Kohlenhydrate
Der Kohlenhydratanteil in der Nahrung sollte mehr als 50 % der insgesamt aufgenommenen Energie ausmachen. Bevorzugt werden sollten komplexe, nicht raffinierte, ballaststoffreiche Kohlenhydrate. Da die Blutglukosewirkung von Nahrungsmitteln nicht nur von dem enthaltenen Anteil an Kohlenhydraten, sondern auch von Faktoren, wie Art der Kohlenhydrate (glykämischer Index), Fettgehalt, Ballaststoffanteil, Magenfüllung etc. beeinflusst wird, ist eine grammgenaue Berechnung von Kohlenhydraten ernährungsphysiologisch nicht begründbar.
Die Aufgabe von Nahrungsmittelaustauschtabellen besteht darin, die Vielfalt verfügbarer Nahrungsmittel mit ihrem unterschiedlichen Gehalt an Eiweiß, Fett und Kohlenhydraten in ein berechenbares System zu bringen.
Die in Deutschland lange Zeit verwendete Broteinheit
(BE) wurde zunächst als diejenige Menge eines Lebensmittels definiert, die auf den Stoffwechsel des Menschen mit
Diabetes die gleiche Wirkung ausübt wie 12 g D-Glukose, später als die Menge von insgesamt 12 g an Monosacchariden, verdaulichen Oligo- und Polysacchariden sowie Sorbit und Xylit, wobei verdauliche Poly- und
Oligosaccharide als Monosaccharide zu berechnen sind.
Nach dieser Definition entsprach 1 BE der Kohlenhydrat-, aber auch Zuckeralkoholmenge, die 12 g
Glukose kalorisch äquivalent sind. Diese starre Festlegung implizierte, dass Nahrungsmittel mit identischem Kohlenhydrat- bzw. Kaloriengehalt auch die gleichen Blutglukosereaktionen nach einer Mahlzeit verursachen. Diese Annahme wurde mit Recht zunehmend infrage gestellt. Die in der Bundesrepublik gültige 12-g-Broteinheit (BE) wurde daher aufgegeben, es hat sich die leichter zu berechnende Kohlenhydrateinheit
(KE) mit 10 g Kohlenhydraten durchgesetzt (wie die in der DDR übliche 10-g-Kohlenhydrateinheit [KHE]).
Die analytische Erfassung der verwertbaren Kohlenhydrate sowohl auf indirektem (Differenzmethode) als auch direktem Wege liefert heute gut übereinstimmende und reproduzierbare Ergebnisse. Die biologische Schwankungsbreite der einzelnen Kohlenhydratträger liegt jedoch im Schnitt bei 20–30 %, sodass eine starre Festlegung von Kohlenhydrataustauscheinheiten auf 10 bzw. 12 g Kohlenhydrate nicht mehr gerechtfertigt erscheint.
Die Austauscheinheiten BE, KHE und KE sind daher nicht als Berechnungseinheiten, sondern als Schätzeinheiten zur praktischen Orientierung von insulinbehandelten Diabetespatienten anzusehen. Lebensmittelportionen, die 10–12 g verwertbare Kohlenhydrate enthalten, können gegeneinander ausgetauscht werden. Nach praktischer Erfahrung entsprechen solche Lebensmittelportionen praktikablen Größen. Das Einschätzen der Portionen kann orientiert an Küchenmaßen erfolgen.
In Deutschland werden von den verschiedenen Diabetesteams unterschiedliche Kohlenhydrataustauschtabellen empfohlen. Eine weitverbreitete Kohlenhydrataustauschtabelle orientiert sich an „10 Gramm KH“. Sie wird in der Pädiatrie häufig verwendet, weil sie durch farbige Fotos von Nahrungsmittelportionen, die 10 g Kohlenhydrate enthalten, Kindern eine greifbare Vorstellung von Nahrungsmittelmengen vermittelt. Außerdem findet man als Ausdruck einer allerdings sehr liberalen Ernährungsauffassung auch Mengenangaben über Schokolade, Schokoriegel, Pralinen, Bonbons, Fruchtgummi, Lakritz, Eis, Fast Food und Sushi.
Eine grammgenaue Zubereitung kohlenhydrathaltiger Nahrungsmittel (z. B. Abschneiden von Ecken einer Brotscheibe oder eines Apfels) ist unsinnig und führt zu überflüssigen Beeinträchtigungen des täglichen Lebens. Wird zu Beginn des
Diabetes oft mit der Waage gearbeitet, kommen Familien und Patienten im Laufe der Zeit zu einem Schätzen der Kohlenhydrate.
Fett
Die Fettzufuhr
sollte bei Kindern ab 4 Jahren und Jugendlichen nicht höher als 35 % der Gesamtenergiezufuhr sein. Die Aufnahme gesättigter
Fettsäuren tierischen Ursprungs (Vollmilch, Käse, Butter, Schmalz) und transungesättigter Fettsäuren (Kekse, Kuchen, Schokolade) sollte wegen des kardiovaskulären Risikos möglichst gering sein. Besonders empfehlenswert sind dagegen mehrfach ungesättigte Fettsäuren des Omega-3-Typs (Fisch) und einfach ungesättigte Fettsäuren (Oliven, Sesam, Rapsöl, Nüsse). Eine Beratung hinsichtlich des wünschenswerten Fettanteils in der Ernährung und der Qualität erfolgt wie auch die Information über die Kohlenhydrataufnahme im Rahmen der Erstschulung. Für die Ernährung normalgewichtiger Kinder reichen einfache Regeln zum sparsamen Umgang mit sichtbaren und versteckten Fetten aus. Der Fettgehalt der Nahrung kann berechnet werden, dieses ist z. B. bei der Verwendung fett- und proteinreicher Mahlzeiten am Abend sinnvoll, hierfür ist die Nutzung sog. „Fett-Protein-Einheiten
“ möglich (1 FPE = 100 kcal aus Fett und Eiweiß in der Nahrung, mit
Insulin wie 1 KE über längeren Zeitraum abdecken). Die Verwendung spezieller fettreduzierter Lebensmittel ist bei normalgewichtigen Kindern nicht notwendig.
Zucker, Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe
Die Aufnahme von Zucker sollte wie bei der Allgemeinbevölkerung 10 % der täglichen Kalorienaufnahme nicht übersteigen. Die tatsächliche Zuckeraufnahme ist nicht nur bei Kindern und Jugendlichen ohne
Diabetes wesentlich höher. Sofern Zucker nicht pur, sondern in Nahrungsmitteln oder Mahlzeiten mit Fett, Eiweiß oder Ballaststoffen gemischt verzehrt wird, ist bei passender Insulingabe kein zu hoher Anstieg der Blutglukose zu erwarten. Der Verzehr größerer Mengen hoch konzentrierter Zuckerwaren oder zuckerhaltiger Getränke und der plötzliche starke Blutglukoseanstieg stellen auch heute noch eine nicht befriedigende Situation für alle Beteiligten dar. Süßstoffe sind Stoffe mit sehr hoher Süßkraft. Die in Deutschland zugelassenen Süßstoffe sind Acesulfam K, Aspartam, Aspartam-Acesulfam-Salz, Cyclamat, Neohesperedin DC, Saccharin, Sucralose und Thaumatin. Süßstoffe werden künstlich hergestellt und enthalten keine Kohlenhydrate, haben also keinen Einfluss auf den Blutglukosespiegel. Süßstoffe können, müssen aber nicht zwangsläufig in der Ernährung eines Kindes mit Diabetes eingesetzt werden. Bewährt haben sich süßstoffgesüßte Limonaden oder Cola-Getränke („light“, „zero“). Zuckeraustauschstoffe werden in vielen sog. Diätprodukten verwendet. Es sind kalorienhaltige süße Substanzen wie z. B. Fruchtzucker, der langsam zu Traubenzucker umgewandelt wird und den Blutglukosespiegel nur wenig beeinflusst. Auch Zuckeralkohole (Isomalt, Lactit, Maltit, Mannit, Sorbit, Xylit) enthalten Energie, lassen die Blutglukose aber kaum ansteigen. Jedoch können bereits kleine Mengen Zuckeraustauschstoffe zu Blähungen und Durchfall führen.
Neu ist das „natürliche“ Süßungsmittel Stevia. Hier werden Glykoside mit hoher Süßkraft aus der Stevia-Pflanze zum Süßen verwendet. Da diese Substanz aber in hohen Dosen auch einen bitteren Beigeschmack hat, enthalten „mit Stevia gesüßte“ Produkte oftmals trotzdem kohlenhydrathaltige Süße.
Generell ist es nicht notwendig, Zuckeraustauschstoffe und Spezialprodukte für Patienten mit
Diabetes mellitus zu verwenden. Eine Ausnahme bilden zahnfreundliche Bonbons, Lutscher oder Kaugummis, die in kleinen Mengen zwischendurch gegessen werden können, ohne dass sie als KE angerechnet werden müssen.
Von den Richtlinien zu den lebensmittelbezogenen Ratschlägen
Das Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund (
http://www.fke-do.de) hat das Ernährungskonzept der „optimierten Mischkost“ entwickelt. Die optimierte Mischkost ist zum einen an den aktuellen
Referenzwerten für die Nährstoffzufuhr ausgerichtet und erfüllt zum anderen praktische Kriterien. Die praxisnahen Ratschläge haben auch für Kinder und Jugendliche mit
Diabetes mellitus Typ 1 Gültigkeit.
So sollten über den Tag drei Haupt- und zwei Zwischenmahlzeiten eingenommen werden, wobei z. B. bei den kleineren Zwischenmahlzeiten der Fett- und Zuckeranteil etwas erhöht sein darf.
Zum reichlichen Trinken sind grundsätzlich Wasser oder andere kalorienfreie Getränke empfohlen.
In Tab.
2 sind durchschnittliche Werte für die Trink- und Verzehrmengen für die verschiedenen Altersgruppen von 1–18 Jahren angegeben. Außerdem können die Angaben zur altersbezogenen Kalorienzufuhr zur Ermittlung der Tages-KE-Menge genutzt werden. Als Faustregel entspricht eine „gut belegte“ KE etwa 100 kcal.
Tab. 2
Altersgemäße Lebensmittelverteilung in der optimierten Mischkost
. (Mod. nach Forschungsinstitut für Kinderernährung, FKE
2015)
Energie | kcal/Tag | 1450 | 1800 | 2150 | 2200/2700 | 2500/3100 |
Kohlenhydrate | g/Tag | 150 | 180 | 220 | 220/270 | 250/310 |
Empfohlene Lebensmittel (>90 % der Gesamtenergie) |
Reichlich: |
Getränke | ml/Tag | 800 | 900 | 1000 | 1200/1300 | 1400/1500 |
Brot, Getreide (-flocken) | g/Tag | 170 | 200 | 250 | 250/300 | 280/350 |
Kartoffelna | g/Tag | 180 | 220 | 270 | 270/300 | 300/350 |
Gemüse | g/Tag | 200 | 220 | 250 | 260/300 | 300/350 |
Obst | g/Tag | 200 | 220 | 250 | 260/300 | 300/350 |
Mäßig: |
Milch, Milchprodukteb | ml/Tag | 350 | 400 | 420 | 425/450 | 450/500 |
Fleisch, Wurst | g/Tag | 40 | 50 | 60 | 65/75 | 75/85 |
Eier | Stück/Woche | 2 | 2 | 2–3 | 2–3/2–3 | 2–3/2–3 |
Fisch | g/Woche | 50 | 75 | 90 | 100/100 | 100/100 |
Sparsam: |
Öl, Margarine, Butter | g/Tag | 25 | 30 | 35 | 35/40 | 40/45 |
Geduldete Lebensmittel (<10 % der Gesamtenergie) |
Beispiel s. unten | max. kcal/Tag | 150 | 180 | 220 | 220/270 | 250/310 |
Alkoholische Getränke
Ein generelles Alkoholverbot ist aus psychologischen und stoffwechselphysiologischen Gründen nicht gerechtfertigt. Jugendliche müssen jedoch wissen, welche alkoholhaltigen Getränke sie in Maßen zu sich nehmen dürfen und welche es zu meiden gilt. Alkohol ist ein nicht zu unterschätzender Energieträger: 1 g Alkohol liefert 7,1 kcal bzw. 29,5 kJ. Außerdem hemmt Alkohol die Glukoneogenese in der Leber. Alkoholgenuss kann somit zu
Hypoglykämien führen, wenn nicht gleichzeitig Kohlenhydrate verzehrt werden. Spirituosen dürfen daher nie ohne Kohlenhydrataufnahme getrunken werden. Da alkoholische Getränke meist schnell resorbierbare Kohlenhydrate enthalten (
Glukose und
Fruktose in Wein, Maltose in Bier), können sie, in größeren Mengen genossen, auch zu ausgeprägten Hyperglykämien führen. Eine generelle Insulinanpassung beim Alkoholkonsum ist nicht empfohlen, eine Schulung auf individueller Basis sollte hier stattfinden.