Klassifikation
Seit der erstmaligen Verwendung des Begriffes
Kardiomyopathie im Jahre 1957 unterliegt die Definition und Klassifikation der
Kardiomyopathien einem stetigen Wandel. Frühzeitig abgegrenzt wurden die spezifischen Kardiomyopathien bekannter Ursache, während die Gruppe der
primären Kardiomyopathien zunächst per definitionem Herzmuskelerkrankungen unbekannter Ursache umfasste. Zu den
spezifischen Kardiomyopathien zählten Herzmuskelerkrankungen, die als Folge anderer Systemerkrankungen (Stoffwechseldefekte, Speichererkrankungen, Mitochondropathien, neuromuskuläre Erkrankungen, Dysmorphiesyndrome) oder einer Herzmuskelentzündung (
Myokarditis) oder toxisch bedingt (Adriablastin, Cyclophosphamid) auftreten.
Die familiäre Häufung der primären, insbesondere der
hypertrophen Kardiomyopathien legte eine genetische Ursache nahe. Nach dem ersten Nachweis einer Genmutation für die schwere Myosinkette im Jahre 1989 konnten bis heute für die unterschiedlichen Kardiomyopathieformen Mutationen in mehr als 100 verschiedenen Genen nachgewiesen werden mit starken Überlappungen zwischen den Kardiomyopathieformen. Die einzelnen Gene kodieren für unterschiedliche Bestandteile des Kardiomyozyten: Am häufigsten betroffen sind Proteine des Sarkomers, der Z-Scheibe und des Zytoskeletts. Die spezifischen
Kardiomyopathien sind dagegen oft keine Erkrankungen des Kardiomyozyten, sondern Folge interstitieller Infiltration oder intrazellulärer Akkumulation pathologischer Metabolite.
Aufgrund des zunehmenden Nachweises genetischer Defekte bei den primären
Kardiomyopathien wurde eine Einteilung in Erkrankungen des Sarkomers (HCM, RCM), des Zytoskeletts (DCM, ARVD), und der Ionenkanäle (u. a.
Long-QT-Syndrom,
Brugada-Syndrom) vorgeschlagen.
Dies findet sich ansatzweise in der genotypisch orientierten Klassifikation der American Heart Association von 2006 wieder, die zwischen
primären und
sekundären Kardiomyopathien unterscheidet. Der Terminus spezifische
Kardiomyopathie wurde aufgegeben. Die primären Kardiomyopathien, zu denen alle Erkrankungen gezählt werden, bei denen ausschließlich der Herzmuskel betroffen ist, werden eingeteilt in angeborene, erworbene und gemischte Formen (Tab.
1). Damit verbunden ist eine Umgruppierung von bis dahin als spezifische Kardiomyopathie geltenden Erkrankungen in die Gruppe der primären Kardiomyopathien, da die sekundären Kardiomyopathien nur noch Teil einer Multiorganerkrankung darstellen.
Tab. 1
Primäre und sekundäre Kardiomyopathien nach der Klassifikation der American Heart Association (AHA) von 2006
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Arrythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie | | Stressprovozierte Kardiomyopathie (Tako-Tsubo) |
Noncompaction-Kardiomyopathie | | Schwangerschafts-Kardiomyopathie |
Glykogenspeichererkrankungen (z. B. PRKAG2, Danon) | | Tachykardie-induzierte Kardiomyopathie |
| | Neugeborene diabetischer Mütter mit insuffizienter Stoffwechseleinstellung |
Mitochondriale Kardiomyopathien, z. B. Kearns-Sayre-, MELAS-Syndrom | | |
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Sekundäre Kardiomyopathien |
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- Toxisch: z. B. Folgen einer Antimetaboliten-Therapie, unter anderem nach Anthracyclin, Cyclophosphamid und nach Strahlentherapie, Drogen, Anabolika |
- Infiltrativ: Amyloidose, Morbus Gaucher, Morbus Hurler, Morbus Hunter |
- Weitere: z. B. Fehlernährung, Carnitin- und Selenmangel |
Der Klassifikation der European Society of Cardiology von 2008 liegt weiterhin eine phänotypisch begründete Einteilung in
hypertrophe, dilatative, restriktive, arrythmogene rechtsventrikuläre und
unklassifizierte Kardiomyopathien zugrunde, die sich jeweils in eine familiär/genetische und eine nichtfamiliär/nichtgenetische Form differenzieren lassen. Darunter werden sowohl die primären als auch spezifischen oder sekundären Formen subsummiert. Die als überholt angesehene Unterteilung in primäre und spezifische oder sekundäre
Kardiomyopathien wird vermieden und gleichzeitig die Notwendigkeit einer weitergehenden Differenzialdiagnostik betont. Eine Übernahme der
Ionenkanalerkrankungen in diese Klassifikation erfolgte nicht, da die Ionenkanalerkrankungen häufig keinen der genannten Phänotypen aufweisen.
Einen neuen, deskriptiven Ansatz verfolgt die MOGES-Klassifikation. Basierend auf den zunehmenden Nachweis genetischer Ursachen, der variablen Expressivität und
Penetranz der Genmutationen und den teilweise fließenden Übergängen zwischen den verschiedenen Kardiomyopathieformen wird ein System vorgeschlagen, dass die Morphologie (M), die unterschiedliche Organbeteiligung (O), die Genetik (G), die Ätiologie (E) und die klinische Symptomatik (S) berücksichtigt (Tab.
2). Dieses System schließt somit alle primären und sekundären Formen ein und kann dynamisch dem jeweiligen Stand der Diagnostik und der klinischen Symptomatik angepasst werden. Zur erleichterten Anwendung im klinischen Alltag stehen dazu Online Tools zur Verfügung (
http://moges.biomeris.com).
Morphologisch-funktioneller Phänotyp | Involvierte Organsysteme | Genetik und Vererbungsmodus | Ä(E)tiologie | Funktioneller Status |
Kardiomyopathieform beim Patienten: DCM HCM RCM ARVD LVNC | Anamnese und Klinik Kardiale Beteiligung extrakardiale Organe | 1. Genetische Stammbaumanalyse: - familiärer Vererbungsmodus: AD AR XL matrilineal - nichtfamiliär: sporadisch 2. Familienscreening: betroffen asymptomatisch EKG- und/oder Echo-Auffälligkeiten gesund ohne ECG- oder Echo-Auffälligkeiten | Gentest: Positiv: Stufentest bei Verwandten Negativ: Untersuchung auf neue Genmutation Reguläres Monitoring der Verwandten | Funktionsstatus: ACC/AHA NYHA |
D – dilatativ H – hypertroph R – restriktiv A – ARVD NC – LVNC E – Frühform NS – unspezifisch NA – unbekannt 0 – nicht betroffen | H – Herz M – Skelettmuskulatur N – Nervensystem C – Haut E – Auge A – Gehör K – Niere G – Gastrointestinum Li – Leber Lu – Lunge S – Skelett 0 – Genträger ohne Organbeteiligung | N – Familienanmnese negativ U – Familienanmnese unbekannt AD – autosomal-dominant AR – autosomal-rezessiv XLD – X-chromosomal-dominant XLR – X-chromosomal-rezessiv M – matrilineal 0 – Familienanamnese nicht untersucht Undet – Vererbungsmodus nicht definiert S – sporadisch | G – genetische Ursache OC – obligater Genträger ONC – obligater Nichtträger DN – de Novo Neg – Gentest negativ für die bekannte familiäre Mutation G-A-TTR – genetische Amyloidose Nichtgenetische Ursachen V – Virusinfektion AI – Autoimmunerkrankung A – Amyloidose I – infektiös (nichtviral) T – toxisch Eo – hypereosinophile Herzerkrankung O – andere Ursachen | ACC-AHA-Stadium: A, B, C, D NA – nicht anwendbar NU – nicht angewendet NYHA-Stadium: I, II, III, IV |
Bei familiärer
Kardiomyopathie sollte eine Gendiagnostik für die am meisten betroffene Person durchgeführt werden, um einerseits eine individuelle Prognose des Krankheitsverlaufes zu ermöglichen, andererseits das Risiko asymptomatischer Familienmitglieder abzuschätzen.
Bei insgesamt nicht unumstrittener prädiktiver Gendiagnostik wird eine Gendiagnostik bei asymptomatischen Familienmitgliedern ab 10 Jahren empfohlen.
Hypertrophe Kardiomyopathie (HCM)
Dilatative Kardiomyopathie (DCM)
Restriktive Kardiomyopathie (RCM)
Arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie (ARVD)
Die
arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie ist eine seltene, angeborene Erkrankung mit typischen elektro-anatomischen Auffälligkeiten, die aufgrund der altersabhängigen
Penetranz im Kindesalter kaum diagnostiziert wird. Erstes Krankheitszeichen sind ventrikuläre Arrhythmien oder krankheitstypische EKG-Veränderungen. Eine vornehmlich rechtsventrikuläre Dysfunktion tritt häufig erst im Spätstadium auf. Neben der
hypertrophen Kardiomyopathie stellt die ARVD eine der häufigsten Ursachen des plötzlichen Herztodes bei jungen Erwachsenen, insbesondere Sportlern dar.
LV-Noncompaction-Kardiomyopathie (LVNC)
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