Der Prozess der Messwerterstellung wird systematisch in drei Abschnitte unterteilt, die als präanalytische, analytische und
postanalytische Phase bezeichnet werden. In jeder dieser Phasen können typische Probleme auftreten, die zu falschen Laborergebnissen führen. Durch den technischen Fortschritt und die Etablierung eines weitgehend flächendeckenden
Qualitätsmanagements wurden die analytischen und postanalytischen Fehler auf ein
Minimum reduziert. Etwa zwei Drittel aller Fehler können auf die Präanalytik zurückgeführt werden.
Blutentnahmegefäße und Blutentnahme
In der Pädiatrie werden zumeist zylindrische Entnahmegefäße verwendet, die durch tropfendes Blut gefüllt werden. Bei Jugendlichen – sobald es der Entwicklungsstatus erlaubt – sollten die für Erwachsene üblichen Abnahmesysteme verwendet werden, um dem Labor eine ausreichende Menge Blut zur Verfügung zu stellen und eine standardisierte Abnahme zu ermöglichen. Bei zu geringen Blutvolumina müssen die Proben gegebenenfalls verdünnt werden, was zu einem Verdünnungsfehler oder zu einer Analytkonzentration unterhalb der Messschwelle des Tests führen kann. In letzterem Falle besteht die Gefahr, dass falsche Schlüsse aus den ermittelten
Messwerten gezogen werden.
Vor der Entnahme muss sichergestellt sein, dass die für die Anforderung geeigneten Entnahmegefäße verwendet werden. Bei Spezialuntersuchungen, z. B. Thrombozytenfunktionstests, sollten die notwendigen Blutentnahmegefäße sowie notwendige Blutvolumen vorab erfragt werden. Wird das Blut mit einer Nadel entnommen, sollte folgende Entnahmereihenfolge eingehalten werden, um eine Verschleppung von Additiva zu vermeiden:
2.Röhrchen ohne Additiva (
Serum)
3.Gerinnungsröhrchen (Na-Citrat)
4.Röhrchen mit Additiva (Heparin-Plasma, K-EDTA, K-Fluoride, K-Oxalate)
Unterschiedliche Füllungsmengen von Röhrchen mit verschiedenen Additiva dürfen niemals ausgeglichen werden. Gelangen Komplexbildner (K-EDTA, Na-Citrat) in ein Serumröhrchen werden Kalzium und
Magnesium sowie alle kalziumabhängigen chemischen Reaktionen falsch-niedrig gemessen oder gestört. Beispielhaft finden sich bis zu 80 % geringere Aktivitäten der alkalischen Phosphatase im Falle einer Kontamination mit kalziumbindenden Stoffen. Im Falle von K-EDTA werden zudem signifikant erhöhte Kaliumkonzentrationen gemessen.
Eine Herausforderung bei der tropfenden Abnahme ist das Mischen des Blutes mit den zugesetzten Additiva, die im Röhrchen als Flüssigkeit (z. B. Gerinnungsröhrchen) oder Pulver (z. B. Blutbildröhrchen) vorliegen können. Der erste Bluttropfen grenzt häufig das Antikoagulans von den nachfolgenden Tropfen ab, sodass in der Folge gehäuft Mikro- und Makrogerinnsel entstehen. Daraus resultieren nicht verwertbare Untersuchungsergebnisse. Bei der Abnahme muss daher auf eine unmittelbare Mischung von Blut und Additiva geachtet werden. Dies gilt nicht für Serum-Bestimmungen. Bei Zusatz flüssiger Additiva (z. B. Na-Citrat) muss bei der Abnahme ein definiertes Blutvolumen eingehalten werden, um Verdünnungsfehler und Störungen der (kalziumabhängigen) chemischen Reaktion durch überschüssiges Additivum (z. B. Kalzium-Komplexbildner) zu vermeiden.
Die Entnahmeröhrchen müssen
vor der
Blutentnahme eindeutig beschriftet werden, um eine nachträgliche Falschzuordnung zu vermeiden. Die Blutentnahme sollte morgens, nüchtern und vor der Einnahme von Medikamenten erfolgen, um in der Verlaufsbeurteilung Schwankungen durch zirkadiane Rhythmen zu vermeiden und die Spiegelbestimmungen von Medikamenten zu standardisieren (Talspiegel).
Transport
Die Transportzeit von Probenmaterial sollte grundsätzlich so kurz wie möglich gehalten werden. Innerhalb eines Klinikums bietet sich eine gebremste Rohrpostanlage an, die keinen signifikanten Einfluss auf die Messung der allermeisten Parameter hat, jedoch die Transportzeit optimiert. Bei der Bestimmung der Glukosekonzentration aus
Serum muss mit einem Abfall von etwa 10 mg/dl/h gerechnet werden. Dennoch: Proben zur Durchführung spezieller Anforderungen, wie z. B.
Thrombozytenfunktionstestungen oder die Herstellung von Zellpräparaten sollten konventionell transportiert werden. Beim Transport von Gerinnungsproben sollten Temperaturen zwischen 20–25 °C eingehalten werden. Eine Kühlung der Probe (Transport auf Eis) sollte vermieden werden, um eine Kälteaktivierung einzelner
Gerinnungsfaktoren zu verhindern.
Einfluss- und Störfaktoren
Neben den In-vivo-Einflussfaktoren, wie z. B. das Alter, Geschlecht oder Schwangerschaft können In-vitro-Störfaktoren durch Beeinflussung der Messung zu falschen Ergebnissen führen. Einflussfaktoren wie Alter und Geschlecht müssen durch Erhebung spezifischer alters- bzw. geschlechtsbezogener Referenzbereiche berücksichtigt werden. Schwieriger ist die korrekte Abbildung vielfältiger ethnischer Einflüsse, wie z. B. die um 30–60 % geringere Anzahl an
Leukozyten/Granulozyten in der schwarzen Bevölkerung im Vergleich zu Kaukasiern.
Medikamente können eine
Enzyminduktion (
Phenytoin, Phenobarbital) bewirken und so
in vivo zu einem Anstieg von Leberenzymen führen. Umgekehrt können z. B. Cyclophosphamid oder orale Kontrazeptiva durch Enzymhemmung zu signifikant verminderten Aktivitäten der Cholinesterase führen. Unter Medikation mit Antikoagulanzien (z. B.
direkte orale Antikoagulanzien) können spezielle, funktionelle Gerinnungstests durch die Hemmung des F II oder F X zu falschen Ergebnisinterpretationen führen. Daher sollte eine derartige Medikation abgefragt, respektive mit der Untersuchungsanforderung an das Labor übermittelt werden. Bisher sind etwa 50.000 Publikationen zu Drug-related laboratory test interferences (DRTI) erschienen. Interferenzen von Medikamenten in der Laboranalyse werden erst durch die Möglichkeit einer computergestützten Abfrage von elektronischen Krankenakten verlässlich erfassbar werden. Hierbei werden In-vitro-Effekte der Analyse von In-vivo-Einflussfaktoren unterschieden (z. B. wird bei Letzteren unter Medikation mit Protonenpumpenhemmern verstärkt
Chromogranin A freigesetzt).
Am häufigsten treten Störungen von Labortests unter Einnahme von
Antibiotika,
Antipsychotika sowie nach Kontrastmittelgabe (KM) auf, z. B. iodhaltige Kontrastmittel, Gadolinium. Unter KM-Gabe können die Analysen von Kalzium, ACE,
Zink, Serumelektrophorese und anderen betroffen sein. Aufgrund des weitverbreiteten Einsatzes von antibiotischen Medikationen muss mit einer relevanten Anzahl von analytischen Störungen gerechnet werden. Dies kann die Urindiagnostik mittels Urinstreifen gleichermaßen betreffen wie die Analytik aus
Serum/
Plasma. Unter Telavancin- oder Daptomycineinfluss kann es aufgrund von Reaktionen mit dem zugesetzten Gerinnungsreagenz zu einer vermeintlichen Erhöhung der INR kommen. Trimethoprim erhöht unabhängig von der GFR das
Kreatinin. Bei auffälligen Befunden besteht die Möglichkeit Hinweise auf eine DRTI in
Datenbanken abzugleichen, z. B. unter
https://dailymed.nlm.nih.gov/dailymed/ (öffentliche Datenbank des NIH, U.S. National Library of Medicine). Dies setzt jedoch eine vollständige Medikamenten-Anamnese voraus, die auch die Einnahme pharmakologisch wirksamer Substanzen erfasst, die möglicherweise nicht vom Arzt verschrieben wurden.
Bei der Interpretation von Messergebnissen müssen Schwankungen durch bestehende zirkadiane Rhythmen bedacht werden. Daher sollten
Blutentnahmen zu einem festgelegten Zeitpunkt durchgeführt werden, bevorzugt morgens. Schwieriger sind Messwertinterpretationen, wenn individuelle zirkadiane Rhythmen vorliegen. Beispielsweise hat die Serumeisen-Konzentration einen erheblichen tageszeitlichen, intraindividuellen Rhythmus. Die Messung der Eisenkonzentration im
Serum hat daher eine nur eingeschränkte Aussagekraft bei der Beurteilung eines Eisenmangels. Dies gilt auch für die Bestimmung der
Transferrinsättigung, deren Kalkulation die Serum-Eisenkonzentration einschließt.
Erheblich viele Analysen werden durch eine Hämolyse, eine
Hyperbilirubinämie oder
Lipämie gestört und können dann zu falsch-hohen oder falsch-erniedrigten Konzentrationen/Aktivitäten führen. Beispielhaft kann eine Lipämie durch Störung der fotometrischen Bestimmung der Hämoglobinkonzentration zu einem Anstieg von mehreren g/dl führen. Zu unterscheiden sind Störungen der eigentlichen Messung (z. B. Fotometrie) von einer Freisetzung intrazellulärer Substanzen bei einer In-vitro-Hämolyse, die analytisch korrekt miterfasst werden. Die Messung reflektiert jedoch nicht die In-vivo-Konzentration/Aktivität und kann daher zu Fehlinterpretationen des Ergebnisses führen. Sehr ausgeprägt ist dieser Sachverhalt bei der Bestimmung der neuronenspezifischen Enolase (NSE), deren αγ-Isoform in sehr hohen Konzentrationen im
Erythrozyten vorliegt und daher bereits eine sehr geringe Hämolyse zu pathologischen Messergebnissen führt. Zur Vermeidung derartiger Effekte werden daher alle Proben vor der Analyse auf eine bestehende Hämolyse, Hyperbilirubinämie und Lipämie geprüft und zu erwartende Einflüsse auf dem Befundbericht kommentiert.