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Pädiatrie
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Publiziert am: 01.04.2019

Peroxisomale Krankheiten

Verfasst von: Jutta Gärtner und Hendrik Rosewich
Die Organellbezeichnung Peroxisom wurde 1966 von de Duve und Baudhuin eingeführt und geht auf den Gehalt an Wasserstoffperoxiden zurück, die durch Oxidasen gebildet und durch Katalase abgebaut werden. Peroxisomen kommen in allen menschlichen Zellen mit Ausnahme der Erythrozyten vor. Die Organellmembran besteht aus peroxisomenspezifischen integralen Membranproteinen. Die peroxisomale Matrix enthält mehr als 50 Enzyme für eine Vielzahl anabolischer Funktionen, wie z. B. Plasmalogenbiosynthese, Gallensäuresynthese, und auch katabolischer Funktionen, wie z. B. Abbau von Wasserstoffperoxiden, von überlangkettigen Fettsäuren („very long chain fatty acids“, VLCFA) und von Phytansäure. Die besondere Bedeutung von Peroxisomen für das menschliche Stoffwechselnetzwerk zeigen autosomal-rezessiv und X-chromosomal vererbte Krankheiten der Peroxisomen.

Grundlagen

Die Organellbezeichnung Peroxisom wurde 1966 von de Duve und Baudhuin eingeführt und geht auf den Gehalt an Wasserstoffperoxiden zurück, die durch Oxidasen gebildet und durch Katalase abgebaut werden. Peroxisomen kommen in allen menschlichen Zellen mit Ausnahme der Erythrozyten vor. Die Organellmembran besteht aus peroxisomenspezifischen integralen Membranproteinen. Die peroxisomale Matrix enthält mehr als 50 Enzyme für eine Vielzahl anabolischer Funktionen, wie z. B. Plasmalogenbiosynthese, Gallensäuresynthese, und auch katabolischer Funktionen, wie z. B. Abbau von Wasserstoffperoxiden, von überlangkettigen Fettsäuren („very long chain fatty acids“, VLCFA) und von Phytansäure.
Die Bildung neuer Peroxisomen erfolgt entweder de novo oder durch Teilung bereits bestehender Peroxisomen. Peroxisomale Membran- und Matrixproteine werden im Zytoplasma an freien Polyribosomen synthetisiert und anschließend in die peroxisomale Membran bzw. Matrix transportiert. Die Erkennungssignale („peroxisomal targeting signal“, PTS) für den zytosolischen Transport sowie den Import peroxisomaler Matrixproteine in das Peroxisom sind ein Tripeptid am carboxyterminalen (PTS1) oder eine Gruppe von Aminosäuren am aminoterminalen Ende des Proteins (PTS2). Derzeit sind 16 unterschiedliche Gene (PEX-Gene) bekannt, die für die Entstehung menschlicher Peroxisomen bedeutend sind.
Peroxisomale Stoffwechselkrankheiten können in 2 Hauptgruppen eingeteilt werden (Tab. 1). Die 1. Gruppe umfasst peroxisomale Biogenesedefekte (PBD), bei denen Peroxisomen nicht oder nur sehr unvollständig gebildet werden. Defekte in multiplen peroxisomalen Stoffwechselwegen sind die Folge. Die 2. Gruppe umfasst isolierte peroxisomale Enzym- bzw. Proteindefekte, bei denen funktionell eingeschränkte Peroxisomen vorliegen.
Tab. 1
Klassifikation peroxisomaler Krankheiten nach genetischem Defekt und biochemischen Veränderungen
Krankheitsform
Gendefekt
OMIM
Biochemische Veränderungen
VLCFA
PR
PH
D/THCS
PL
Peroxisomenbiogenesedefekte (PBD)
Zellweger-Syndrom-Spektrum (ZSS)
Multiple Gendefekte:
- Zellweger-Syndrom
- Atypisches Zellweger-Syndrom
- Neonatale Adrenoleukodystrophie (NALD)
- Infantiler Morbus Refsum (IMR)
PEX1 (ca. 60 % der Fälle)
602.136
↑*
↑*
PEX2
170.993
PEX3
603.164
PEX5
600.414
PEX6
601.498
PEX10
602.859
PEX11β
603.867
PEX12
601.758
PEX13
601.789
PEX14
601.791
PEX16
603.360
PEX19
600.279
PEX26
608.666
Rhizomelia chondrodysplasia punctata Typ 1 (RCDP1)
PEX7
601.757
N
N
↑*
N
Rhizomelia chondrodysplasia punktata Typ 5 (RCDP5)
PEX5
616.716
N–(↑)
   
Isolierte peroxisomale Enzym- bzw. Proteindefekte
ABCD1
300.100
N
N
N
N
Peroxisomale β-Oxidation
       
- Acyl-CoA-Oxidasedefizienz
ACOX1
264.470
N
N
N
N
- D-bifunktionale Proteindefizienz
HSD17B4
261.515
↑*
↑*
N
- 2-Methyl-acyl-CoA-Racemase-Defizienz
AMACR
614.307
N
↑*
*↑
N
Plasmalogenbiosynthese
       
- Dihydroxyacetonphosphat-Acetyltransferase-Defizienz (RCDP2)
GNPAT
222.765
N
N
N
N
- Alkyldihydroxyacetonphosphatsynthase-Defizienz (RCDP3)
AGPS
600.121
N
N
N
N
- Peroxisomale Acyl-CoA-Reduktase_1-Defizienz (RCDP4)
FAR1
616.154
N
   
Peroxisomale α-Oxidation
       
- Phytanoyl-CoA-Hydroxylase-Defizienz (Morbus Refsum)
PAHX/PHYH
602.026
N
N
N
N
Peroxysomaler Glyoxylat-Metabolismus
       
- Alanin-Glyoxylat-Aminotransferasedefizienz (Hyperoxalurie Typ 1)
AGXT
259.900
N
N
N
N
N
Peroxisomaler Wasserstoffperoxid-Metabolismus
       
- Acatalasämie
CAT
115.500
N
N
N
N
N
VLCFA very long chain fatty acids (überlangkettige Fettsäuren, ≥C22), PR Pristansäure, PH Phytansäure, D/THCS Di- und Trihydroxycholestansäure, PL Plasmalogene, RCDP Rhizomelia chondrodysplasia punctata, OMIM Online Mendelian Inheritance in Man, N Normbereich
*Die Konzentrationen der Pristan- und Phytansäure sind abhängig von der Diät

Peroxisomenbiogenesedefekte (PBD)

Definition und Epidemiologie
Patienten, bei denen eine Störung in der Entwicklung des Organells Peroxisom vorliegt, werden als „Peroxisome-biogenesis-defect-Patienten“ (PBD-Patienten) bezeichnet. Das zerebrohepatorenale Syndrom oder Zellweger-Syndrom ist der Prototyp dieser Krankheitsgruppe. Die dem Zellweger-Syndrom ähnlichen anderen Krankheiten dieser Gruppe mit milderer klinischer Ausprägung und längerer Überlebensdauer wurden entsprechend den zuerst entdeckten biochemischen Leitmetaboliten und dem klinischen Phänotyp ursprünglich als atypisches Zellweger-Syndrom (Pseudo-Zellweger-Syndrom), neonatale Adrenoleukodystrophie oder infantiler Morbus Refsum beschrieben. Diese Erkrankungsformen werden jetzt in Kenntnis des gemeinsamen molekularen Hintergrunds als ein Kontinuum der klinischen Ausprägung angesehen und als Zellweger-Syndrom-Spektrum (ZSS) bezeichnet. Die Rhizomelia chondrodysplasia punctata Typ 1 und Typ 5 grenzen sich klinisch durch die Rhizomelie vom ZSS ab. Peroxisomenbiogenesedefekte werden autosomal-rezessiv vererbt und haben eine geschätzte Inzidenz von 1:50.000 bis 1:200.000.
Ätiologie und Pathogenese
Die gestörte Peroxisomenbildung der Patienten ist auf Fehler im Aufbau der Organellmembran und/oder im Importsystem peroxisomaler Matrixproteine zurückzuführen. Eine Gruppe peroxisomaler und peroxisomenassoziierter Proteine, genannt Peroxine, sind die Bausteine der Peroxisomen mit unterschiedlichen Teilfunktionen (Rezeptorproteine, Ubiquitinkonjugation, ATPasen, Zinkfinger-Proteine etc.). Peroxine werden von PEX-Genen kodiert. Bei Patienten des Zellweger-Syndrom-Spektrums sind Mutationen in 14 unterschiedlichen PEX-Genen nachweisbar. Etwa zwei Drittel der Patienten weisen Mutationen im PEX1-Gen auf; hierbei liegen die Missense-Mutation G843D (c.2528G>A) am häufigsten und die Insertion I700YfsX42 (c.2097insT) am zweithäufigsten vor. Bei Patienten mit Rhizomelia chondrodysplasia punctata Typ 1 liegen Mutationen im PEX7-Gen und bei Patienten mit Rhizomelia chondrodysplasia punctata Typ 5 Mutationen im PEX5-Gen vor.
Klinische Symptome und Verlauf
Trotz der vielen unterschiedlichen PEX-Gendefekte ist das klinische Bild der einzelnen Krankheiten ähnlich und gut definierbar (Tab. 2).
Tab. 2
Klinische Merkmale der Patienten mit Peroxisomenbiogenesedefekt (PBD)
Merkmale
Zellweger-Syndrom-Spektrum
RCDP1
RCDP5
Zellweger-Syndrom (ZS)
Klinisch mildere Varianten (früher: atypisches ZS, NALD, IMR)
Überlebensdauer
<1 Jahr
>1 Jahr
>1 Jahr
>1 Jahr
Dysmorphiezeichen
+++
++
+++
++
Zerebral
    
- Muskelhypotonie
+++
++
++
+
- Krampfanfälle
+ bis +++
- bis +++
++
+
- Psychomotorische Retardierung
+++
++ bis +++
+++
+
- Trinkschwäche
+++
- bis ++
++
+
- Gedeihstörung
+++
+ bis ++
++
++
Okulär
    
+ bis ++
- bis +
+++
+++
- Optikusatrophie
++
- bis ++
++
 
- Retinopathie
++
- bis ++
++
-
Hepatorenal
    
- Hepatomegalie
+++
+ bis ++
+
-
- Leberfibrose bzw. -zirrhose
+ bis +++
+ bis ++
+
-
- Nierenzysten
++ bis +++
+ bis ++
-
-
Skelettsystem
    
- Vorzeitige Patellaverkalkung
++
+
++
++
- Rhizomelie
-
-
++
+
RCDP Rhizomelia chondrodysplasia punctata, NALD neonatale Adrenoleukodystrophie, IMR infantiler Morbus Refsum
Klassisches Zellweger-Syndrom
Patienten des Zellweger-Syndrom-Spektrums mit klassischem Zellweger-Syndrom fallen durch ein typisches Gesicht mit flacher, hoher Stirn, tiefer Nasenwurzel, weit offener großer Fontanelle und klaffenden Schädelnähten, Hypertelorismus, Epikanthus, leicht mongoloider Lidachse, Mikrognathie und dysplastischen Ohrmuscheln auf (Abb. 1a). Neurologische Auffälligkeiten wie muskuläre Hypotonie (Abb. 1b), Hypo- und Areflexie, Trinkschwäche, Gedeihstörungen, Krampfanfälle, sensorineurale Schwerhörigkeit und schwere psychomotorische Entwicklungsstörung können weitere Hinweise geben. Die Patienten versterben meist in den ersten Lebensmonaten.
Atypisches Zellweger-Syndrom, neonatale Adrenoleukodystrophie und infantiler Morbus Refsum
Patienten des Zellweger-Syndrom-Spektrums mit dem klassischen Zellweger-Syndrom ähnlichen, aber weniger stark ausgeprägten klinischen Symptomen, wurden früher als atypisches Zellweger-Syndrom (Pseudo-Zellweger-Syndrom), neonatale Adrenoleukodystrophie und infantiler Morbus Refsum bezeichnet (Abb. 2). Die Überlebensdauer dieser klinisch milderen Varianten kann mehrere Jahre bis Jahrzehnte betragen.
Rhizomelia chondrodysplasia punctata Typ 1 und Typ 5
Patienten mit Rhizomelia chondrodysplasia punctata Typ 1 unterscheiden sich klinisch von Patienten des Zellweger-Syndrom-Spektrums (Abb. 3). Klinisch-radiologische Leitsymptome sind neben dem auffälligen Gesicht vor allem die Verkürzung der proximalen langen Röhrenknochen, punktförmige Verkalkungen der Epiphysen und Wachstumsstörungen. Die Patienten sind ebenfalls muskulär hypoton und weisen eine psychomotorische Entwicklungsverzögerung auf. Katarakte und eine Ichthyose sind weitere mögliche Symptome. Die Überlebensdauer der Patienten beträgt mehrere Jahre bis Jahrzehnte.
PEX11β-Patient
Der einzige Patient, der bis heute mit einer Mutation im PEX11β-Gen beschrieben wurde, hatte kongenitale Katarakte, einen Nystagmus, eine sensorineurale Schwerhörigkeit, eine Lernbehinderung, eine Migräne mit Fotophobie sowie gastrointestinale Probleme. Der Patient wurde erst im Alter von 26 Jahren diagnostiziert, die biochemischen peroxisomalen Leitmetaboliten zeigten sich unauffällig. Es konnte ein durch eine Nonsense-Mutation im PEX11β-Gen bedingter Defekt in der Teilung von Peroxisomen gezeigt werden.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Das auffällige Aussehen und die neurologischen Auffälligkeiten der Patienten geben diagnostische Hinweise. Die Diagnose kann biochemisch und/oder molekulargenetisch gestellt werden. Zu den biochemischen Untersuchungen gehören die Bestimmung der Konzentration an VLCFA, an Phytan- und Pristansäure, an Di- und Trihydroxycholestanolsäure in Serum oder Plasma und des Plasmalogengehalts in Erythrozyten (Tab. 1). Anhand der molekulargenetischen Untersuchung kann der Nachweis von Mutationen in einem der 14 derzeit bekannten humanen PEX-Gene erfolgen. Dies ist Voraussetzung für die Identifizierung von Überträgern. Zur Beurteilung der betroffenen Organsysteme kann die Diagnostik ergänzt werden durch Röntgenaufnahmen des Skelettsystems zum Nachweis einer vorzeitigen Patellaverkalkung und Rhizomelie, durch Ultraschalluntersuchungen des Abdomens zum Nachweis von Zystennieren und Leberveränderungen sowie neurophysiologische Untersuchungen zur Prüfung des Seh- und Hörvermögens und der hirnelektrischen Aktivität. Mittels zerebraler Kernspintomografie können neuronale Migrationsstörungen, insbesondere eine perisylvische Polymikrogyrie und Leukenzephalopathien nachgewiesen werden.
Differenzialdiagnostisch sind bei Patienten des Zellweger-Syndrom-Spektrums peroxisomale β-Oxidationsdefekte und Syndrome wie Down-Syndrom, Trisomie 18 und Smith-Lemli-Opitz-Syndrom (Kap. „Defekte der Cholesterolbiosynthese“) zu erwägen. Bei Patienten mit Rhizomelia chondrodysplasia punctata kommen andere Ursachen einer Chondrodysplasia punctata in Frage, wie Conradi-Hünermann-Syndrom und Embryopathien nach intrauteriner Exposition mit Warfarin (Marcumar), Alkohol, Hydantoin und Phenacetin.
Therapie
Die Behandlungsmöglichkeiten sind durch die in der Fetalzeit entstandenen multiplen Organauffälligkeiten und Funktionsstörungen eingeschränkt. Die derzeitige Therapie ist symptomatisch.
Prävention
Die pränatale Diagnostik ist durch biochemische und molekulargenetische Bestimmungen möglich. Die molekulargenetische Diagnostik ermöglicht im Gegensatz zur biochemischen Diagnostik auch die Identifizierung von heterozygoten Anlageträgern. Dies führt zu einer präziseren Risikoabschätzung in der genetischen Beratung betroffener Familien.

Isolierte peroxisomale Enzym- bzw. Proteindefekte

Es gibt zahlreiche Erkrankungen, die mit isolierten peroxisomalen Enzym- bzw. Proteindefekten einhergehen (Tab. 1). Die klinisch wichtigen Krankheitsbilder dieser Gruppe sind die X-chromosomal vererbte Adrenoleukodystrophie (X-ALD), der Morbus Refsum, die β-Oxidationsdefekte und die Hyperoxalurie Typ 1 (Kap. „Urolithiasis und Nephrokalzinose bei Kindern und Jugendlichen“).

X-chromosomal vererbte Adrenoleukodystrophie

Definition und Häufigkeit
Der Name Adrenoleukodystrophie beschreibt die charakteristischen Merkmale der Krankheit. „Adreno“ bezieht sich auf die Funktionseinschränkung der Nebennierenrinde (Morbus Addison); „leuko“ drückt aus, dass die weiße Substanz des Gehirns oder des Rückenmarks betroffen ist; „dystrophie“ beschreibt, dass es dabei zu einem fortschreitenden Untergang des Myelins kommen kann. Die Krankheit folgt einer geschlechtsgebundenen X-chromosomalen Vererbung. Für die X-ALD sind Akkumulationen von überlangkettigen Fettsäuren (VLCFA) in allen Körpergeweben und -flüssigkeiten, vor allem in Cholesterolestern des Myelins und in der Nebennierenrinde, charakteristisch.
Die X-ALD ist die häufigste peroxisomale Erkrankung mit einer geschätzten Inzidenz von 1:15.000–1:20.000 Jungen/Männer. Auch weibliche Überträgerinnen der Krankheit können infolge „ungleichförmiger“ X-Inaktivierung neurologische Symptome entwickeln.
Ätiologie und Pathogenese
Mutationen im ABCD1-Gen sind die primäre Krankheitsursache (Übersicht unter http://adrenoleukodystrophy.info/). Es kann keine Korrelation zwischen klinischem Verlauf (Phänotyp) und der Art der Mutation (Genotyp) hergestellt werden. Weitere genetische Faktoren und Umwelteinflüsse scheinen die klinische Ausprägung zu beeinflussen.
Das ABCD1-Gen kodiert das Adrenoleukodystrophie-Protein (ALD-Protein), ein peroxisomales Membranprotein, das zur Familie der ATP-abhängigen Membrantransporter („ATP-binding cassette“, ABC-Transporter) gehört. ABC-Transporter verwenden typischerweise Energie aus der Hydrolyse von ATP, um ein Substrat gegen einen Konzentrationsgradienten durch eine Membran zu transportieren. Es wird postuliert, dass das ALD-Protein (ALDP) in den Import von aktivierten Fettsäuren oder anderer Bestandteile des intraperoxisomalen Fettsäureabbaus involviert ist.
Pathobiochemie und Pathologie
Die im Körper am häufigsten vorkommenden Fettsäuren bestehen aus 16–18 Kohlenstoff(C)-Atomen. Dagegen kommen überlangkettige Fettsäuren (C ≥22) normalerweise in nur sehr geringen Konzentrationen vor. Die X-ALD ist gekennzeichnet durch eine exzessive Ansammlung von VLCFA, vor allem in der weißen Substanz des Gehirns, der Nebennierenrinde (Abb. 4) und den Testes. Ob diese Akkumulation zu Gewebeschädigungen führt, ist unklar. Im Verlauf der Erkrankung kann es zu einem überwiegend symmetrischen und progressiven Verlust von Myelin kommen. An den Randzonen der demyelinisierenden Läsionen sind in der Regel entzündliche Infiltrate nachweisbar.
Klinische Symptome, Verlaufsformen und Prognose
Die X-ALD ist durch eine hohe klinische Variabilität gekennzeichnet, die von der schwerwiegenden kindlichen zerebralen Form bis hin zu einem asymptomatischen Verlauf reicht. Innerhalb von Familien mit mehreren betroffenen Mitgliedern können trotz identischer Mutation im ABCD1-Gen schwere und milde klinische Ausprägungen nebeneinander vorkommen. Auch das Ausmaß der Akkumulation von VLCFA korreliert nicht mit der Schwere des klinischen Bildes. Die Zuordnung zur jeweiligen Erkrankungsform erfolgt nach Erkrankungsalter, Organbefall und Progress der neurologischen Symptomatik.
Kindliche zerebrale X-ALD
Die kindliche zerebrale Form ist das häufigste und schwerste Erscheinungsbild. Die ersten Lebensjahre durchlaufen die Patienten meist eine unauffällige psychomotorische Entwicklung. Zu den typischen Frühsymptomen zählen Verhaltensauffälligkeiten wie Unkonzentriertheit, emotionale Labilität, Hyperaktivität und schulischer Leistungsabfall, die häufig als Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätstörung (ADHS) fehlgedeutet werden. Es folgen motorische Auffälligkeiten, Hör- und Sehstörungen sowie ein kognitiver Abbau bis hin zur Demenz. Eine Nebenniereninsuffizienz kann den neurologischen Symptomen vorausgehen oder diese begleiten. Nach Beginn der klinischen Symptome findet häufig ein rascher Progress der Erkrankung statt, der meist im 1. oder 2. Lebensjahrzehnt zum Tode führt.
Adoleszente und adulte zerebrale X-ALD
Im Gegensatz zur kindlichen zerebralen Form werden Patienten, die an den Erwachsenenvarianten der zerebralen Form leiden, erst im 2. Lebensjahrzehnt oder noch später klinisch auffällig. Diesen Patienten werden oftmals fälschlicherweise psychiatrische Krankheitsbilder zugeordnet. Auch bei dieser Form kann eine Nebenniereninsuffizienz vorliegen. Nach Beginn der klinischen Symptomatik unterscheidet sich der Verlauf nicht von dem der kindlichen zerebralen Form.
Adrenomyeloneuropathie (AMN)
Die Adrenomyeloneuropathie wird meist in der 2. Lebensdekade manifest. Häufige Symptome sind eine Schwäche der unteren Extremitäten, Parästhesien, Blasen- und Mastdarmschwäche, eine Gonadeninsuffizienz sowie bei zwei Dritteln der Patienten zusätzlich eine Nebenniereninsuffizienz. Die neurologischen Beschwerden sind über Jahrzehnte langsam progredient. Auch Patienten mit einer AMN haben ein hohes Risiko eine zerebrale Verlaufsform zu entwickeln.
Addison-only-Phänotyp
Bei einigen Betroffenen liegt ausschließlich ein Morbus Addison vor. Patienten mit X-chromosomaler Adrenoleukodystrophie, bei denen eine Nebenniereninsuffizienz vorliegt, können die typischen Hyperpigmentierungen aufweisen, die insbesondere im Bereich der Hände sowie im Mund- und Rachenraum sichtbar sind.
Asymptomatische X-ALD
Einige Patienten bleiben trotz nachgewiesenem genetischem und biochemischem Defekt bis ins hohe Alter asymptomatisch. Sie haben weder neurologische Symptome noch eine Nebenniereninsuffizienz.
Symptomatische X-ALD-Überträgerinnen
Neben den männlichen Patienten können auch weibliche Überträgerinnen der Erkrankung infolge ungleichförmiger X-Inaktivierung neurologische Symptome ähnlich einer Adrenomyeloneuropathie entwickeln, die häufig als multiple Sklerose (MS) fehlgedeutet werden. Eine zerebrale Beteiligung liegt in der Regel nicht vor.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die neurologische Symptomatik und die umfassende Familienanamnese geben meist entscheidende Hinweise, wie beispielsweise Rollstuhlpflichtigkeit unklarer Ursache oder MS bei der mütterlichen Großmutter.
Die Diagnose aller Erkrankungsformen der X-ALD kann durch den biochemischen Nachweis von erhöhten Konzentrationen an VLCFA im Blut gestellt werden, eine Mutationsanalyse ist zur Diagnosestellung nicht erforderlich. Dagegen sind bei heterozygoten Überträgerinnen erhöhte Konzentrationen an VLCFA nur in etwa zwei Dritteln der Fälle nachweisbar. Ein Überträgerstatus sollte daher durch die Mutationsanalyse des ABCD1-Gens bestätigt bzw. ausgeschlossen werden. Die Nebennierenbeteiligung muss durch eine Kortisolbestimmung sowie einen ACTH-Test gesichert bzw. ausgeschlossen werden. Eine Bildgebung mittels zerebraler Kernspintomografie sollte in regelmäßigen Abständen erfolgen, um die bei zerebralen Verlaufsformen typischen Veränderungen der weißen Hirnsubstanz (Leukodystrophie) möglichst frühzeitig nachzuweisen. Bei dieser Untersuchung sollte auch intravenös Gadolinium verabreicht werden, da die demyelisierenden Läsionen in ihren Randzonen ein für die Erkrankung pathognomonisches Gadolinium-Enhancement aufweisen (Abb. 5).
Therapie
Neben symptomatischen Maßnahmen und der Substitution von Nebennierenrindenhormonen hat sich die allogene Transplantation von Knochenmark oder von Stammzellen aus Nabelschnurblut bei Patienten mit gerade beginnender zerebraler Verlaufsform als wirkungsvoll erwiesen. Gegenstand der aktuellen Therapieforschung sind Untersuchungen zur Wirksamkeit der autologen Knochenmarktransplantation mit durch Lentiviren genetisch korrigierten patienteneigenen (autologen) hämatopoetischen Stammzellen. Dagegen blieben die bislang eingesetzten unterschiedlichen pharmakologischen und diätetischen Ansätze erfolglos. Hierzu zählen die Gabe von immunmodulatorischen Substanzen (z. B. Rituximab), Immunglobuline, Steroide, 4-Phenylbutyrat sowie die Diättherapie mit „Lorenzos Öl“, ein Gemisch aus Oleinsäure (Glyceryltrioleat, GTO) und Erukasäure (Glyceryltrierucat, GTE). Diese Diättherapie senkt zwar die Konzentration an VLCFA im Plasma der Patienten, die Progredienz der neurologischen Symptomatik und das Ausmaß der Nebenniereninsuffizienz konnten dadurch jedoch nicht günstig beeinflusst werden.

Morbus Refsum

Der Morbus Refsum (Heredopathia atactica polyneuritiformis) ist eine autosomal-rezessiv vererbte Krankheit, bedingt durch eine Defizienz der Phytanoyl-CoA-Hydroxylase, einem Enzym der peroxisomalen α-Oxidation. Als Folge kommt es zu einer Speicherung von Phytansäure. Typische klinische Leitsymptome sind Retinitis pigmentosa, periphere Neuropathie und zerebelläre Ataxie. Während das Vollbild der Krankheit vor allem bei Erwachsenen auftritt, sind frühe klinische Symptome, wie Nachtblindheit, Muskelschwäche und Gangunsicherheit meist schon vor dem 20. Lebensjahr zu beobachten. Die Diagnose wird durch den biochemischen Nachweis erhöhter Konzentrationen an Phytansäure im Blut gestellt. Das Einhalten einer phytansäurearmen Diät kann den Erkrankungsverlauf günstig beeinflussen.

Peroxisomale β-Oxidationsdefekte

Patienten mit isolierten Enzymdefekten der peroxisomalen β-Oxidation wie der Acyl-CoA-Oxidase-Defizienz und der D-bifunktionalen Proteindefizienz sind in ihrem klinischen Erscheinungsbild in der Regel nicht von Patienten des Zellweger-Syndrom-Spektrums zu unterscheiden. Biochemisch weisen diese β-Oxidationsdefekte im Gegensatz zu Peroxisomenbiogenesedefekten eine regelrechte Plasmalogenbiosynthese auf. Die Diagnose kann durch die biochemische Untersuchung von Fibroblasten und molekulargenetisch durch den Nachweis von Mutationen im ACOX1- und im HSD17B4-Gen gestellt werden. Eine kausale Therapie steht nicht zur Verfügung.

Sonstige peroxisomale Enzym-/Proteindefekte

Einzelne Enzymdefekte der Plasmalogenbiosynthese (Dihydroxyacetonphosphat[DHAP]-Acyltransferase, DHAP-Synthase, peroxisomale Acyl-CoA-Reduktase 1-Defizienz) zeigen klinische Symptome ähnlich der Rhizomelia chondrodysplasia punctata Typ 1 und werden als Rhizomelia chondrodysplasia punctata Typ 2, 3 und 4 bezeichnet. Dagegen hat der Mangel an peroxisomaler Katalase (Hypo- oder Akatalasämie) kaum erkennbare klinische Auswirkungen. Nur wenige Patienten entwickeln schlecht heilende orale Ulzerationen. Die primäre Hyperoxalurie Typ 1 wird durch einen Mangel der peroxisomalen Alanin-Glyoxalat-Aminotransferase (Kap. „Urolithiasis und Nephrokalzinose bei Kindern und Jugendlichen“) verursacht. Patienten mit einer 2-Methyl-Acyl-CoA-Racemase-Defizienz werden erst im Erwachsenenalter durch eine sensorimotorische Neuropathie, zerebelläre Ataxie und Dysarthrie, Epilepsie, Enzephalopathie, Retinitis pigmentosa sowie eine Depression und Migräne symptomatisch. Die Diagnose kann bei entsprechender klinischer Konstellation durch die Bestimmung einer erhöhten Konzentration von Phytan-, Pristan-, Di- und Trihydroxycholestansäure bei normaler Konzentration an VLCFA sowie Plasmalogenen vermutet und durch eine Mutationsanalyse im AMACR-Gen bestätigt werden. Kurative Therapieansätze liegen für diese Erkrankung nicht vor.
Weiterführende Literatur
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