Verfasst von: Jan de Laffolie und Klaus-Peter Zimmer
Die Zöliakie ist eine immunologische Multiorganerkrankung, die sich auch extraintestinal (u. a. in Leber, Niere, Haut, Lunge, Nervensystem) manifestieren kann. Sie tritt mit einer Prävalenz von ca. 1 % auf. Silente oder oligosymptomatische Verlaufsformen dominieren gegenüber der klassischen Form der Zöliakie mit Durchfall, Gedeihstörung und ausladendem Abdomen. Der Behandlungsstandard in Diagnose und Therapie wird durch die Leitlinie der Europäischen Fachgesellschaft ESPGHAN (European Society for Pediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition) definiert. Die Diagnose erfolgt mittels Symptomatik, serologischer Marker und duodenaler Biopsien. Auf die Ösophagogastroduodenoskopie kann in speziellen Konstellationen nach einer Beratung durch einen Kindergastroenterologen verzichtet werden. Die Therapie mittels glutenfreier Diät ist lebenslang einzuhalten. In der ambulanten Nachsorge der Zöliakie-Patienten ist die Diätadhärenz zu fördern, um Langzeitkomplikationen der Zöliakie (Kleinwuchs, reduzierte Lebensqualität, Infertilität, Osteoporose, Malignome, Autoimmunität, Mortalität) zu vermeiden.
Geschichte der Zöliakie – Weizen als Kulturpflanze und Nahrungsmittel
Mit dem Anbau von Weizen in Mesopotamien und der Möglichkeit, dieses energiereiche Nahrungsprodukt zu lagern, begann nicht nur die Urbanisierung, sondern auch die Ausbreitung des Weizens (aber auch der genetisch disponierenden HLA-Antigene) über Kleinasien nach Europa im Rahmen der neolithischen Revolution. Der Begriff Zöliakie (Synonym: glutensensitive Enteropathie) wurde von den Griechen geprägt („koilia“, die bauchige Krankheit), denen die Krankheit bereits bekannt war (Aretaeus von Kappadozien, 2. Jh. n. Chr.). Im Erwachsenenalter wurde die Zöliakie früher auch Sprue genannt (von Sprouw, niederländisch Schwamm, im weiteren Sinn Bläschen bzw. Aphthe). S. J. Gee (London, 1888) lieferte eine exakte Beschreibung des Krankheitsbildes („coeliac affection“). O. Heubner (Berlin, 1909) sprach von intestinalem Infantilismus und erkannte bereits, dass die Erkrankung durch eine Entzündung der Darmschleimhaut hervorgerufen wird. 1928 erzielte G. Fanconi (Zürich) mit seiner „Frucht-Gemüse-Diät“ in Anlehnung an das Bircher-Müsli erste Behandlungserfolge dieser bis dahin mit einer hohen Letalität behafteten Erkrankung. Der Durchbruch gelang 1940 K. W. Dicke (Utrecht), der im 2. Weltkrieg im Rahmen von Brotrationierungen den toxischen Effekt von Weizen, Roggen, Gerste und Hafer erkannte und damit erstmalig die Therapie einer spezifischen Erkrankung durch eine gezielte Diät unter Beweis stellte. L. W. Paulley (Ipswich) beschrieb 1954 die Zottenatrophie der Dünndarmschleimhaut bei Zöliakiepatienten und E. Berger (Basel) 1958 erstmalig mit der Zöliakie assoziierte Antikörper. 1997 wurde als Autoantigen der Erkrankung die Gewebstransglutaminase 2 von der Arbeitsgruppe D. Schuppan (Berlin) beschrieben. 2020 wurden die letzte diagnostische Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung (ESPGHAN) veröffentlicht.
Definition
Heute versteht man unter Zöliakie nicht nur eine entzündlich bedingte Destruktion der Darmmukosa, sondern eine (systemische) immunologische Multiorganerkrankung, die bei genetisch disponierten Personen durch orale Zufuhr von alkohollöslichen Proteinbestandteilen von Weizen, Roggen, Gerste und möglicherweise, aber in geringerem Ausmaß, auch von Hafer mit allen Folgen einer Malabsorption und/oder extraintestinalen Manifestation ausgelöst und unterhalten wird. Durch strikten Entzug dieser Bestandteile aus der Nahrung kann die Erkrankung zwar nicht geheilt, aber so gut behandelt werden, dass unmittelbare oder langfristige Komplikationen vermeidbar sind.
Epidemiologie
Serologische Screeningstudien ergaben für die biopsiegesicherte Zöliakie in Europa, Nord- und Südamerika, Australien und im Nahen Osten eine Prävalenz von 0,5–1 % der Gesamtbevölkerung. Bei Finnen (1,5 %), Sarden (1 %) und den Saharawis (5,6 %) findet man eine höhere Häufigkeit. In Deutschland wird die Prävalenz auch auf etwa 1 % geschätzt. Mit dem serologischen Screening werden zumindest 75 % nichtklassische (vor allem silente und oligosymptomatische) Verlaufsformen der Zöliakie erfasst.
Pathophysiologie
Genetik
Die Zöliakie kann sich ohne genetische Disposition nicht entwickeln (Abb. 1). 91 % der Zöliakiepatienten sind HLA-DQ2-assoziiert (genotypisch HLA-DQβ1*0201/α1*0501, in cis-Position in Verbindung mit HLA-DR3) und 6,5 % HLA-DQ8-assoziiert (genotypisch HLA-DQβ1*0302/α1*0301).
Abb. 1
Mit der Zöliakie assoziierte HLA-Antigene
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Da etwa 25 % der Bevölkerung HLA-DQ2-positiv sind, ist eine HLA-Typisierung nicht zum Nachweis, sondern lediglich zum Ausschluss der Zöliakie geeignet, konsequenterweise spielt sie in der Diagnostik nach aktueller Leitlinie eine untergeordnete Rolle. Die Tatsache, dass weniger als 4 % der genetisch Disponierten eine Zöliakie entwickeln, weist auf einen Toleranzmechanismus hin. Möglicherweise stellt die genetische Disposition der Zöliakie einen positiven Selektionsmechanismus dar, da Nichtkaukasier (Japaner, Polynesier, native Amerikaner), die sich traditionell glutenfrei ernähren, überwiegend HLD-DQ2/DR3-negativ sind. Die Konkordanzrate monozygoter Zwillinge von 75 % und das etwa 10-prozentige Risiko erstgradiger Verwandter, an Zöliakie zu erkranken, weisen auf die starke genetische Komponente der Zöliakie hin.
Prolamine
Proteinchemisch ist die Struktur der sog. Prolamine, der alkohollöslichen Bestandteile des Weizenklebers Gluten (Gliadin), von Roggen (Secalin), Gerste (Hordein) und Hafer (Avenin) in den letzten Jahren charakterisiert worden. Die toxischen Peptidsequenzen der elektrophoretisch trennbaren α-, γ- und ω-Gliadine sind prolin-(15 mol%) und glutaminsäurereich (35 mol%) und proteolytisch relativ resistent, offensichtlich jedoch weniger gegenüber bakteriellen proteolytisch relativ resistent (außer gegenüber batkeriellen Prolylendopeptidasen). Das Autoantigen der Zöliakie, die Gewebstransglutaminase 2, gegen die der Endomysiumantikörper gerichtet ist, wandelt Glutamin in Glutaminsäure um, die stärker in den „Taschen“ des HLA-DQ2-Antigens von antigenpräsentierenden (dendritischen) Zellen der Lamina propria bindet und somit die autoimmune Reaktion der Zöliakie bewirkt. Auch das hochmolekulare Glutenin, das für die Backqualität des Glutens verantwortlich ist, hat sich als toxisch erwiesen. Die Toxizität des Hafers, der weniger Proline und Glutamine enthält, ist gegenüber Weizen, Roggen und Gerste geringer.
Immunreaktion der Zöliakie
Auf zellulärer Ebene löst die Gabe von Gluten eine Induktion der HLA-Klasse-II-Expression in antigenpräsentierenden Zellen (inklusive Enterozyten) der Darmmukosa aus. Es werden nicht nur dendritische Zellen, sondern auch Eosinophile, Plasmazellen, CD8-positive, γ/δ-TCR-positive Lymphozyten (T-Helfer-1-Zellen, TH1) in der Lamina propria – letztere auch intraepithelial – aktiviert. Unter den Zytokinen dominiert neben Interleukin(IL)-2, IL-6 und Tumor-Nekrose-Faktor(TNF)-α vor allem Interferon-γ. Humoral kommt es zur Bildung von Immunglobulin(Ig)-G- und IgA-Antikörpern gegen Gliadin und Transglutaminase 2, die intestinal stärker ausgeprägt und im Serum diagnostisch nutzbar ist. Der Mukosaschaden der Zöliakie, bei dem die Zottenatrophie durch verstärkte Apoptose der Enterozyten zustande kommt, ist vor allem im Dünndarm, in geringerem Maße auch im Magen und Dickdarm ausgeprägt.
Neben der genetischen Disposition und den auslösenden Prolaminen wird nach einem dritten Faktor bzw. Immunprozess (z. B. molekulare Nachahmung, intestinale Barriere, zusätzliches Gen) gesucht, der bei der Pathogenese der Zöliakie eine Rolle spielt (u. a. Adenovirus 12, Candida albicans, Rotavirus, bakterielle Flora).
Klinische Symptome
Klassische Zöliakie
Die klassische Zöliakie wird bereits klinisch aufgrund charakteristischer Anamnese und körperlichem Befund vermutet. Nach Einführen von glutenhaltiger Beikost wird neben Erbrechen häufig ein chronischer Durchfall mit massigen, übel riechenden und fettglänzenden Stühlen beobachtet. Die Kinder entwickeln eine Gedeihstörung mit Kleinwuchs, werden misslaunig und zeigen Hautsymptome. Beim körperlichen Befund fällt ein ausladendes Abdomen, eine muskuläre Hypotonie, mangelnde Fettpolster (Tabaksbeutelgesäß) und unter Umständen eine psychomotorische Retardierung auf (Abb. 2). Anamnestisch wird oft von rezidivierenden Bauchschmerzen berichtet. Im Rahmen der Ernährungsanamnese ist der tägliche Gehalt von Gluten abzuschätzen, da die Patienten gelegentlich intuitiv eine Abneigung gegenüber glutenhaltigen Nahrungsmitteln entwickeln und sich die diagnostischen Parameter Klinik, Serologie und Biopsie aufgrund ihrer Abhängigkeit von der Glutenmenge ausprägen. Je jünger die Kinder bei Entwicklung der Zöliakie sind, desto schwerer sind sie in der Regel klinisch betroffen.
Abb. 2
5-jähriges Mädchen mit unbehandelter Zöliakie. Zu beachten sind das prominente Abdomen und die durch Eiweißmangelödeme verdickten Unterschenkel und Knöchel
Die oben genannten Beschwerden und Symptome (z. B. Gewichtsverlust, Kleinwuchs) sind jedoch nicht obligat bei der Zöliakie ausgebildet. Ein geringer Teil der Patienten klagt beispielsweise statt über Durchfall über Obstipation. Unter den nichtklassischen Zöliakieformen sind die silente oder oligosymptomatische Zöliakie (z. B. unklare Eisenmangelanämie) und die latente Zöliakie besonders häufig (Tab. 1). Vielfach wird auch der Begriff subklinische Zöliakie benutzt. Bei einer latenten Zöliakie sind die klinischen, serologischen und bioptischen Befunde im Verlauf uneinheitlich ausgeprägt. Hierbei kann eine Verlaufskontrolle unter kontrollierter Steigerung der täglichen Glutenzufuhr (Glutenbelastung) eine diagnostische Klärung erbringen. Die atypische Zöliakie manifestiert sich überwiegend extraintestinal (u. a. Lungenhämosiderose, IgA-Nephropathie, Gobbi-Syndrom), neuropathische Manifestationen (Läsionen der weißen Substanz, Kopfschmerzen, zerebelläre Ataxie u. a.) nehmen mit dem Alter zu. Auch die Dermatitis herpetiformis Duhring, eine andere atypische Verlaufsform der Zöliakie, kommt im Kindesalter eher selten vor. Bei der potenziellen (asymptomatischen) Zöliakie besteht beispielsweise aufgrund eines betroffenen Verwandten Verdacht auf eine Zöliakie und/oder zöliakiespezifische Antikörper sind niedertitrig nachweisbar.
Tab. 1
Klassifikation der unterschiedlichen Zöliakieformen
Zu den akuten Komplikationen zählen Mangelzustände für fettlösliche Vitamine (Vitamin-K-abhängige Blutungen, Rachitis), Zink, Folsäure, Vitamin B12 und Eisen. Auch eine Leberbeteiligung mit Transaminasenerhöhungen oder eine Pankreasinsuffizienz kann das klinische Bild bestimmen. Besonders in Entwicklungsländern werden Patienten mit einer Zöliakiekrise beobachtet, bei denen Erbrechen, Exsikkose, Azidose und Elektrolytverschiebungen im Vordergrund stehen (Cave! Refeeding-Syndrom). Schwerwiegende Verläufe sind bei den atypischen Zöliakieformen vorhanden.
Der Nutzen der glutenfreien Ernährung zur Vermeidung des Diabetes mellitus Typ 1 oder anderer Autoimmunerkrankungen wird anhand der vorliegenden Studien kontrovers diskutiert. Bei den oben genannten Erkrankungen sollte ebenso wie bei erstgradigen Verwandten von Zöliakiepatienten ein serologisches Screening der Zöliakie durchgeführt werden. Weitere Gründe für ein serologisches Zöliakiescreening sind die nichtalimentär bedingte Eisenmangelanämie, das Reizdarmsyndrom, Osteoporose, Infertilität und Kleinwuchs, wenn die Genese dieser Erkrankungen unklar ist.
Diagnose
Die Kriterien der European Society of Pediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition (ESPGHAN) von 2012 (typische Symptomatik, hochtitrige Serologie, HLA DQ2/8 positiv, Marsh 2 oder 3 Veränderungen in der duodenalen Biopsie sowie symptomatische und serologische Remission unter glutenfreier Ernährung) wurden 2020 erneut verändert. Auch unter den neuen Leitlinien ist die Diagnose einer Zöliakie letztlich erst gesichert, wenn unter glutenfreier Diät (GFD) eine symptomatische und serologische Remission eingetreten ist.
Zöliakieserologie
Die beiden IgA-abhängigen Endomysiumantikörper (EMA) und Transglutaminaseantikörper sind bezüglich Sensitivität und Spezifität in etwa gleichzustellen, obwohl es einzelne Zöliakiepatienten gibt, bei denen nur einer von beiden Antikörpern nachweisbar ist. Die „Interobserver-Variabilität“ fällt bei dem Transglutaminaseantikörper, der als ELISA zur Verfügung steht, im Gegensatz zum EMA weg, der als Immunfluoreszenztest von Affenösophagusschnitten zur Verfügung steht. EMA und Transglutaminaseantikörper stellen die spezifischsten Antikörper dar. IgG-abhängige Antikörper gegen deamidierte Gliadinpeptide (DGP) sind bezüglich Sensitivität und Spezifität dem EMA und Transglutaminase-ELISA fast gleichwertig. Ein sekundärer oder selektiver IgA-Mangel ist grundsätzlich im Rahmen einer Zöliakieserologie mithilfe der Bestimmung des Gesamt-IgA auszuschließen. Ein selektiver IgA-Mangel ist bei bis zu 10 % der Zöliakiepatienten vorhanden. Derzeit wird eine Fülle von kommerziellen Serologietests ohne entsprechende Qualitätssicherung angeboten. Die Empfehlungen der ESPGHAN zur Zöliakieserologie beziehen sich nur auf validierte und qualitätsgesicherte (Ringversuche) Serologietests.
Da bei einer 10-fachen Erhöhung des Transglutaminaseantikörpers über dem Cut-off-Wert mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eine Marsh-2- oder Marsh-3-Läsion vorliegt, kann, wenn der hoch-positive Transglutaminaseantikörper durch EMA bestätigt wird und eine entsprechende ausführlichen Beratung inklusive langfristiger (diätetischer) Konsequenzen durch einen Kindergastroenterologen erfolgt, eine duodenale Biopsie vermieden werden.
Bei asymptomatischen Patienten ist der positive prädiktive Wert eines rein serologischen Ansatzes hinsichtlich höhergradiger Schleimhautschädigung (Marsh 2 oder 3) niedriger; letztere liegt in vielen Studien zur Prognose und hinsichtlich Komplikationen und Folgeerkrankungen zugrunde. So zeigte sich in einer retrospektiven Überprüfung bei asymptomatischen Patienten trotz positiver EMA und hoch-positiver anti-TG AK (> 10 × ULN) hinsichtlich Vorliegens einer Marsh 2 oder 3 Läsion die Spezifität mit 85 % deutlich niedriger als in Studien bei symptomatischen Patienten mit 95–100 %. Ferner ist zu beachten, dass in einer Studie 49 von 1320 Kinder mit genetischer Zöliakie-Disposition bis ins Schulalter positive Transglutaminase- und EMA-IgA-Antikörper entwickelten, die sich in mehr als der Hälfte der Fälle im Verlauf unter normaler Ernährung zurückbildeten, sodass letztlich nur bei 20 Kindern eine Zöliakie gesichert werden konnte.
In bestimmten Situationen (Immundefekt, Immunglobulinsubstitution, Transfusion, frische Diabetes mellitus Manifestation, polyvalente immunologische Aktivierung) sollte eine rein serologische Diagnostik vermieden werden. Im Fall eines IgA-Mangels sollten IgG basierte serologische Testungen (insbesondere DGP) durchgeführt werden; diese sind jedoch nicht ausreichend, um auf eine Biopsie zu verzichten.
Grundsätzlich werden jedoch IgG-abhängige Transglutaminaseantikörper-Testverfahren, Antikörpertests gegen native Gliadinpeptide, der durch Laien durchführbare „Point-Of-Care(POC)-Test“ und der Nachweis von zöliakietypischen Antikörpern im Stuhl oder Speichel nicht als diagnostischer Standard empfohlen. Der Nachweis von Antikörpern gegen native Gliadinpeptide ist nicht hilfreich.
Biopsie
Die duodenale Biopsie ist auch weiterhin in zahlreichen Fällen mit Verdacht auf Zöliakie Bestandteil der initialen Diagnostik, eine Verlaufsbiopsie sowie eine erneute Belastung mit Gluten ist in der Regel nicht erforderlich. Bei der endoskopisch durchgeführten duodenalen Biopsie ist auf folgende Punkte zu achten:
mindestens 3–5 Biopsieproben, inklusive Bulbus und distales Duodenum,
Phasenkontrast (Differenzialdiagnose: Lamblien),
Lupenmikroskopie (Zottenstruktur),
Lichtmikroskopie: tangentiale Orientierung von 3–4 μm dicken HE-Schnitten und Quantifizierung der intraepithelialen Lymphozyten (IEL).
Die immunhistochemische Markierung der IEL mit CD3 ist genauer als deren Identifizierung im HE-Schnitt. Der Referenzwert für IEL (Norm: < 40 pro 100 Enterozyten) gilt für das obere Jejunum, im Duodenum ist die Zahl der IEL niedriger. Bei CD3-Markierung und einer duodenalen Biopsieentnahme liegt der Normwert unter 20 IEL pro 100 Enterozyten. Pathologisch sind Werte über 30 IEL pro 100 Enterozyten bei mindestens 300 ausgezählten Enterozyten.
Die morphometrischen Quantifizierungen von M. N. Marsh zeigten, dass eine Zottenatrophie (Marsh 3) nicht eine conditio sine qua non ist, sondern dass auch eine Vermehrung der IEL mit einer Kryptenhyperplasie bei noch erhaltenen Zotten (Marsh 2) zur Diagnose einer Zöliakie ausreicht (Abb. 3).
Abb. 3
Schematische Darstellung der Marsh-Klassifikation
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Glutenbelastung
Eine Glutenbelastung ist in der Regel bis zur Einschulung (aber nicht vor dem 5. Lebensjahr oder während der Pubertät) durchzuführen, wenn Zweifel an der Diagnose bestehen. Vor Beginn der Belastung sollte auf HLA-DQ2/8-Positivität getestet werden und eine duodenale Biopsie als Ausgangsbefund durchgeführt werden. Bei einem HLA-DQ2/8-negativen Patienten ist eine Glutenbelastung in Frage zu stellen. Die Glutenbelastung wird mit Normalkost oder Glutenpulver durchgeführt. Man strebt je nach Alter eine Zufuhr von mindestens 10–15 g Gluten täglich an. Nur bei Einhaltung dieser täglichen Glutenzufuhr kann die Glutenbelastung ihre gewünschte Aussagekraft erzielen. Die Zöliakieserologie wird 3, 6 und 24 Monate (bzw. bei ersten Symptomen) und die Duodenalbiopsie 6 und 24 Monate nach Beginn der Belastung (bzw. in Abhängigkeit von der Symptomatik) vorgenommen.
Differenzialdiagnose
Nur in sehr seltenen Fällen sind zöliakietypische Antikörper falsch-positiv (Morbus Crohn, autoimmune Enteropathie) nachweisbar. Die Zottenatrophie und auch die Vermehrung der IEL sind ein unspezifisches Zeichen und weisen auf das differenzialdiagnostische Spektrum der Zöliakie hin:
Eine häufige klinische Differenzialdiagnose stellt die sog. Toddler’s Diarrhea bzw. das Colon irritabile des Kleinkindes dar, bei der im strengen Sinne keine Diarrhö vorliegt.
Die zöliakieunabhängige bzw. Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität, der eine Prävalenz von bis zu 8 % der Bevölkerung unterstellt wird und bei der Patienten die Symptomatik eines Reizdarms, aber auch häufig neurologische Beschwerden (u. a. Kopfschmerzen, Müdigkeit) angeben, zeichnet sich inkonstant durch Antikörper gegen native Gliadinpeptide und eine Erhöhung der IEL aus. Eine Marsh-2/3-Läsion oder spezifische Zöliakieantikörper oder eine HLA-DQ2/8-Positivität liegen in der Regel nicht vor. Die Patienten geben eine Besserung ihrer Symptomatik an, wenn sie sich glutenfrei ernähren. Um eine Überbehandlung mit einer glutenfreien Diät zu vermeiden, sollten (nach Ausschluss einer Zöliakie oder Glutenallergie) durch doppelblinde und placebokontrollierte Belastungen die Patienten identifiziert werden, bei denen eine glutenfreie Diätempfehlung gerechtfertigt zu sein scheint. Eine ex juvantibus eingeleitete glutenfreie Diät führt aufgrund des suggestiven Charakters restriktiver Diäten dazu, das in seiner diagnostischen Wertigkeit wenig erforschte Phänomen der zöliakieunabhängigen Weizensensitivität, für die bisher im Gegensatz zur Zöliakie weder akute noch langfristige Komplikationen bekannt sind, überzubewerten. Den Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI), Bestandteilen verschiedener Getreidearten wie Weizen, Roggen und Gerste (aber auch Hafer), die über IgE das Bäckerasthma vermitteln, werden im Kontext dieses wenig charakterisierten Krankheitsbildes proinflammatorische Eigenschaften beigemessen.
Therapie
Die glutenfreie Ernährung („gluten-free diet“, GFD) ist die Therapie der Wahl. Sie ist nebenwirkungsfrei, d. h. es entstehen unter korrekter Durchführung auch unter längerfristiger Therapie und bei Kleinkindern keine Mangelzustände. Das bei der klassischen Zöliakie und der Dermatitis herpetiformis Duhring beschriebene Malignomrisiko kann bei einer lebenslangen und strikten glutenfreien Ernährungsweise vermieden werden.
Es gibt Hinweise, dass dies auch für oligosymptomatische Formen gilt. Jedoch lässt sich die Vermeidung von Komplikationen als tertiärprophylaktischer Rechtfertigung bei asymptomatischen Individuen mit positiver Serologie aber negativer oder gering inflammatorischer Schleimhautveränderung (Marsh 0–1) aus der bisherigen Studienlage nicht mit der Sicherheit symptomatischer Patienten mit Marsh 2 oder 3 Mukosa-Läsionen ableiten. Diese Patienten werden ohne Durchführung einer Biopsie nicht mehr identifiziert. Bisher wurde hier bei sogenannter latenter Zöliakie keine GFD empfohlen mit klinischer und serologischer Verlaufsbeobachtung unter altersentsprechendem Glutengehalt (15–20 g Gluten/Tag) der Ernährung.
Die GFD ist bei sicherer Diagnose lebenslang durchzuführen. Die Frage der Biopsie-Durchführung muss auch unter diesem Aspekt bei der gemeinsamen Entscheidungsfindung (shared-decision making) berücksichtigt werden.
Verboten für den Zöliakiepatienten sind alle Nahrungsprodukte, die Weizen, Gerste, Roggen, Hafer, Kamut, Emmer, Einkorn, Dinkel und Grünkern enthalten. Dazu zählen u. a. Back- und Teigwaren wie Brot, Kuchen, Gebäck, Mehl, Grieß, Graupen, Nudeln, Müsli, Paniermehl, Vollkorn, Malzkaffee, Malzbier, Bier, Pudding, Fertigprodukte, gefüllte Schokolade und Wurstwaren. Grundsätzlich sind alle industriell verarbeiteten Fertigprodukte auf Glutenfreiheit zu prüfen. Glutenfrei sind viele Grundnahrungsmittel, sodass eine abwechslungsreiche Ernährungsweise im Rahmen einer glutenfreien Diät möglich ist. Glutenfrei sind u. a. Mais, Hirse, Reis, Wildreis, Soja, Sesam, Milch, Butter, die meisten Käsesorten, Margarine, Eier, Kartoffeln, Fleisch, Fisch, Obst, Gemüse, Tee, Säfte Fette, Öle, Quinoa, Amaranth, Alkohol, Essig, Maltodextrin, Teff, Kastanienmehl und Buchweizen.
Hafer zeichnet sich im Vergleich zu Gerste, Roggen und Weizen durch eine geringere Toxizität aus. Käuflicher Hafer wird bei der Herstellung oft mit Weizen verunreinigt. Hafer ist geeignet, aufgrund seines Geschmacks und seines Gehaltes an Ballaststoffe und B-Vitaminen, die Ernährung eines Patienten mit Zöliakie zu bereichern. Nicht kontaminierter Hafer wird in Leitlinien unter ärztlicher Verlaufskontrolle der Zöliakiepatienten erlaubt, d. h. in der Regel in serologischer und klinischer Remission und unter Kontrolle dieser Parameter. Zahlreiche Studien, die eine Unbedenklichkeit des Hafers in der glutenfreien Ernährungsweise des Zöliakiepatienten nahelegen, weisen nicht unerhebliche Mängel auf (geringe Zahl der Studienteilnehmer, überwiegend Erwachsene, begrenzte Belastungsdauer, Hafermenge gering bzw. nicht kontrolliert, große Zahl von Studienaussteigern, Mangel an doppelblind placebokontrollierten Studien).
In Deutschland besteht seit 2006 eine EU-Kennzeichnungspflicht für glutenhaltige Nahrungsmittel. Die Deutsche Zöliakie-Gesellschaft (DZG) stellt Listen zur Verfügung, in denen die einzelnen Nahrungsprodukte auf ihren Glutengehalt geprüft wurden. Ab einer täglichen Zufuhr von 10–100 mg Gluten („Toleranzschwelle“) wurden bei Zöliakiepatienten intestinale Toxizitätszeichen beschrieben. Im Codex alimentarius wurde 2008 der Glutenanteil in „glutenfreier“ Nahrung auf 20 ppm, d. h. 2 mg Gluten pro 100 g Lebensmittel, begrenzt. Glutenfreie Nahrungsmittel dürfen Prima-Weizenstärke enthalten. Sekunda-Weizenstärke hat mit einem Proteinanteil von bis zu 5 % einen nichttolerablen Glutenanteil und muss entsprechend in der Zutatenliste gekennzeichnet werden.
Die klinische Erholung nach Beginn einer glutenfreien Ernährung beginnt bereits nach 1–2 Wochen. Der Durchfall normalisiert sich innerhalb weniger Wochen, die Regeneration der Mukosa kann bis zu 1 Jahr und mehr dauern, ein positiver Effekt bei Wachstumsretardierung ist im optimalen Fall nach 1 Jahr Diät zu erkennen. Die Diätcompliance liegt bei symptomatischen Kindern bis zur Pubertät bei 60–70 % und bei Kindern mit silenter Zöliakie bei weniger als 20 %. Die Mitgliedschaft in der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft (DZG) hat einen positiven Einfluss auf die Einhaltung der Diät.
Bleibt die klassische Zöliakie unbehandelt, so ist das Malignomrisiko bis zum Faktor 3 erhöht, auch bei der unbehandelten Dermatitis herpetiformis besteht ein erhöhtes Malignomrisiko. Beide können bei strikter lebenslanger Diät vermieden werden. Die glutenfreie Diät hat auf die Osteoporose einen sehr günstigen Effekt. Ob die anderen Langzeitkomplikationen (inkl. Lebensqualität, Infertilität, Autoimmunerkrankungen, Mortalität) bei nichtklassischen Zöliakieformen durch eine glutenfreie Diät positiv beeinflusst werden, muss noch in weiteren Studien bestätigt werden.
Patienten, die sowohl an einer Zöliakie als auch an einem Diabetes Typ 1 leiden, zeigen bei strikter Einhaltung der glutenfreien Diät weniger Beschwerden, eine bessere Entwicklung von Gewicht und Wachstum, bessere Eisenspeicher, einen vermehrten Bedarf an Insulin (aufgrund der Rückbildung der Malabsorption), einen niedrigeren HbA1c-Wert und weniger Hypoglykämien.
Prophylaxe Stillen schützt nicht vor Zöliakie. Studien zeigten keinen präventiven Effekt, wenn glutenhaltige Lebensmittel in kleinen Mengen während der Stillzeit ab dem 5. Lebensmonat gegeben werden. Sowohl von einer frühen (< 4 Monate) als auch von einer späten (≥ 7 Monate) Einführung von Gluten in die Ernährung des Säuglings wird abgeraten.
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