Skip to main content

Anpassungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Tina In-Albon und Franz Resch
In der klinischen Praxis gehören die Anpassungsstörungen zu den häufigsten diagnostizierten psychischen Störungen. In der Forschung wird dieses Störungsbild jedoch stark vernachlässigt, obwohl die Diagnose seit 50 Jahren in den Klassifikationssystemen aufgeführt ist. Daher ist es nicht verwunderlich, dass das Störungsbild immer noch vage ist, Angaben zu Prävalenzraten und Verläufen praktisch nicht vorliegen und die Diagnosevergabe Schwierigkeiten generiert. Zudem liegen weder validierte diagnostische Verfahren noch evaluierte Therapiestudien und Therapieleitlinien für das Kindes- und Jugendalter vor. Im Folgenden werden die Symptomatik, mögliche Stressoren/Lebensereignisse und die Klassifikation nach ICD-10, ICD-11, DSM-5 und DC:0-5 vorgestellt. Des Weiteren wird auf differenzialdiagnostische Aspekte, Erklärungsmodelle und Therapiekomponenten eingegangen.

Symptomatik

Kennzeichnend für die Anpassungsstörung ist der zeitliche Zusammenhang zwischen einem kritischen Lebensereignis oder einer Lebensveränderung und einem breiten Spektrum von internalisierenden und externalisierenden Symptomen.
Typische und häufige Symptome bei Anpassungsstörungen
  • Verschiedene Emotionen von Trauer, Angst, Wut, Ärger, Hilflosigkeit, Gereiztheit
  • Schlafschwierigkeiten
  • Ermüdung
  • Niedergeschlagenheit
  • Perspektivenlosigkeit, Resignation
  • Alpträume
  • Schuldgefühle
  • Verlassenheitsgefühle
  • Wutausbrüche
  • Trennungsängste
  • Einnässen
  • Plötzliche schulische Leistungseinbußen (schlechte Noten, Versetzungsgefahr)
  • Eltern-Kind-Konflikte
Die Symptome gehen mit einem subjektiven Leiden und Beeinträchtigung einher, die soziale Funktionen und Leistungen behindern.
ICD-10 beschreibt einen Stressor wie folgt: eine identifizierbare psychosoziale Belastung, von einem nicht außergewöhnlichen oder katastrophalen Ausmaß. Es können also viele verschiedene kritische Lebensereignisse oder Lebensveränderungen zur Entstehung einer Anpassungsstörung führen. Die Stressoren können akut oder chronisch über einen längeren Zeitraum verlaufen. Sie können kontinuierlich oder wiederkehrend sein. Häufig sind dies:
  • Verlusterlebnisse, z. B. durch Trennung/Scheidung, Tod, Emigration, Umzug,
  • Geburt eines Geschwisterkindes,
  • neue Bezugspersonen,
  • schulische Probleme oder Veränderungen, z. B. Schulwechsel,
  • körperliche Erkrankungen,
  • körperliche Erkrankungen und psychische Störungen der Bezugspersonen,
  • rechtliche Probleme.
Die Anpassungsstörung ist jeweils durch ein kritisches Lebensereignis oder eine Belastung, jedoch ein nicht traumatisches Ereignis definiert.
Grundsätzlich ist jedoch festzuhalten, dass die meisten Menschen stressreiche Lebensereignisse erleben (Abschn. 3). Die Reaktionen auf solche Ereignisse können in sehr unterschiedlichem Ausmaß erfolgen. Dabei wird ein Kontinuum von PTBS über die Anpassungsstörung zu keinen Reaktionen angenommen. Die Diagnose Anpassungsstörung versucht diejenigen zu erfassen, die stärker unter den Reaktionen und dem Erlebten leiden, dadurch in ihrem Alltag klinisch relevant eingeschränkt werden, wobei die meisten davon dann aber doch zu ihrem vorherigen Wohlbefinden zurückfinden.
„Beispiel“, Fallbeispiel 1
Die 14-jährige weibliche Jugendliche Hanna wird von ihrer Mutter aufgrund von mehreren Belastungsfaktoren in der Familie vorgestellt. Diese sind: schwierige Trennung der Eltern, somatische Erkrankungen von Mutter und Vater, depressive Störung der älteren Schwester. Hanna berichtet, dass sie seit zwei Jahren eine starke Stimmungsverschlechterung erlebe, weniger schlafe und esse, häufig sehr müde sei, sich zurückziehe und sich bisher zweimal geritzt habe. Sie gibt an, der Familie keine Last sein zu dürfen, da sie sich um die Familie kümmern müsse. Sie beschreibt zudem einen geringen Selbstwert, z. B. „Wie soll ich das alles schaffen?“, „Ich bin langweilig, darum habe ich keine Freunde“ und ein Grübeln über die Vergangenheit „Wie konnte es so kommen?“.
Als prädisponierender Faktor ist eine genetische Komponente aufgrund einer Häufung psychischer Störungen in der Familie naheliegend. Ebenfalls ist das schüchterne, stabile zurückhaltende Temperament ein Vulnerabilitätsfaktor. Die Jugendliche vermied schon früh neue Situationen und Herausforderungen sowie die Durchsetzung eigener Wünsche und Bedürfnisse, sodass sich Kompetenzen in den Bereichen Emotionsregulation, soziale Interaktionen und Problemlösen nicht ausreichend entwickeln konnten. Als Auslöser der Symptomatik wurden die Belastung innerhalb der Familie aufgrund psychischer Störungen der Eltern und der Schwester, die körperlichen Erkrankungen der Eltern sowie die schwierige Trennung der Eltern gesehen. Zusammen mit den Entwicklungsaufgaben des Jugendalters reichen Hannas Ressourcen für diese Anpassungsleistungen nicht aus. Zudem wurden wichtige Grundbedürfnisse, wie sichere Bindung, Sicherheit und Kontrolle nicht erfüllt. Die Familie von Hanna stellt im Umgang mit Problemen dysfunktionale Modelle dar. So erlebte sie einen passiven und vermeidenden Umgang mit Problemen, gekennzeichnet durch Rückzug. Hanna wurde in der Familie als gesundes Mitglied häufig „übersehen“. Die Jugendliche beschreibt, dass sie sich irgendwann an die anderen angepasst habe. Dadurch kam es zu einem Verstärkerverlust und dem Erleben von Hilflosigkeit. Zusätzlicher Auslöser war die depressive Störung der Schwester, die bislang eine wichtige Unterstützung für Hanna darstellte. Insgesamt entwickelten sich dysfunktionale Kognitionen im Hinblick auf ein negatives Selbst-, Welt-, und Zukunftsbild. Ihre dysfunktionalen Kognitionen und das Vermeidungsverhalten verhinderten, dass sie selbstwertfördernde Erfahrungen und Erfolgserlebnisse sammeln konnte.
Ihre sozialen Kompetenzen zeigten sich bei Hanna, als sie nach teilweiser Überwindung des Stimmungstiefs nach Unabhängigkeit und Ablösung von der Familie strebte.
Therapieziele mit Hanna lauten: Vermittlung eines Störungskonzepts, Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts und der Aufbau funktionaler Kognitionen sowie altersangemessener Aktivitäten, Verbesserung des Umgangs mit familiären Belastungen, Aufbau sozialer Kompetenzen und Emotionsregulation. Therapieziele mit den Eltern sind: Vermittlung eines Störungskonzepts, Förderung einer angemessenen Zuschreibung von Verantwortung für die familiäre Situation und Verstärkung offener Kommunikation, Stärkung der Erziehungskompetenz im Hinblick auf altersangemessene Anforderungen, klare Absprachen und angemessene Konsequenzen.
Hanna ist sehr eigenmotiviert, nimmt die Termine regelmäßig und zuverlässig wahr und bringt eigene Themen in die Therapie ein. Nach der Psychoedukation zur Symptomatik wird das Zusammenspiel von Vulnerabilitäts- und Stressfaktoren erarbeitet und reflektiert. Dabei werden die drei zentralen Behandlungsbausteine Kognitionen/Selbstkonzept, Aktivitätsaufbau und soziale und emotionale Kompetenzen abgeleitet. In der Folge können der Zusammenhang zwischen Gedanken, Gefühlen und Verhalten erarbeitet und die Aufwärts- und Abwärtsspirale besprochen werden. Erster Schwerpunkt ist die Steigerung des Selbstwerts. Dabei wird die Wichtigkeit der Selbstfürsorge und eines „fairen Blicks“ auf sich selbst abgeleitet. Zunehmend gelingt es Hanna den „inneren Kritiker“ dem „wohlwollenden Begleiter“ entgegenzusetzen. Zur Stärkung des wohlwollenden Begleiters wird ein Positivtagebuch eingesetzt. Anhand des Tagebuchs können dysfunktionale Gedanken und Grundannahmen identifiziert und kritisch hinterfragt werden. Zudem können Bedürfnisse und Wünsche besprochen und mit der Umsetzung im Alltag verglichen werden. Bereits mit Beginn der Therapie hat Hanna begonnen, sich neue Freizeitaktivitäten zu suchen. Dies hat sich positiv auf ihre Stimmung ausgewirkt, nur zeigt sich anhand des Tagebuchs, dass sich Hanna mit den vielen Hobbies, den schulischen Pflichten und durch die hohen eigenen Anforderungen überfordert. In der Folge werden die Selbstfürsorge nochmals aufgenommen und zur Entlastung Imaginationsübungen durchgeführt. Des Weiteren werden depressive Denkfehler thematisiert. Im Hinblick auf Sozialkontakte hat Hanna den Wunsch nach einer engeren Vertrauensperson, ist aber zögerlich auf andere zuzugehen. Anhand des Aufzeichnens eines sozialen Netzes zeigte sich, dass sie über eher wenig enge soziale Kontakte verfügt, sich damit aber wohl fühlte. Nur in Bezug zu ihrer Schwester besteht der Wunsch nach einem wieder engeren Kontakt. Durch positive gemeinsame Aktivitäten mit der Mutter verbessert sich die Eltern-Kind Interaktion.
Als ein letzter Therapieschwerpunkt wird die Funktion von Emotionen, deren Ausdruck und Erkennung besprochen und geübt. Als eine zentrale Emotion benennt Hanna Einsamkeit. Diese diene ihr als Schutz davor, von anderen abhängig zu sein und verletzt zu werden. Jedoch habe sie den Wunsch diesen Schutzpanzer loszuwerden und sich mehr zu öffnen. Als weitere wichtige Emotion benennt sie Gleichgültigkeit. Es wird erarbeitet, dass Gleichgültigkeit aber nicht nur negativ sein muss, wenn man sie als Form von Gelassenheit versteht. Gegen Ende der Therapie hat Hanna den Wunsch die zukünftig freie Therapiezeit für Hobbies und Sozialkontakte zu nutzen. Hanna bilanziert, dass sie im vergangenen Jahr große Veränderungen bei sich festgestellt habe. Sie sei selbstsicherer, offener und zufriedener mit sich selbst. Insbesondere wisse sie nun, wie sie schwierige Situationen und Stimmungstiefs aus eigener Kraft bewältigen könne.
Kommentar: Als Diagnose wird eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion (F43.21) vergeben. Differenzialdiagnostisch sind die Kriterien für eine depressive Störung und eine soziale Angststörung nicht erfüllt.

Klassifikation

Eingeordnet ist die Anpassungsstörung im DSM-5 (APA 2013) und dem Zero-to-Three für das Vorschulalter (DC:0-5, 2016) bei den Trauma- und belastungsbezogenen Störungen, in der ICD-10 bei den neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen (F43.2). Die Diagnose Anpassungsstörung stellt häufig eine Restkategorie dar, wenn die Kriterien für eine andere Diagnose, z. B. PTBS nicht erfüllt sind.
Die Schwierigkeiten mit der Diagnose Anpassungsstörung können wie folgt zusammengefasst werden als: Schwierigkeiten in der Differenzierung einer normalen adaptiven Stressreaktion (falsch-positiv) von einer psychischen Störung (siehe Fallbeispiel 2), Schwierigkeiten in der Differenzierung von anderen psychischen Störungen, z. B. einer depressiven Störung (siehe Fallbeispiel 3), die Abwesenheit von spezifischen Symptomkriterien und die schlecht validierten Subtypen. Andererseits ermöglicht die Diagnose einigen Patienten eine Entlastung. Die Akzeptanz der Diagnose ist auf Patientenseite relativ hoch, da sie dem Kausalerklärungsbedürfnis entgegenkommt und prognostisch eher optimistisch ist (Simmen-Janevska und Maercker 2011; siehe Fallbeispiel 4).
In der folgenden Übersicht sind die diagnostischen Kriterien für Anpassungsstörungen (F43.2) nach DSM-5 aufgeführt.
Diagnostische Kriterien für Anpassungsstörungen (F43.2) nach DSM-5 (Abdruck erfolgt mit Genehmigung vom Hogrefe Verlag Göttingen aus dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition, © 2013 American Psychiatric Association, dt. Version © 2018 Hogrefe Verlag)
A.
Die Entwicklung von emotionalen oder behavioralen Symptomen als Reaktion auf einen identifizierbaren Belastungsfaktor, die innerhalb von 3 Monaten nach Beginn der Belastung auftreten.
 
B.
Diese Symptome oder Verhaltensweisen sind insofern klinisch bedeutsam, als sie eines oder beide der folgenden Kriterien erfüllen:
1.
Deutliches Leiden, welches unverhältnismäßig zum Schweregrad und zur Intensität des Belastungsfaktors ist, nach Berücksichtigung des externen Umfelds und kulturellen Faktoren, die den Schweregrad und das Beschwerdebild der Symptome beeinflussen können.
 
2.
Bedeutsame Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
 
 
C.
Das belastungsabhängige Störungsbild erfüllt nicht die Kriterien für eine andere psychische Störung und stellt nicht nur eine Verschlechterung einer vorbestehenden psychischen Störung dar.
 
D.
Die Symptome sind nicht Ausdruck einer gewöhnlichen Trauerreaktion.
 
E.
Wenn die Belastung oder deren Folgen beendet sind, dauern die Symptome nicht länger als weitere 6 Monate an.
 
Bestimme, ob:
F43.21 Mit Depressiver Stimmung: Gedrückte Stimmung, Weinerlichkeit oder Gefühle der Hoffnungslosigkeit stehen im Vordergrund.
F43.22 Mit Angst: Nervosität, Sorgen, Überspanntheit oder Trennungsangst stehen im Vordergrund.
F43.23 Mit Angst und depressiver Stimmung, gemischt: Eine Kombination von Depression und Angst stehen im Vordergrund.
F43.24 Mit Störung des Sozialverhaltens: Eine Störung des Sozialverhaltens steht im Vordergrund.
F43.25 Mit Störung der Emotionen und des Sozialverhaltens, gemischt: Sowohl emotionale Symptome (z. B. Depression, Angst) als auch eine Störung des Sozialverhaltens stehen im Vordergrund.
F43.20 Nicht näher bezeichnet: Für unangepasste Reaktionen, die sich nicht als eine der spezifischen Subtypen der Anpassungsstörung klassifizieren lassen.
Bestimme, ob:
Akut: wenn das Störungsbild weniger als 6 Monate anhält.
Andauernd (chronisch): wenn das Störungsbild 6 Monate oder länger anhält.
Nach ICD-10 treten die Symptome innerhalb eines Monats auf. Zudem dauern die Symptome nach Ende des Ereignisses oder ihrer Folgen nicht länger als 6 Monate an, außer bei der längeren depressiven Reaktion.
Das breite Spektrum an Symptomen widerspiegelt sich in den Subtypen der Anpassungsstörung. Die Subtypen umfassen depressive Reaktionen, Angst, Angst und depressive Reaktion gemischt, vorwiegend Störung von anderen Gefühlen wie z. B. Sorgen, Anspannung, Ärger, vorwiegend Störung des Sozialverhaltens oder mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten.
Als wichtige Neuerungen für die ICD-11 sind die beiden Aspekte Beschäftigung mit dem Stressor oder dessen Konsequenzen, was exzessive Sorgengedanken, wiederkehrende, betrübliche Gedanken an den Stressor und konstantes Nachsinnen/Ruminieren über dessen Auswirkungen einschließt sowie die Unfähigkeit sich an den Stressor anzupassen. Nach aktuellem Stand wird die Anpassungsstörung in der ICD-11 wie folgt beschrieben: „Eine Anpassungsstörung ist eine unpassende Reaktion auf einen identifizierbaren psycho-sozialen Stressor oder mehrerer Stressoren (z. B. Scheidung, Krankheit oder Behinderung, sozio-ökonomische Probleme, Konflikte zu Hause oder im Beruf), die innerhalb eines Monats auftreten. Die Störung ist durch die Beschäftigung mit dem Stressor oder dessen Konsequenzen charakterisiert. Dies schließt exzessive Sorgengedanken, wiederkehrende, betrübliche Gedanken an den Stressor oder konstantes Nachsinnen über dessen Auswirkungen, sowie die Unfähigkeit sich an den Stressor anzupassen ein, welche signifikante Beeinträchtigung im persönlichen, familiären, sozialen, Ausbildungs-, beruflichen Kontext und anderen wichtigen Bereichen nach sich zieht. Die Symptome sind nicht spezifisch oder schwer genug, um die Diagnose einer anderen psychischen Störung oder Verhaltensstörung zu rechtfertigen und remittieren üblicherweise nach 6 Monaten, außer der Stressor besteht für eine längere Zeit.“ (https://icd.who.int/browse11/l-m/en#/http%3a%2f%2fid.who.int%2ficd%2fentity%2f264310751, abgerufen 04.06.2020).
Die Zero-to-Three-Klassifikation für Kinder im Vorschulalter (DC:0-5, 2016) erfordert wiederum einen zeitlichen Zusammenhang von einem (oder mehreren) Stressor(en) und dem Auftreten verschiedener Symptome, die mindestens zwei Wochen und maximal drei Monate anhalten. Die Diagnose kann nicht gestellt werden, wenn eine andere Diagnose die Symptome besser erklären kann oder die Symptome eine Steigerung einer präexistierenden Störung darstellen. Als wichtige Differenzialdiagnose beschreibt die DC:0-5 die komplizierte Trauerstörung. Der Verlust der Hauptbezugsperson ist ein besonders schwerwiegender Stressor. Jüngere Kinder haben in der Folge noch nicht die Ressourcen mit so einem Verlust umzugehen und zusätzlich sind die anderen Bezugspersonen möglicherweise auch nicht in der Lage das Kind angemessen zu unterstützen.
Maercker et al. (2007) haben in Anlehnung an das Konzept eines Stress-Response-Syndroms (Abschn. 7) einen Vorschlag für Diagnosekriterien erstellt (Tab. 1). Zentrale Symptome dafür sind Intrusionen, Vermeidung und eine Fehlanpassung. In Bezug auf Kinder ist bei Kriterium B in Anlehnung an die Ergänzung im DSM-5 bei der PTBS, wahrscheinlich auch bei der Anpassungsstörung, zu berücksichtigen, dass anstelle von Intrusionen das Ereignis im Spielverhalten zum Ausdruck kommen kann.
Tab. 1
Diagnostische Kriterien für eine Anpassungsstörung nach Maercker (2002)
A
Reaktionen auf ein identifizierbares belastendes Ereignis treten innerhalb eines Monats nach dem Ereignis auf
B
Intrusionen
1. wiederholte, belastende und unwillkürliche Gedanken an das Ereignis
2. wiederholte Erinnerungen oder ständiges Grübeln über das Ereignis während der Mehrzahl der Tage während mindestens 1 Monat
3. Auftreten von Stress bei Erinnerung an das Ereignis
C
Vermeidung
1. Vermeidung von Stimuli, die mit dem Ereignis assoziiert sind
2. Bemühungen Gedanken zu vermeiden, die mit dem Ereignis assoziiert sind
3. Bemühungen Gefühle zu vermeiden, die mit dem Ereignis assoziiert sind
4. Bemühungen nicht über das Ereignis zu sprechen
5. Rückzug von anderen Menschen
D
Fehlanpassungssymptome
1. Interesseverlust bei der Arbeit, sozialen Aktivitäten, der Sorge für andere Personen, Freizeitaktivitäten
2. Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafprobleme
3. Mangel an Selbstvertrauen bei Ausführung früher gewohnter Tätigkeiten
 
Subtypen: mit depressiver Stimmung, mit Angst, mit Störungen der Impulskontrolle
„Beispiel“, Fallbeispiel 2
10-jähriger Junge, der seit ca. 9 Monaten trotzig reagiere, schnell laut werde, ärgerlich sei, sich Regeln widersetze und sich schnell von anderen verärgern lassen würde. Kurz vor der Einschulung sei die Beziehung der Eltern immer angespannter geworden und nach der Einschulung sei es dann zur Trennung der Eltern gekommen. Von der Mutter wird zudem berichtet, dass der Junge Schwierigkeiten im Bereich der Selbstsicherheit habe und schon immer schüchtern gewesen sei.
Kommentar: Als Diagnose wird eine Anpassungsstörung mit Störung des Sozialverhaltens vergeben. Differenzialdiagnostisch sind die Kriterien für eine Störung des Sozialverhaltens nicht erfüllt. Es stellt sich jedoch die Frage, ob in diesem Falle eine Diagnose einer psychischen Störung gerechtfertigt ist, und ob eine Psychotherapie überhaupt indiziert ist. Inhaltliche Themen für eine Therapie bzw. Beratung könnten sein: Elternarbeit, Erarbeitung von Ressourcen und positiven Aktivitäten, Zusammenhang Gedanken, Gefühle und Verhalten, Kommunikations- und soziales Kompetenztraining.
„Beispiel“, Fallbeispiel 3
17-jähriger männlicher Jugendlicher, dessen Vater vor sieben Monaten im Ausland gestorben sei. Das Verhältnis zum Vater sei seit Jahren sehr angespannt gewesen. Der Jugendliche wirkt im Erstgespräch traurig und weint. Vorstellungsanlass seien Ein- und Durchschlafschwierigkeiten, Konzentrationsprobleme, Stimmungsschwankungen sowie geringer Appetit. Morgens fühle er sich sehr müde und schlaf, abends grüble er viel und verspüre Schuldgefühle. Bei Konflikten mit der Mutter und dem Bruder gebe es viel Streit, dabei könne er sehr wütend werden.
Kommentar: Als Diagnose wird eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion vergeben. Unklar ist jedoch das Zeitkriterium zwischen Ereignis und Symptomatik. Zudem stellt sich differenzialdiagnostisch die Frage nach einer depressiven Störung.
„Beispiel“, Fallbeispiel 4
Nach dem Umzug von Tschechien nach Deutschland vor ca. einem Jahr habe sich die 11-jährige weibliche Chantal sehr verändert. Von Mutter und Tochter werden Ängste, Rückzugsverhalten, Niedergeschlagenheit und Selbstwertprobleme als Grund für die Anmeldung in der Ambulanz beschrieben. Vor dem Umzug sei Chantal ein unbeschwertes, offenes Mädchen gewesen, das bei den anderen Kindern beliebt gewesen sei. Mittlerweile meide sie den Kontakt zu anderen Kindern. Sie beschäftige sich außerhalb der Schule hauptsächlich mit ihrer Schwester, spiele lieber alleine als mit Anderen und sei oft traurig. Auch Chantal beschreibt oft traurig zu sein. Sie vermisse das Leben und ihre Freunde in Tschechien und mache sich viele Gedanken über ihre Schulnoten und die anderen Kinder. Deswegen und wegen den Ängsten grüble sie viel und könne oft schlecht einschlafen. Aufgrund der Schlafprobleme sei sie tagsüber oft müde und könne sich in der Schule schlecht konzentrieren.
Kommentar: Es wird die Diagnose einer Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion vergeben. Differenzialdiagnostisch sind jedoch die Kriterien für eine soziale Phobie und eine leichte depressive Störung erfüllt, sodass die Diagnose einer Anpassungsstörung nicht vergeben werden dürfte. Hintergrund, weshalb dennoch eine Anpassungsstörung vergeben wird, ist zum einen der deutliche Zusammenhang zwischen dem Umzug und der Symptomatik und zum anderen, dass der Familie das Annehmen einer Diagnose einer depressiven und sozialen Angststörung sehr schwer gefallen wäre und gegebenenfalls keine weiterführende Behandlung in Anspruch genommen würde. Dennoch ist die Vergabe der Diagnose Anpassungsstörung kritisch zu betrachten bzw. nicht gerechtfertigt, da die Therapie störungsspezifische Aspekte der depressiven Störung und der sozialen Angststörung beinhaltet und impliziert wird, dass eine Diagnose einer depressiven Störung bzw. einer komorbiden sozialen Angststörung „schlimmer“ ist als eine Anpassungsstörung.
Therapieinhalte für Chantal könnten sein: Psychoedukation, Modifikation dysfunktionaler Kognitionen, Verbesserung der Emotions- und Selbstregulation, Selbstwertstabilisierung, Ressourcenaktivierung, Verhaltensaktivierung, Aufbau sozialer Kontakte, Aufbau Konfliktlösekompetenzen, Expositionsübungen in vivo.

Epidemiologie

Aufgrund fehlender reliabler Verfahren sind auch epidemiologische Daten zur Anpassungsstörung im Kindes- und Jugendalter mangelhaft.
Gemäß der Klassifikation der Zero-to-Three (DC:0-3) wurde bei 8 % von 1083 Kindern eine Anpassungsstörung diagnostiziert (Emde und Wise 2003). In einer Studie einer Spezialambulanz für Klein- und Vorschulkinder wiesen 6 % bzw. 5,4 % der Kinder eine Anpassungsstörung nach ICD-10 bzw. DC:0-5 auf (Equit et al. 2011).
Geschlechtsspezifische Merkmale wurden im Hinblick auf Stressoren und Symptomen berichtet. Pelkonen et al. (2005) berichten bei männlichen Jugendlichen mit einer Anpassungsstörung häufiger von schulassoziierten und rechtlichen Schwierigkeiten als Stressoren sowie von psychomotorischer Unruhe, während bei weiblichen Jugendlichen elterliche Erkrankungen häufiger als Stressoren fungierten und sich die Symptomatik häufiger in internalisierenden Symptomen zeigte.
Bekannt ist jedoch, dass Kinder in jedem Alter häufig belastende Lebensereignisse erleiden. Bei Kindern im Vorschulalter (5–6, 9 Jahre) zeigte sich in einer Schuleingangsuntersuchung, dass mehr als 80 % der Kinder mindestens ein belastendes Lebensereignis in ihrem bisherigen Leben erlitten haben (Furniss et al. 2009). Dabei zeigte sich ein eindeutiger Zusammenhang von Lebensereignissen und klinisch auffälligem Verhalten. Relevant für die Entwicklung von kindlichen Verhaltensauffälligkeiten scheinen zu sein Trennung/Scheidung, kindliche Gesundheit, Umzug, Arbeit der Eltern (Verlust der Arbeit, Wiederaufnahme der Arbeit), Gesundheit der Eltern und Familienangehörige (Geburt eines Geschwisters, Auszug eines Geschwisters).
In der Bremer Jugendstudie berichteten 22,5 % der 12- bis 17-Jährigen irgendwann in ihrem bisherigen Leben ein traumatisches Ereignis erlebt zu haben (Essau et al. 1999). Am häufigsten wurden körperliche Angriffe, Verletzungen und Unfälle genannt.
Es kann festgehalten werden, dass viele Kinder ein stressreiches Lebensereignis erleben, aber dass die Mehrheit der Kinder in der Folge keine psychischen Störungen entwickelt.

Verlauf

Gemäß der Definition der Störung treten die Symptome nach einem belastenden Lebensereignis oder einer Lebensveränderung auf und bilden sich in der Folge meist zurück. In den meisten Fällen kann daher von einer guten Prognose ausgegangen werden. In einer klinischen Inanspruchnahme-Population von 30 Kindern mit einer Anpassungsstörung betrug der Median der Dauer einer Episode einer Anpassungsstörung 7 Monate und die Erholungsrate („recovery-rate“) lag bei 97 % (Kovacs et al. 1994). Zum Langzeitverlauf der Anpassungsstörung im Kindes- und Jugendalter liegen jedoch bislang wenige Studien vor. In der Studie von Kovacs et al. (1994) zeigte sich im Katamnesezeitraum von 8 Jahren nach Kontrolle komorbider Diagnosen die Anpassungsstörung nicht als Prädiktor für weitere Dysfunktionen. Allerdings ist die Stichprobe von 30 Kindern sehr gering. Hingegen beschrieben Andreasen und Hoenk (1982) einen ungünstigeren Verlauf als bei Erwachsenen, häufigeres suizidales Verhalten (Pelkonen et al. 2005) und auch häufigere Suizide (Marttunen et al. 1994). Es sind somit weitere Studien notwendig, ob sich andere psychische Störungen aus einer Anpassungsstörung heraus entwickeln können, wie es nach klinischer Einschätzung bei vielen Kindern zu sein scheint.

Diagnostik

Mit dem Strukturierten Interview für das Vorschulalter (SIVA:0-6, Bolten et al. 2021) liegt ein Elterninterview vor, welches die Anpassungsstörung nach ICD-10 und DC:0-5 für Kinder zwischen einem und 6 Jahren als auch die komplizierte Trauerstörung nach DC:0-5 erfasst. Erste Gütekriterien liegen vor (In-Albon et al. 2020).
Im Kinder-DIPS-OA (Schneider et al. 2017) ist die Anpassungsstörung nicht explizit als Störungsbild beinhaltet. Im Überblick des Interviews wird zu Beginn nach Veränderungen oder Schwierigkeiten im letzten halben Jahr in den Bereichen Familie, Freunde, Klassenkameraden, Schule, Ausbildung, Beruf, Gesundheit und gesetzliche Angelegenheiten gefragt. Des Weiteren beinhaltet das Kinder-DIPS ein Traumascreening, welches jedoch Trauma im Sinne einer PTBS beinhaltet.
In der Exploration mit Kind und Eltern sollte zusätzlich zur Erfassung des belastenden Ereignisses, der Symptome sowie des zeitlichen Zusammenhangs zwischen Stressor/Ereignis und Symptomatik auch die subjektive Bedeutung des Stressors für das Kind, die subjektiven elterlichen Einstellungen, Ressourcen, Problemlösefähigkeiten und Bewältigungsmechanismen erhoben werden. Des Weiteren ist es sinnvoll soziale Kompetenzen zu beobachten und zu erfassen.

Differenzialdiagnostik

Wenn die Kriterien einer Angststörung, depressiven Störung oder einer PTBS erfüllt sind, kann die Diagnose einer Anpassungsstörung nicht vergeben werden. Auszuschließen ist nach DSM-5 auch eine gewöhnliche Trauerreaktion. Für die Erfassung der Differenzialdiagnostik und möglicher komorbider Diagnosen ist ein klinisch strukturiertes Interview mit dem Kind und den Eltern durchzuführen, z. B. das Kinder-DIPS-OA (Schneider et al. 2017). Für die dimensionale Diagnostik empfiehlt sich zusätzlich zur Erfassung der Psychopathologie des Kindes (z. B. SDQ, YSR/11-18R, CBCL/6-18R) auch die Lebensqualität (z. B. ILK), Emotionsregulationsstrategien (z. B. FEEL-KJ) sowie Stress- und Stressbewältigung (z. B. SSKJ 3-8R) zu berücksichtigen.
Differenzialdiagnostisch sind Anpassungsstörungen insbesondere von depressiven Störungen und Angststörungen zu unterscheiden.

Störungskonzept und Erklärungsmodell

Ist die Tatsache, dass die Anpassungsstörung zwischen Normalität und Pathologie eine Art Übergangsbereich signalisiert, wirklich das Einzige, das wir an theoretischer Konzeptualisierung anführen können? Maercker et al. (2007) konzipierten die Anpassungsstörung als eine Form eines Stress-Response-Syndroms. Sie sollte die nicht mehr adaptive normale Antwort des Menschen auf Stressbelastungen signalisieren. Darauf wurde ja schon in den Überlegungen zur Klassifikation eingegangen. Als Stress-Response-Syndrom rückt die Anpassungsstörung nahe an die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) oder die akute Belastungsstörung. Als wichtigsten Unterschied zwischen Anpassungsstörung und PTBS erkennt man das Ausmaß der Stressbelastungen. Stressoren, die mit der Anpassungsstörung verbunden sind, haben nicht den plötzlichen und unerwarteten Katastrophencharakter der Auslöser von PTBS und sind als Trauma nicht so heftig zu bewerten (Zelviene und Kazlauskas 2018). Beispiele für Stressoren im Rahmen einer Anpassungsstörung können sein Scheidungen, körperliche Krankheit, Geldprobleme oder Konflikte mit Gleichaltrigen (Abschn. 2). Anpassungsstörungen wären somit nichtadaptive Reaktionen auf definierbare Stressoren. Die Störungskriterien dieses Konzepts sind in Tab. 1 beschrieben. Kernsymptome sind Intrusionen, Vermeidung und Fehlanpassung. Intrusionen bezeichnen ständig wiederkehrende Erinnerungen an das Ereignis und die wiederholte Auseinandersetzung durch Grübeln oder sich sorgen. Dieses gedankliche Verhaftetsein kann spontan oder nach Auftreten von Schlüsselreizen erfolgen. Vermeidung zeigt sich sowohl beim Nicht-darüber-Sprechen als auch der Vermeidung von Schlüsselreizen, Aktivitäten und Situationen, die an das Ereignis erinnern. Fehlanpassung beschreibt persönlichkeits- und verhaltensbezogene Symptome wie sozialer Rückzug, Vernachlässigung bisher als angenehm empfundener Aktivitäten und Tätigkeiten sowie eine Verminderung des Selbstwerts. Emotionale Reaktionen können als depressive Symptome, Angst und Impulsivität auftreten. Dies könnte einen ersten theoretischen Anhaltspunkt für die diagnostische Entität der Anpassungsstörung darstellen (Übersicht bei Zelviene und Kazlauskas 2018). Das Störungskonzept konnte bei Erwachsenen in Klinikpopulationen (Dannemann et al. 2010) und Bevölkerungsstudien (Maercker et al. 2008) belegt werden.
Nach dem Stress-Response-Syndrom sind Intrusionen, Vermeidung und Fehlanpassung Kernsymptome der Anpassungsstörung.
Das Stress-Response-Modell baut auf dem Erklärungsmodell von Horowitz (1986) für die Anpassungsstörung auf. Demzufolge erzeugt ein belastendes Ereignis intensive Gefühle und ein Gefühl der Überwältigung. Darauf wird mit Zurückdrängen dieser intensiven Gefühle reagiert, z. B. durch Vermeidung oder dysfunktionalem Verhalten. In der Folge bilden sich Teufelskreise von sich aufdrängenden Gedanken und Vermeidungsversuchen. Als normale Folge kommt es dann zu einem Elaborieren und Durcharbeiten des Ereignisses, sodass ein Abschluss erfolgen kann. In pathologischer Form, wenn diese Verarbeitung nicht stattfindet, kann es zu anderen Störungen, wie depressiven Störungen oder Angststörungen kommen und ein Gefühl des Bruchs der subjektiven Lebenslinie kann bestehen bleiben (Simmen-Janevska und Maercker 2011).
Eigene Pathomechanismen des Auftretens von Symptomen im Sinne der Anpassungsstörung wie auch Besonderheiten für das Kindes- und Jugendalter sind bisher nicht beschrieben.

Behandlung

Eine Schwierigkeit in der Indikationsstellung besteht darin, dass definitionsgemäß davon ausgegangen wird, dass die Störung von selbst remittiert und es daher unklar ist, wann eine Psychotherapie notwendig ist. Explizite Behandlungsleitlinien für die Anpassungsstörung liegen keine vor, wie auch bislang keine Therapiestudien mit Kindern mit Anpassungsstörung durchgeführt wurden.
In den Leitlinien für psychische Störungen im Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulalter (AWMF 028/041, 2015) wird darauf hingewiesen, dass bei einer Anpassungsstörung mit leichtem Schweregrad eine Beratung mit den Inhalten Psychoedukation und Aktivierung von Ressourcen ausreichend sein kann (Abschn. 2, Fallbeispiel 3). Eine Psychotherapie wird bei schwerer und chronisch verlaufender Anpassungsstörung als indiziert erachtet.
Therapiekomponenten, die in der Therapie bei der Anpassungsstörung zur Anwendung kommen können
  • Psychoedukation: Informationen zur Störung, Störungsmodell, Erläuterung Therapieplan
  • Stärkung von Bewältigungsstrategien, Aktivitätsaufbau
  • Verbesserung der Selbstwirksamkeit
  • Umgang mit verschiedenen Emotionen (Zusammenhang von Gedanken, Gefühlen und Verhalten)
  • Aufbau adaptiver Emotionsregulationsstrategien
  • Biografische Einordnung des Lebensereignisses
  • Kompetenzen- und Ressourcenanalyse
  • Angstbewältigung, Reduktion von Vermeidungsverhalten durch Expositionsübungen in vivo
  • Kognitive Umstrukturierung, insbesondere zum Umgang mit exzessiven und wiederkehrenden Sorgen und Gedanken an den Stressor und das Ruminieren über dessen Auswirkungen
  • Traumabewältigung (Expositionstechniken)
  • Trauerarbeit
  • Problemlösetraining
  • Kommunikations- und soziales Kompetenztraining
  • Entspannungstrainings
  • Elternarbeit
  • Positive Eltern-Kind-Interaktionen
Diese verschiedenen Methoden, die bei einer Anpassungsstörung zur Anwendung kommen können, gehen einher mit Empfehlungen, die Therapie modular anzusetzen (Bengel und Hubert 2010; Hoffmann und Hofmann 2008). Je nach Schwerpunkt der Symptomatik werden bewährte Elemente der störungsspezifischen Therapien verwendet (Abschn. 2, siehe Fallbeispiel 1, Fallbeispiel 4).
In Anbetracht der Einschätzung der Anpassungsstörung auf einem Traumakontinuum kann der Einsatz von traumatherapeutischen Elementen hilfreich sein, wie beispielsweise die biografische Einordnung des Lebensereignisses oder Expositionstechniken (Cohen et al. 2009). In der Psychoedukation kann als Störungsmodell auf die mangelnde Passung von aktuell zur Verfügung stehenden Ressourcen und anstehenden Entwicklungsaufgaben verwiesen werden.
In der Psychotherapie von Anpassungsstörungen können verschiedene Methoden modular eingesetzt werden, dabei sind insbesondere auch traumatherapeutische Elemente häufig hilfreich.
Bei Indikation einer Psychotherapie sollte aufgrund des fluktuierenden Verlaufs eine Kurzzeittherapie anvisiert werden. Je jünger die Kinder sind, desto stärker sollten die Eltern in die Psychotherapie einbezogen werden. Dabei ist zu beachten, inwiefern auch die Eltern von dem Ereignis/Stressor betroffen sind, und ob diese selbst auch Symptome einer psychischen Störung aufweisen. Falls dies der Fall wäre, sollte den Eltern gegebenenfalls eine eigene Psychotherapie empfohlen werden.

Fazit

Wie im Kapitel ersichtlich wurde, ist die empirische Literatur zu allen Bereichen der Anpassungsstörung, insbesondere für das Kindes- und Jugendalter, sehr spärlich, sodass dringender Handlungsbedarf besteht. Die hohen Remissionsraten, aber trotzdem die Gewährung des Zugangs zur Psychotherapie, könnten ein Grund sein, weshalb die Diagnose häufig vergeben wird. Damit zusammenhängend ist immer noch auch die Stigmatisierung (tatsächliche und vermutete) psychischer Störungen aufzuführen, die Therapeut:innen möglicherweise eine Diagnose einer Anpassungsstörung bevorzugt vergeben lässt als eine andere Diagnose (Abschn. 2, siehe Fallbeispiel 4).
Literatur
American Psychiatric Association (2013) Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders: DSM-5 (5th ed). American Psychiatric Association, Washington
Andreasen NC, Hoenk PR (1982) The predictive value of adjustment disorders: a follow-up study. Am J Psychiatry 139:584e90
AWMF (2015) Leitlinien zu psychischen Störungen im Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulalter (S2k). AWMF Nr. 028-041. https://​www.​awmf.​org/​leitlinien/​detail/​anmeldung/​1/​ll/​028-041.​html. Zugegriffen am 02.12.2021
Bengel J, Hubert S (2010) Anpassungsstörung und Akute Belastungsreaktion. Hogrefe, Göttingen
Bolten M, Equit M, von Gontard A, In-Albon T (2021) SIVA: 0-6. Das Strukturierte Interview für das Vorschulalter [Verfahrensdokumentation, Interviewleitfaden mit den Modulen 0-16, Handbuch, Zuordnung Module und Interview und Diagnoseblatt]. In Leibniz-Institut für Psychologie (ZPID) (Hrsg) Open Test Archive. ZPID, Trier. https://​doi.​org/​10.​23668/​psycharchives.​5172
Cohen J, Mannarino A, Deblinger E (2009) Traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie. Springer, Berlin
Dannemann S, Einsle F, Kämpf F et al (2010) Anpassungsstörungen nach einem neuen diagnostischen Konzept bei Patienten einer psychosomatischen Poliklinik – Beschwer- den, Veränderungsbereitschaft und Psychotherapiemotivation. Z Psychosom Med Psychother 56:231–243PubMed
Emde RN, Wise BK (2003) The cup is half full: Initial clinical trials of DC: 0–3 and a recommendation for revision. Infant Ment Health J 24:437–446CrossRef
Equit M, Paulus F, Fuhrmann P, Niemczyk J, von Gontard A (2011) Comparison of ICD-10 and DC: 0-3R diagnoses in infants, toddlers and preschoolers. Child Psychiatry Hum Dev 42:623–633CrossRef
Essau CA, Conradt J, Petermann F (1999) Häufigkeit der Posttraumatischen Belastungsstörung bei Jugendlichen: Ergebnisse der Bremer Jugendstudie. Z Kinder Jugendpsychiatr Psychother 27:37–45CrossRef
Furniss T, Beyer T, Müller JM (2009) Impact of life events on child mental health before school entry at age six. Eur Child Adolesc Psychiatry 18:717–724CrossRef
Hoffmann N, Hofmann B (2008) Anpassungsstörung und Lebenskrise. Beltz, Weinheim
Horowitz MJ (1986) Stress response syndromes, 2. Aufl. Aronson, Northvale
Maercker A (2002) Psychotherapy in old age and clinical gerontopsychology. Springer, Berlin
Maercker A, Einsle F, Köllner V (2007) Adjustment disorders as stress response syndromes: a new diagnostic concept and its exploration in a medical sample. Psychopathology 40:135–146CrossRef
Maercker A, Forstmeier S, Enzler A, Krüsi G, Hörler E, Maier C, Ehlert U (2008) Adjustment disorders, PTSD and depressive disorders in old age: Findings from a community survey. Compr Psychiatry 49:113–120CrossRef
Marttunen MJ, Aro HM, Henriksson MM, Lönnqvist J (1994) Adolescent suicides with adjustment disorders or no psychiatric diagnosis. Eur Child Adolesc Psychiatry 3:101e10CrossRef
In-Albon T, Equit M, Gontard A von, Schwarz D, Müller JM, Bolten M (2020) Das Strukturierte Interview für das Vorschulalter (SIVA: 0–6). Kindh Entwickl 29(4):209–220. https://​doi.​org/​10.​1026/​0942-5403/​a000319
Kovacs M, Gatsonis C, Pollock M, Parrone PL (1994) A controlled prospective study of DSM-III adjustment disorder in childhood. Arch Gen Psychiatry 51:535–541
Pelkonen M, Marttunen M, Henriksson M, Lönnqvist J (2005) Suicidality in ad- justment disorder. Clinical characteristics of adolescent outpatients. Eur Child Adolesc Psychiatry 14:174e80CrossRef
Simmen-Janevska K, Maercker A (2011) Anpassungsstörungen: Konzept, Diagnostik und Interventionsansätze. Psychther Psych Med 61:183–192. https://​doi.​org/​10.​1055/​s-0030-1266069
Schneider S, Pflug V, In-Albon T, Margraf J (2017) Kinder-DIPS Open Access: Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter. Forschungs- und Behandlungszentrum für psychische Gesundheit, Ruhr-Universität Bochum, Bochum. https://​doi.​org/​10.​1314/​rub.​101.​90
Zelviene P, Kazlauskas E (2018) Adjustment disorder: current perspectives. Neuropsychiat Dis Treat 14:375–381