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Pädiatrie
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Publiziert am: 28.06.2020

Normale Ernährung von Neugeborenen und Säuglingen

Grundlagen und Umsetzung in Deutschland, Österreich und Schweiz
Verfasst von: Mathilde Kersting, Hildegard Przyrembel, Karl Zwiauer, Kurt Baerlocher und Pascal Müller
Die Entscheidung der Mutter über die Ernährung ihres Säuglings fällt in der Regel schon vor der Geburt. Deshalb sollte im Rahmen der Geburtsvorbereitung von erfahrener Seite auch über Säuglingsernährung aufgeklärt werden. Wer dies tut (Frauenarzt oder Hebamme, Kinderarzt, Kinderkrankenschwester oder Laktationsberaterin) spielt keine Rolle, entscheidend sind einvernehmliche umfassende Sachkenntnisse und eine einfühlsame Darstellung. Dazu ist auch eine systematische Weiterbildung des Klinikpersonals und eine entsprechende Betreuung der Mütter während des Klinikaufenthalts unumgänglich. Nur so lassen sich Ängste und Nervosität bei der Mutter und damit Unruhe beim Kind sicher vermeiden, die ein erfolgreiches Stillen gefährden. Eine intensive Stillförderung, wie sie u. a. von WHO und UNICEF mit der weltweiten „Baby-Friendly Hospital Initiative“ eingeleitet wurde, verdient jegliche Unterstützung von Seiten der Kinderärzte. Dazu gehören u. a. die Ermöglichung des initialen Hautkontaktes zwischen der Mutter und ihrem Neugeborenen, das ihr auf den Bauch gelegt wird, das Anlegen des Neugeborenen innerhalb der ersten 1 bis 2 Stunden post partum, die Beschränkung einer Zufütterung auf die wenigen wirklich indizierten Fälle, gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind (Rooming-in) sowie kundige, widerspruchsfreie und warmherzige Beratung und Betreuung. Säuglinge, die nicht gestillt werden, erhalten nach den gesetzlichen Regelungen hergestellte Säuglingsanfangsnahrung oder nach Einführung von Beikost eine Folgenahrung. Beikost wird frühestens ab dem Beginn des 5. Lebensmonats und spätestens ab dem Beginn des 7. Lebensmonats eingeführt, je nach der individuellen sensomotorischen Entwicklung des Säuglings und in gleicher Weise für Kinder mit und ohne familiär erhöhtes Allergierisiko. Gegen Ende des 1. Lebensjahres geht die spezielle Säuglingsernährung nach und nach in die Teilnahme an Mahlzeiten der Familienernährung über.

Muttermilch

Unterrichtung von Mutter und Klinikpersonal

Die Entscheidung der Mutter über die Ernährung ihres Säuglings fällt in der Regel schon vor der Geburt. Deshalb sollte im Rahmen der Geburtsvorbereitung von erfahrener Seite auch über Säuglingsernährung aufgeklärt werden. Wer dies tut (Frauenarzt oder Hebamme, Kinderarzt, Kinderkrankenschwester oder Laktationsberaterin) spielt keine Rolle, entscheidend sind einvernehmliche umfassende Sachkenntnisse und eine einfühlsame Darstellung. Dazu sind eine systematische Weiterbildung des Klinikpersonals und eine entsprechende Betreuung der Mütter während des Klinikaufenthalts unumgänglich. Nur so lassen sich Ängste und Nervosität bei der Mutter und damit Unruhe beim Kind sicher vermeiden, die ein erfolgreiches Stillen gefährden. Eine intensive Stillförderung, wie sie u. a. von WHO und UNICEF mit der weltweiten „Baby-Friendly Hospital Initiative“ eingeleitet wurde und z. B. seit 1994 von der deutschen Nationalen Stillkommission an die Bedingungen in Deutschland angepasst vertreten wird, verdient jegliche Unterstützung von Seiten der Kinderärzte. Dazu gehören u. a. die Ermöglichung des initialen Hautkontaktes zwischen der Mutter und ihrem Neugeborenen, das ihr auf den Bauch gelegt wurde, das Anlegen des Neugeborenen innerhalb der ersten 1 bis 2 Stunden post partum, die Beschränkung einer Zufütterung auf die wenigen wirklich indizierten Fälle, gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind (Rooming-in) sowie kundige, widerspruchsfreie und warmherzige Beratung und Betreuung.

Vorteile der Ernährung mit Muttermilch

Die stillende Mutter bildet mit ihrem Kind eine treffend als Mutter-Kind-Dyade bezeichnete Einheit, in der idealerweise von beiden Partnern Signale ausgesendet und empfangen werden, die zu synchroner Synthese bzw. Ausschüttung von vielen verschiedenen Hormonen (darunter Cholezystokinin, Gastrin und Insulin sowie Oxytocin) führt. Insbesondere der Kontakt des kindlichen Mundes mit der Brust der Mutter löst über Oxytocin den Let-down-Reflex aus, der die Freigabe der Milch und bei der Mutter Wohlgefühl bewirkt, während das Saugen an der Brust eine Prolaktinausschüttung zur Folge hat mit Stimulation der Milchproduktion. Die Ernährung mit der immer verfügbaren, richtig temperierten und keimarmen Muttermilch stellt den Kompromiss der Natur zwischen den Bedürfnissen des Kindes und dem Schutz der Mutter gegen Überforderung dar.

Zusammensetzung

Die Zusammensetzung der Muttermilch ändert sich besonders hinsichtlich der Proteine vom immunglobulinreichen Kolostrum (1. Woche) über die transitorische Milch (2. Woche) bis hin zur reifen Muttermilch (ab 3. Woche). Letztere enthält im Prinzip alle erforderlichen Nährstoffe in ausreichenden Mengen. Einschränkungen gelten für die Vitamine K und D sowie bei nicht ausreichend mit Jod versorgten Müttern für Jod und bei Veganerinnen für Vitamin B12. Ein Überschuss an Wasser (Kap. „Wasser- und Mineralhaushalt von Kindern und Jugendlichen“) kommt dem hohen Flüssigkeitsbedarf des Säuglings in gesunden und kranken Tagen entgegen. Die Milchproduktion setzt bei den meisten Müttern erst 2–3 Tage nach der Geburt wirkungsvoll ein. Dennoch erhält das Kind in dieser Zeit in der Regel mit Kolostrum (Tab. 1 und 3) ausreichend viel Wasser, Energie und Nährstoffe. Reife Muttermilch ist im Vergleich zu Kuhmilch (Tab. 3), bei gleichem Gehalt an Energie und Fett, eiweiß- und mineralstoffarm, aber laktosereich und hat damit eine sehr niedrige renale Molenlast (Kap. „Wasser- und Mineralhaushalt von Kindern und Jugendlichen“). Laktose fördert die Resorption von Kalzium. Der Gehalt der Muttermilch an langkettigen mehrfach ungesättigten Fettsäuren (LCPUFA) ist für den Einbau in Membranen im ZNS und für die Synthese von Eikosanoiden (Gewebshormone: Prostaglandine, Thromboxane, Leukotriene) von Bedeutung (Kap. „Grundlagen der Ernährung von Kindern und Jugendlichen“).
Tab. 1
Energie, Protein, Fett, Kalzium und Phosphor per 100 ml Milch von Früh- und Reifgeborenen zu verschiedenen postnatalen Zeitpunkten (Mittelwert ±2 SD; nach Gidrewicz und Fenton 2014)
 
Energie1 (kcal)
Protein2 (g)
Fett (g)
Kalzium (mg)
Frühgeborene
Woche 1 (Kolostrum)
60 (45–75)
2,2 (0,3–4,1)
2,6 (0,5–4,7)
26 (9–43)
11 (1–22)
Woche 2 (transitorisch)
71 (49–94)
1,5 (0,8–2,3)
3,5 (1,2–5,7)
25 (11–39)
15 (8–21)
Woche 3–4 (reif)
77 (61–92)
1,4 (0,6–2,2)
3,5 (1,6–5,5)
25 (13–36)
14 (8–20)
Woche 10–12 (reif)
66 (39–94)
1,0 (0,6–1,4)
3,7 (0,8–6,5)
29 (19–38)
12 (8–15)
Reifgeborene
Woche 1 (Kolostrum)
60 (44–77)
1,8 (0,4–3,2)
2,2 (0,7–3,7)
26 (16–36)
12 (6–18)
Woche 2 (transitorisch)
67 (47–86)
1,3 (0,8–1,8)
3,0 (1,2–4,8)
28 (14–42)
17 (8–27)
Woche 3–4 (reif)
66 (48–85)
1,2 (0,8–1,6)
3,3 (1,6–5,1)
27 (18–36)
16 (10–22)
Woche 10–12 (reif)
68 (50–86)
0,9 (0,6–1,2)
3,4 (1,6–5,2)
26 (14–38)
16 (9–22)
1Energiegehalt bombenkalorimetrisch bestimmt (außer mit 10–12 Wochen, für die er berechnet wurde)
2Die Proteingehalte sind gemessene „wahre“ Gehalte, nicht anhand des Gesamt-Stickstoffgehaltes berechnet
Die Zusammensetzung von Frauenmilch variiert in Bezug auf den Gehalt an Makronährstoffen und je nach Nährstoff unterschiedlich in Abhängigkeit von der Dauer der postnatalen Periode, von der Tageszeit, vom Beginn einer Stillmahlzeit bis zu ihrem Ende, von der Ernährung der Mutter, von genetischen Faktoren und vom Wachstumsbedarf des Kindes; und nicht zuletzt in Abhängigkeit von der Bestimmungsmethode. Bei allen Angaben über die Zusammensetzung von Frauenmilch, in der Regel als Mittel- oder Medianwerte, gelegentlich mit Angabe der Variationsbreite, sollte dieses im Auge behalten werden. Das heißt unter anderem, dass sich die Energie- und Nährstoffzufuhr eines gestillten Kindes, selbst bei kontrollierter Messung des konsumierten Volumens in 24 Stunden anhand von Tabellen nicht verlässlich berechnen lässt. Tab. 1 zeigt die Veränderungen der Konzentration von Energie, Proteinen, Fett, Laktose, Kalzium und Phosphat zwischen Geburt (ersten 3 Tage) und dem Alter von 12 Wochen in der Milch von früh- und reifgeborenen Säuglingen. Diese Daten beruhen auf einer Analyse von insgesamt 41 Studien (26 Studien mit 843 Müttern von Frühgeborenen und 30 Studien mit 2299 Müttern von Reifgeborenen). Die Angabe Mittelwert plus/minus 2 Standardabweichungen unterstellt, dass die Einzelwerte symmetrisch um den Mittelwert verteilt sind, was insbesondere für Protein durchaus nicht der Fall sein muss.
Der Proteingehalt von Frauenmilch kann entweder mit geeigneten Methoden direkt gemessen („true protein“) oder aus dem Stickstoffgehalt errechnet werden („crude protein“) unter der Annahme eines einheitlichen Stickstoffgehaltes in allen Proteinen von ca. 16 %. Die letztgenannte Methode führt zu einer Überschätzung des Proteingehalts, weil etwa 25 % des Stickstoffs nicht in Protein enthalten ist (non-protein nitrogen, NPN). NPN besteht zu etwa 50 % aus Harnstoff, der Rest aus freien Aminosäuren und anderen stickstoffhaltigen Substanzen. Dass NPN vom Körper verwandt werden kann ist bekannt, jedoch nicht das Ausmaß der Verwendung. Das Protein der Frauenmilch setzt sich aus 3 Fraktionen zusammen: Milchfettglobulusmembran-Proteine (MFGM), Kaseine und Molkenproteine. Während die Konzentration von MFGM-Proteinen sehr klein ist und über die Laktation konstant bleibt, verändert sich die Konzentration von Kasein und Molkenproteinen signifikant ebenso wie ihr Verhältnis zueinander. Zu den Molkenproteinen gehören α-Lactalbumin, Lactoferrin, und sekretorisches Immunglobulin A (sIgA). Während anfänglich Molkenproteine überwiegen und Kasein nur gering vorhanden ist, nimmt die Synthese von Kasein mit dem Alter des Kindes zu, sodass das Verhältnis Molkenprotein zu Kasein im Kolostrum etwa 90:10, 55:45 in reifer Frauenmilch und 50:50 nach etwa 6 Monaten beträgt (Tab. 2).
Tab. 2
Mediane Werte des Verhältnisses Molkenprotein zu Kasein, der Konzentrationen von Lactoferrin, α-Lactalbumin, Serum-Albumin, IgG, IgM, sIgA und Lysozym in Frauenmilch (mg per ml; nach Lönnerdal et al. 2017)
Alter (Tage)
Molkenprotein: Kasein-Ratio
Lactoferrin
α-Lact-albumin
Serum-Albumin
IgG
IgM
sIgA
Lysozym
0–5
89:11
5,05
4,30
0,35
-
-
5,45
0,32
6–15
65:35
3,30
4,20
0,62
0,05
0,12
1,50
0,30
16–30
59:41
2,31
3,30
0,67
0,05
0,05
1,10
0,28
31–60
61:39
1,95
3,10
0,69
-
-
1,00
1,10
61–90
61:39
1,89
2,84
0,45
0,03
0,03
1,30
0,85
91–360
60:40
1,44
2,62
0,37
0,04
0,03
-
-
Frauenmilchprotein hat einen hohen Anteil an unverzichtbaren Aminosäuren und ist im Allgemeinen besser verdaulich als Kuhmilchprotein. Allerdings sind einige der Molkenproteine wie Lactoferrin und sIgA praktisch unverdaulich und dienen nicht der Versorgung des Säuglings mit Stickstoff, bzw. unverzichtbaren Aminosäuren, sondern erfüllen wichtige Funktionen für die Gesundheit des jungen Säuglings, zu denen er noch nicht in der Lage ist. Die Funktionen dieser bioaktiven Proteine sind vielfältig: Manche haben enzymatische Aktivität, erhöhen die Absorption von Nährstoffen, stimulieren das Wachstum, modulieren das Immunsystem und helfen in der Abwehr von Pathogenen. Mit zunehmendem Alter nehmen die Konzentrationen diese Proteine daher ab (Tab. 2). Tab. 3 enthält die Zusammensetzung von reifer Frauenmilch (Mittelwerte, Nährstoffdichte) zur Orientierung.
Tab. 3
Zusammensetzung von reifer Frauenmilch (>10 Tage post partum (Gehalte pro 100 g)a
Bestandteil
Einheit
Frauenmilch
Mittelwert
Nährstoffdichte (Einheit/MJ)
Wasser
g
87,5
303,8
Energie
kJ
288
 
kcal
69
 
Gesamtstickstoff
g
0,180
0,6
Gesamteiweiß (N × 6,38)
g
1,13
3,9
Gesamteiweiß (N × 6,25)
1,11
3,9
Kasein
mg
360
1250
Molkenproteine gesamt
mg
500
1736,1
Aminosäuren gesamtc
g
1,29
 
mg
56
194,4
mg
51
177,1
mg
120
416,7
mg
24
83,3
mg
220
763,9
Glycin
mg
36
125
mg
31
107,6
mg
77
267,4
mg
130
451,4
mg
86
298,6
mg
24
83,3
mg
54
187,5
mg
120
416,7
mg
59
204,9
mg
63
218,8
mg
22
76,4
mg
56
194,4
mg
81
281,2
Cholin
mg
146b
 
Kohlenhydrate
g
7
24,3
Laktose
g
7
24,3
g
0,5–1,9
 
Gesamtfett
g
4,03
14,0
C10:0 Caprinsäure
mg
61
211,8
C12:0 Laurinsäure
mg
290
1006,9
C14:0 Myristinsäure
mg
457
1586,8
C16:0 Palmitinsäure
mg
963
3343,8
C18:0 Stearinsäure
mg
214
743,1
C16:1 Palmitoleinsäure
mg
144
500,0
C18:1 Ölsäure
mg
1282
4451
C18:2 Linolsäure
mg
413
1434,0
C18:3 α-Linolensäure
mg
22
76,4
C20:4 Arachidonsäure
mg
4,2
14,6
C22:6 Docosahexaensäuree
% der Gesamtfettsäuren
0,06–1,4
 
mg
25
 
Mineralstoffe
g
0,21
86,8
mg
46
159,7
Kalzium
mg
29
100,7
mg
12
41,7
mg
3,1
10,8
mg
40
138,9
Phosphor
mg
15
52,1
μg
4,1
14,2
Fluorid
μg
17
59,0
μg
58
201,4
Jod
μg
5,1
17,7
ng
114
395,8
μg
35
121,5
μg
0,7
2,43
μg
3,3
11,5
μg
132
458,3
Vitamin
   
Vitamin A (Retinol)
μg
71
246,5
μg
3
10,4
Vitamin B1 (Thiamin)
μg
15
52,1
Vitamin B2 (Riboflavin)
μg
38
131,9
Vitamin B6 (Pyridoxin)
μg
14
48,6
Vitamin B12 (Kobalamin)
ng
50
173,6
Niacin/Nicotinamid
μg
170
590,3
μg
8,0
27,8
μg
210
729,2
Vitamin C (Ascorbinsäure)
mg
6,5
22,6
Vitamin D (Calciferol)
μg
0,073
0,253
Gesamt-Tocopherole
μg
353
1225,7
α-Tocopherol
μg
262
909,7
β-Tocopherol
μg
20
69,4
γ-Tocopherol
μg
70
243,1
ng
296
1027,8
ng
580
2013,9
mosm/kg H2O
300
 
aSouci et al. 2016
bGesamtcholin Mittelwert 146 mg/100 ml, nach EFSA 2016
cWährend die Aminosäurenkonzentration mit der Laktation abnimmt, bleibt das Verhältnis unverzichtbarer zu Gesamt-Aminosäuren ungefähr stabil (40 %; nach Lönnerdal et al. 2017)
dEs handelt sich überwiegend um neutrale und fukosylierte Oligosaccharide, deren Gehalt von 21–24 g/l in Kolostrum nach 1 Monat um 50 % abnimmt. Das Muster wird vom Sekretor- und Lewis-Typ-Status bestimmt und bestimmt seinerseits das Oligosaccharidmuster im Stuhl und die gastrointestinale Microbiota des Säuglings. Mit Einführung von Beikost lassen sich keine Oligosaccharide mehr im Stuhl nachweisen, nach Coppa et al. 2011; Gidrewicz und Fenton 2014
eBrenna et al. 2007
Die hohe Relation von Molkenprotein zu Kasein in den ersten Laktationswochen folgt aus dem hohen Gehalt an Lactalbumin, Lactoferrin und Immunglobulinen. Kasein enthält sowohl β- als auch κ-Kasein. β-Kasein fördert möglicherweise die Kalziumabsorption, beeinflusst in Form von Caseomorphinen den Schlaf-Wach-Rhythmus und hat antimikrobielle Aktivität, während κ-Kasein die Adhäsion von Bakterien, insbesondere auch die von Helicobacter pylori hemmt. Lactoferrin macht etwa 20 % des wahren Proteingehalts von Frauenmilch aus. Es ist kaum verdaulich und wird daher bis zum Alter von 4 Monaten intakt im Stuhl gefunden. Nach Aufnahme in Zellen des Intestinaltraktes wirkt es als Transkriptionsfaktor und reguliert die Expression von vielen Genen, unter anderem von Zytokinen. Es fördert die zelluläre Aufnahme von Eisen, hat sowohl bakteriostatische als auch bakterizide und immunmodulierende Aktivität. α-Lactalbumin ist verdaulich und fördert neben seiner Eigenschaft als Lieferant von unverzichtbaren Aminosäuren und antimikrobiellen Peptiden, die Absorption von Kalzium, Eisen und Zink. Sekretorisches IgA kann aufgrund seiner besonderen Struktur im Säuglingsdarm kaum verdaut werden und kann durch Bindung an Pathogene diese weniger infektiös machen. Lysozym kann zusammen mit Lactoferrin die Zellwand von grampositiven Bakterien zerstören und diese töten. Im Gegensatz zu allen anderen Proteinen steigt die Konzentration von Serumalbumin etwas in den ersten 60 Tagen, um danach wieder abzunehmen.

Schutzwirkung

Muttermilch bietet einen Schutz gegen zahlreiche infektionsbedingte Krankheiten. Dies ergibt sich aus dem Vorhandensein von zahlreichen „Schutzfaktoren“ in der Milch (Tab. 4) und lässt sich epidemiologisch zeigen. Unter schlechten hygienischen Bedingungen führt der Ersatz von Muttermilch zu einem dramatischen Anstieg von Morbidität und Mortalität. Dabei können der Wegfall der schützenden Muttermilch einerseits und die Folgen einer falsch zusammengesetzten und/oder kontaminierten Nahrung andererseits als Ursachen meist nicht auseinandergehalten werden. Unter guten hygienischen Bedingungen und bei Einsatz von modernen Muttermilchersatznahrungen sind die Morbiditätsunterschiede zwischen gestillten und nichtgestillten Säuglingen gering und können nur mit aufwendigen epidemiologischen Versuchsanordnungen erkannt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass bei Muttermilchernährung keine Randomisierung möglich ist. Nach Auffassung der American Academy of Pediatrics führt Muttermilchernährung auch in entwickelten Ländern bei den folgenden Krankheiten zu einer signifikanten Minderung des Risikos: Diarrhö, bronchopulmonale Infektionen, Otitis media, Sepsis, bakterielle Meningitis, Harnwegsinfekte und nekrotisierende Enterokolitis. Schutzeffekte der Muttermilchernährung werden auch gegen nichtinfektiöse Krankheiten diskutiert: plötzlicher Kindstod, Diabetes mellitus Typ I, Allergien und Adipositas (in Metaanalysen Risikominderung für Adipositas im Kindesalter um 20 %). Ferner werden fördernde Einflüsse der Muttermilchernährung auf die kognitive Entwicklung angenommen. Gewissheit können hier nur prospektive Langzeitstudien bringen.
Tab. 4
Immunologisch wirksame Substanzen in Muttermilch (nach Field 2005)
 
Substanzen
Antimikrobielle Substanzen
Immunoglobuline sIgA, sIgG, sIgM
Lactoferrin, Lactoferrizin B + H
Lactoperoxidase
Nukleotidhydrolysierende Antikörper
κ-Kasein und α-Lactalbumin
Haptocorrin
Muzine
Lactadherin
Freie sekretorische Komponente
Mütterliche Leukozyten und Zytokine
sCD14
Komplement und Komplementrezeptoren
β-Defensin-1
Toll-like-Rezeptoren
Bifidusfaktor
Immunsystementwicklung
Neutrophile
Zytokine
Wachstumsfaktoren
Hormone
Milchpeptide
LCPUFA
Nukleotide
Antientzündliche Substanzen
Zytokine IL-10 und TGF-β
 
IL-1-Rezeptorantagonist
 
TNF-α und IL-6-Rezeptoren
 
sCD14
 
Adhäsionsmoleküle
 
LCPUFA
 
Hormone und Wachstumsfaktoren
 
 
Lactoferrin
Toleranzerzeugende Substanzen
Zytokine IL-10 und TGF-β
 
Antiidiotypische Antikörper
IL Interleukin; LCPUFA long chain polyunsaturated fatty acids; TGF transforming growth factor; TNF Tumornekrosefaktor

Weitere Vorteile

Muttermilch bietet geschmackliche Variation durch Geschmacksstoffe aus der Nahrung der Mutter, die in ihre Milch übergehen. Die Kinder machen auf diese Weise schon frühe sensorische Erfahrungen mit Lebensmitteln aus ihrem späteren Ernährungsumfeld und gestillte Kinder akzeptieren besser neue Geschmackserfahrungen im Zusammenhang mit der Beikosteinführung. Muttermilchernährung fördert auch die Gesundheit der Mutter, u. a. durch beschleunigte Rückbildung des Uterus, verminderten Blutverlust, raschere Rückbildung der schwangerschaftsbedingten Gewichtszunahme, zeitweisen Konzeptionsschutz sowie vermindertes Risiko für Ovarialkrebs und prämenopausalen Brustkrebs. Endlich werden durch Stillen erhebliche Kosten für Säuglingsnahrung gespart und die Umwelt entlastet (Aufwand für Herstellung, Verpackung, Transport, Zubereitung von Säuglingsmilchnahrung in Haushalten).

Schutz- und Immunfaktoren

Die verschiedenen Schutz- und Immunfaktoren in der Muttermilch (Tab. 4) dienen dem Schutz des Kindes und/oder der Brustdrüse. Ihre Konzentration verhält sich umgekehrt proportional zur Produktion durch das Kind und fällt mit deren Anstieg im Laufe der Laktation ab. Im Magen-Darm-Kanal werden sie nicht oder nur teilweise abgebaut. Sie wirken meist synergistisch. Zu den unspezifischen antiinfektiösen Faktoren gehört auch die durch verschiedene Komponenten der Muttermilch geförderte Bifidusflora des Brustkindes, die gramnegative Bakterien und Pilze hemmt. Spezifische antiinfektiöse Faktoren sind die Immunglobuline (Ig). Am wichtigsten ist das sekretorische IgA (sIgA), das sowohl das immunologische Gedächtnis als auch die akut aktivierbare immunologische Kompetenz der Mutter für das unreife Kind verfügbar macht. Geschluckte bzw. eingeatmete Antigene aus dem gemeinsamen Milieu von Mutter und Kind lösen bei der Mutter im lymphatischen System von Magen-Darm- bzw. Bronchialtrakt („gut/bronchus-associated lymphoid tissue“, GALT bzw. BALT) kurzfristig die Bildung spezifischer immunkompetenter Zellen aus. Diese wandern in alle Schleimhäute und in die Brustdrüse (enteromammäres bzw. bronchomammäres System) und sorgen dort für die Synthese spezifischer Antikörper. Einen relativen Schutz gegen die Entwicklung atopischer Symptome (dermal, intestinal, bronchopulmonal) bietet ausschließliches Stillen in den ersten 4(–6) Monaten, wahrscheinlich aber nur in Risikokollektiven (mindestens ein Elternteil oder ein Geschwister mit bekannter Allergie). Ein Verzicht der Schwangeren oder Stillenden auf stark allergene Lebensmittel (Kuhmilch, Ei, Zitrusfrüchte, Fisch, Tomaten, Nüsse und Schokolade) zur Allergieprophylaxe wird nicht empfohlen. Kommt es bei ausschließlichem Stillen in seltenen Fällen zu allergischen Reaktionen auf Nahrungsmittel in der Kost der Mutter (Nachweis durch Auslassdiät), kann Abstillen auf eine therapeutische Nahrung oder Aminosäuremischung (Abschn. 2.5) angezeigt sein.

Fragen und Probleme bei Muttermilchernährung

Hyperbilirubinämie

Die bei Muttermilchernährung aus noch nicht völlig verstandenen Gründen gehäuft und verstärkt auftretende Hyperbilirubinämie des gesunden Neugeborenen (Anstieg erst nach dem 2. Tag, Maximum ca. 3.–5. Tag, meist <12 mg/dl, Dauer 1–2 Wochen) ist ein multifaktorielles Geschehen, an dem u. a. ein vermehrter Abbau von fetalem Hämoglobin, eine Unreife der Glukuronyltransferase in der Leber und eine Reabsorption von bereits in den Darm ausgeschiedenem glukuroniertem Bilirubin nach Spaltung durch die im Neugeborenendarm auftretende β-Glukuronidase ursächlich beteiligt sind, neben unzureichenden Milchmengen, die Kalorienmangel und Dehydratation zur Folge haben. Das früher übliche Abstillen ist kontraindiziert, vielmehr soll auf möglichst frühes und häufiges korrektes Anlegen (10- bis 12-mal/Tag) geachtet werden, zur Stimulation der Ausscheidung von Bilirubin mit dem Mekonium und späterem Stuhl (≥2 Stühle/Tag, ab 3. Tag). Dehydratation und Kalorienmangel hemmen die Mekoniumentleerung und verstärken den enterohepatischen Bilirubinkreislauf. Bei nachweislich ungenügender Milchmenge (Wiegen vor und nach Mahlzeiten) wird Zufüttern von Nahrung empfohlen. Wasser oder Dextroselösung senkt den Bilirubinspiegel nicht. Mit 2–3 Wochen haben nichtgestillte Säuglinge Bilirubinwerte um 1,3–1,5 mg/dl, gestillte Kinder dagegen noch zu einem Drittel klinisch sichtbare Bilirubinerhöhungen über 5 mg/dl. Dieser Verlauf ist als physiologisch anzusehen. Einzelheiten zu Ätiologie, Verlauf, Kontroll- und gegebenenfalls Therapiemaßnahmen, Kap. „Icterus neonatorum und Hyperbilirubinämie“.

Infektionskrankheiten

Schwere Infektionskrankheiten der Mutter erfordern sowohl eine Erwägung der Risiken des Erregerübergangs auf das Kind (prä-, peri- bzw. postnatal, hämatogen, oral, respiratorisch, Kontakt) als auch der Chancen eines Schutzes des Kindes durch mütterliche Antikörper, eine evtl. mögliche passive und/oder aktive Immunisierung und endlich gegebenenfalls eine gleichzeitige Behandlung von Mutter und Kind. Muttermilch schützt in vielen Fällen durch ihren Antikörpergehalt, kann in einigen Fällen aber auch Erreger übertragen. Bei einigen akuten Erkrankungen der Mutter kann fallweise überlegt werden, ob das Kind vorübergehend isoliert und die Muttermilch abgepumpt und pasteurisiert bzw. tiefgefroren werden soll, bis die Therapiemaßnahmen bei Mutter und Kind gegriffen haben und die Antikörpersynthese der Mutter ausreichend ist. Diesbezüglich ist auf die entsprechenden Spezialabschnitte in diesem Buch und in der Literatur hinzuweisen.
Eine absolute Kontraindikation gegen das Stillen besteht in entwickelten Ländern derzeit nur im Falle einer HIV-Erkrankung der Mutter wegen des Erregerübergangs mit Muttermilch und des Fehlens von Immunisierungsmöglichkeiten sowie einer zuverlässig wirkenden Therapie. In unterentwickelten Ländern empfiehlt die WHO dagegen auch bei HIV-Infektion der Mutter dann zu stillen, wenn anzunehmen ist, dass der Säugling durch einen Verzicht auf Muttermilchernährung mehr gefährdet würde als durch das Risiko einer HIV-Infektion. Entsprechendes gilt in Ländern, in denen das humane T-lymphotrope Virus (HTLV) endemisch ist (Karibik, Afrika südlich der Sahara, Brasilien, Japan), das eine sich im Erwachsenenalter manifestierende chronischlymphatische Leukämie verursachen kann.
Bei offener Tuberkulose muss die Mutter zeitweise vom Kind getrennt werden, die abgepumpte Milch kann aber an das Kind verabreicht werden, wenn die Brust selbst nicht befallen ist. Bei aktiver Lues der Mutter muss das Kind immer als infiziert angesehen und mitbehandelt werden, es darf aber unter diesen Umständen gestillt werden. Zytomegalieantikörper besitzen in Deutschland etwa 50 % der Mütter, Spenderinnenmilch muss davon frei sein. Reife Neugeborene, nicht aber Frühgeborene vor der 28. SSW, werden bei Muttermilchernährung durch mütterliche Antikörper geschützt, obwohl Virus ausgeschieden werden kann. Bei Hepatitis B der Mutter kann nach der passiven und aktiven Immunisierung des Neugeborenen gestillt werden. Bei Hepatitis C besteht keine Impfmöglichkeit, das Infektionsrisiko mit Muttermilch ist sehr gering, aber derzeit nicht ganz auszuschließen. Herpes simplex ist nur bei einer Läsion der Brust selbst eine Kontraindikation für Stillen. Bei Varizellen/Zoster muss das Kind solange von der Mutter getrennt werden, bis diese nicht mehr infektiös ist, Muttermilch kann aber verabreicht werden, sobald das Kind Varizellen/Zoster-Immunglobulin erhalten hat. Entsprechendes gilt bei akuten Masern der Mutter.

Medikamente, Drogen und Genussmittel

Medikamente, Drogen und Genussmittel sind in entwickelten Ländern die Hauptrisiken des Stillens.
Tabak
Tabakinhaltsstoffe nimmt das Kind einer Raucherin sowohl mit der Muttermilch (Darm) als auch mit der Atemluft (Lunge) auf. Schon weniger als 10 Zigaretten täglich, von der Mutter oder von Dritten im Haushalt geraucht, führen zu einer signifikanten Verkürzung der Stilldauer. Die Risiken für ein Kind in einem Raucherhaushalt bestehen u. a. in vermindertem Milchangebot, verfrühtem Abstillen und Unruhe, in schweren Fällen auch in Übelkeit, Erbrechen, Bauchkrämpfen und Diarrhö. Ferner wurden Zusammenhänge zwischen den Rauchgewohnheiten der Eltern und der Häufigkeit von Pneumonie, Bronchitis und plötzlichem Kindstod im 1. Lebensjahr sowie der Belastung des Kindes mit Kadmium beschrieben. Bei der Mutter steigert Rauchen u. a. den Energieumsatz, senkt den Spiegel von Prolaktin und damit die Milchproduktion und hemmt den Milchausstoßungsreflex. Deshalb sollte keinesfalls kurz vor oder während dem Stillen geraucht werden. Das Kind wird durch das Rauchen dann am wenigsten belastet, wenn die Mutter unmittelbar nach einer Brustmahlzeit raucht, da dann die längste Abklingzeit bis zur nächsten Brustmahlzeit besteht (Halbwertszeit von Nikotin: 95 min). Am besten ist es, wenn beide Eltern das Rauchen schon am Anfang der Schwangerschaft einstellen.
Alkohol
Alkohol ist in der Milch nur wenig geringer konzentriert als im Blut der stillenden Mutter. Das Maximum wird 30–60 min nach Einnahme eines Getränks bzw. nach 60–90 min bei zusätzlichem Verzehr von Speisen erreicht. Eine 60 kg schwere Frau baut 1 Portion Bier oder Wein im Laufe von 2–3 Stunden ab. Allenfalls bei besonderen Anlässen ist ein kleines Glas Wein, Bier oder Sekt tolerierbar. Ausgeprägter Alkoholkonsum führt bei der Mutter zu Störungen des Milchausstoßungsreflexes. Das Kind trinkt anfangs rascher, aber insgesamt weniger, es kommt zu Störungen des Gewichtszuwachses, der motorischen Entwicklung und zu Schläfrigkeit.
Medikamente
Medikamente, die die Mutter erhält, lassen sich zwar meist auch in der Muttermilch nachweisen, in der Regel ist der Übergang in die Milch und damit die Gefährdung des Kindes aber weit geringer als über die Plazenta. Ist eine Behandlung der Mutter unumgänglich, kann durch sorgfältige Auswahl unter den zur Verfügung stehenden Medikamenten und deren pharmakokinetisch wohlüberlegte Zufuhr das Stillen oder die Ernährung des Kindes mit abgepumpter Milch seiner Mutter in den weitaus meisten Fällen ermöglicht werden (Ausnahmen vor allem Suchtmittel, Zytostatika, Immunsuppressiva, Radiotherapeutika). Da die individuelle Situation des Kindes (besonders Reifegrad, Geburtsbelastung, evtl. Krankheiten) eine wichtige Rolle für die Verträglichkeit einer mütterlichen Medikation darstellt, sollte Letztere zwischen den Ärzten von Mutter und Kind abgestimmt werden (Kap. „Grundlagen der Pharmakologie und Arzneimitteltherapie im Kindes- und Jugendalter“, Kap. „Antimikrobielle Therapie bei Kindern und Jugendlichen“, Kap. „Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen“, Kap. „Fieber und fiebersenkende Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen“).
Suchtgifte
Die Einnahme von Suchtgiften nimmt leider zu. Ein besonders schwerwiegendes Problem ist die häufige Beeinträchtigung der Fürsorgefähigkeit süchtiger Mütter. Amphetamine verursachen Unruhe, Reizbarkeit und Schlaflosigkeit. Die aktive Komponente von Haschisch/Marihuana (Cannabis) ist Tetrahydrocannabinol (THC). Es wird in Muttermilch konzentriert, auch beim Passivrauchen aufgenommen, im Urin und Stuhl des Kindes ausgeschieden und kann die motorische Entwicklung des Kindes verzögern. Kokain kann beim gestillten Kind Reizbarkeit, Erbrechen, Pupillenerweiterung, Tremor und Anstieg von Herz- und Atemfrequenz verursachen. Es wurde 36 Stunden nach Exposition in Muttermilch und 60 Stunden nach Exposition im Urin des Säuglings nachgewiesen. Bei allen „Straßendrogen“ sind Verunreinigungen mit anderen Substanzen häufig. Heroin kann auch zur Abhängigkeit des Säuglings führen. Methadon ist die Ersatzdroge zur Behandlung Heroinsüchtiger. Bis zu 20 mg/Tag gelten als vereinbar mit dem Stillen.
Chemische Schadstoffe
Rückstände werden heute weltweit in Muttermilch gefunden. Es handelt sich besonders um chlororganische Verbindungen, u. a. Pflanzenschutzmittel, polychlorierte Biphenyle (PCB) aus technischen Produkten und polychlorierte Dioxine und Dibenzofurane aus Verbrennungsprozessen. Sie alle gelangen als fettlösliche, äußerst langlebige Verbindungen über die Nahrungskette in das Fettgewebe des Menschen und von da aus in das Muttermilchfett. Nach dem Verbot der Herstellung und Verwendung nahezu aller Vertreter dieser Stoffklassen im Bereich der EU findet sich inzwischen bei vielen Verbindungen in der Muttermilch eine deutlich abnehmende Tendenz (um 50–90 %). Einschränkungen des Stillens sind nicht erforderlich.

Milchbildung und Saugen

Das Wachstum der Brust erfolgt während jedes Zyklus unter dem Einfluss von Östrogenen (Milchgänge) und von Progesteron (Alveolen). Während der Schwangerschaft vergrößert sich die Brust unter dem Einfluss von HPL („human placental lactogen“), HCG („human chorionic gonadotropin“), Prolaktin und weiterer Hormone. Die Milchproduktion wird durch das Prolaktin der Adenohypophyse angeregt, das bis zur Geburt durch den „prolactin inhibiting factor“ (PIF) gehemmt wird (Laktogenese I). Die Geburt führt zum raschen Abfall des Progesteronspiegels durch Wegfall der Plazenta, womit die hemmende Wirkung auf die Prolaktinrezeptoren aufgehoben wird, sodass die hohen Prolaktinspiegel wirksam werden können und reichlich Milch produziert wird (Laktogenese II). Der entscheidende Auslösereiz für die Milchbildung im weiteren Verlauf ist das Saugen des Kindes an der Brust, das auf neuralem Wege zur Stimulation des Hypothalamus führt, der seinerseits auf hormonalem Wege die Adenohypophyse zur Synthese von Prolaktin (Milchbildung) und auf neuralem Wege die Neurohypophyse zur Synthese von Oxytocin (Milchausstoßung) anregt.
Beim Saugakt werden zunächst durch den Unterdruck Mamille und Areola zu einer Zitze ausgezogen, die von der Zunge umschieden und vom Unterkiefer gegen den harten Gaumen gepresst wird. Die Milch wird sodann durch Druck einer peristaltischen Welle der Zunge von vorn nach hinten aus der Zitze ausgestrichen, ohne dass sich die Zungenspitze wesentlich bewegt. Der Unterdruck in der Mundhöhle hält die Zitze fest und erleichtert die Wiederfüllung der Milchgänge. Intramammär bewirkt der oxytocinvermittelte Milchejektionsreflex den Milchfluss.

Praktische Stillhinweise

Beginn des Stillens

Stillen muss von Mutter und Kind gelernt werden. Hierbei ist erfahrene Hilfe (Abschn. 1.1) von großem Wert. Müttern sollte unmittelbar nach der Geburt unter Beobachtung und Begleitung der Hautkontakt mit dem Neugeborenen ermöglicht werden. Zum ersten Saugen innerhalb der ersten 1–2 Stunden nach der Geburt sollte das Kind der Mutter auf den Bauch gelegt und das spontane Finden der Brustwarze und das Saugen abgewartet werden. Der Saugreflex ist in diesem Zeitraum besonders stark. Zur maximalen Stimulierung der Milchbildung sollte das Neugeborene alle 2–3 Stunden, bzw. immer wenn es unruhig wird, angelegt werden. Nach Kaiserschnitt sollte die Mutter mit dem Stillen beginnen, sobald sie ansprechbar ist. Gesunde reife Neugeborene benötigen beim Stillen nach Bedarf und guter Stillanleitung der Mütter in den ersten 3 Tagen keine Zufütterung, auch nicht von Wasser, Tee oder Kohlenhydratlösung. Hypotrophe Neugeborene (Gewicht <10. Perzentile) brauchen möglichst früh eine vollwertige Nahrung.

Stillrhythmus

Stillen nach Bedarf bewirkt eine angepasste Milchproduktion, Sättigung des Kindes und, nach individuell unterschiedlich langer Zeit, die Herausbildung eines stabilen, individuellen Stillrhythmus mit etwa 5–8 Mahlzeiten/Tag. Wenn möglich, sollte das Kind Tag und Nacht im Zimmer der Mutter sein. Mütter müssen lernen, dass Säuglinge nicht nur wegen Hunger schreien. Für Hunger spricht allmähliche Zunahme der Unruhe im üblichen Abstand von Mahlzeiten und rasche Beruhigung durch Stillvorbereitungen. Schreit das Kind gleich nach dem Stillen, dann hat es meist Luft geschluckt. Daher sollte es nach jeder Mahlzeit mit dem Gesicht zur Mutter auf den Arm genommen und zum ausgiebigen Aufstoßen gegen die rechte Schulter der Mutter bewegt werden, bis die Luft in der Magenblase durch die Kardia entwichen ist.

Trinkmenge und Gewichtszunahme

Die Trinkmenge beträgt in den ersten 5 min 50–60 % der gesamten Milchmenge, nach 10 min wird nur noch wenig getrunken. 20 min pro Mahlzeit sollten im Interesse der Erholung von Mutter und Kind in der Regel nicht überschritten werden. Bis zur 8. Lebenswoche steigt die Milchmenge im Durchschnitt bis auf etwa 750–800 ml/Tag an, danach bleibt sie etwa gleich. Individuelle Unterschiede der produzierten und getrunkenen Milchmenge sind erheblich. Die tägliche Gewichtszunahme des voll gestillten Kindes beträgt im 1. Vierteljahr ca. 25 g, im 2. Vierteljahr ca. 20 g. Nach dem postnatalen Gewichtsverlust nehmen ausschließlich gestillte Kinder im Vergleich zu nichtgestillten Kindern in den ersten 3(–4) Monaten rascher an Gewicht zu, danach verlangsamt sich ihre Gewichtszunahme gegenüber nichtgestillten Kindern. Kinder, die nach Einführung der Beikost weiter gestillt werden, weisen am Ende des 1. Lebensjahres ein geringeres Gewicht auf und haben ein geringer ausgeprägtes Fettgewebe als mit Muttermilchersatz gefütterte Kinder. Frauenmilchstühle (Frequenz variabel: jeden 3. Tag bis 5–6/Tag) sind sauer, pastenartig, gelegentlich dünnflüssig, gold- bis grüngelb und riechen aromatisch. Frühes Durchschlafen lässt sich durch Schreienlassen nicht erzwingen. Etwa nach 3 Monaten schlafen die meisten nach Bedarf gestillten Kinder durch. Tägliches Wiegen ist bei gestillten Kindern nur in den ersten 1–2 Wochen (stets zur selben Zeit vor einer Mahlzeit) erforderlich, später nur noch wöchentlich oder bei Vorsorgeuntersuchungen. Stillproben, d. h. Wiegen vor und nach jeder Mahlzeit über 24 Stunden, sind nur in Ausnahmefällen vom Arzt anzuordnen.

Stilltechnik

Das Kind sollte anfangs an beiden Brüsten, später entsprechend den Wünschen von Mutter oder Kind ein- oder beidseitig angelegt werden. Beim Stillen im Sitzen oder Liegen muss die Mutter eine entspannte Haltung einnehmen. Das Kind wird, von der Mutter mit einem Arm gestützt, an die Brust geführt, die die Mutter mit der anderen Hand C-förmig so umfasst, dass die vier Finger die Brust von unten stützen, während der freie Daumen sie von oben bei Bedarf etwas zurückdrängt. Der Kopf des Kindes muss so an die Brustwarze herangeführt werden, dass der Warzenvorhof mit erfasst wird, was nur bei weit geöffnetem Mund des Kindes geht. Die Nase muss während des Saugens frei bleiben. Nach dem Beenden des Stillens lässt man zur Pflege der Brustwarzen etwas Milch antrocknen. Einmal täglich sollte die Brust abgeduscht werden und an der Luft trocknen.

Zufüttern

Ein Zufüttern von Tee bzw. Glukose-/Polymerlösungen ist bei gesunden reifen Neugeborenen, die häufig (bis zu 2-stündlich) und korrekt angelegt werden, nicht nötig. Ein Gewichtsverlust in den ersten 3 Tagen bis zu 7 % des Geburtsgewichtes ist physiologisch. Fällt das Gewicht trotz aller Maßnahmen zur Steigerung der Milchproduktion bzw. des Trinkvolumens weiter, wird spätestens bei einem Gewichtsverlust von 10 % die Zufütterung von Säuglingsanfangsnahrung notwendig. Diese sollte im Falle einer familiären Allergiebelastung (Verwandte 1. Grades mit einer Allergie) statt intaktem Protein hydrolysiertes Protein enthalten (sog. HA-Nahrungen). Gestillte Kinder mit (Brech-)Durchfall werden, wenn möglich, weiter gestillt. Verluste an Flüssigkeit und Elektrolyten werden durch eine Rehydratationslösung ausgeglichen. Akute Gewichtsverluste ≥5 % erfordern zusätzliche ärztliche Maßnahmen (Kap. „Infusionstherapie und parenterale Ernährung bei Kindern und Jugendlichen“).

Ernährung der Mutter

Die Ernährung stillender Mütter soll nach Appetit erfolgen, abwechslungs- und flüssigkeitsreich sein. Dafür eignet sich die Optimierte Mischkost (Kap. „Normale Ernährung von Kindern und Jugendlichen“). Der Mehrbedarf an Energie für die Abgabe von 800 ml Milch/Tag beträgt etwa 500 kcal/Tag. Er kann z. B. wie folgt gedeckt werden: 100 ml Milch + 1 Scheibe dunkles Brot + 1 Esslöffel Haferflocken + 2 Kartoffeln + 1 Portion Gemüse/Salat + 1 Portion Obst. Dazu pro Woche 1 Portion Fleisch + 1 Portion Seefisch (fettreich, wegen langkettiger n-3-Fettsäuren). Der Mehrbedarf an Energie muss nicht vollständig ersetzt werden, da während der Laktation ein Teil der Schwangerschaftsfettdepots abgebaut werden kann. Einzelne Sorten von Obst und Gemüse sowie manche Gewürze sind nur dann wegzulassen, wenn sie ausnahmsweise zu Beschwerden beim Kind führen. Eine diätetische Anregung der Milchproduktion ist nicht möglich.

Stillprobleme

Eine echte Hypogalaktie ist sehr selten, meist ist schlechte Stilltechnik, zu seltenes Anlegen oder Angst und Stress der Mutter die Ursache einer unzureichenden Milchmenge mit abnormalem postpartalem Gewichtsverlust bzw. Gewichtsstillstand nach den ersten 2 Wochen. Echte Saugschwäche kommt vor allem bei unreifen Kindern oder nach Geburtstrauma vor. Infekte des Nasen-Rachen-Raumes behindern die Nasenatmung und damit das Trinken. Hier helfen vor dem Stillen verabreichte abschwellende Nasentropfen. Bei schweren Krankheiten der Luftwege oder des Herzens kann es sein, dass die Milch abgepumpt werden muss. Spaltmissbildungen des weichen und/oder harten Gaumens lassen sich vorübergehend mit besonderen Saugern und Abdeckplatten kompensieren. Manche Stoffwechselkrankheiten, wie die Galaktosämie, erfordern sofortiges Abstillen, während bei anderen Stoffwechselkrankheiten, wie z. B. der Phenylketonurie, ein teilweises Stillen im Anschluss an das Füttern der Spezialdiät möglich ist.
Bei Flach- oder Hohlwarzen der Mutter können sog. Brustschilde (u. U. schon vor der Geburt) helfen. Milchstau, wunde Brustwarzen und beginnende Mastitis werden durch gute Entleerung der Brust (häufigeres kürzeres Anlegen) behandelt. Das beugt auch schmerzhaften und häufig infizierten tiefen Rhagaden vor. Milchstau führt zu einer schmerzhaften Verhärtung der Brust mit Rötung der Haut. Zusätzlich zur häufigen Entleerung der Brust helfen kalte Umschläge zwischen den Brustmahlzeiten und warme Umschläge kurz vor dem Stillen. Milchstau kann zu Mastitis führen. Häufige Erreger sind Staphylokokken, die zur Abszessbildung neigen. Gründe zum Abstillen bei Mastitis sind Abszessbildung oder heftigste Schmerzen beim Stillen. Bei Infektionen des Nasen-Rachen-Raumes der Mutter wird in leichteren Fällen ein Mundtuch empfohlen. Bei schweren Infektionen der Mutter (Tuberkulose, Sepsis, Lues) muss das Kind mitbehandelt werden und gegebenenfalls, vor allem um die Mutter zu schonen, von ihr getrennt werden. Bei konsumierenden Krankheiten der Mutter (z. B. Tumoren, chronische Leber- und Nierenkrankheiten) darf nicht gestillt werden.

Abpumpen, Lagerung und Transport von Muttermilch

Für das Sammeln von Muttermilch für das eigene Kind müssen den Müttern standardisierte schriftliche Anleitungen ausgehändigt werden. Kompetentes Personal muss sie erläutern und ihre Einhaltung überwachen. So gewonnene Muttermilch kann bei Raumtemperatur 6–8 Stunden, bei ununterbrochener Kühlkette (+4 bis +6°C) bis zu 72 Stunden gelagert bzw. transportiert und bei Tiefkühlung (–18 bis –40 °C) bis zu 6 Monate gelagert werden. Sofern keine besondere Problematik vorliegt, ist bei genauer Einhaltung der oben genannten Vorschriften ein routinemäßiges bakteriologisches Screening und Pasteurisieren von abgepumpter Muttermilch für das eigene Kind nicht erforderlich. Für Mütter sind Informationen der deutschen Nationalen Stillkommisson zum Umgang mit abgepumpter Muttermilch für das eigene Kind im Krankenhaus und zu Hause verfügbar.
Frauenmilchsammelstellen können in Kliniken die Ernährung kranker oder unreifer Kinder erleichtern. Eine Leitlinie für Einrichtung und Arbeitsweise liegt vor. Die Spenderinnen müssen serologisch negativ für Hepatitis B und C, Lues, HIV und aktive Zytomegalie (IgM) sein. Die Milch jeder Spenderin wird bakteriologisch getestet (gefordert: Gesamtkeimzahl <105/ml, spezielle Keime <104/ml), Poolen ist unzulässig. Geeignete Milch wird pasteurisiert (30 min bei 57–63 °C). Die Lagerung erfolgt tiefgekühlt (bis zu 6 Monate), das Auftauen schonend.

Zufüttern/Abstillen

Die meisten Kinder gedeihen bei ausschließlichem Stillen in den ersten 6 Monaten optimal. Sofern die Muttermilch trotz häufigen Anlegens nicht reichen sollte, kann nach dem Stillen Säuglingsanfangsnahrung mit der Flasche (kleines Saugerloch: Tropfenfolge 1/s) zugefüttert werden (Zwiemilchernährung, Abschn. 2.2). Spätestens ab dem Beginn des 7. Monats, aber nicht vor dem Beginn des 5. Monats benötigt der Säugling zusätzliche Energie und Nährstoffe in Form von Beikost. Mit der Beikost werden nach und nach einzelne Milchmahlzeiten durch eine Breimahlzeit ersetzt (Abschn. 6). Daneben kann solange weiter Teilstillen erfolgen, wie Mutter und Kind es wünschen.

Industriell hergestellte Milchnahrungen in Deutschland und Österreich

Rechtliche Regelungen

Lebensmittel für Säuglinge (<12 Monate) und gesunde Kleinkinder (1–3 Jahre) gelten lebensmittelrechtlich als diätetische Lebensmittel, deren Zusammensetzung (Tab. 5), Etikettierung und Vertrieb in speziellen EU-Richtlinien geregelt sind. Diese werden in nationales Recht umgesetzt. In Deutschland ist dies die Diätverordnung aus dem Jahre 2017, ferner die Lebensmittelkennzeichnungs- und die Nährwertkennzeichnungs-Verordnung bzw. Lebensmittelinformations-Durchführungsverordnung. In Österreich werden die EU-Richtlinien als Verordnungen im Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich veröffentlicht. Kommentare und Anleitungen für die praktische Umsetzung veröffentlicht die Ernährungskommission der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde.
Tab. 5
Auszüge aus der Delegierten Verordnung (EU) 2016/127 der EU für die Zusammensetzung von Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung im Vergleich zu Nährstoffgehalten in Muttermilch
 
Säuglingsanfangsnahrung pro 100 mla
Folgenahrung pro 100 ml
(Minimum – Maximum)
Muttermilch Durchschnitt (Spanne) pro 100 g
Energie (kcal)
60–70
60–70
71
Protein (g)b
  
1,13 (1,03–1,43)
Kuh- oder Ziegenmilchprotein
1,08–1,75
Wie Anfangsnahrung
 
Sojaeiweißisolat
1,35–1,96
 
Hydrolysiertes Protein
1,86–2,8
 
Fett (g)
2,6–4,2c
4,03 (3,50–4,62)
Kohlenhydrate (g)d
5,4–9,8
7,0
Laktose (g)
Minimal 2,7–3,15e
7,0
Frukto- und Galakto-Oligosaccharide (g)f
Maximal 0,8
Inositol (mg)
2,4–28
Keine Vorschrift
 
Natrium (mg)
15–42
Wie Anfangsnahrung
13 (12–19)
Kalium (mg)
48–112
47 (46–64)
36–112
 
Kalzium (mg)
30–98g
32 (25–41)
Phosphor (mg)
15–63h
15 (12–17)
3,5–10,5
3,1 (2,9–5,0)
Eisen (mg)
0,18–0,91i
0,36–1,4
0,058 (0,026–0,058)
Zink (mg)
0,3–0,7k
Wie Anfangsnahrung
0,148 (0,120–0,390)
Kupfer (μg)
36–70
72 (24–77)
Jod (μg)
9–20,3
6,3 (4,3–9,0)
Selen (μg)
1,8–6,02
 
Mangan (μg)
0,06–7,0
 
Molybdän (μg)
Maximal 8,4–9,8
 
Fluorid (μg)
Maximal 69–70
 
Vitamin Al (μg RE)
42–80
69 (52–73)
Vitamin E (mg α-Tocopherol)m
0,36–3,5
0,28 (0,15–0,54)
2,4–21
4,4 (3,5–5,5)
Vitamin B1 (μg)
24–210
15 (13–17)
Vitamin B2 (μg)
36–280
38 (30–44)
Vitamin B6 (μg)
12–122
14 (9–17)
0,24–1,4
 
Niacin (mg)n
0,24–1,05
0,17 (0,13–0,20)
Folsäure (μg DFE)o
9–33
8,5
Biotin (μg)
0,6–5,25
 
Vitamin B12 (μg)
0,06–0,35
 
Vitamin K (μg)
0,6–17,5
 
Vitamin D (μg)
1,2–2,1
 
Nukleotide (mg)p
Maximal 3–3,5
 
aVorschriften pro 100 kcal wurden in g pro 100 ml verzehrfertige Zubereitung umgerechnet
bEs sind 3 verschiedene Proteinquellen möglich: intaktes Kuh- oder Ziegenmilchprotein; Sojaeiweißisolat allein oder in Mischungen; hydrolysiertes Protein mit definiertem Herstellungsprozess. Für Anfangs- und Folgenahrungen muss bezogen auf den Energiegehalt jede unverzichtbare und bedingt unverzichtbare Aminosäure entsprechend dem Referenzprotein Frauenmilch vorhanden sein
cLinolsäure 0,5–1,2 g/100 kcal; α-Linolensäure 50–100 mg/100 kcal; Docosahexaensäure 20–50 mg/100 kcal; Transfettsäuren ≤3 % im Fett; Erucasäure ≤1 % im Fett; n-6-langkettige Fettsäuren ≤2 %, Arachidonsäure ≤1 % der Gesamtfettsäuren; Eikosapentaensäure (EPA) ≤ DHA; Phospholipide nicht mehr als 2 g/l
dErlaubt sind Laktose, Maltose, Saccharose, Glukose, Glukosesirup oder getrockneter Glukosesirup, Maltodextrine, vorgekochte Stärke natürlicherweise frei von Gluten, gelatinisierte Stärke natürlicherweise frei von Gluten. Saccharose darf nur Hydrolysatnahrungen zugesetzt werden und nicht mehr als 20 % des Gesamtkohlenhydratgehaltes ausmachen. Glukose darf nur Hydrolysatnahrungen zugesetzt werden bis zu einem Gehalt von 2 g/100 kcal. Glukosesirup darf zugesetzt werden, aber die Glukosemenge darf nicht mehr als 0,84 g/100 kcal betragen. Resistente Stärke darf nicht mehr als 2 g/100 ml oder 30 % des Gesamtkohlenhydratgehaltes ausmachen
eDer Minimalwert für Laktose gilt nicht für Nahrungen, in denen mehr als 50 % des Proteins Sojaprotein ist und nicht für Nahrungen, die als „laktosefrei“ ausgelobt werden
fDie Angabe gilt für eine Mischung von 90 % Oligogalactosyl-Laktose und 10 % hochmolekulare Oligofructosyl-Saccharose
gDas molare Kalzium/Phosphat-Verhältnis soll nicht kleiner als 1 und nicht größer als 2 sein
hFür Anfangsnahrungen auf Sojaeiweißbasis muss die Phosphatkonzentration zwischen 18 und 44 mg/100 ml betragen, für Folgenahrung zwischen 18 und 70 mg/100 ml
iFür Anfangsnahrungen auf Sojaeiweißbasis muss die Eisenkonzentration zwischen 0,27 und 1,4 mg/100 ml betragen, für Folgenahrung 0,54–1,75 mg/100 ml
kFür Nahrungen auf Sojaeiweißbasis muss die Zinkkonzentration zwischen 0,45 und 0,88 mg/100 ml betragen
lPräformiertes Vitamin A; RE all trans Retinoläquivalente
mVitamin-E-Aktivität von RRR-α-Tocopherol
nPräformiertes Niacin
oDiätetische Folatäquivalente (DFE): 1 μg DFE = 1 μg Nahrungsfolat = 0,6 μg zugesetzte Folsäure
pErlaubter Zusatz
In der Tab. 5 sind die Zusammensetzungskriterien genannt, die mit Ausnahme der Vorschriften für Nahrungen auf der Basis von Proteinhydrolysaten ab 22. Februar 2020 in der Europäischen Union gelten (Delegierte Verordnung [EU] 2016/127 der Kommission). Die neue Verordnung weicht insbesondere in Bezug auf die Zusammensetzungskriterien für Folgenahrung von den bisher geltenden Bestimmungen ab, indem sie viele Unterschiede zu Anfangsnahrung entsprechend der Richtlinie 2006/141/EG abschafft. Dies geschah auf Vorschlag der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die in ihrem Bericht von 2014 hervorhob, dass Säuglingsanfangsnahrung in ihrer derzeitigen Zusammensetzung während des ganzen 1. Lebensjahres für die Ernährung von Säuglingen geeignet ist, die zusätzlich Beikost erhalten und dass hauptsächlich ein höherer Eisengehalt erforderlich sei, um dem höheren Eisenbedarf im 2. Lebenshalbjahr nach Entleerung der Eisenspeicher zu entsprechen. Vergleicht man allerdings die Vorschläge der EFSA mit den Angaben in der zukünftigen Gesetzesregelung fällt auf, dass nicht alle umgesetzt wurden. Abgesehen davon, dass EU-Kommission und -Parlament in ihren Entscheidungen unabhängig sind, braucht es immer eine gewisse Zeitspanne, bis neue Erkenntnisse sich durchsetzen, wie aus der Geschichte der Entwicklung der europäischen Vorschriften, die die Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern betreffen, abzulesen ist.

Säuglingsanfangsnahrungen und Folgenahrungen

Für Säuglinge, die nicht oder nicht voll gestillt werden können, stehen heute industriell hergestellte Muttermilchersatzprodukte zur Verfügung, die eine vollwertige und sichere Ernährung ermöglichen. Säuglingsanfangsnahrung entspricht für sich allein den Erfordernissen von Neugeborenen und Säuglingen in den ersten 4–6 Lebensmonaten und kann als Milch neben der Beikost bis zum Ende des 1. Lebensjahres beibehalten werden. Folgenahrung stellt den flüssigen Milchanteil neben der Beikost dar.
Produkte, die im Proteinanteil ausschließlich aus Kuhmilchprotein hergestellt sind, werden als Säuglingsmilchnahrung bzw. Folgemilch bezeichnet. Bei den in Deutschland und Österreich angebotenen Säuglingsmilchnahrungen lassen sich aufgrund der Kohlenhydratkomponenten Produkte mit Laktose als einzigem Kohlenhydrat („Pre“) und Produkte mit zusätzlichem Gehalt an Stärke und gegebenenfalls weiteren Kohlenhydraten, meist Maltodextrinen („1“) unterscheiden. Der Begriff „adaptiert“, der sich früher auf die Proteinkomponente bezog (Protein <2,5 g/100 kcal, Molkenprotein: Kasein ≥1,0) und auf die Anwesenheit von Laktose als einzigem Kohlenhydrat darf nicht mehr als Nahrungsbezeichnung verwendet werden.
Säuglingsanfangsnahrungen einschließlich „HA“-Nahrungen mit Laktose als einzigem Kohlenhydrat („Pre“) sind für die eventuelle Zufütterung bei gestillten Säuglingen sinnvoll (Zwiemilch) und bei nicht gestillten Säuglingen als ausschließliche Ernährung in den ersten 4–6 Lebensmonaten und anschließend als Milchnahrung neben der Beikost im 1. Lebensjahr geeignet. Sie sind ähnlich dünnflüssig wie Muttermilch. Auch die etwas konsistenteren stärkehaltigen Anfangsnahrungen („1“) sind in den ersten Lebensmonaten vertretbar und im ganzen 1. Lebensjahr geeignet. Mütter sprechen ihnen häufig eine bessere Sättigung zu, ohne dass es dafür Beweise gäbe. In bestimmter Säuglingsanfangsnahrung auf der Basis von Proteinhydrolysaten ist auch Saccharose zugelassen. Bei entsprechenden Symptomen muss deshalb an eine hereditäre Fruktoseintoleranz gedacht werden. In Folgenahrung sind zusätzlich Fruktose und Honig zulässig. Clostridium-botulinum-Sporen müssen aus dem Honig entfernt worden sein.
Auf Folgenahrungen (in Deutschland und Österreich mit dem Beisatz „2“ oder gegebenenfalls „3“ versehen) muss darauf hingewiesen werden, dass sie nur zusammen mit Beikost gefüttert werden sollen. Befürchtungen, dass sie mit ihrem derzeit noch etwas höheren Protein- und Mineralstoffgehalt die unreife Niere stärker belasten als Säuglingsanfangsnahrung sind nicht begründet. In der EU wurden Folgenahrungen an die Zusammensetzung der Säuglingsanfangsnahrung weitgehend angeglichen (Tab. 5) Eine ernährungsphysiologische Notwendigkeit für Folgenahrungen besteht nicht.
Nahrungen mit Zusatz von Probiotika und/oder Präbiotika werden zunehmend angeboten. Im österreichischen Handel gibt es fast nur mehr Säuglingsnahrungen und Folgenahrungen mit Zusätzen von Pro- und/oder Präbiotika.
Probiotika sind lebende Mikroorganismen (meist Laktobazillen und Bifidobakterien), die der Nahrung zugesetzt werden, um die Zusammensetzung der Darmflora positiv zu beeinflussen. Ein moderater, aber signifikanter Wirksamkeitsnachweis wurde für wenige definierte Keime bei der Prophylaxe und Therapie der infektiösen Diarrhö nachgewiesen. Dagegen gibt es bisher keinen Nachweis für einen längerfristigen klinischen Nutzen durch die Zugabe von Probiotika zu Säuglingsanfangs- oder Folgenahrung und keine Daten zu potenziellen Langzeiteffekten auf die intestinale Kolonisierung und gastrointestinale und immunologische Funktionen. Säuglingsanfangsnahrung mit Zusatz von Probiotika sollte deshalb nur auf den Markt gebracht werden, wenn Nutzen und Sicherheit nach etablierten Prüfregeln evaluiert wurden. Gegen den Zusatz von Probiotika zu Folgenahrung bestehen weniger Vorbehalte.
Präbiotika (Galakto- [GOS] und Fruktooligosaccharide [FOS], Inulin, aus pflanzlichen Grundstoffen) sind nicht verdaubare Nahrungsinhaltsstoffe, die selektiv das Wachstum und/oder die Aktivität bestimmter Bakterienstämme (Bifidobakterien, Laktobazillen) im Darm fördern und damit das Ökosystem des Darms positiv beeinflussen sollen. Erlaubt ist der Zusatz von Oligosacchariden in Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung (maximal 0,8 g/100 ml, davon 90 % GOS, 10 % FOS). Diese beiden Oligosaccharide sollen ähnliche Effekte auf die Gesundheit hervorrufen wie die zahlreichen Oligosaccharide der Frauenmilch, obwohl sie keine strukturelle Ähnlichkeit aufweisen. Die metabolischen und klinischen Effekte von Präbiotika bei Säuglingen und Kleinkindern, sowie ihre Sicherheit sollten ausreichend untersucht sein bevor sie Säuglings- und Kleinkindernahrung zugesetzt werden. Einzelne kleine Studien mit einzelnen Oligosacchariden, die auch in Frauenmilch nachgewiesen wurden, hatten Effekte auf die Mikrobiota des Darmes, die Stuhlbeschaffenheit und das Risiko für gastrointestinale Infektionen.
Neben Folgenahrungen finden sich mehr und mehr sog. Kindermilchen auf dem Markt, die in der Regel aus modifizierter Kuh- oder Ziegenmilch bestehen (weniger Eiweiß, angepasster Fettkörper durch teilweisen Austausch mit Pflanzenölen, Zusatz von Vitamin D und von Eisen). Zu der Zusammensetzung von derartigen Kindermilchen (ab 12 Monaten) hat die Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin im Jahre 2011 ebenso wie die EFSA Vorschläge gemacht.
Auf eine Aufzählung und Beschreibung industriell hergestellter Muttermilchersatznahrungen für Säuglinge in Deutschland und Österreich wird verzichtet.
Die Bewerbung von Säuglingsnahrungen ist in der EU stark beschränkt: Mit Ausnahme der Bezeichnung „HA“ für hypoallergen darf nur auf den Zusatz von DHA und gegebenenfalls auf die Abwesenheit von Laktose hingewiesen werden, während die Verwendung von gesundheits- und ernährungsbezogenen Aussagen auf Anfangsnahrungen generell verboten ist. Dennoch finden sich auf dem Markt sog. Spezialnahrungen, die für Säuglinge mit leichten Befindlichkeitsstörungen allgemein erhältlich vermarktet werden. Sie sind tatsächlich „diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke“ (bilanzierte Diäten) und als solche unter ärztlicher Überwachung einzusetzen.
Sie unterliegen damit denselben rechtlichen Vorgaben wie therapeutische Nahrungen, wie z. B. Aminosäuremischungen zur Behandlung angeborener Stoffwechselstörungen oder von nachgewiesenen Lebensmittelallergien. Für letztere können auch extensiv hydrolysierte Eiweiße verwandt werden.

Sojanahrungen

Für Säuglingsnahrungen auf der Basis von Sojaproteinisolaten (isoliertes Sojaprotein) wird zusätzlich zu den Nährstoffanforderungen an Säuglingsmilchnahrungen ein Zusatz von Methionin und Carnitin (≥7,5 μmol/100 kcal) vorgeschrieben. Da Sojanahrungen in Deutschland und Österreich üblicherweise keine Laktose enthalten, sind sie bei dem extrem seltenen angeborenen Laktasemangel und bei Galaktosämie indiziert, ebenso bei Ablehnung von kuhmilchhaltiger Nahrung (z. B. Veganer) aufgrund von religiösen oder ethischen Überzeugungen. Mögliche Nachteile von Sojanahrungen sind eine geringere Proteinqualität sowie ihre Gehalte an Phytat, Aluminium und Phytoöstrogenen. Sojanahrungen tragen nicht zur Prävention von allergischen Erkrankungen bei. Der Verwendung von Sojanahrungen zur Therapie einer Kuhmilcheiweißallergie steht entgegen, dass hierbei etwa 40 % der Patienten eine kombinierte Kuhmilch-Sojaprotein-Allergie entwickeln. Falls ab dem 2. Lebenshalbjahr Sojanahrung als therapeutische Diät bei Kuhmilcheiweißallergie wegen ihrer geringeren Kosten und besseren Akzeptanz erwogen wird, sollte die Toleranz durch eine Belastung unter kontrollierten Bedingungen geprüft werden.

Proteinhydrolysate

In Proteinhydrolysaten wurde die Antigenität des nativen Eiweißes (z. B. Molkenprotein, Kasein, Schweinekollagen) durch enzymatische Hydrolyse, Erhitzung und z. T. Ultrafiltration reduziert. In der Praxis werden Proteinhydrolysate meist nach ihrem Hydrolysegrad in extensiv bzw. hochgradig hydrolysierte Produkte und teilweise bzw. schwach hydrolysierte Produkte (im Handelsangebot in der Regel mit „HA“ bezeichnet) eingeteilt, ohne dass eine einhellige Übereinstimmung über die Kriterien besteht. Allergiepräventive Effekte von Proteinhydrolysaten hängen nicht allein vom Hydrolysegrad oder Ausgangsprotein ab, sondern auch von der Ausprägung des genetischen Risikos eines Kindes. Für HA-Nahrungen („Pre“, „1“, „2“) gelten dieselben Nährstoffregelungen wie für Säuglingsmilchnahrungen bzw. Folgemilch (Ausnahme: höheres Proteinminimum, Zusatz von Carnitin ≥7,5 μmol/100 kcal). Kontrollierte Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Säuglingen mit erhöhtem familiären Atopierisiko (ein Elternteil oder Geschwister leiden an Heuschnupfen, Asthma, Ekzem oder Nahrungsmittelallergie ) eine ausschließliche Ernährung mit HA-Nahrung in den ersten 4 Lebensmonaten die Häufigkeit allergischer Krankheiten, ähnlich wie ausschließliches Stillen, in den ersten Lebensmonaten vermindern kann. Klinische Studien müssen laut EFSA den Nachweis einer Risikoreduktion für die Entwicklung kurz- und langfristiger klinischer allergischer Manifestation durch eine spezifische Proteinhydrolysatnahrung erbringen. Ob die präventive Wirkung von HA-Nahrungen anhält, wenn diese über das 1. Lebenshalbjahr hinaus gegeben werden, ist derzeit nicht ausreichend untersucht noch sehr wahrscheinlich. Allergieprävention ist auch mittels hochgradig hydrolysierter Nahrungen möglich, doch sind diese teuer und schmecken bitter. Vorteile hochgradig hydrolysierter Produkte gegenüber mäßig hydrolysierten Produkten für die Prävention sind strittig. Unbestritten ist jedoch die alleinige Eignung hochgradig hydrolysierter Produkte für die Therapie manifester Kuhmilcheiweißallergien. Generell sollen nur solche Nahrungen für die Prävention und Therapie von Nahrungsmittelallergien eingesetzt werden, deren Eignung in entsprechenden klinischen Studien nachgewiesen wurde.

Therapeutische Nahrungen (bilanzierte Diäten)

Diese hochgradig hydrolysierten Produkte werden seit Jahrzehnten erfolgreich zur Behandlung von Kuhmilcheiweißallergie und Malresorption eingesetzt. Die Proteinkomponente besteht aus Molkenprotein, Kasein oder Schweinekollagen und Soja. Werden auch diese Hydrolysatnahrungen nicht vertragen, kommt der Einsatz von Nahrungen auf der Basis von Aminosäuren in Betracht. Hochgradig hydrolysierte Nahrungen haben einen ausgeprägt bitteren Geschmack, an den sich junge Säuglinge aber rasch gewöhnen.

Selbsthergestellte Säuglingsmilch

Keine Milch von Tieren eignet sich unmodifiziert als Muttermilchersatz.
Selbstherstellung der Säuglingsmilch ist nicht empfehlenswert, da Sicherheit und ernährungsphysiologische Qualität von industriell hergestellter Säuglingsmilch definitiv höher sind. Möchte eine Mutter, die nicht oder nicht voll stillt, trotz ärztlicher Beratung auf die Verwendung industriell hergestellter Produkte verzichten, muss sie sachgerecht über die Selbstzubereitung von Säuglingsmilch informiert werden. Diese erfordert besondere hygienische Sorgfalt und Genauigkeit einschließlich der Benutzung einer Diätwaage.

Kuhmilch

Für die Selbstzubereitung von Säuglingsmilch aus Kuhmilch eignet sich das Rezept einer fett- und kohlenhydratangereicherten Halbmilch nach Droese und Stolley. Kuhvollmilch (3,5 % Fett) wird mit Wasser 1:1 gemischt und mit 2,5 % Stärke (ab 5. Monat Vollkornflocken), 4 % Milchzucker und 1,5 % Öl (möglichst Raps-, Soja-, sonst Sonnenblumen- oder Maiskeimöl) aufgekocht. Zur Deckung des Bedarfs an Vitamin A und C werden ab der 6. Woche pro 200 ml Nahrung je 5 g Karottenpüree und 20 g Orangensaft (oder ein anderer Saft für Säuglinge mit Vitamin-C-Zusatz) zugefügt.
Kuhmilch in unverdünnter Form (pasteurisiert bzw. „Frischmilch“, ultrahocherhitzt bzw. „H-Milch“, ESL(extended shelf life)-Milch, die bei höheren Temperaturen als „Frischmilch“ pasteurisiert wurde) ist in Form von Trinkmahlzeiten im 1. Lebensjahr nicht geeignet. Der hohe Gehalt an Protein und Mineralstoffen führt zu einer erhöhten renalen Belastung. Ein Teil der Säuglinge entwickelt okkulte Blutverluste im Stuhl, was zusammen mit dem niedrigen Eisengehalt der Milch die Risiken eines Eisenmangels erhöht. Rohmilch (Ab-Hof-Milch, Vorzugsmilch) darf auf keinen Fall für die Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern verwendet werden. Auch bei noch so guter Kontrolle kann ein Infektionsrisiko nicht ausgeschlossen werden, z. B. bezüglich Tuberkulose, Brucellose, Listeriose, Yersiniose und Enteritiden durch Campylobacter oder enterohämorrhagische E. coli. Das zur sicheren Keimabtötung erforderliche Abkochen der Milch im Haushalt führt zu wesentlich höheren Vitaminverlusten als molkereimäßige Behandlung.

Milch anderer Tierarten

Der Nährstoffgehalt von Ziegenmilch entspricht zwar weitgehend demjenigen von Kuhvollmilch, Ziegenmilch hat aber ein ähnlich hohes allergenes Potenzial wie Kuhmilch. Wegen des Mangels an Folsäure (Anämie) ist unveränderte Ziegenmilch nur zusammen mit folsäurereicher Beikost geeignet. Ziegenmilcheiweiß ist in der EU als Proteinquelle für Säuglingsnahrungen zugelassen. Bei der Verwendung von (fettarmer) Stutenmilch muss 2,5 % Speiseöl (z. B. Rapsöl) zugesetzt werden. Schafsmilch ist wegen ihres hohen Fettgehalts problematisch. Generell haben alle selbstzubereiteten Milchmischungen den Nachteil, dass sie nicht mit den erforderlichen Nährstoffen, wie z. B. Jod und Eisen, angereichert sind. In der Allergieprävention oder Therapie der Kuhmilcheiweißallergie sind Nahrungen auf Hydrolysatbasis eindeutig vorzuziehen.

Pflanzliche Nahrungen

In allen Altersstufen gänzlich ungeeignet als Milchersatz sind selbsthergestellte „Milchnahrungen“ aus rein vegetabilen Rohstoffen, wie Mandelmus, nicht für die Ernährung von Säuglingen deklarierte einfache Soja-Drinks, Reis- oder Hafer-Drinks. Aufgrund der geringen biologischen Wertigkeit der Pflanzenproteine, der geringen Energiedichte bei fehlender Fettzugabe, der schlechten Nährstoffausnutzung aus Rohgetreide, des Mangels an Mineralstoffen und Spurenelementen (z. B. Kalzium, Jod, Eisen) sowie an Vitaminen (z. B. B12, D, B2) kann es zu Wachstumsstörungen und teilweise irreparablen Mangelerscheinungen (Eisenmangelanämie, Rachitis, neurologische B12-Mangel-Symptome) kommen. Glutenhaltige Getreide (Weizen, Dinkel, Hafer, Gerste, Roggen) sollen nicht vor dem Alter von 4 Monaten eingesetzt werden, da eine unter Umständen vorhandene Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) sich umso stärker ausprägt, je jünger das Kind ist.

Trinkmengen und Zubereitung der Flaschennahrung

Die Trinkmenge in der 1. Lebenswoche wurde früher an der sog. Finkelstein-Formel orientiert:
$$ Trinkmenge=\left( Lebenstage-1\right)\times 70\ ml. $$
Prinzipiell kann und soll Säuglingsanfangsnahrung („Pre“) wie Muttermilch nach Bedarf gefüttert werden bis etwa 800 ml/Tag (maximal 1000 ml/Tag) bzw. 140–180 ml/kg KG bzw. etwa 1/6 des Körpergewichts. Wie engmaschige Dokumentationen der Trinkmengen flaschenernährter Säuglinge in den ersten 4 Lebensmonaten zeigen, steigt die Trinkmenge pro Tag in diesem Zeitraum kontinuierlich an, die Trinkmenge pro kg Körpergewicht erreicht ihr Maximum nach etwa 4 Lebenswochen und geht dann nach und nach zurück. Zusätzliche Flüssigkeit, z. B. Tee oder andere Getränke, sind nur in Ausnahmesituationen (Hitze, Fieber, Dehydratationszustände) indiziert.
Die Zubereitung der Flaschennahrung sollte gemäß der Anleitung auf der Verpackung (Abstreifen des Messlöffels mit dem Messerrücken!) erfolgen. Die Nahrung sollte aus hygienischen Gründen jeweils unmittelbar vor der Mahlzeit frisch zubereitet und unmittelbar verfüttert werden. Nicht verbrauchte Restmengen sind zu verwerfen. Für in Kliniken betreute Neu- und Frühgeborene (erhöhtes Risiko für Infektionen mit Enterobacter ssp., vor allem Cronobacter sakazakii) ist die bevorzugte Verwendung von sterilen, trinkfertig portionierten Flüssignahrungen zu erwägen. In Kliniken und Säuglingsheimen sollte Milchnahrung nach der Zubereitung gekühlt (4–8 °C) bzw. bei Raumtemperatur nicht länger als 4 Stunden (z. B. bei protrahierter Fütterung) aufbewahrt werden. Gebrauchte Flaschen und Sauger sollten direkt nach der Mahlzeit (nach kaltem Vorspülen) mit warmem Wasser, Spülmittel und Bürste gereinigt und anschließend trocken aufbewahrt werden. Für die Nahrungszubereitung wird frisch aus der Kaltwasserleitung entnommenes Trinkwasser ohne Verwendung von Wasserfiltern verwendet. Wird bei hygienischen Bedenken in den ersten Lebenswochen oder -monaten das Leitungswasser abgekocht, sollte es bis zur Verwendung auf 30–40 °C abgekühlt sein. Nicht geeignet für die Zubereitung von Säuglingsnahrung ist Leitungswasser, das in Einzelfällen den Höchstwert von 50 mg Nitrat/l überschreitet (Auskunft bei Wasserwerk oder Gesundheitsamt). Wasser aus Bleileitungen sowie Wasser aus Kupferleitungen bei einem Wasserhärtebereich 4 und pH-Wert <7,3 bzw. weicherem Wasser und pH-Wert <7,0 ist ebenfalls ungeeignet. Ist das Leitungswasser nicht geeignet, sollte auf abgepacktes „stilles“ Wasser (Mineral-, Quell- oder Tafelwasser) ausgewichen werden, das als „geeignet für die Zubereitung von Säuglingsnahrung“ deklariert ist und pro Liter maximal 10 mg Nitrat, 0,02 mg Nitrit, 20 mg Natrium, 0,7 mg Fluorid, 0,05 mg Mangan, 0,005 mg Arsen, 0,002 mg Uran und 240 mg Sulfat enthält. Bei Verwendung von Wasser aus Hausbrunnen in Verbindung mit Kupferrohren und Kupfergefäßen mit mehr als 10 mg Kupfer/l wurden in Einzelfällen Leberzirrhosen bei Säuglingen beobachtet.

Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr

Im 1. Lebensjahr sind ernährungs- und entwicklungsphysiologisch 3 Abschnitte (Abb. 1) zu unterscheiden.

Ausschließliche Milchernährung

Die allermeisten Säuglinge gedeihen bei ausschließlichem Stillen in den ersten 6 Monaten gut. Nicht- oder teilgestillte Säuglinge erhalten eine geeignete Muttermilchersatznahrung (Abschn. 2.2). Wie in Abb. 1 gezeigt, werden in den ersten 4 Lebensmonaten ausschließlich Stillen oder gegebenenfalls Säuglingsanfangsnahrungen (Bemerkung: auch 2-er-Nahrungen sind Muttermilchersatznahrungen – in Österreich erhalten in den ersten 6 Monaten fast 50 % der Kinder 2-er-Nahrungen) empfohlen. Danach kann individuell mit Beikost begonnen werden. Limitierend bei Muttermilchernährung wird im Alter von 5–6 Monaten neben Energie und Protein insbesondere Eisen, nach Verbrauch der perinatalen Speicher, was im Säuglings- und Kleinkindalter nicht nur zu Anämie, sondern auch zu Beeinträchtigung der psychomotorischen und mentalen Entwicklung führt. Andererseits ist die neurophysiologische Entwicklung im Alter von 4–5 Monaten so weit fortgeschritten, dass der Saugreflex und seine Zungenbewegungen abgelöst werden und das Kind die Löffelfütterung akzeptiert. Jetzt kann das Kind aufrecht sitzen, die Kopfhaltung kontrollieren sowie Hunger (Öffnen des Mundes) und Sättigung (Verweigerung) äußern (Kap. „Wachstum und Entwicklung im Säuglingsalter“). Ein mit gesundheitlichen Aspekten begründeter fester Alterszeitpunkt für die Einführung von Beikost kann aus den verfügbaren Studien nicht abgeleitet werden.

Schrittweise Einführung von Beikost

Frühestens ab dem Beginn des 5., spätestens ab dem Beginn des 7. Monats beginnt die schrittweise Ergänzung der Milchernährung durch Beikost (Abb. 1). Einführung und Zusammensetzung der Beikost können für Säuglinge ohne und mit Atopiegefährdung nach dem gleichen Ernährungsschema (Abb. 1) gehandhabt werden. Die Beikost wird durch nationale Ernährungsgewohnheiten geprägt. Im deutschen Sprachraum hat sich das in Abb. 1 gezeigte Beikostschema bewährt. Der Beginn mit einem Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei verbessert insbesondere die Eisenversorgung durch optimal resorbierbares Hämeisen aus Fleisch sowie die Vitaminversorgung (Tab. 6). Ein- bis zweimal in der Woche kann Fleisch durch fettreichen Seefisch (langkettige, mehrfach ungesättigte Omega-3-Fettsäuren) ausgetauscht werden. Der etwa 1 Monat später folgende Milch-Getreide-Brei dient vor allem der Versorgung mit Mineralstoffen (besonders Kalzium). Der Milch-Getreide-Brei kann mit einer Säuglingsmilchnahrung oder mit Kuhvollmilch zubereitet werden. Der nach einem weiteren Monat folgende milchfreie (proteinarme) Getreide-Obst-Brei ergänzt die Nährstoffzufuhr. Die Rezepte für die Selbstzubereitung der Beikost (Tab. 6) aus wenigen nährstoffreichen Lebensmitteln in resorptionsfördernden Kombinationen ergänzen sich wie in einem Baukastensystem zu einer Gesamtzufuhr an Nährstoffen gemäß den aktuellen Empfehlungen.
Tab. 6
Mahlzeiten und Lebensmittel in der Beikost. Mengen in Abhängigkeit vom Alter
Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei
Milch-Getreide-Brei
Getreide-Obst-Brei
Selbst zubereitete Beikostmahlzeiten
90–100 g Gemüse
200 g Milch
20 g Vollkorn-Getreideflocken
40–60 g Kartoffeln
20 g Vollkorn-Getreideflocken
100 g Obst
15–20 g Obstsaft a
20 g Obstsafta, -püree
5 g Rapsöl
20–30 g Fleisch
 
90 g Wasser
8–10 g Rapsöl
  
Oder industriell hergestellte Beikostmahlzeiten
Baby-/Junior-Menü (Gläschenkost), Becher
Milchfertigbrei (Trockenprodukte, Gläschenkost)
Getreide-Obst-Brei (Gläschenkost)
aOrangensaft oder andere Obstsäfte für Säuglinge mit Vitamin-C-Zusatz
Bei Verzicht auf Fleisch kann ein vegetarischer Gemüse-Vollkorn-Brei eingesetzt werden. Für die Selbstherstellung eignet sich folgendes Rezept: 100 g Gemüse + 50 g Kartoffeln + 10 g Haferflocken +30 g Vitamin-C-reicher Obstsaft (-püree) +20 g Wasser +8 g Rapsöl. Industriellen Produkten (Gemüse-Vollkorn-Menü) sollte Vitamin C in Form von Obstsaft oder -püree zugegeben werden, um die geringe Bioverfügbarkeit von 3-wertigem Eisen aus pflanzlichen Lebensmitteln zu verbessern. Für diese ernährungsphysiologisch plausible Empfehlung liegen in Deutschland aber keine Daten zur tatsächlichen Umsetzung und zum darunter erzielten Eisenstatus vor.
Jod kann nur bei Verwendung von Produkten mit Jodzusatz (kommerzielle Getreidebreie) in empfehlungsentsprechenden Mengen zugeführt werden. Bei ausschließlicher Selbstzubereitung der Beikost kann durch Jodsupplementierung mit Tabletten (50 μg/Tag) die empfohlene Jodzufuhr im 2. Lebenshalbjahr (Tab. 5) erreicht werden. Grundsätzlich kann bei der Beikost zwischen Selbstzubereitung und Verwendung kommerzieller Produkte frei gewählt werden (Tab. 6). Auskunft über die Zutaten von kommerziellen Produkten gibt die obligatorische Zutatenliste auf der Verpackung (in absteigender Reihenfolge der Gehalte im Produkt). Die gesetzlich geforderte Rückstandsminimierung der kommerziellen Beikost bietet einen zusätzlichen Sicherheitsstandard gegenüber der Selbstzubereitung aus Lebensmitteln des üblichen Verzehrs, führt aber zusammen mit dem höheren Conveniencegrad zu höheren Preisen der Fertigprodukte. Aber auch die Lebensmittel des üblichen Verzehrs sind für die Ernährung von Säuglingen ausreichend sicher. Selbsthergestellte Beikost bietet eine größere Geschmacksvariation und Annäherung an die spätere gemischte Kost der Familie als kommerzielle Produkte. Abwechslung der Breizutaten vor allem bei Gemüse und damit verbundene frühe Erfahrungen mit geschmacklicher Vielfalt bei der Einführung der Beikost, kann die Akzeptanz neuer Lebensmittel bis in das Vorschulalter erhöhen. Das Vermeiden oder eine spätere Einführung von Lebensmitteln, die besonders häufig Allergien auslösen, bietet keinen Schutz vor Allergien.
Gluten kann in kleinen Mengen im Rahmen der Beikosteinführung, z. B. Nudeln, gegeben werden. Eine verzögerte Einführung nach dem 6. Lebensmonat von glutenhaltigen Getreiden bei genetisch prädisponierten Kindern scheint die Zöliakiemanifestation hinauszuschieben, kann sie aber nicht verhindern.
Kuhmilch ist ein nährstoffdichtes Lebensmittel und sollte demzufolge nicht als Getränk, sondern als Lebensmittel betrachtet werden. Kuhmilch kann zur Herstellung des 2. Breis (Milch-Getreide-Brei) oder von z. B. Kartoffelpüree in Mengen bis zu 200 ml/Tag verwendet werden. Gegen Ende des 1. Lebensjahrs kann damit begonnen werden, statt des Milch-Getreide-Breis das Getreide in Form von Brot und die Milch in Form herkömmlicher Trinkmilch (sog. Vollmilch) in den oben angegebenen Mengen von 200 ml zu verabreichen, wenn das Kind die Milch selbstständig aus Tasse oder Becher trinken kann (Abb. 1). Vom Füttern anderer, nicht auf den besonderen Bedarf von Säuglingen abgestimmter Milchprodukte wie Quark/Topfen, Pudding usw. oder von der Verwendung von Milch anderer Tierarten (Schafmilch, Ziegenmilch) wird im 1. Lebensjahr abgeraten.

Schrittweise Einführung von Familienkost

Gegen Ende des 1. Lebensjahres gehen die Brei- und Milchmahlzeiten der Säuglingsernährung schrittweise in die Haupt- und Zwischenmahlzeiten der Familienernährung über (Abb. 1). Die meisten Kinder können sich im Alter von etwa 9–12 Monaten selbst füttern und einen Becher beim Trinken selbst halten. Die interindividuelle Variabilität der Entwicklung der Essfertigkeiten ist groß. Die Mahlzeiten des Kindes sollten nach Möglichkeit nicht gesalzen und nicht stark gewürzt werden. Am Ende des 1. Lebensjahres verträgt das Kind fast alle Lebensmittel. Vorsicht ist noch geboten bei stark blähenden Lebensmitteln (Hülsenfrüchte, Kohl) und sehr kleinen, harten Lebensmitteln, die beim Verschlucken leicht in die Luftröhre gelangen können (Nüsse, rohe Karottenstücke). Wenn alle 3 Breimahlzeiten eingeführt sind und die Nahrung fester wird, entsteht Bedarf an zusätzlicher Flüssigkeitszufuhr (ca. 1 Becher Wasser pro Tag). Nach dem 1. Lebensjahr sind spezielle Lebensmittelfertigprodukte für Kleinkinder (z. B. Milchnahrungen, Menüs) nicht mehr erforderlich. Die Kinder können und sollen jetzt aus ernährungserzieherischen Gründen an den Mahlzeiten der Familie teilnehmen.

Supplemente für Säuglinge

Postnatal sollten alle gesunden Säuglinge zur Vorbeugung gegen Vitamin-K-Mangel-Blutungen Vitamin K oral erhalten. Die Empfehlung lautet: je 2 mg Vitamin K (z. B. 2 Tropfen Konakion bzw. Konakion MM) anlässlich der Vorsorgeuntersuchungen U1–U3 am 1. und 2.–7. Tag (in Österreich 4. bis 6. Tag) sowie in der 4.– 6. Woche. Bei Anzeichen von gestörter Resorption ist die i.m.- oder s.c.-Gabe (0,1–0,2 mg am 1. Tag) vorzuziehen. Weitere Vitamin-K-Gaben (parenteral oder oral) zur Prävention der späten Vitamin-K-Mangel-Blutungen müssen in Abhängigkeit vom klinischen Zustand erfolgen.
Ab der 2. Woche wird während des gesamten 1. Lebensjahres und in den Wintermonaten des 2. Lebensjahres die Supplementierung von Vitamin D (400–500 IE/Tag in Tablettenform oder in Österreich in Tropfenform) zur Vorbeugung eines Vitamin-D-Mangels und von Rachitis empfohlen. Sie wird mit der Gabe von Fluorid zur Kariesprophylaxe kombiniert (Kap. „Zahnärztliche Untersuchung und Prophylaxe bei Kindern und Jugendlichen“). Säuglinge und Kleinkinder (≤3 Jahre) erhalten bei einem Fluoridgehalt des Trinkwassers bis maximal 0,3 mg/l (in Deutschland die Regel) täglich 0,25 mg Fluorid als Tabletten, selbst wenn die Familie fluoridiertes Jodsalz verwendet. Bei höherem Fluoridgehalt des Trinkwassers entfällt die Tablettengabe von Fluorid.

Vegetarische Ernährung

Die Zahl der Menschen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren nimmt zu. Eine ausgewogene laktoovovegetarische Ernährung kann auch im Säuglingsalter den Nährstoffbedarf decken sowie ein normales Wachstum und eine altersentsprechende Entwicklung ermöglichen. Auf die Möglichkeit einer besseren Eisenresorption aus pflanzlichen Lebensmitteln wurde in Abschn. 5.2 hingewiesen).
Das Risiko für schwere Vitamin-B12-Mangel-Symptome bei Säuglingen von schwangeren und stillenden Müttern mit veganer Ernährung ohne Vitamin-B12-Nahrungsergänzung ist hoch. Eine vegane Ernährung (ohne Zufuhr tierischer Lebensmittel) führt ohne konsequente Supplementierung über einen längeren Zeitraum regelmäßig zu einem Mangel an Vitamin B12. Eine Supplementierung ist hier unbedingt notwendig. Zusätzlich sollte auf die Zufuhr an Eisen, Zink, Jod, DHA, Kalzium, Protein und Energie geachtet werden, um ernste klinische Folgen wie Gedeihstörung, Anämien oder neurologische Schädigungen zu vermeiden.
Auf Grund der genannten Risiken wird von einer veganen Ernährung von Säuglingen abgeraten. Klar abzulehnen sind noch restriktivere, Ernährungsformen wie die makrobiotische, rohköstliche oder frutarische Ernährung.

Baby-led weaning – Baby-geführtes Abstillen

Baby-led weaning (Baby-geführtes Abstillen, BLW) ist ein Konzept der Beikosteinführung, das sich in den letzten Jahren international vor allem in Großbritannien und Neuseeland und im Internet verbreitet hat. Dabei soll der Übergang vom ausschließlichen Stillen oder der Fütterung von Muttermilchersatznahrung zu fester Nahrung (Beikost) im Wesentlichen vom Säugling selbst gesteuert werden. Der Säugling wird in dieser Zeit weiter gestillt oder mit Muttermilchersatznahrung gefüttert, zusätzlich werden ihm mundgerecht geschnittene, zerkleinerte Nahrungsstückchen angeboten, die gegriffen, gekostet und gegessen werden. Wie beim Stillen nach Bedarf soll der Säugling die Menge, die er essen will, selbst bestimmen und zusätzlich eine Auswahl treffen.
Die Datenlage hinsichtlich einer wissenschaftlichen Aufarbeitung dieses Konzeptes auf die Energie- und Nährstoffzufuhr sowie Wachstum und Gesundheit ist dürftig. Folgende Probleme können sich durch Baby-led weaning als ausschließliche Form der Beikost ergeben: eine unzureichende Energie- und Nährstoffzufuhr durch geringe Verzehrsmengen und die eingeschränkte Eignung vieler nährstoffreicher Lebensmittel für das BLW, dies vor allem bei Kindern, die in ihrer motorischen Entwicklung verzögert sind. Andererseits kann BLW als Möglichkeit angesehen werden, die Gewöhnung an unterschiedliche Geschmacksrichtungen und Konsistenzen von Lebensmitteln im 2. Lebenshalbjahr gegenüber herkömmlichen (Fertig)Breien zu fördern.
Beikosteinführung als Fingerfood und die traditionelle Breieinführung müssen sich nicht gegenseitig ausschließen. Familien können den Weg wählen, der für sie passend und durchführbar ist. Die Mischung aus der traditionellen Beikosteinführung und dem BLW-Konzept könnte einen spielerischen Zugang zum Essen für das Kind bringen.

Normale Ernährung von Neugeborenen und Säuglingen – Umsetzung in der Schweiz

Die derzeitigen Empfehlungen für die Säuglingsernährung in der Schweiz basieren auf einer Stellungnahme der Ernährungskommission (EK) der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie (SGP) in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) und der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) im Jahre 2017. Sie hält sich im Aufbau wesentlich an das entsprechende Kapital in diesem Lehrbuch für Pädiatrie.

Rechtliche Regelungen

In der Schweiz sind Begriffe, Anforderungen, Kennzeichnung, Aufmachung, Werbung und Meldepflicht von Säuglingsanfangs- und Folgenahrungen sowie auch Beikost für Säuglinge und Kleinkinder durch die Verordnung des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) über Lebensmittel für Personen mit besonderem Ernährungsbedarf (VLBE, Stand 01.05.2017) und die Lebensmittel- und Gebrauchsgegenstände Verordnung (LGV, Stand 15.10.2019) geregelt. Dabei müssen spezielle Kriterien der EU-Richtlinien (VLBE, Anhang 2, 3 und 4) hinsichtlich Zusammensetzung und zulässiger Werbebehauptungen erfüllt sein. Bei den Anfangsnahrungen muss als wichtiger Hinweis „die Überlegenheit des Stillens“ erwähnt sein sowie die Empfehlung, dass das Produkt nur auf Rat unabhängiger Fachleute auf dem Gebiet der Medizin oder der Ernährung oder für die Säuglingspflege zuständiger Fachpersonen zu verwenden sei (Art. 7d). Ein Kodexpanel aus Vertretern der Säuglingsanfangsnahrungs-Hersteller und der Schweizerischen Stiftung zur Förderung des Stillens überwacht diese Regelungen auf freiwilliger Basis.

Säuglingsanfangsnahrungen und Folgenahrungen

Die Optimierung der Säuglingsnahrungen (betrifft Eiweiß, langkettige Fettsäuren, Zusatz von Prä- und Probiotika, Nukleotide und Oligosaccharide) hat zu einer Ausdehnung der Bezeichnung von einzelnen Produkten geführt, wie z. B. Optipro, Pronutra, Combiotik Profutura. Manche Produkte führen auch die Bezeichnung Bio. Als Proteinquelle sind Kuhmilch-, Ziegenmilch- und Soja-Protein zugelassen. Anfangsnahrungen sind klassifiziert in Pre-, 0- und 1-Nahrungen, Folgemilchen in 2- und 3-Nahrungen. Die bisher verwendeten Folgenahrungen mit Zusatz von Gemüse und Früchten (eine alte Schweizer Tradition) sind mit einer Ausnahme verschwunden. Einzelne Produkte werden auch in flüssiger, trinkfertiger Form, v. a. für Kliniken, angeboten. Neu ist eine Anfangs- und Folgemilch auf Ziegenmilchbasis in der Schweiz erhältlich, auf Sojaproteinbasis existiert nur eine Anfangsmilch im Handel.
Der Zusatz von Prä- und Probiotika ahmt entsprechend anderen Bestandteilen in den Säuglingsmilchen die Verhältnisse in der Muttermilch nach. Insbesondere hat das Mikrobiom der Muttermilch eine wichtige Bedeutung für die Entwicklung des intestinalen Säuglingsmikrobioms. Ein klinisch relevanter Vorteil von mit Prä- und/oder Probiotika angereicherten Säuglingsmilchen gegenüber solchen ohne diese Zusätze war bisher nicht erkennbar, sodass sich derzeit keine generelle Empfehlung aussprechen lässt.

Sojanahrungen

Die Angaben zu den Sojanahrungen entsprechen Abschn. 2.3. Sie sollen nur zurückhaltend eingesetzt werden, z. B. bei Familien mit veganer Ernährung oder bei Galaktosämien.

Proteinhydrolysate

Neu, und anders als in Deutschland und Österreich, lehnt die Ernährungskommission der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie (SGP) in ihren Empfehlungen 2017 eine optionale Empfehlung zum Einsatz von partiellen und extensiven Proteinhydrolysaten zur Allergieprävention aufgrund der aktuellen Datenlage ab. Unbestritten ist der Einsatz der extensiven Hydrolysate zur Behandlung einer Kuhmilchallergie.
Neben den bereits erwähnten, extensiv hydrolysierten Milchen sind hier die Nahrungen auf der Basis von Aminosäuren aufzuführen, die v. a. für Kinder mit angeborenen Stoffwechselstörungen und schweren Malabsorptionen eingesetzt werden. Sie werden in den schweizerischen Empfehlungen nicht aufgeführt.

Weitere Bemerkungen

Bei den Kapiteln über selbsthergestellte Säuglingsmilch (Kuhmilch, Milch anderer Tierarten, pflanzliche Nahrungen) sowie Trinkmengen und Zubereitung der Flaschennahrung bestehen keine abweichenden Empfehlungen.

Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr

Den im Abschn. 5 ausgeführten grundlegenden Angaben zur Beikost können wir uns anschließen. Im Gegensatz zur Abbildung über den Ernährungsplan in Deutschland besteht in der Schweiz nach gemeinsam Beschluss von SGP, BLV und SGE (2018) nur ein Plan für die Einführung der einzelnen Lebensmittel in die Ernährung des Säuglings und Kleinkinds (Abb. 2) ohne die Begriffe Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei oder Milch-Getreide-Brei zu erwähnen. Festgehalten wird ebenfalls der Beginn der Beikost im 5.–7. Monat. Bis zum Alter von 8 Monaten soll 2- bis 3-mal täglich Beikost, im Alter von 9–11 Monaten 3- bis 4-mal täglich Beikost mit Übergang zum Familienessen gegeben werden und von 12–24 Monaten 3–4 Mahlzeiten und 1–2 Zwischenmahlzeiten, z. B. eine Frucht oder ein Stück Brot. Beikost in Form von Brei soll mit dem Löffel oder in Form von Fingerfood angeboten werden. Zutaten wie Salz, Zucker und andere Süßstoffe sind beschränkt einzusetzen. Brei in Gläschen müssen nach dem Öffnen kühl aufbewahrt und innerhalb von 48 Stunden konsumiert werden.

Supplemente

Gemäss den Empfehlungen der Ernährungskommission der Schweiz. Gesellschaft für Pädiatrie (SGP) sollte Vitamin K mindestens 3-mal in den ersten Lebenswochen (mit 4 Stunden, 4 Tagen und 4 Wochen) gegeben werden. Vitamin D wird in der Säuglingszeit täglich in einer Dosis von 400 IE, im 2. und 3. Lebensjahr mit 600 IE als Tropfen empfohlen. Jod wird nicht generell als zusätzliches Supplement empfohlen. Stillende Mütter sollen jodhaltiges Salz verwenden und bei selbsthergestellter Beikost jodhaltige Lebensmittel wählen oder Jod supplementieren. Auch Fluorid wird nicht zusätzlich empfohlen. Hingegen sollte ab dem 1. Milchzahn fluoridhaltige Kinderzahnpasta angewendet werden. Nach dem 1. Lebensjahr trägt jodiertes und fluoridiertes Salz zur Versorgung mit diesen Nährstoffen bei. Auch für das 2.–3. Lebensjahr bestehen im Rahmen der genannten BLV-Broschüre Angaben zu einer ausgewogenen und gesunden Ernährung der Kleinkinder, welche sich am Konzept der Optimierten Mischkost in Deutschland orientieren.
Weiterführende Literatur
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