtigsten Muster sollen hier besprochen werden.
Epilepsie des Temporallappens
Betroffen sind meist Kinder am Ende des 1. und Beginn des 2. Lebensjahrzehnts. Im Erwachsenenalter ist die Temporallappenepilepsie das häufigste fokale Epilepsiesyndrom (ca. 60–70 % der Fälle). Im Kindesalter verhält es sich umgekehrt (ca. 30 %). Vorausgehende febrile Staten und prolongierte bzw. komplizierte
Fieberkrämpfe sind bei (erwachsenen) Patienten mit therapieresistenter Temporallappenepilepsie anamnestisch in über 30 % der Fälle zu erfassen. Umgekehrt ist jedoch das Risiko für eine Temporallappenepilepsie bei Kindern mit Fieberkrämpfen nicht nennenswert erhöht (Abschn.
4). Im Erwachsenenalter lässt sich oft eine Hippokampussklerose nachweisen. Im Kindesalter gelingt dies meist nicht. Bei dieser Epilepsieform sind fokale Anfälle mit Bewusstseinseinschränkung (früher: komplexe Partialanfälle, psychomotorische Anfälle) charakteristisch und werden bei praktisch allen Patienten beobachtet. Die mittlere Anfallsdauer liegt bei ca. 2 min. Die mesiale Temporallappenepilepsie ist die häufigste Form (80–90 % der Fälle). Charakteristisch ist ein Beginn mit Aura. Die Patienten schildern ein aus der Magenregion aufsteigendes Brennen, Hitzegefühl (sog. epigastrische Aura) oder auch nur diffuse Angst. Die Anfälle werden oft von heftiger autonomer Symptomatik wie Blässe oder Gesichtsrötung begleitet. Oroalimentäre Automatismen (Schmatzen oder Kauen) sowie Handautomatismen (z. B. Nesteln) sind charakteristisch. Die Anfälle beginnen langsam und enden langsam. Die Patienten sind postiktal oft noch desorientiert und haben Gedächtnislücken. Im
EEG sind meist frontotemporale Spikes und Sharp-Waves evtl. mit fokaler Verlangsamung kombiniert zu sehen. Oft (ca. 25 % der Fälle) zeigen sich die Entladungen bilateral. Je jünger die Kinder sind, desto seltener gelingt der Nachweis wegweisender EEG-Befunde.
Die seltenere (ca. 10–20 % der Fälle) laterale Temporallappenepilepsie geht mit sensorischen und psychischen Phänomenen einher (Abschn.
2). Typisch sind auditive Auren.
Halluzinationen und illusionäres Verkennen kommen vor, sind im Kindesalter aber selten.
Epilepsie des Frontallappens
Betroffen sind hier Patienten aller Altersstufen. Die Anfälle kommen meist ohne Vorboten, oft aus dem
Schlaf, setzten abrupt ein und enden ebenso. Die Patienten sind postiktal sofort orientiert. Fokale Anfälle mit und ohne Bewusstseinsverlust und sekundärer Generalisation sind möglich. Clusterhaftes Auftreten ist ebenso typisch. Bei einigen Patienten lassen sich die Anfälle durch Ansprache oder andere äußere Reize beeinflussen (wechselnde Vigilanzlage), was nicht automatisch zur Diagnose „psychogen bzw. dissoziativ“ führen darf. Frontale (und frontotemporale) Anfälle können von starker Angst begleitet sein („
terror fits“). Zu unterscheiden sind hauptsächlich 3 Anfallstypen:
-
Hypermotorische frontale Anfälle mit Bewusstseinseinschränkung mit oft bizarren, den ganzen Körper einbeziehenden Bewegungsstürmen wie Strampeln, Treten, Umsichschlagen, Radfahren, Wälzen etc.
-
Asymmetrische tonische (supplementär motorische) Anfälle sind durch ein- oder beidseitiges „posturales“ Anheben der Arme, Versivbewegung des Kopfes und erhaltenem Bewusstsein gekennzeichnet.
-
Fokale klonische Anfälle bestehen aus einseitigen Kloni der Arme, der Hände oder des Gesichts mit Spracharrest und Versivbewegungen.
Epilepsie des Okzipitallappens
Einfach- und
komplex-fokale Anfälle mit visueller Symptomatik sind typisch. Positive visuelle Phänomene wie Phosphene (leuchtende geometrische Strukturen) oder negative wie Skotome oder graue Stellen und Flächen im Blickfeld gehören zu den einfachen
Halluzinationen und stellen die häufigste visuelle Anfallsymptomatik dar. Seltener sind Mikropsie, Makropsie, Metamorphosie oder komplexe Halluzinationen. Bei kleinen Kindern beobachtet man manchmal Augenreiben oder Blinzeln als Reaktion auf die veränderte Wahrnehmung. Nystagmus, tonische Augendeviation, Erbrechen und iktale oder postiktale
Kopfschmerzen sind ebenfalls charakteristisch. Okzipitale Anfälle können sich schnell ausbreiten und dann Symptome, wie sie für frontale sowie temporale Anfälle typisch sind, hervorrufen.
Epilepsie des Parietallappens
Sie ist selten isoliert zu beobachten. Meist kommt es zu fokalen Anfällen ohne Bewusstseinsstörung mit Kribbeln, Brennen etc. großer (kontralateraler) Körperflächen, Körperschemastörungen und
Bauchschmerzen.
Immunologisch ausgelöste Epilepsien
Akut einsetzende
Epilepsien, die gemeinsam mit psychiatrischen und kognitiven Symptomen (Gedächtnisstörung) auftreten, sind dringend verdächtig auf das Vorliegen einer immunologisch ausgelösten Epilepsie. Hohe Anfallsfrequenz, Beginn mit einem
Status epilepticus und fazio-brachiale Anfälle werden beobachtet. Einige dieser Erkrankungen können parainfektiös oder auch paraneoplastisch auftreten. Die Prognose ist u. a. abhängig von der Grunderkrankung und rechtzeitigen Therapie. Bei unklaren Enzephalopathien mit und ohne Epilepsie,
limbischer Enzephalitis oder Hirnstammenzephalitis, bzw. Verdacht auf eine dieser Erkrankungen, muss unverzüglich eine immunologische Diagnostik (
Serum und Liquor) bei einem hierauf spezialisierten Labor erfolgen. Die derzeit bedeutsamsten Antikörperbefunde sind: NMDAR-, LGl1-, CASPR2-, GlyR-, GABABR-, GAD65-, Hu- und DNER-Antikörper. Die Therapie besteht aus
Immunglobulinen, Steroiden und Plasmapherese bei fehlendem Ansprechen auf Rituximab oder Cyclophosphamid. Die große zunehmende Bedeutung dieser „neu“ entdeckten Ursache für symptomatische Epilepsien, hat dazu geführt, dass die aktuelle Klassifikation der Epilepsien (ILAE 2017) diese erstmals als eigene Entität aufführt.
Diagnostik und Therapie bei Kindern mit Epilepsie
Sorgfältige Anamneseerhebung und komplette internistisch-pädiatrische und neurologische Untersuchung sind die Eckpfeiler der Diagnostik. Falls irgend möglich, sollten die Eltern aufgefordert werden, anfallsverdächtige Zustände mittels Videokamera aufzuzeichnen.
Erreicht der Anfall eine Dauer von 30 min, spricht man von einem
Status epilepticus. Dies gilt auch für Anfallsserien von mindestens 30 min Dauer, zwischen denen der Patient sein Bewusstsein nicht zurückerlangt. Ziel muss es sein, den Anfall vorher zu unterbrechen. Sollte ein epileptischer Anfall innerhalb von 15–20 min keine Besserung zeigen, muss unter intensivmedizinischen Bedingungen weiterbehandelt werden. Bis zum 2. Lebensjahr muss an die Möglichkeit pyridoxinabhängiger Anfälle gedacht werden (siehe oben)!
Genetik der Epilepsien
Etwa 50 % der
Epilepsien mit Beginn im Kindes- und Jugendalter haben vorwiegend genetische Ursachen. Fast 300 monogen vererbte Krankheitsbilder gehen fakultativ mit Epilepsie einher. Neben Stoffwechselstörungen und Hirnfehlbildungen gehören hierzu auch die
epileptischen Enzephalopathien. Die Genetik dieser monogenen Erkrankungen mit symptomatischer Epilepsie gilt als zu 50–70 % aufgeklärt. Rund 98–99 % der genetischen Epilepsien weisen aber einen polygenen Erbgang auf. Es handelt sich dabei vor allem um die große Gruppe der Patienten mit genetischen Epilepsien, die abgesehen von ihrer Epilepsie selbst gesund sind. Diese Epilepsien werden auch idiopathisch-generalisierte Epilepsien (IGE) genannt. Ihre Hauptvertreter sind die Absenceepilepsien, die
juvenile myoklonische Epilepsie und die Aufwach-Grand-Mal-Epilepsie (Synonym: generalisierte Epilepsie mit isolierten
generalisierten tonisch-klonischen Anfällen). Die Rolando Epilepsie ist ebenso eine häufige, polygen determinierte Epilepsie. Sie gehört jedoch zu den idiopathisch-fokalen Epilepsien.
Bislang wurden nur in einigen wenigen Familien mit häufigen idiopathischen
Epilepsien funktionell relevante Gendefekte nachgewiesen. Es handelte sich dabei z. T. um Mutationen in Ionenkanalgenen und Genen, die für Proteine der Synaptogenese kodieren. In den jeweiligen Familien stellten die gefundenen Mutationen den Hauptgeneffekt dar. In der weit überwiegenden Mehrzahl anderer Familien oder einzelnen Patienten mit derselben Epilepsieform konnten diese Mutationen dann meist nicht bestätigt werden. Bedeutsam ist aber, dass etwa 3 % aller Patienten mit IGE sog. „copy number variations“ (CNV) aufweisen. Solche genetischen Defekte konnten durch die bis vor kurzem angewandten DNA-Analysen kaum erfasst werden. Erst mit dem Einsatz der Chiptechnologie wurde deutlich, dass 3 % des humanen Genoms in bestimmten dafür prädestinierten Bereichen Mikrodeletionen oder Mikroduplikationen aufweisen. Befinden sich innerhalb dieser DNA-Abschnitte wichtige Gene, so führt deren
Deletion zur Prädisposition für verschiedene Erkrankungen. Bei idiopathischen generalisierten Epilepsien wurden mehrere wiederkehrende Mikrodeletionen, z. B. auf
Chromosom 15q13.2, 15q11 und 16p13, identifiziert. Die bedeutendste Deletion ist die auf 15q13. Diese DNA-Region beinhaltet u. a. das Gen der α7-Untereinheit des nikotinischen Acetylcholinrezeptors. Zur genetischen Diagnostik sind diese Mikrodeletionen aber nicht geeignet, da sie überwiegend als Prädispositionsfaktoren wirken.
Bei allen Patienten mit therapierefraktärer
Epilepsie unklarer Ursache muss auch an zytogenetische Abberationen gedacht werden. Diese müssen nicht regelhaft mit deutlichen Dysmorphiezeichen einhergehen und können durch ein Karyogramm und SNP-array diagnostiziert werden. Zu den häufig mit Epilepsie assoziierten Chromosomenabberationen zählen das Ringchromosom 20, die invertierte Duplikation 15 und das Ringchromosom 14. Bei Patienten mit chromosomalen Mosaiken kann eine Behinderung fehlen und nur eine Epilepsie vorliegen. Bei Patienten mit Fehlbildungen des Gehirns findet man in ca. 20 % der Fälle Auffälligkeiten (sog. InDels) in der SNP-Array Untersuchung.
Die größten Fortschritte in der Epilepsiegenetik wurden in den letzten Jahren bei den
epileptischen Enzephalopathien (Otahara-Syndrom,
West-Syndrom,
Lennox-Gastaut-Syndrom und ESES bzw. Landau-Kleffner-Syndrom) erzielt. Inzwischen können bei den genetisch verursachten Fällen in 30-40 % Fälle ursächliche (Neu-)Mutationen in einer Gruppe von ca. 100 Genen nachgewiesen werden. Bei diesen Krankheiten ist genetische Diagnostik unerlässlich geworden und hat große diagnostische und manchmal auch therapeutische Relevanz. Hier sind eine
Chromosomenanalyse, eine SNP-array und Genpaneluntersuchung indiziert. Es gilt, umso schwerer die
Epilepsie, umso früher der Epilepsiebeginn, umso höher die Wahrscheinlichkeit einen genetischen Defekt zu diagnostizieren.
Fieberkrämpfe
Zwillings- und Familienuntersuchungen belegen eine dominierend genetische Grundlage für
Fieberkrämpfe (FK, Abschn.
4). Bei ca. 15 % der idiopathischen
Epilepsien gehen FK der Epilepsie voraus. Das Risiko für FK bei Geschwistern und Nachkommen beträgt etwa 15 %. Eine seltene Variante von FK ist das GEFS+-Syndrom (generalisierte Epilepsie, Fieberkrämpfe plus). Gemeint sind damit Familien, in denen FK, die meist noch bis über das 6. Lebensjahr hinaus andauern, zusammen mit genetischen generalisierten Epilepsien vorkommen. Haben diese Familien eine bestimmte Größe und sind mehrere Familienmitglieder betroffen, so lassen sich in ca. 20 % Defekte in einem Gen, das für einen zentral exprimierten Natriumkanal (
SCN1A) kodiert, nachweisen. Sehr viel seltener wurden in solchen Familien auch Defekte in anderen Genen gefunden (
SCN2A,
SCN1B, GABRD und
GABRG2). Bei einfachen (sporadischen) FK finden sich
SCN1A-Defekte in rund 1 % der Fälle. Genetische Diagnostik ist nur in seltenen Ausnahmen sinnvoll.
Genetisch-fokale Epilepsien (Spektrum)
Die meisten molekulargenetischen Befunde werden derzeit, neben den
epileptischen Enzephalopathien, bei den genetisch-fokalen
Epilepsien erhoben. Gene des mTOR Signalwegs und seiner Nachbaren sind hier von besonderer Bedeutung. Beispielhaft sei hier
DEPDC5 erwähnt. Das Gen ist ein Bestandteil des GATOR-Signalwegs, der wiederum mit dem mTOR-Signalweg interagiert. Die beiden wichtigsten Bestandteile des mTOR-Signalwegs sind TSC1 und TSC2, die beide für die
tuberöse Sklerose verantwortlich sind. Beide Signalwege regulieren das Zellwachstum sowie die Zelldifferenzierung und können sogar medikamentös beeinflusst werden (z. B. durch
Everolimus). DEPDC5-Varianten und Mutationen wurden bei der MRT negativen genetischen fokalen Epilepsien wie auch bei Patienten mit
fokalen kortikalen Dysplasien in bis zu 5-7 % der Patienten nachgewiesen. Seltener sind andere Gene des GATOR Signalwegs betroffen (z. B. NPRL2,
NPRL3). Das elektroklinische Spektrum der Mutationen dieses Gens variiert von Frontallappenepilepsie, über Temporallappenepilepsie bis zur Rolando-Epilepsie. Eine klinische Zuordnung zu einer bestimmten Epilepsie ist also nicht sicher möglich. Bei fokalen Epilepsien ohne positiven MRT Befund kann molekulare Diagnostik von
DEPDC5 in ausgewählten Fällen erwogen werden. Bei Patienten mit bestimmten kortikalen Fehlbildungen entscheidet das MRT-Muster über die zu wählende Diagnostik.
Benigne familiäre neonatale Anfälle (BFNS)
Es handelt sich um eine autosomal-dominante Erkrankung mit hoher
Penetranz (ca. 80 %). Es konnten Defekte in hauptsächlich 2 Genen,
KCNQ2 und
KCNQ3, identifiziert werden. Beide kodieren integrale Membranproteine eines spannungsabhängigen Kaliumkanals, der den sog. M-Kaliumeinstrom in die Nervenzelle ermöglicht. Dieser M-Strom stabilisiert das Membranpotenzial unterhalb der Erregungsschwelle. Die überwiegende Mehrzahl der Patienten (ca. 90 %) weist Mutationen im
KCNQ2-Gen auf.
Benigne familiäre infantile Epilepsie (BFIE)
In Deutschland wird gelegentlich auch die Bezeichnung Watanabe-Epilepsie verwendet. Kürzlich konnte bei der Mehrzahl der untersuchten Familien ein ursächliches Gen
PRRT2 auf
Chromosom 16 identifiziert werden. Das gleiche Gen ist ebenfalls für die paroxysmale kinesiogene Choreoathetose verantwortlich (allelische Erkrankungen). In einigen Familien und Einzelfällen treten beide Phänotypen gemeinsam auf. Der klinische Phänotyp der Bewegungsstörung ist sehr breit. Die Funktion des Transmembranproteins PRRT2 ist noch unbekannt.
Benigne familiäre neonatale/infantile Anfälle (BFNIS)
Bei dieser Epilepsieform beginnen die Anfälle zwischen dem 2. Lebenstag und dem 7. Lebensmonat und sistieren bis zum 12. Lebensmonat. Die Anfälle unterscheiden sich nicht von denen bei Patienten mit BFNS oder BFIE. In vielen Familien konnten Defekte des
SCN2A-Gens auf
Chromosom 2q23-q24.3, das für einen zentral exprimierten Natriumkanal (Na
v1,2) kodiert, gefunden werden. Die meisten nachgewiesenen Defekte führen zu einem Funktionsgewinn dieses Ionenkanals. Im Tiermodell konnte gezeigt werden, dass Na
v1.2 im Verlauf der Gehirnentwicklung durch einen anderen Natriumkanal (Na
v1.6) ersetzt wird. Dies könnte eine Erklärung für den selbstlimitierenden Verlauf der Krankheit sein.
Rolando-Epilepsie(RE)-Spektrum
Die RE, oder
Epilepsie des Kindealters mit zentrotemporalen Spikes, gehört zu den häufigsten
Epilepsiesyndromen des Kindesalters. Das
EEG zeigt typischerweise zentrotemporal lokalisierte Spikes und Sharp-waves, die im
Schlaf aktiviert werden. Nicht die Anfälle, sondern dieses EEG-Merkmal sind der neurobiologische Marker der Erkrankung. Wesentlich seltener als die RE ist die atypische benigne Partialepilepsie (ABPE). Beide Erkrankungen folgen einem komplexen (polygenen) Erbgang. Zwar ist das Epilepsierisiko für Geschwister von Kindern mit RE kaum erhöht, doch fanden sich in Familien-EEG-Untersuchungen bei etwa 15 % der Geschwister ebenfalls fokale Spikes. Bei der ABPE ist der Prozentsatz positiver Geschwisterbefunde im EEG mit rund 40 % noch wesentlich höher. Bei 5–7 % der Patienten konnten Mutationen im Gen des Glutamatrezeptors
GRIN2A nachgewiesen werden. Eine molekulargenetische Diagnostik ist nur bei therapieschwierigem Verlauf (ESES, Landau-Kleffner-Syndrom) sinnvoll. Bei „gain of function“-Mutationen kann ein experimenteller Therapieversuch mit Memantin erwogen werden. Andere, seltener beteiligte Gene sind
DEPDC5,
GABAA-R,
RBFOX1, RBFOX3,
KCNQ2 und
KCNQ3. Eine chromosomale Duplikation auf 16p11.2 wird gehäuft beobachtet.
Autosomal-dominante nächtliche Frontallappenepilepsie (ADNFLE)
Diese seltene Epilepsieform tritt familiär gehäuft oder sporadisch auf. In etwa 10 % der Fälle lassen sich Mutationen in den Genen, die für Acetylcholinrezeptoren kodieren (CHRNA4, CHRNA2, CHRNA3), nachweisen. Diese Rezeptoren regulieren vermutlich die GABA-Freisetzung im zentralen Nervensystem. Zusätzlich wurden vereinzelt Mutationen in den DEPDC5-, KCNT1- und CRH Genen nachgewiesen.
Laterale Temporallappenepilepsie (ADLTE)
Diese
Epilepsie wird autosomal-dominant mit einer
Penetranz von etwa 70 % vererbt und kann sich bereits in der 1. Lebensdekade manifestieren. Ursächlich sind Mutationen im
LGl1-Gen („leucine-rich glioma inactivated“). Die Funktion des Proteins ist noch nicht vollständig geklärt. Man nimmt aber an, dass es das dendritische Zellwachstum beeinflusst. Während sich bei positiver Familienanamnese bei rund der Hälfte der Patienten Defekte im
LGI1-Gen nachweisen lassen, finden sich Mutationen in diesem Gen nur bei 2 % der sporadischen Fälle.
Genetische (früher: idiopathisch) generalisierte Epilepsien (IGE)
Die häufigen IGE haben ein komplexes Vererbungsmuster. Zwillingsstudien haben gezeigt, dass der genetische Anteil an der Ätiologie etwa 70–80 % ausmacht. Die Interaktion genetischer Dispositionen mit (unbekannten) Umweltfaktoren löst dann die
Epilepsie aus. Neben primären Veränderungen der DNA-Sequenz sind wahrscheinlich auch sekundäre Modifikationen, wie z. B. die Methylierung oder die Acetylierung der DNA für die Epilepsieentstehung bedeutsam. Dies wird mit dem Begriff
Epigenetik bezeichnet.
Frühkindliche Absenceepilepsie
Die frühkindliche Absenceepilepsie manifestiert sich typischerweise zwischen dem 2. und 4. Lebensjahr. Kürzlich konnte in einer Studie bei 12 % der untersuchten Patienten mit frühkindlicher Absenceepilepsie ein Glukosetransporterdefekt (
GLUT1,
SLC2A1) nachgewiesen werden. Diese Stoffwechselstörung ist bei frühzeitiger Diagnosestellung durch eine ketogene Diät (klassisch oder modifiziert) gut behandelbar. Der Liquor/Serum-Quotient für
Glukose ist vermutlich nicht immer verlässlich erniedrigt. Es ist daher eine molekulargenetische Diagnostik immer zu empfehlen.
Absenceepilepsie des Schulalters (Pyknolepsie)
Bei dieser Verlaufsform beginnen die Anfälle in der Regel zwischen dem 5. und 8. Lebensjahr. In einzelnen seltenen Fällen konnten Defekte in zwei GABA-Rezeptor-Genen (GABRG2 und GABRA1) gefunden werden. In einer chinesischen Population (Han-Chinesen) zeigte ein hoher Prozentsatz von Kindern Defekte in einem Kalziumkanalgen (CACNA1H). In Europa fanden sich solche Defekte aber nur bei einigen wenigen Patienten. Eine molekulargenetische Diagnostik ist derzeit nicht aussichtsreich.
Juvenile Absenceepilepsie
Gendefekte bei Patienten mit JAE wurden vorwiegend bei gemeinsamer Analyse verschiedener
Epilepsiesyndrome (z. B. Kohorten aus Patienten mit JME und JAE) beschrieben. Die bisher vorliegenden genetischen Befunde sind noch wenig konklusiv. So wurde eine Variante (
CYS259TYR) im Myoclonin-1- oder EF-hand-domain-containing-1-Gen (
EFHC1) bei einem Patienten mit juveniler Absenceepilepsie gefunden. Weitaus größere Bedeutung scheint dieses Gen aber bei amerikanischen und asiatischen Patienten mit JME zu haben. Eine molekulargenetische Diagnostik ist derzeit nicht aussichtsreich.
Juvenile myoklonische Epilepsie (JME, Janz-Syndrom)
Das Janz-Syndrom gilt als Prototyp einer IGE. So sind nahezu ausnahmslos neurologisch unauffällige und normal entwickelte Jugendliche betroffen. Die Konkordanzraten bei eineiigen Zwillingen sind mit über 90 % sehr hoch. Trotz dieser eigentlich „idealen“ Voraussetzungen wurden bisher nur wenige genetische Defekte aufgedeckt, die sich, wie aufgrund der elektroenzephalografischen und klinischen Symptome zu erwarten, mit den bei anderen idiopathischen
Epilepsiesyndromen nachgewiesenen überlappen. So wurden in einzelnen Familien oder Individuen Defekte in einem GABA-Rezeptor-Gen (
GABRA1), einem Kalziumkanalgen (
CACNB4), einem Chloridkanalgen (
CLCN2) und im Myoclonin-1-Gen (
EFHC1) entdeckt. Eine molekulargenetische Diagnostik ist derzeit nicht sinnvoll.
Epileptische Enzephalopathien
Im Unterschied zu anderen
Epilepsien gehen diese
Epilepsiesyndrome regelhaft mit einem kognitiven Abbau einher. Die genetisch bedeutsamsten Epilepsien dieser Gruppe sind das Dravet- und das
West-Syndrom (inkl. des Ohtahara-Syndroms), sowie das Lennox Gastaut Syndrom. Bei diesen Syndromen konnten eine Vielzahl (über 100) ursächlicher Gene identifiziert werden, die die Syndromgrenzen oft überschreiten. Diese Gene kann man sinnvoll nur noch als Gruppe (in sog. Genpanels) untersuchen. Fast monatlich kommt es derzeit noch zu neuen Befunden. Die einzige mögliche klinische Einteilung ist oft nur das Alter zu Beginn der Erkrankung, und auch diese gilt als Orientierung. Hier einige exemplarische Beispiele mit funktionellem und klinischem Bezug in Stichworten:
-
AARS: Cytochrome-C-Oxidasemangel; Epilepsie, Mikrozephalie,
-
ALDH7A1: Lysinmetabolismus; Vitamin-B6-abhängige Epilepsie, Retardierung,
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CACNA1A: P/Q-Typ Kalziumkanal A1A; Epilepsie,
Migräne, episodische Ataxie,
-
CDKL5: bindet an methylierte DNA, Synaptogenese; Rett-Syndrom-Variante mit schwerer Epilepsie,
-
CHD2: Chromatinaufbau; Photosensibilität, schwere Epilepsie,
-
DNM1: Membrantransport vom endoplasmatischen Retikulum zum Golgi Apparat; schwere Epilepsie,
-
FOXG1: Regulator kortikaler Zelldifferenzierung; Epilepsie, Retardierung,
-
GABRB: GABA-Rezeptor, Inhibition kortikaler Aktivität; Epilepsien,
-
GRIN1: Glutamat-Rezeptor, Exzitation kortikaler Aktivität; Epilepsien, Retardierung,
-
-
KCNT1: Kaliumkanal; maligne migrierende partielle Anfälle bei „gain of function“, autosomal-dominante nächtliche Frontallappenepilepsie bei „loss of function“-Mutationen,
-
PCDH19: Protokadherin zur Verbindung kortikaler Zellen; epileptische Enzephalopathie nur bei Mädchen,
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POLG: mitochondriale DNA-Polymerase; Alpers-Syndrom, Valproathepathopathie,
-
-
SLC1A2: Glutamattransporter; frühe epileptische Enzephalopathie,
-
Dravet-Syndrom (DS)
Das DS wurde früher als schwere myoklonische
Epilepsie des frühen Kindesalters (SMEI) bezeichnet. Da aber bei etwa 30 % der Patienten myoklonische Anfälle nicht das führende Anfallssymptom darstellen, erscheint es in der Tat sinnvoll, den Begriff SMEI durch
Dravet-Syndrom zu ersetzen. Im deutschsprachigen Raum findet häufig auch noch die Bezeichnung frühkindliche Grand-Mal-Epilepsie nach Doose Verwendung. Folgende Kriterien sind für die Diagnosestellung eines DS relevant:
-
normale Entwicklung bis zum Epilepsiebeginn (ca. 99 %),
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Beginn mit febrilen oder afebrilen Grand Mal im 1. Lebensjahr (ca. 95 %),
-
Auftreten von Hemi-Grand Mal (ca. 75 %),
-
Auftreten von myoklonischen Anfällen (ca. 75 %),
-
Temperatursensibilität der Anfälle (ca. 75 %),
-
Therapieresistenz der Anfälle (ca. 90 %),
-
mentale Entwicklungsverzögerung im Verlauf (ca. 90 %).
Treffen mindestens 4 dieser Kriterien zu, besteht eine etwa 75-prozentige Wahrscheinlichkeit, einen Defekt im
SCNA1-Gen nachzuweisen. Es handelt es sich in 90 % der Fälle um Neumutationen. Bei familiären Fällen (GEFS+) kann dieselbe Mutation bei einem Betroffenen zu prolongierten
Fieberkrämpfen führen und bei einem anderen ein DS hervorrufen.
Etwa 10–15 % der Mädchen mit dem klinischen Bild eines DS, bei denen kein Defekt des
SCN1A-Gens nachgewiesen werden kann, zeigen Mutationen im
PCDH19-Gen. Oft beginnt die
Epilepsie etwas später als bei anderen Kindern mit DS. Folgende Kriterien erleichtern die Entscheidung für eine Diagnostik auf Vorliegen eines
PCDH19-Defekts:
-
weibliches Geschlecht,
-
Epilepsie (90 %),
-
Beginn der Anfälle mit 6–36 (im Mittel mit 14) Monaten,
-
Auftreten von generalisierten tonisch-klonischen, klonischen, myoklonischen Anfällen,
Absencen, Hemi-Grand Mal,
Fieberkrämpfen,
-
spontane Remission der Anfälle bzw. Besserung der Epilepsie ab etwa dem 12. Lebensjahr,
-
-
Regression der psychomotorischen Entwicklung (ca. die Hälfte der Fälle),
-
plötzlicher Tod bei Epilepsie (
SUDEP; mehrere Fälle),
-
psychiatrische Komorbidität (Autismusspektrum-Erkrankungen).
West-Syndrom (WS)
Zumeist hat das WS eine symptomatische Genese. Genetische Ursachen eines WS können u. a. Defekte des Aristaless-related-homeobox-Gens (
ARX), des Cyclin-dependent-kinase-like-5-Gens (
CDKL5, Rett syndrome with early onset epilepsy), des Syntaxin-binding-protein-1-Gens (
STXBP1) und des Phospholipase-C-β1-Gens (
PLC-β1) sein. Defekte des
STXBP1- und
PLC-β1-Gens sind auch die Ursache des Ohtahara-Syndroms bzw. einer
epileptischen Enzephalopathie mit neonatalem Beginn und Suppression-burst-Muster im
EEG. Fehlt eine sichere symptomatische Ursache muss eine genetische Diagnostik erfolgen (Karyogramm, SNP-array, Genpanel).
Epilepsiechirurgie
Bei etwa 70–80 % aller Kinder mit
Epilepsie lassen sich die Anfälle durch Medikamente gut kontrollieren. Etwa 10–15 % der Patienten mit schlecht kontrollierter Epilepsie sind Kandidaten für einen epilepsiechirurgischen Eingriff. Dieser hat in der Regel das Ziel, die epileptogene (anfallsgenerierende) Zone operativ zu entfernen oder zu dekonnektieren, um so eine Anfallsfreiheit zu erreichen. Dabei stellt die
Epilepsiechirurgie längst nicht mehr eine Therapie mit dem Charakter einer Ultima Ratio dar. Bei geeigneten Kandidaten ist sie auch früh im Epilepsieverlauf die Therapie der Wahl. Die Entscheidung darüber, ob ein epilepsiechirurgischer Eingriff bei einem Kind möglich und sinnvoll ist, setzt eine eingehende, multimodale prächirurgische Epilepsiediagnostik voraus.