Störungsübergreifende unspezifische Therapieverfahren
In psychoanalytischen und tiefenpsychologischen Therapieverfahren stehen weniger das offene Verhalten und bewusste Gedanken im Fokus. Die Probleme der Patienten werden eher auf unbewusste Denkprozesse, die nach dem tiefenpsychologischen Konzept durch frühkindliche Interaktionsprozesse mit den primären Bezugspersonen geprägt sind, zurückgeführt. Diese werden im möglichst wenig vorstrukturierten Gespräch, im Spiel und dabei auch in der Interaktion mit dem Therapeuten deutlich. Das Kind überträgt nach diesem Konzept seine frühen Beziehungserfahrungen auf die Beziehung zum Therapeuten. In der Therapie kann das Kind dann korrigierende Beziehungserfahrungen machen.
In der
systemischen Familientherapie wird davon ausgegangen, dass der Sinn der Symptome nur begreifbar wird, wenn die familiären Interaktionen, in die die Symptome eingebettet sind, verstanden werden. Allein die Einigung der Familienmitglieder darauf, was als Störung oder Problem betrachtet wird, wird hier als Anzeichen problematischer Interaktionsmuster betrachtet. Daher steht die
Auflösung dieser pathologisierenden Zuschreibung im Fokus der Behandlung.
Die unspezifischen Therapieverfahren beschäftigen sich weniger mit offensichtlichen Verhaltensweisen oder gut zugänglichen Gedanken (psychoanalytische und tiefenpsychologische Therapie) oder möglichst objektiv festgestellten Diagnosen (systemische Therapie). Genau diese Faktoren sind jedoch wesentlich bei der empirischen Wirksamkeitsüberprüfung von
Psychotherapie. Die unspezifischen Therapieverfahren sind daher nicht leicht zu überprüfen; entsprechend liegen weniger empirische Wirksamkeitsnachweise vor. Dennoch werden diese Therapieverfahren häufig verwandt.
Störungsspezifische Psychotherapie
Pharmakotherapie
In diesem Abschnitt soll weniger auf einzelne Medikamente als auf allgemeine Behandlungsprinzipien der Psychopharmakologie eingegangen werden, da die unterschiedlichen Substanzen in den Kapiteln zu den jeweiligen Störungen dargestellt werden.
In der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist Pharmakotherapie fast nie die einzige Therapieoption. Sie ist – wie bereits oben beschrieben – in ein multimodales Therapiekonzept eingebunden und wird in fast allen Fällen mit psychotherapeutischen Verfahren,
Psychoedukation oder einer Übungsbehandlung bzw. Lerntherapie kombiniert. Bei einigen Krankheitsbildern wie der Depression ist es sogar obsolet, eine Pharmakotherapie ohne
Psychotherapie durchzuführen. Bei leichteren oder mittelschweren Erkrankungen (z. B. Depression, Zwangsstörung oder Bulimie) empfehlen die meisten Leitlinien, primär mit einer psychotherapeutischen Behandlung zu beginnen und erst bei Nichtansprechen auf diese Therapie nach 6–8 Terminen eine medikamentöse Therapie zu initiieren. In manchen Fällen – z. B. bei einer schweren Depression – kann aber auch eine medikamentöse Behandlung den psychotherapeutischen Zugang erst ermöglichen.
Freiheitsentziehende Behandlungsmaßnahmen
Entgegen landläufiger Vorurteile sind freiheitsentziehende Maßnahmen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie nur sehr selten erforderlich. Die
Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, die von Deutschland 1992 unterschrieben wurde, stellt fest, dass „keinem Kind die Freiheit rechtswidrig oder willkürlich“ entzogen werden darf. „Festhalten, Freiheitsentzug oder Freiheitsstrafe darf bei einem Kind in Einklang mit dem Gesetz nur als letztes Mittel und für die kürzeste angemessene Zeit angewendet werden“ (Art. 37, UN-Kinderrechtskonvention). Gründe für eine Einweisung in die Kinder- und Jugendpsychiatrie gegen den Willen eines Kindes können nur erhebliche Eigen- oder Fremdgefährdung bei Vorliegen einer psychischen Störung sein. Aggressives Verhalten, das nicht durch eine psychische Störung bedingt ist, ist kein hinreichender Grund für eine Aufnahme in die Kinder- und Jugendpsychiatrie, obwohl diese Vorstellung weit – auch bei ärztlichen Kollegen – verbreitet ist. Die Rechtsgrundlage für den Freiheitsentzug bei Kindern und Jugendlichen stellt im Allgemeinen ein Antrag der Personensorgeberechtigten nach § 1631 b BGB dar, über den das Familiengericht seit 1998 entscheidet: „Eine
Unterbringung des Kindes, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, bedarf der Genehmigung des Familiengerichts. Die Unterbringung ist zulässig, wenn sie zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung, erforderlich ist und der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch andere öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen.“
Das Gericht hat die Genehmigung zurückzunehmen, wenn das Wohl des Kindes die
Unterbringung nicht mehr erfordert. Der Richter muss selbst den Betroffenen befragen.
2017 ist vom Gesetzgeber der § 1631 b BGB dahingehend erweitert worden, dass jetzt auch eine Genehmigung des Familiengerichts eingeholt werden muss, wenn einem Kind während des Aufenthalts im Krankenhaus, Heim oder in einer sonstigen Einrichtung „durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig in nicht altersgerechter Weise die Freiheit entzogen werden soll.“ Diese Änderung war erforderlich, nachdem der Bundesgerichtshof 2013 (XII ZB 559/11) vor dem Hintergrund der damaligen Gesetzeslage eine Notwendigkeit zur Genehmigung unterbringungsähnlicher Maßnahmen (in diesem Fall: durchgängige nächtliche Fixierung eines 10-jährigen Kindes mit frühkindlichen Autismus und geistiger Behinderung in einer offenen Heimeinrichtung) verneint hatte. Für Volljährige müssen solche Maßnahmen nach § 1906, Abs. 4 durch das Betreuungsgericht genehmigt werden. Dagegen hatte der BGH im genannten Fall keine Genehmigungserfordernis nach § 1631 b BGB gesehen und die Genehmigung für die durchgeführten Fixierungsmaßnahmen in den Entscheidungsrahmen der elterlichen Sorge gelegt. Auch wenn durch die in der Novellierung verwendete Wortwahl („über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig“) kurzfristig durchgeführte unterbringungsähnliche Maßnahmen in der Akutbehandlung (z. B. die Fixierung eines deliranten Kindes im Rahmen einer
Enzephalitis) von der Novellierung des § 1631 b BGB nicht tangiert scheinen, ist davon auszugehen, dass vor dem Hintergrund der Novellierung des § 1631 b BGB auch in Kliniken für Kinder- und
Jugendmedizin, ähnlich wie in offenen Heimeinrichtungen in stärkerem Maß als in der Vergangenheit überprüft werden muss, ob in der Behandlung notwendige Zwangsmaßnahmen genehmigungspflichtig sind.
Der Fokus des Gesetzes liegt eindeutig auf dem Kindeswohl, während das sog. Unterbringungsgesetz der Länder eine allgemein-öffentliche Gefahrenabwehr zum Ziel hat (z. B. § 11 PsychKG NRW).
Stimmen die Eltern einer freiheitsentziehenden Maßnahme nicht zu, die aber durch den behandelnden Arzt als notwendig erachtet wird (z. B. bei Vorliegen einer
Schizophrenie), kann eine Inobhutnahme durch das Jugendamt nach § 42 SGB VIII für die Begleitung zur Untersuchung/Einleitung einer Behandlung erfolgen.