Lichttherapie zählt zusammen mit der Wachtherapie
und der Schlafphasenvorverlagerung bzw. dem
Schlafentzug zu den sog. chronotherapeutischen Verfahren. Lichttherapie ist ein nichtinvasives, nebenwirkungsarmes Verfahren, das auch im Kindes- und Jugendalter in erster Linie zur Behandlung
depressiver Episoden eingesetzt werden kann. Darüber hinaus ist Lichttherapie auch zur Verbesserung von Ein- und Durchschlafstörungen geeignet.
Allerdings ist die empirische Absicherung ihrer Effektivität und der zugrunde liegenden Wirkmechanismen bei Kindern und Jugendlichen noch gering. Daher ist bisher die
Lichttherapie (wie auch die anderen Chronotherapien
) noch nicht in die Leitlinien zur Behandlung von
depressiven Störungen oder
Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen aufgenommen worden. Eine ausführliche Beschreibung chronotherapeutischer Verfahren, ihrer Hintergründe und Hinweise zur Anwendung finden sich bei Kirschbaum-Lesch, Holtmann und Legenbauer (
2019).
Wie wirkt Lichttherapie?
Wichtige Voraussetzungen für die Wirksamkeit der
Lichttherapie sind die ausreichende Lichtintensität, die Dauer der Behandlung und die Wahl des richtigen morgendlichen Zeitpunkts. Im Rahmen von Lichttherapie setzt man die Patienten einem UV-gefilterten, weißen Licht aus. Die Lichtintensität, die auf die Netzhaut trifft, sollte 10.000 Lux betragen. Die Lichttherapie sollte morgendlich über 2–5 Wochen jeweils für ca. 30 Minuten angewandt werden. Der ideale Zeitpunkt für die morgendliche Lichttherapie hängt von der individuellen zirkadianen Rhythmik des Patienten ab.
Zum Verständnis der Wirkweise von
Lichttherapie sind einige grundlegende Befunde der sog.
Chronobiologie hilfreich. Die Chronobiologie untersucht die zeitlichen Muster von körperlichen Abläufen und von Verhaltensweisen. In der Chronobiologie werden unter dem Begriff zirkadianer Rhythmus alle regelmäßigen physiologischen Rhythmen zusammengefasst, die sich periodisch ca. alle 24 Stunden wiederholen. Das Sonnenlicht mit seinen Veränderungen über Tag und Nacht ist dafür der entscheidende externe „Zeitgeber“. Zudem verfügen fast alle Zellen des menschlichen Körpers über eine „innere Uhr“, die genetisch gesteuert wird.
Viele physiologische Prozesse unterliegen einem ca. 24-stündigen Rhythmus, z. B. die Kortisolsekretion (mit einem Höhepunkt am Morgen), die Körpertemperatur (mit einem
Minimum am Morgen und einem
Maximum am Nachmittag) und eben auch die Ausschüttung von
Melatonin (mit einem steilen Anstieg nach der abendlichen Dämmerung, dem sog. Dim Light Melatonin Onset, DLMO).
Am offensichtlichsten ist die 24-Stunden-Rhythmik beim Schlaf-Wach-Rhythmus: Über seine Wirkung auf den Melatonin-Stoffwechsel stößt das Morgenlicht u. a. den Nachtschlaf an und führt zu einer Synchronisierung des zirkadianen Rhythmus. Dieser natürliche Effekt des Morgenlichts wird bei der
Lichttherapie imitiert. So werden auch durch die Lichttherapie eine Synchronisierung der zirkadianen Rhythmik
und eine schlafanstoßende Wirkung über die Beeinflussung der Ausschüttung von
Melatonin erwartet.
Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus
Die Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus wird über zwei zusammenhängende Prozesse gesteuert: den homöostatischen Prozess und den zirkadianen Prozess (Kirschbaum-Lesch et al.
2019). Der homöostatische Prozess führt im Lauf des Tages zu einem Anstieg des Schlafdrucks, der dann durch den Nachtschlaf wieder abgebaut wird. Der zirkadiane Prozess reguliert über externe Zeitgeber wie das Sonnenlicht und über die sog. innere Uhr die Wach- und Schlafphasen. Der zirkadiane Prozess wird maßgeblich gesteuert im suprachiasmatischen Kern (Nucleus suprachiasmaticus, SCN) des Zwischenhirns. Dieser ist verbunden mit lichtempfindlichen Zellen im Auge (den sog. Fotorezeptoren der Netzhaut) und koordiniert abhängig vom Lichteinfall gemeinsam mit anderen Hirnbereichen das Aktivitäts- und Schlafverhalten. Ausreichender
Schlaf ist z. B. notwendig für die körperliche Regeneration, die Gedächtniskonsolidierung und die Verarbeitung und Regulation von Emotionen. Es gibt daher ein enges Wechselspiel von Schlaf und
psychischer Gesundheit in beide Richtungen: Ein verschobener oder gestörter zirkadianer Rhythmus führt zu einer Verschiebung der Schlafphasen, schlechterer Schlafqualität
und geringerer
Schlafdauer.
Schlafstörungen wiederum sind eng verbunden mit verschiedenen psychischen Erkrankungen, insbesondere mit
affektiven Störungen. So berichten Jugendliche mit
depressiven Episoden häufig über quälende Schlafstörungen und den Verlust eines gesunden Schlaf-Wach-Rhythmus. Das enge
bidirektionale Verhältnis von Depression und gestörtem Schlaf ist die Rationale für den Einsatz der chronotherapeutischen Behandlungsansätze. Diese zielen auf das Wiederherstellen eines gesunden Tag-Nacht-Rhythmus und eine gute Synchronisation der inneren Uhr mit verschiedenen Zeitgebern. Sonnenlicht am frühen Vormittag gilt als Zeitgeber, um über seine Wirkung auf den Melatonin-Stoffwechsel den abendlichen Schlaf anzustoßen und zu einer Resynchronisierung des zirkadianen Rhythmus zu führen. Ausreichend morgendliches Licht, Aufenthalte im Freien und Bewegung sowie tageszeitliche Rituale (z. B. regelmäßige Mahlzeiten, Bettgehrituale) können als basale chronotherapeutische Ansätze gelten. Sie verhelfen zu einer besseren Synchronisation der inneren und äußeren Rhythmen und begünstigen besseren Schlaf und bessere Stimmung.
Über diese Rituale hinaus kann der im Rahmen einer Depression gestörte Schlaf-Wach-Rhythmus durch die
Lichttherapie resynchronisiert werden. Das Licht stößt als starker externer Zeitgeber die Ausschüttung von
Melatonin an und beeinflusst so den zirkadianen Prozess. Während depressiver Phasen ist häufig der zirkadiane Rhythmus gestört und nach hinten verschoben (sog. phase delay in Richtung Eveningness). Durch die Lichttherapie am Morgen, die den Sonnenaufgang und das Sonnenlicht am Morgen nachbildet und verstärkt, kommt es zu einer früheren Ausschüttung von Melatonin am Abend, früherem Einschlafen und einer Verschiebung des zirkadianen Rhythmus nach vorn in Richtung Morningness. Zusätzlich zur Wirkung der Lichttherapie auf die Ausschüttung von Melatonin findet sich auch ein antidepressiver Effekt über eine erhöhte Serotoninkonzentration.
Empirische Evidenz für Lichttherapie
Bei Erwachsenen ist die Wirksamkeit von
Lichttherapie für die saisonale Depression (Winterdepression
; Seasonal Affective Disorder, SAD) durch Meta-Analysen und mehrere große randomisiert-kontrollierte Studien belegt, in denen die Lichttherapie mit plausiblen Placebos verglichen wurde. Daher gilt nach der einschlägigen S3-Leitlinie bei saisonal abhängiger Depression im Erwachsenenalter die Lichttherapie gleichrangig neben der Medikation mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) als Behandlung 1. Wahl (DGPPN et al.
2017). Lichttherapie soll demnach als Behandlungsform bei Patienten mit leicht- bis mittelgradigen Episoden
rezidivierender depressiver Störungen, die einem saisonalen Muster folgen, erwogen werden. Empfohlen wird der Einsatz von Geräten für die Lichttherapie mit einer Lichtquelle, die weißes, fluoreszierendes Licht abgibt, bei dem der UV-Anteil herausgefiltert wird.
Die Ansprechrate auf
Lichttherapie bei der saisonalen Depression liegt bei 60–90 %, wobei der Wirkeintritt innerhalb von 2–3 Wochen auftritt. Da viele Patienten mit Winterdepression ein rasches Wiederauftreten der depressiven Symptome nach dem Absetzen der Lichttherapie zeigen, soll die Lichttherapie den gesamten Winter über fortgeführt werden, wenn die Patienten auf diese Therapieform ansprechen. Während der asymptomatischen Sommermonate kann die Behandlung dann unter Fortführung der anderen Behandlungsbausteine abgesetzt werden.
Morgendliche
Lichttherapie kann nicht nur bei der Winterdepression, sondern auch bei nichtsaisonaler Depression
und Verschiebungen des Tag-Nacht-Rhythmus als ergänzende Therapieoption eingesetzt werden. Die Wirksamkeit ist dabei weniger gut belegt. Lichttherapie wird auch zur Stabilisierung des antidepressiven Effekts einer Wachtherapie eingesetzt, deren Wirkung sonst oft nicht lang anhaltend ist.
Ein Cochrane-Review auf der Basis von 49 randomisierten kontrollierten Studien kommt zu der Schlussfolgerung, dass
Lichttherapie bei der nichtsaisonal abhängigen Depression eine nachweisbare Wirksamkeit und eine klare Überlegenheit gegenüber Placebo mit einer Effektstärke von 0,90 aufweist (Tuunainen et al.
2004). Aufgrund kleiner
Stichproben und kurzer Behandlungsdauern (1–4 Wochen) kann derzeit jedoch keine Behandlungsempfehlung ausgesprochen werden.
Eine neuere Meta-Analyse belegt ebenfalls die Wirksamkeit von
Lichttherapie in Monotherapie bei nichtsaisonaler Depression (Effektstärke =0,62; Al-Karawi und Jubair
2016).
Eine höhere Wirksamkeit fand sich nach 2–5 Wochen Behandlung im Vergleich zu kürzeren Anwendungen. Unklarheit besteht aber noch hinsichtlich der Langzeiteffekte, der optimalen Behandlungsdauer und zur notwendigen Intensität.
Die Datenbasis bei Kindern und Jugendlichen ist im Vergleich zur Studienlage bei Erwachsenen noch sehr begrenzt. Lange Zeit waren nur einzelne Fallstudien und methodisch unzureichende Studien verfügbar. Weil keine aussagekräftigen Untersuchungen bei Kindern und Jugendlichen mit
depressiven Störungen vorliegen, stellt die kinder- und jugendpsychiatrische S3-Leitlinie zu Behandlung der Depression (Dolle und Schulte-Körne
2013) fest, dass keine Empfehlung für oder gegen
Lichttherapie ausgesprochen werden kann.
Mittlerweile gibt es aus 3 kontrollierten Pilotstudien unserer Arbeitsgruppe an über 150 vollstationär behandelten Kindern und Jugendlichen im Alter von 12–18 Jahren mit mittelgradiger bis schwerer Depression Hinweise auf einen Rückgang depressiver Symptome durch 2-wöchige
Lichttherapie. Allerdings ist die
Spezifität der Befunde nicht klar. Ein Teil der Effekte beruht möglicherweise auch auf einer Placebo-Wirkung, wie sie bei internalisierenden Störungen häufig ist. Die depressiven Symptome und das globale Funktionsniveau waren nicht nur in der Gruppe, die Lichttherapie erhielt, sondern auch in der Vergleichsgruppe besser. Die Remissionsrate lag 3 Wochen nach Abschluss der Lichttherapie bei 46,7 % (im Vergleich zu 25,9 % bei den Kontrollen; Bogen et al.
2016). Ergebnisse einer randomisiert-kontrollierten Studie an einer ausreichend großen Population stehen noch aus. Unklar ist, ob eine längere Behandlung zu noch größeren Effekten führt, oder ob eine 2-wöchige Behandlung ausreichend ist.
Mehrfach in kontrollierten Studien belegt ist mittlerweile der Effekt von
Lichttherapie auf den
Schlaf bei Jugendlichen: Bei Jugendlichen mit mittelgradiger und schwerer Depression
führt Lichttherapie zu einer besseren Schlafqualität. Die Jugendlichen berichteten über schnelleres abendliches Einschlafen, verbessertes Durchschlafen und ein stärkeres Gefühl von Erholung am nächsten Morgen. Parallel fand sich eine Verschiebung der inneren Uhr zu mehr Morningness (Morgentyp
). Die verbesserte Schlafqualität und der Shift zum Morgentyp waren maßgeblich für eine Reduktion der Depression (Bogen et al.
2016; Gest et al.
2016).
Systematische Untersuchungen an nichtdepressiven Jugendlichen mit
Schlafstörungen liegen bisher nicht vor. Positive klinische Erfahrungen in Einzelfällen und die insgesamt gute Verträglichkeit lassen zusätzlich zu
Psychoedukation und einer angeleiteten
Schlafhygiene ergänzende Behandlungsversuche mit
Lichttherapie bei relevanten Schlafstörungen auch ohne begleitende depressive Symptome vertretbar erscheinen.
Studien an jüngeren Kindern wurden bisher nicht veröffentlicht. Verfügbare Lichtbrillen sind zugelassen für die Behandlung ab dem Alter von 12 Jahren. Für Kinder unter 12 Jahren sind auch mögliche unerwünschte Effekte des hellen Lichts auf das noch nicht voll ausgereifte Auge nicht ausreichend bekannt.
Schlussfolgerungen für die praktische Anwendung von Lichttherapie
Aussagen zur empfohlenen Anwendungsdauer und Dosierung sind bisher nur bedingt möglich. Insgesamt sollte die Therapie über mindestens 2 Wochen erfolgen, idealerweise eher bis zu 1 Monat oder möglicherweise sogar länger. Unklar ist auch, wie stabil die Effekte bei positivem Ansprechen sind und ob dann eine weitere Fortführung oder „Auffrischungssitzungen“ sinnvoll sind.
Die tägliche Behandlungsdauer sollte ca. 30 Minuten umfassen. Die eingesetzten Lichttherapie-Geräte sollten eine Leuchtkraft mit einem Äquivalent von 10.000 Lux auf der Netzhaut erreichen, und zwar auch bei einem Abstand von mindestens 40–50 cm vom Gerät, sodass man parallel zur Behandlung z. B. noch lesen oder sich anderweitig beschäftigen kann. Geräte mit geringerer Leuchtkraft machen eine längere Bestrahlungszeit notwendig, die schwieriger mit dem Alltag zu vereinbaren ist und die Therapietreue ungünstig beeinflussen kann. Während der Behandlung sollten die Augen geöffnet sein.
Lichtbrillen
haben bei Jugendlichen vergleichbare Effekte wie die klassischen Lichttherapie-Geräte und Lichtboxen und sind für viele junge Menschen besser in den Tagesablauf zu integrieren (Kirschbaum-Lesch et al.
2018). Während des Tragens der Brille sind auch Tätigkeiten wie Frühstücken und Lesen möglich.
Die
Lichttherapie bedarf einer Kopplung an den individuellen zirkadianen Melatoninstoffwechsel. Entscheidend ist, dass die Behandlung ca. 7,5–9,5 Stunden nach dem Beginn der nächtlichen Melatoninausschüttung (DLMO) erfolgt. Der DLMO, der abhängig vom Chronotyp
von Mensch zu Mensch schwankt, kann näherungsweise über einen Fragebogen zur Morgen- und Abendaktivität bestimmt werden (Morningness-Eveningness-Questionnaire, MEQ; Horne und Ostberg
1976; deutsche Version frei verfügbar unter
https://cet.org/assessments/). Ein niedriger Gesamtwert deutet auf einen Abendtyp
(Eveningness, sog. Eulen-Typ) hin, ein hoher Wert auf einen Morgentyp (Morningness, sog. Lerchen-Typ). Abhängig vom Gesamtwert des MEQ wird dann die Uhrzeit für den Beginn der Lichttherapie festgelegt (Tab.
1). Von dieser Uhrzeit sollte nicht mehr als 1 Stunde nach vorn oder hinten abgewichen werden, da außerhalb dieses Zeitfensters die Wirksamkeit stark abnimmt.
Tab. 1
Wirksamste Tageszeit für die Lichttherapie in Abhängigkeit vom individuellen Chronotyp (nach Holtmann et al.
2017)
16–18 | 08:45 |
19–22 | 08:30 |
23–26 | 08:15 |
27–30 | 08:00 |
31–34 | 07:45 |
35–38 | 07:30 |
39–41 | 07:15 |
42–45 | 07:00 |
46–49 | 06:45 |
50–53 | 06:30 |
54–57 | 06:15 |
58–61 | 06:00 |
62–65 | 05:45 |
66–68 | 05:30 |
Wichtig für die Anwendung ist ein gutes Monitoring zur Verträglichkeit sowie hinsichtlich der Verbesserung der Symptome. In Übereinstimmung mit der Literatur zu Erwachsenen waren die häufigsten Nebenwirkungen der
Lichttherapie in unseren klinischen Studien
Kopfschmerzen,
Schwindel, Übelkeit, Wärmegefühl oder Schmerzen am Auge. Alle unerwünschten Wirkungen waren leicht ausgeprägt, reversibel und traten auch in der Placebo-Gruppe auf. Es existieren keine Kontraindikationen für Lichttherapie oder Hinweise darauf, dass sie mit Augen- oder Retinaschäden assoziiert wäre (DGPPN et al.
2017). Jedoch sollten Patienten mit Risikofaktoren für die Augen vor der Behandlung einen Augenarzt aufsuchen.
Lichttherapie kann in Kombination mit einem Antidepressivum eingesetzt werden. Der gleichzeitige Einsatz kann die Effekte der Behandlung verstärken. Es sollten aber mögliche fotosensibilisierende Wirkungen der
Psychopharmaka berücksichtigt werden, wie sie bei trizyklischen
Antidepressiva,
Lithium und Johanneskraut (Hypericum) bekannt sind. Die Kombination mit SSRI scheint unbedenklich zu sein.