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Embryologie, Wachstum und Entwicklung

Verfasst von: Annette Richter-Unruh und Mirkka Hiort
Das Ovulationsalter bezeichnet die Dauer der menschlichen Entwicklung von der Befruchtung bis zur Geburt. Dies sind in der Regel 264–268 Tage (38 Wochen). In der Klinik berechnet man die Schwangerschaftsdauer in der Regel vom 1. Tag der letzten Menstruation bis zur Geburt entsprechend 280 Tage (40 Wochen) und verwendet den Begriff Gestationsalter.

Grundbegriffe der Embryologie

Das Ovulationsalter bezeichnet die Dauer der menschlichen Entwicklung von der Befruchtung bis zur Geburt. Dies sind in der Regel 264–268 Tage (38 Wochen). In der Klinik berechnet man die Schwangerschaftsdauer in der Regel vom 1. Tag der letzten Menstruation bis zur Geburt entsprechend 280 Tage (40 Wochen) und verwendet den Begriff Gestationsalter.
Man unterscheidet eine Blastemzeit von der Befruchtung bis zur Ausbildung der drei primären Keimblätter (Ektoderm, Mesoderm, Entoderm) und den ersten axialen Strukturen (1.–3. Woche), eine Embryonalzeit (4.–8. Woche), in der die Anlagen für die großen Organsysteme entstehen, und eine Fetalzeit (von der 9. Woche bis zur Geburt) in der die Hauptdifferenzierungs- und Reifungsprozesse der Organe, insbesondere des Nervensystems ablaufen. Wichtige Zeitpunkte sind die Implantation in die Uterusschleimhaut, die am 6. Tag nach der Befruchtung beginnt, sowie die Ausdifferenzierung der Lungen in der 24.–26.Woche, wonach der Fetus im Falle der Frühgeburt eine Überlebenschance hat. Die Fetalperiode geht fließend in die Perinatalperiode über, die vom Ende der 28. Woche bis zum 7. Lebenstag gerechnet wird. In dieser Phase werden die verschiedenen Organe des Fetus auf die Geburt und auf die funktionellen Erfordernisse des extrauterinen Lebens vorbereitet. In der Postnatalperiode werden in den ersten 2 Lebensjahren vom Menschen eigene Fähigkeiten wie der aufrechte Gang und die Sprachfähigkeit erlernt. Der Mensch bleibt auch noch viele Jahre später entwicklungsfähig und zeigt Wachstums- bzw. Reifungsmechanismen, wie z. B. den Wachstumsschub in der Pubertät (Moore und Persaud 2007; Rohen und Lütjen-Drecoll 2006).

Induktion und Steuerung embryonaler Entwicklungsvorgänge

Um eine Arterhaltung und identische Reproduktion zu gewährleisten, müssen alle Entwicklungsschritte der menschlichen Embryonalentwicklung sowie der genaue zeitliche Ablauf und die Entwicklung der verschiedenen Organsysteme und Gewebe im Genom verankert sein. Die verschiedenen Stufen der Embryonalentwicklung werden durch eine Art Genhierarchie gesteuert, an deren Ende über verschiedene Kaskaden von Genen, Transkriptionsfaktoren oder parakrinen Faktoren die Regulation von organ- und gewebsspezifischen Genen steht. In der Entwicklung müssen Gewebe und Zellen miteinander kommunizieren, um eine exakte und zeitliche und räumliche Koordination zu gewährleisten. Bisher konnten eine Vielzahl regulatorischer Gene, die von ihnen kodierten Proteine, ihre Reaktionswege, ihre Rezeptoren sowie die von ihnen ausgelösten zellulären Signalwege aufgeklärt werden. Neben den stationären Faktoren in Form von extrazellulären Matrixproteinen und Zelloberflächenproteinen, die über direkte Zell-Zell-Kontakte wirken können, spielen die löslichen Faktoren, die über größere Distanzen ihre Zielzellen erreichen können, eine große Rolle (Abb. 1). Ein zusätzlicher Einfluss auf die Formveränderungen der Organe kann auch über einen programmierten Zelltod, die Apoptose, erreicht werden (Grobstein 1956; Saxen 1972).
Unabhängig von dem genetischen Programm ist das gewebliche Umfeld entscheidend. Im frühen Stadium sind Zellen noch pluripotent, z. B. würde ein Gewebestückchen, das normalerweise zum Neuralrohr geworden wäre, bei Einpflanzung in die Bauchregion zur Bauchhaut. Diese Induktionsvorgänge sind davon abhängig, ob das zu aktivierende („induzierende“) Gewebe die Kompetenz hat bzw. die notwendigen Rezeptoren und intrazellulären Signalproteine besitzt, um entsprechend reagieren zu können. Dies lässt sich an einem gut untersuchten Beispiel für einen Induktionsvorgang an der Augenentwicklung veranschaulichen: Das Augenbläschen (Induktor) induziert die Entwicklung der Linse aus dem Oberflächenepithel des Kopfes (Indukt). Fehlt das Augenbläschen, so entwickelt sich kein Auge. Andererseits kann das Augenbläschen, das an eine andere Stelle unter das Kopfektoderm implantiert wird, auch dort die Bildung einer Linse bewirken, allerdings nicht wenn es z. B. unter die Bauchhaut gepflanzt wird. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die induzierenden Signale wie Fibroblasten-Wachstumsfaktoren (FGF, Fibroblast growth factor) und knochenmorphogenetischen Proteine (BMP, Bone morphogenetic proteins) auf einen nicht kompetenten Epidermisabschnitt treffen würden. Umgekehrt entwickelt sich aber auch im kompetenten Kopfektoderm kein Linsenbläschen, wenn die Induktionssignale fehlen oder nicht im richtigen Zeitfenster eintreffen. Die Festlegung einer bestimmten Differenzierung wird Determination genannt. Die Morphogenese der Organe setzt einen zeitgerechten, geordneten Ablauf wechselnder Induktions- und Determinationsprozesse voraus.

Molekulare Mechanismen von Induktionsvorgängen

Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich unser Verständnis für die embryonalen Entwicklungsprozesse deutlich gewandelt. Durch die Kenntnis über beteiligte Zelltypen, Signalmoleküle und Rezeptoren konnte eine Vorstellung darüber entwickelt werden, was Induktion und Kompetenz eines embryonalen Gewebes bedeutet.
Kompetenz heißt die Fähigkeit eines Gewebes, den richtigen Rezeptor zum richtigen Zeitpunkt zu exprimieren. Induktion sagt aus, dass eine Zelle oder ein Gewebe zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort stationäre und bewegliche Signale aussendet.
Nur so wird erreicht, dass der genetisch definierte Körperbauplan zeitlich und räumlich koordiniert in einen funktionsfähigen Organismus umgesetzt wird.

Induktion durch lösliche Faktoren

Lösliche Faktoren können ihre Zielzellen über größere Distanzen erreichen. Die vier wichtigsten Gruppen der parakrinen (löslichen) Faktoren, die auch als Wachstumsfaktoren bezeichnet werden, sind die FGF-Familie (Fibroblast growth factors), TGF-β-Superfamilie (Transforming growth factors) mit den BMP (Bone morphogenetic proteins) als Subfamilie, die Hh-Familie (Hedgehog) und die Wnt-Familie (Wingless) (http://www.stanford.edu. Zugegriffen am 19.01.2018).
Wachstumsfaktoren werden nur von dem spezifischen Rezeptor für den jeweiligen Wachstumsfaktor (Liganden) auf der Oberfläche der Zielzelle erkannt und können auf das Signal reagieren. Dieser Rezeptor erzeugt bei Bindung an seinen Liganden durch Konfirmationsänderung im Inneren der Zelle ein Signal, das über weitere Signaltransduktion zu Aktivierung oder Abschaltung von Genen führt.

FGF-Familie

Die verschiedenen FGF-Typen regulieren die Proliferation, Migration und Differenzierung von Zellen und Geweben und spielen eine zentrale Rolle beim Wachstum von Organen durch Epithel-Mesenchym-Wechselwirkungen, bei der Induktion des Mesoderms, beim Auswachsen der Extremitäten (Abb. 2) und der Axone sowie bei der Gliederung des zentralen Nervensystems. In adulten Geweben und Organen haben FGF, allen voran FGF-1, eine ausgesprochen intensive Aktivität hinsichtlich der Induktion der Angiogenese. Insgesamt sind bis heute 23 Mitglieder der FGF-Gruppe (FGF-1–23) bekannt.

TGF-Familie

TGF werden in verschiedene Gruppen eingeteilt, die wichtigste ist die TGF-β-Superfamilie. Die TGF-β-Polypeptide sind multifunktional. Sie sind fähig, die Proliferation, Zelldifferenzierung und andere Funktionen in einem weiten Spektrum verschiedener Zellen zu beeinflussen. Die verschiedenen Liganden binden an den spezifischen Rezeptoren auf der Zelloberfläche und aktivieren eine Kaskade von intrazellulären Vorgängen über die Smad-Wege, die im Zellkern Einfluss auf die Genexpression nehmen.
Zu der TGF-β-Superfamilie gehören die BMP. Sie kontrollieren fundamentale Ereignisse in der frühen embryonalen Entwicklung und in der Organgenese. Vor allem in frühen Entwicklungsstadien spielen Verwandte von TGF-β wie Aktivin, Inhibin, Vg-1- und das Anti-Müller-Hormon eine wichtige Rolle. Ferner regulieren BMP und weitere TGF-β-Familienmitglieder die Verzweigung der Nierentubuli und des Bronchialbaums.
Die Mitglieder der engeren TGF-β-Familie (TGF-β1–3) sind die wichtigsten Regulatoren der Synthese extrazellulärer Matrixproteine wie Kollagen 1, Fibronektin, Proteoglykan und deren Integrinrezeptoren. Damit sind TGF-Proteine nicht nur für das Wachstum des Bindegewebes und der extrazellulären Matrix während der Embryogenese verantwortlich, sondern auch für den Umbau und die Regeneration der Bindegewebe im adulten Organismus.

Hedgehog-Familie

Der Hedgehog-Signalweg läuft über die Hedgehog-Proteine Sonic hedgehog, Indian hedgehog und Desert hedgehog und ihren Rezeptor Patched. Sie stellen eine zentrale Rolle in der Festlegung der Entwicklung der Extremitäten, der Wirbel und der Spermatogenese dar. Auch an der Festlegung der Links-rechts-Asymmetrie und der regionalen Differenzierung des Magen-Darm-Kanals sind Hedgehog-Liganden beteiligt.

Wnt-Familie

An der Signaltransduktion des Wnt-Signalweges sind zahlreiche Proteine beteiligt. Er ist essenziell für die normale Embryonalentwicklung über die Induktion der Dermatomyotome aus den Somiten, die Bildung des Knorpelblastems in die Gliedmaßenknospe und die Bildung des Urogenitalsystems wie auch die Differenzierung von Epithelzellen. Das Wnt-Signalprotein bindet an den Frizzled-Rezeptor und beeinflusst über den intrazellulären Spiegel von β-Catenin u. a. die Expression verschiedener Gene.

Induktion über stationäre Faktoren

Viele Induktionsvorgänge erfordern eine synergistische Aktion von löslichen und stationären Faktoren. Während der Embryogenese ist die extrazellulare Matrix als Substrat für die Zellbewegungen essenziell. Hierfür ein paar Beispiele: Spezifische Zellrezeptoren, die sog. Integrine, erkennen extrazelluläre Matrixproteine und können z. B. hierüber die Ausbildung des Zytoskeletts organisieren. Sie regulieren damit Zellform und Zellbewegungen. Weiterhin werden hierüber spezifische Signalwege für Zellproliferation und Genexpression induziert. Alle Epithelien benötigen zur Entwicklung einer polaren Zellform und ihrer epithelspezifischen Gene neben den löslichen Faktoren auch Zell-Zell-Kontakte über Adhäsionsmoleküle, vor allem über Cadherine und ähnliche Zelloberflächenproteine. Ein anderer Mechanismus wird durch Notch-Rezeptoren vermittelt. Interaktionen mit dem Zellmembranprotein Delta ermöglicht z. B. einigen Zellen eine Art Unterhaltung, um sich dann abzusetzen und sich zu differenzieren. Ephrine und Ephrinrezeptoren bilden ein ähnliches System der wechselseitigen zellulären Regulation über membranständige Liganden und Rezeptoren.

Beispiele für die Entwicklung von endokrinen Drüsen

Nebenniere

Nebennierenrinde und -mark sind verschiedener Herkunft: Die Rinde stammt aus dem Mesoderm, das Mark differenziert sich aus Zellen der Neuralleiste. Die fetale Nebennierenrinde (NNR) entsteht während der 6. Embryonalwoche durch Proliferation des Zölomepithels an der dorsalen Bauchwand zwischen dem Ansatz des Mesenteriums und den Gonaden. Während der 7. Woche wandern Zellen von den angrenzenden sympathischen Ganglien aus und lagern sich medial an die Nebennierenrinde an. Die Zellen dringen allmählich weiter in die Rinde ein und differenzieren sich hier zu den chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks. Die Differenzierung der charakteristischen Zonen der NNR beginnt erst in der späten Fetalperiode (Abb. 3) Ten Berge et al. (2008).

Hypophyse

Die Hypophyse entwickelt sich aus zwei Anlagen:
  • aus dem Epithel der ektodermalen Mundbucht und
  • aus einer divertikelartigen Ausstülpung des Zwischenhirns.
Die Entwicklung aus zwei Anlagen erklärt, warum die Hypophyse aus zwei völlig verschiedenen Gewebsgruppen besteht:
  • aus der Adenohypophyse (Hypophysenvorderlappen oder Drüsenabschnitt), die aus dem Epithel der ektodermalen Mundbucht hervorgeht, und
  • der Neurohypophyse (neuraler Anteil oder Hypophysenhinterlappen), die sich aus dem Zwischenhirn bildet.
Mitte der 4. Woche stülpt sich aus dem Dach der ektodermalen Mundbucht ein Divertikel aus, die Rathke-Tasche, und wächst nach dorsal, wo sie Kontakt mit dem Boden des Zwischenhirns bekommt. Dieser vertieft sich zu einer schlauchförmigen Tasche (Infundibulum), aus der die Neurohypophyse hervorgeht. In der 6. Woche obliteriert der epitheliale Gang, der die Rathke-Tasche mit dem Mundhöhlenepithel verbindet. Während der weiteren Entwicklung proliferieren die Zellen in der Vorderwand der Rathke-Tasche und bilden die Pars distalis des Hypophysenvorderlappens. Später umwachsen kleine Ausläufer der Adenohypophyse den Infundibulumstiel und werden zur Pars infundibularis oder tuberalis. Durch starke Proliferationsvorgänge in der Vorderwand der Rathke-Tasche reduziert sich deren Lumen zu einem engen Spalt, der beim Erwachsenen in der Regel nicht mehr zu erkennen ist und nur noch durch eine Zone kleiner Zysten repräsentiert wird. Beim Menschen proliferieren die Zellen der dorsalen Wand der Rathke-Tasche nicht. Diese bleibt daher als dünne, kaum abgrenzbare Pars intermedia erhalten und besteht später nur noch aus kleineren, diskontinuierlichen Zellgruppen (Abb. 4) (Zu et al. 2007).
Der aus dem Neuroephithel des Gehirns hervorgehende Teil bildet die Neurohypophyse. Aus dem Infundibulum entstehen der Hypophysenstiel und die Pars nervosa. Anfangs ist das Infundibulum wie auch die Bodenplatte des Zwischenhirns relativ dünn, aber durch die Proliferation der neuroepithelialen Zellen, aus denen sich später die Pituizyten, eine Spezialform der Glia, entwickeln, vergrößert sich ihr unteres Ende bald zu einem soliden, zapfenförmigen Organ. Schließlich wachsen von den an den Hypophysenstiel angrenzenden Gebieten des Hypothalamus Nervenfasern in die Pars nervosa der Hypophyse ein und schaffen damit die Grundlagen für die Neurosekretion.
Mit Berücksichtigung der Embryologie lassen sich auch Fehlbildungen der Hypophyse erklären. Bei unvollständiger Rückbildung der Verbindung des Rachendaches zum Hypophysenvorderlappen kann es zur Verbleib von hypophysärem Gewebe im Rachendach kommen, der sog. Rachendachhypophyse. Aus ektopischen Hypophysenzellen können auch Kraniopharygeome im Bereich des Pharynx oder der Basis des Os shenoidale entstehen.

Schilddrüse und Nebenschilddrüsen

Die Entwicklung der Schilddrüse beginnt etwa 24 Tage nach der Befruchtung. Dabei bildet sich eine Epithelknospe im Endoderm zwischen dem 1. und 2. Schlundbogen, welche sich im Verlauf nach kaudal ausdehnt und so eine Art hohlen Gang bildet. Über diesen Ductus thyreoglossus, der den deszendierenden Weg kennzeichnet, ist die Schilddrüse bis mindestens zur 6. Woche mit der Zunge verbunden. Ihr Ursprung wird im Bereich des Zungengrundes durch das Foramen caecum markiert.
Etwa die Hälfte der Bevölkerung weist als Rudiment des Ductus thyreoglossus einen sog. Lobus pyramidalis auf, der vom Isthmus bis zum Foramen caecum ziehen kann.
Die oberen Epithelkörperchen sind Derivate der 4. Schlundtasche und gelangen an die Dorsalseite der Thyrea. Die unteren Epithelkörperchen deszendieren gemeinsam mit dem Thymus und gelangen so nach weiter kaudal zum unteren Schilddrüsenpol. Derivat der rudimentären 5. Schlundtasche ist der Ultimobranchialkörper, der sich mit der Thyrea vereinigt und dessen Zellen die parafollikulären Zellen (C-Zellen) zur Calcitoninproduktion bilden. C-Zellen können sich aber auch aus eingewanderten Neuralleistenzellen differenzieren (Abb. 5).
Die Lagevariabilität von Schild- und Nebenschilddrüsen ergibt sich aufgrund ihrer embryologischen Entwicklung.

Gonaden

Die Gonaden bestehen aus zwei Zelltypen unterschiedlichen embryonalen Ursprungs:
  • Aus dem Zölomepithel, dem intermediären Mesoderm sowie teilweise dem Mesonephros, der Urniere, stammen die Zellen mit Ernährungs-, Stütz und weiteren Funktionen.
  • Aus dem Ektoderm entstammen die primordialen Keimzellen.
Zudem finden sich bei beiden Geschlechtern zwei paarige, nebeneinanderliegende Gänge als geschlechtsindifferente Organanlagen: der Wolff-Gang und der Müller-Gang.
Ab der 5. Woche beginnt sich die Gonadenleiste zu entwickeln. Der kraniale und kaudale Teil bilden das Gubernaculum, welches für den Deszensus der Gonaden wichtig ist. Gegen Ende der 5. Woche wandern Urkeimzellen (primordiale) in das Oberflächenepithel der Gonadenleiste aus, welches deshalb auch Keimepithel genannt wird. Es bilden sich zwei Bereiche, wobei die Geschlechtszellen in der Rinde sitzen. Das wachsende Zölomepithel nimmt die Urkeimzellen nun mit und hält engen zellulären Kontakt. Urkeimzellen und somatischer Teil der Gonadenleiste beeinflussen sich dabei reziprok. Zudem liefern viele experimentelle Untersuchungen Hinweise, dass sich mesonephrotische Zellen, nach Degeneration der Urnieren selbst, zu somatischen Gonadenzellen differenzieren und einen entscheidenden parakrinen Einfluss auf die Gonadenbildung, möglicherweise sogar auf die geschlechtliche Differenzierung, ausüben.
Durch Proliferation des Keimepithels entstehen sog. Keimstränge, die sich in das Innere der Gonade vorwölben und die Keimzellen beherbergen. Wichtig ist zu beachten, dass innerhalb der Gonaden nur die spezifische Differenzierung der aus der Keimbahn stammenden Keimzellen erfolgt. Sie werden dort nicht produziert. Bis zur 6. Woche liegen die Gonaden sexuell indifferent vor (Abb. 6).
Beim Mann erfolgt die Initiation der geschlechtsspezifischen Entwicklung durch den Faktor TDF (Testis-determining factor), welcher durch das SRY-Gen kodiert wird. Dieses wird von der geschlechtsbestimmenden Region des kurzen Arms des Y-Chromosoms exprimiert (Capdevila und Izpisua Belmonte 2001).
Das Keimepithel differenziert sich zu Sertoli-Zellen, welche in Form der Gonadenstränge noch weiter in das Mark vordringen und die Keimzellen einbetten. Sie sind für die Ernährung der Keimzellen verantwortlich und stellen das Stützgerüst dar. Zudem produzieren sie das Anti-Müller-Hormon, welches z. B. die Degeneration des Müller-Gangs induziert und so die Feminisierung des Fetus unterdrückt.
Aus dem Mesonephros eingewanderte Zellen umgeben von außen die Gonadenstränge und bilden so peritubuläre Myoblasten. Andere Zellen des eingewachsenen Urnierenmesenchyms differenzieren sich zu den endokrinen Leydig-Zellen, die ab der 8. Woche das für die geschlechtliche Differenzierung essenzielle Testosteron produzieren. Der Ursprung der Leydig-Zellen wird in dem steroidproduzierenden Anteil des mesonephrotischen Gewebes vermutet, welcher auch Anlage der Nebennieren darstellt.
Es erfolgt die weitere Entwicklung der Geschlechtsorgane. Die Keimstränge entwickeln sich zu den Tubuli seminiferi. Aus dem Wolff-Gang bilden sich ableitende Gänge wie der Ductus epididymidis, Ductus deferens sowie der Epididymis, aus den Tubuli mesonephrici (Urnierenkanälchen) die Ductuli efferentes. In der 20. Woche ist im Prinzip die bis zur Pubertät reichende Entwicklungsstufe erreicht.
In der Fetalzeit und im Kindesalter sind die Tubuli seminiferi inaktiv und die Leydig-Zellen bilden sich zurück. Zu Beginn der Pubertät induziert das hypophysiäre luteinisierende Hormon (LH) eine weitere hochaktive Phase der Leydig-Zellen, in der sie verstärkt Testosteron bilden.
Ein wichtiger Punkt der männlichen Gonadenentwicklung ist der Descensus testis, der sowohl durch Wachstumsprozesse als auch durch hormonellen Einfluss erfolgt. Dabei spielt das Gubernaculum eine entscheidende Rolle (Abb. 7). Der obere Abschnitt bildet sich zurück, der untere Abschnitt entspringt am Testis und inseriert an der Symphyse. Unter dem Haupteinflussfaktor INSL3 (Insulin-like hormone 3) verdickt und verkürzt es sich und nimmt dabei den Testis mit. Zudem ergibt sich in Form des Processus vaginalis eine Ausstülpung des Peritoneums in das Skrotum. Durch Ausdehnung nach kaudal nimmt der Prozessus Schichten der Bauchwand mit sich, die auch die späteren Hodenhüllen darstellen.
Entlang dieser Ausstülpung gelangt der Hoden durch den Leistenkanal, in dem er zwischen dem 3. und 7. Schwangerschaftsmonat vorerst verweilt. Erst um den Zeitpunkt der Geburt erfolgt der letztendliche Durchtritt ins Skrotum unter Einfluss androgener Hormone. Der Processus vaginalis obliteriert üblicherweise.
Die geschlechtsspezifische Entwicklung des Ovars erfolgt im Laufe der 8. Schwangerschaftswoche und somit etwas später als die der Testes. Die Entwicklung des weiblichen Phänotyps hängt sowohl mit dem Fehlen des Y-Chromosoms und so der SRY-Region als auch mit dem Vorhandensein von zwei X-Chromosomen zusammen. Auf ihnen befinden sich zahlreiche Regionen und Gene, die entscheidende Rollen in der Geschlechtsdetermination übernehmen.
Innerhalb der Keimstränge des Ovars proliferieren sich die Oogonien durch rasche mitotische Teilung. Etwa 7 Mio. Keimzellen entstehen so, von denen jedoch nur etwa 1–2 Mio. bis zur Geburt persistieren. Auch anschließend gehen fortführend Zellen zugrunde, sodass bis zur Pubertät nur noch etwa 200.000 Follikel erhalten bleiben.
Die Gonadenstränge behalten, anders als beim Mann, engen Kontakt mit dem oberflächlichen Zölomepithel, weit in die Tiefe reichende Stränge degenerieren. Im Verlauf der Entwicklung bilden sich jedoch auch die kortikalen Keimstränge zurück. Ihre Zellen differenzieren sich und umgeben letztlich als Follikelepithelzellen (später Granulosazellen) die Oozyten, wodurch ab dem 5. Monat Primordialfollikel entstehen. Ihre weitere Entwicklung pausiert bis zur Pubertät im Diktyotän der Prophase der ersten Meiose.
Das Oberflächenepithel bleibt als kubisches Ovarepithel bestehen. Aus dem Mesenchym des Marks entwickeln sich das Stroma sowie die spezialisierten Thekazellen. Sie sind zusammen mit den Granulosazellen, welche sich aus den Follikelepithelzellen des Primärfollikels bilden, für hormonelle Produktion zuständig. Mittels der vom follikelstimulierenden Hormon (FSH) abhängigen Aromatase setzen die Granulosazellen das von den Thekazellen produzierte Testosteron in Östrogene um (Ferraz-de-Souza und Achermann 2008).
Durch das Fehlen von Testosteron und Anti-Müller-Hormon kommt es beim weiblichen Embryo zu einer Degeneration des Wolff-Gangs, während sich der Müller-Gang weiterentwickelt. Aus ihm entstehen im oberen Abschnitt die Tube und durch eine mediale Vereinigung beider Gänge der Uterus sowie der kraniale Abschnitt der Vagina. Der untere Abschnitt entstammt dem Sinus urogenitalis. Bei unvollständiger Fusionierung oder Entwicklung kann es so zu uterovaginalen Fehlbildungen kommen.
Auch bei den Ovarien kommt es zu einem Deszensus, der jedoch nur bis in die Fossa ovarica des kleinen Beckens reicht. Diese Verlagerung kommt hauptsächlich durch ein ungleiches Wachstum von abdominellem Bereich und Beckenregion zustande. Der obere und untere Abschnitt des Gubernaculums bilden im Verlauf den Bandapparat von Ovar und Uterus.
Zu Beginn nimmt die Urnierenleiste, folglich auch der Müller-Gang, eine vertikale Position ein. Durch die Fusionierung der unteren Gangabschnitte werden die Tuben aber nach medial gezogen und verlagern sich somit in die Horizontale. Das Ovar, welches sich zuvor medial der Tuben und ventral des degenerierenden Mesonephros befand, rückt dadurch nach dorsal. Ihre endgültige Lage ist am Ende des 4. Monats erreicht.

Bedeutung der Plazenta in der Embryologie

Mutter, Plazenta und Kind bilden eine übergeordnete Einheit. Die Plazenta übernimmt zunächst alle wichtigen Funktionen wie Ernährung, Gasaustausch, Zirkulation, Entgiftung sowie endokrine Sekretion. In der 2. Hälfte der Schwangerschaft übernimmt der Fetus nach und nach selbst einige dieser Funktionen nach Induktion und Bildung der verschiedenen endokrinen Gewebe.
Aus Vorstufen, die vom Fetus oder von der Mutter stammen können, werden im Synzytiotrophoblast der Plazenta Protein- und Steroidhormone synthetisiert. Plazentär gebildete Proteinhormone sind humanes Choriongonadotropin (hCG), Chorionsomatomammotropin, Chorionthyrotropin, Chorionkortikotropin. Das Glykoprotein hCG, das dem LH sehr ähnlich ist, bindet ebenfalls am LH wie auch am LH-Rezeptor. Es wird vom Synzytiotrophoblast erstmals in der 2. Entwicklungswoche ausgeschüttet und sorgt für die Aufrechterhaltung des Corpus luteum. Im mütterlichen Blut erreicht die hCG-Konzentration in der 8. Woche ihren Höhepunkt und fällt dann wieder ab.
In der Plazenta gebildete Steroidhormone sind Progesteron und Östrogene. Progesteron kann in allen Abschnitten der Schwangerschaft in der Plazenta in ausreichender Menge produziert werden. Dies untermauert, wie wichtig dieses Hormon für die Aufrechterhaltung der Schwangerschaft ist. In der Plazenta wird Progesteron aus mütterlichem Cholesterin oder Pregnenolon gebildet. Östrogene werden im Synzytiotrophoblast synthetisiert, den die fetale Nebennierenrinde zur Verfügung stellt.
Mit Ausnahme eines langsamen Thyroxin- und Trijodthyronintransfers gelangen Proteinhormone nur in unwesentlichen Mengen zum Embryo oder Fetus. Hingegen passieren Steroidhormone in unkonjugierter Form nahezu ungehindert die Plazentaschranke. So können auch Testosteron und einige synthetische Progesterone zur Virilisierung weiblicher Feten führen.
Nach Untersuchungen an Menschenaffen hat der fetale Hypothalamus über die Produktion von hypophysären Hormonen einen bedeutenden Einfluss auf die Schwangerschaftsdauer und auch den Geburtsvorgang.
Literatur
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